Letztes Gefecht oder letztes Geleit?
Die deutsche Debatte um die nukleare Teilhabe in der NATO
von Otfried Nassauer
Im deutschen Bundestag plädieren Grüne, FDP und Linkspartei für
einen Abzug der letzten etwa 20 Nuklearwaffen, die in Deutschland noch
gelagert werden. Die politisch und rechtlich umstrittene Nukleare Teilhabe
soll aufgegeben werden. In deren Rahmen stellt die Bundeswehr Flugzeuge
und Piloten des Jagdbombergeschwaders 33 in Büchel bereit, die im
Kriegsfall Nuklearwaffen der USA abwerfen können. Die SPD will die
nukleare Aufgabe der Bundeswehr auslaufen lassen, wenn in Büchel
nicht-nuklearfähige Eurofighter-Flugzeuge die nuklearfähigen
Tornados ablösen. Das wäre im nächsten Jahrzehnt der Fall.
Lediglich die CDU und das von ihre geführte Verteidigungsministerium
unter Minister Franz Josef Jung sieht alles ganz anders. Sie will die
nukleare Rolle der Bundeswehr bis mindestens 2020 aufrecht erhalten. Deshalb
plant sie, im bayrischen Lechfeld einige der nuklearfähigen Jagdbomber
vom Typ Tornado-IDS in Dienst zu halten. Die Nuklearwaffen und deren amerikanische
Sicherheits- und Wachmannschaft sollen in Büchel verbleiben. Im Falle
eines Falles könnten die Flugzeuge ihre Waffen dort abholen. Der
Streit um die Zukunft der deutschen Nuklearwaffenpolitik lähmt die
Bundesregierung international. Weder kann die CDU offen für eine
Modernisierung der nuklearen Trägersysteme und eine Neufassung der
NATO-Nuklearstrategie werben und so die nukleare Teilhabe langfristig
absichern. Noch kann die SPD offen für einen Verzicht auf Nuklearwaffenstationierung
und nukleare Trägersysteme werben, Schritte, mit denen sie auf dem
seit Jahren brachliegenden Feld der nuklearen Abrüstung Bewegung
schaffen möchte.
Der Anlass: Mängel bei der Sicherheit
Anlass für die jüngste Debatte im Juni 2008 war die Veröffentlichung
eines internen Berichtes der US-Luftwaffe. Er hielt fest, dass die meisten
Lagerstätten für Nuklearwaffen in Europa nicht mehr den aktuellen
Sicherheitsanforderungen des Pentagons entsprechen und aufwändig
modernisiert werden müssen. Zudem wurde beobachtet, dass in Einheiten,
die neben nuklearen auch konventionelle Aufgaben erfüllen, Sicherheitsmängel
verstärkt deshalb auftreten, weil die nukleare Sicherheitskultur
in diesem Einheiten wegen der zusätzlichen Aufgaben leidet. Zu dieser
Schlussfolgerung kam im Frühjahr auch ein Bericht des einflussreichen
Defense Science Board, das das Pentagon berät.
Neue Erkenntnisse – Neue Reduzierungen
Weniger Aufmerksamkeit fanden zwei andere relevante Meldungen: Die US-Luftwaffe
hat nicht nur ihr größtes Atomwaffenlager in Europa, die Ramstein
AirBase, auf der etwa 130 nukleare Bomben lagen, geräumt, sondern
auch das zweitgrößte. Es befand sich in Lakenheath in Großbritannien
und versorgte die dort stationierten US-Jagdbomber vom Typ F-15E. Gelagert
waren dort etwa 110 nukleare Bomben. Ramstein und Lakenheath beheimateten
vor der Räumung zusammen etwa die Hälfte aller US-Nuklearwaffen
in Europa. Die Räumung impliziert also eine Halbierung der Zahl der
in Europa gelagerten Atomwaffen. In Zentraleuropa sind künftig nur
noch Nuklearwaffendepots in Betrieb die der Aufrechterhaltung der nuklearen
Teilhabe der Luftwaffen der nicht-nuklearen Staaten Belgien (Kleine Brogel),
Deutschland (Büchel) und Niederlande (Volkel) dienen. Kein Atomwaffendepot
der US-Luftwaffe ist noch aktiv. Die verbliebenen Depots der US-Luftwaffe
in Europa befinden sich jetzt an der Südflanke der NATO in Aviano
(Italien) und Incirlik (Türkei). Wenig Aufmerksamkeit fand auch,
dass nach Kanada und Griechenland nunmehr wahrscheinlich auch die Türkei
keine Trägerflugzeuge für US-Nuklearwaffen mehr bereitstellt.
Einem Bericht der Federation of American Scientists ist darüber hinaus
zu entnehmen, dass die US-Luftwaffe über eine weitere Konsolidierung
der Nuklearwaffendepots in Europa und den Abzug ihrer Sondereinheit für
Nuklearwaffen aus Ghedi in Italien nachdenkt. Geschähe das, so würde
auch die italienische Luftwaffe ihre nuklearen Aufgaben verlieren, das
Land würde aus der technisch nuklearen Teilhabe ausscheiden.
Wurden nach dem Kalten Krieg in Europa zunächst noch 13 Luftwaffenstützpunkte
in 7 europäischen Ländern zur Lagerung amerikanischer nuklearer
Waffen genutzt, so sind es heute nur noch 6 Flugplätze in 5 Ländern.
Waren damals noch 214 Magazine, die je 4 Atombomben aufnehmen konnten,
auf nuklear aktiven Standorten, so sind es heute nur noch 87. Von ursprünglich
7 nicht-nuklearen NATO-Staaten, die sich an der technischen Umsetzung
der nuklearen Teilhabe beteiligten und ihre Flugzeuge als Nuklearwaffenträger
bereit hielten, sind heute noch vier übrig – darunter Italien, das
diese Aufgabe bald ebenfalls aufgeben könnte. Der Trend seit Ende
des Kalten Krieges wird deutlich: Die Zahl der in Europa gelagerten Atomwaffen
wird immer kleiner und die Zahl der Staaten, die sich aktiv an der Umsetzung
der nuklearen Teilhabe beteiligen nimmt immer weiter ab.
Substrategische Nuklearwaffen ohne militärischen Zweck
Dafür gibt es gute Gründe: In der NATO-Strategie werden Nuklearwaffen
seit 1991 vor allem als politische Waffen betrachtet, die sichtbar machen
sollen, dass die nukleare Abschreckung der Allianz weiter existiert, Angriffe
auf Bündnismitglieder keinen Sinn machen und schon der Versuch, sie
mit militärischen Mitteln zu erpressen, scheitern würde. Dass
ihnen innerhalb des Konsenses der NATO-Staaten keine operative Rolle in
der Kriegführung mehr zukommen soll, zeigte sich verschiedentlich:
Bereits in der ersten NATO-Strategie nach dem Kalten Krieg, wurden sie
als „letztes Mittel“ bezeichnet. Dass dieser Begriff in der heute gültigen
NATO-Strategie aus dem Jahr 1999 nicht mehr vorkommt, bedeutet ebenso
wenig wie die Tatsache, dass die NATO sich weiterhin die Option eines
nuklearen Ersteinsatzes offenhält, dass den Waffen durch die Hintertür
erneut eine militärische Rolle zugewiesen worden wäre. Die NATO
bringt das selbst zum Ausdruck, indem sie die Waffen nicht mehr als taktische,
sondern als sub-strategische bezeichnet. Eine eigenständiger militärischer
Zweck, der nicht zugleich von den U-Boot-gestützten strategischen
Nuklearwaffen der USA und Großbritanniens erfüllt werden könnte,
die diese beiden Nuklearmächte der NATO im Ernstfall assignieren
würden, ist nicht erkennbar.
Washingtons nationaler militärischer Zweck
So sehen es offensichtlich auch die USA. Als Washington unter Präsident
Clinton in der NATO mit dem Ansinnen gescheitert war, den substrategischen
Nuklearwaffen in Europa einen neuen militärischen Sinn mit Blick
auf Ziele im Nahen und Mittleren Osten zuzuweisen, ging es seine eigenen
Wege. Das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa wurde angewiesen,
die Nuklearwaffen in Europa, die für die US-Luftwaffe vorgesehen
waren, im nationalen Kontext auch zur Unterstützung des für
den Nahen und Mittleren Osten zuständigen Central Commands bereitzuhalten,
das keine taktischen Nuklarwaffen vorgeschoben lagert.
Die nuklearen Standortschließungen der USA in Europa folgen dieser
Logik: Aufrechterhalten werden die US-Standorte an der NATO-Südflanke,
die in diesem Kontext tätig werden können, Aviano in Italien
und Incirlik in der Türkei. Alle anderen Standorte, die es noch gibt,
lagern Waffen für die europäischen Länder, die sich derzeit
noch an der nuklearen Teilhabe beteiligen. Überspitzt formuliert:
An der Südflanke lagern die USA heute taktische Nuklearwaffen für
nationale „out of area“-Einsätze außer halb des NATO-Gebietes,
die in einer Zweitrolle auch als substrategische Waffen zur politisch-nuklearen
Abschreckung der NATO beitragen könnten. Ansonsten geht es um die
formale Aufrechterhaltung der nuklearen Teilhabe, also einen politischen
und keinen militärischen Zweck. Die substrategischen Waffen erlauben
es der NATO, einen Nuklearwaffeneinsatz so durchzuführen, dass sichtbar
wird, dass er nicht nur von den Nuklearmächten in der NATO getragen,
sondern auch von den nicht-nuklearen Staaten mit durchgeführt wird,
weil z.B. das Trägerflugzeug der Nuklearwaffe und dessen Piloten
aus einem nicht-nuklearen Staat kommen.
Mit dem Atomwaffensperrvertrag vereinbar?
Genau da liegt das zentrales Problem: Die meisten nicht-nuklearen Staaten
betrachten es als klaren Verstoß gegen den Nichtverbreitungsvertrag,
der in Deutschland besser als Atomwaffensperrvertrag bekannt ist, wenn
ein Flugzeug mit Piloten aus einem nicht-nuklearen NATO-Staat im Krieg
eine Nuklearwaffe einsetzen würde, die eine den USA gehört.
Artikel 1 und 2 des Vertrages – so das Argument – erlauben es unter keinen
Umständen – auch nicht im Krieg – das die Verfügungsgewalt über
eine Nuklearwaffe von einem Nuklearwaffenstaat auf einen Nicht-Nuklearwaffenstaat
übertragen wird. Das aber wäre bei einem solchen Einsatz zweifelsfrei
der Fall. Die NATO-Staaten argumentieren, ihr Vorgehen sei trotzdem legitim,
weil sie es bei Unterzeichnung des Vertrages offengelegt hätten.
Dies taten sie jedoch so trickreich, verschlüsselt und versteckt,
dass es der überwiegenden Zahl der anderen Unterzeichnerstaaten unbekannt
blieb oder diese sich der praktischen Konsequenz, also der Teilhabe-Praxis
nicht bewusst waren. Sie könnten heute argumentieren, die USA und
ihre Verbündeten hätten damals unter Vorspiegelung falscher
Tatsachen und in irreführender Absicht verhandelt. Vor diesem „Negotiating
under false pretenses“ so der der Fachterminus, hatte - als Gefahr – der
Völkerrechtsberater des US-Außenministeriums schon während
der Verhandlungen inständig gewarnt. Es könne die Gültigkeit
des Vertrages infragestellen.
Fragwürde Argumente für die Teilhabe
Thomas Kossendey, der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium
musste dem Bundestag vergangene Woche erklären, was kaum noch zu
erklären ist. Warum hält Verteidigungsminister Jung an der Lagerung
atomarer Waffen in Deutschland fest? Warum müssen weiter deutsche
Tornados mit Bundeswehrpiloten bereitgehalten werden, um im Ernstfall
amerikanische Atomwaffen abwerfen zu können? Warum muss Deutschland
an der nuklearen Teilhabe der NATO festhalten? Die CDU ist die einzige
Partei, die das vertritt. Kossendey las seine Rede vom Blatt - vorsichtshalber.
Auf dem stand, was ihm seine Ministerialen aufgeschrieben hatten. Das
aber war in wesentlichen Punkten einfach falsch.
Kossendey warnte ausweislich des Protokolls: Wer wolle, dass die in
Deutschland gelagerten Atomwaffen abgezogen werden, der stelle „einen
Kernbestand der Atlantischen Allianz infrage“ und wolle „letztendlich
die Beziehungen zwischen Nordamerika und Europa dauerhaft schwächen“.
Er sehe „im Augenblick keine Perspektive, die in absehbarer Zeit eine
Änderung“ der Strategie der nuklearen Abschreckung erlaube. Wer die
nukleare Teilhabe beenden wolle, gebe „damit auch das Recht auf Mitsprache
beim Einsatz von Atomwaffen“ auf. „Deutschland wäre dann nicht mehr
in den beschlussfassenden Gremien der NATO repräsentiert.“
Mitspracherechte in Gefahr?
Wenn ein NATO-Staat aus der nuklearen Teilhabe ausscheidet, keine Trägerflugzeuge
mehr bereitstellt oder keine Atomwaffen mehr auf seinem Territorium lagert,
verliert er weder seine Mitspracherechte noch seinen Platz in den beschlussfassenden
NATO-Gremien. Kanada gab die Teilhabe kurz nach Ende des Kalten Krieges
auf, Griechenland vermutlich 2001, die Türkei wahrscheinlich ein
paar Jahre später. All diese Länder können weiter in der
Nuklearen Planungsgruppe und anderen Gremien mitarbeiten und tun das auch.
Das gilt auch für all die NATO-Staaten, die nie Atomwaffen gelagert
oder bei der technischen Umsetzung der nuklearen Teilhabe mitgemacht haben.
Und es gilt auch für die neuen NATO-Mitglieder, auf deren Boden keine
Atomwaffenlager eingerichtet werden dürfen. Washington hat Moskau
bei der ersten Erweiterung der NATO 1997 verbindlich zugesagt, dass in
den neuen Mitgliedsländern weder Nuklearwaffen gelagert, noch Infrastruktur
für eine Lagerung im Krisenfall oder Piloten und Flugzeuge für
einen Nuklearwaffeneinsatz bereitgehalten werden sollen.
Die NATO betonte damals wie heute, es werde keine Mitglieder erster
und zweiter Klasse oder Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben. Für
alle Bündnismitglieder gelte die gleiche Sicherheitsgarantie. Alle
haben die gleichen Mitsprache- und Konsultationsrechte. Diese sollen genutzt
werden, soweit „Zeit und Umstände es erlauben“. Selbstverständlich
gilt das vor auch für jene Staaten, deren Territorium bei einem potentiellen
Nuklearwaffeneinsatz besonders betroffen wäre, sei es, weil dieses
Land Ziel eines Nuklearwaffeneinsatzes wäre oder sei es, dass nuklear
bewaffnete Flugzeuge von dort zu einem NATO-Einsatz starten
Gefährdung der Abschreckung?.
Das Ende der nuklearen Teilhabe wäre aber auch nicht gleichbedeutend
mit einem Ende der nuklearen Abschreckung der NATO. Im Ernstfall stehen
der NATO auch Atomwaffen auf britischen und amerikanischen U-Booten zur
Verfügung. Die in Europa gelagerten Atomwaffen leisten keinen zusätzlichen
Abschreckungsbeitrag, der nicht auch von diesen Waffen abgedeckt werden
könnte. Selbst wenn die NATO einen Nuklearwaffeneinsatz aus politischen
Gründen multinational umsetzen wollte, könnte sie es auch ohne
die in Europa gelagerten Waffen und die nukleare Teilhabe. Ein strategischer
Bomber der USA kann auch mit europäischem NATO-Begleitschutz zu seinem
Ziel fliegen.
Schädigung der transatlantischen Beziehungen und der Bündnissolidarität?
Mit dem Abzug der für die US-Luftwaffe vorgesehene Nuklearwaffen aus
Deutschland und England wird deutlich, dass Washington die Lagerung
amerikanischer Waffen in diesen Ländern nicht mehr für nötig hält.
Schon vor mehreren Jahren erklärte der damalige US-Verteidigungsminister
Donald Rumsfeld im Spiegel, es sei Sache der Europäer, zu entscheiden, ob
sie weiterhin US-Atomwaffen lagern wollen. Die
US-Luftwaffe möchte die Kosten der nuklearen Teilhabe schon lange
einsparen. Das Oberkommando der US-Streitkräfte in Europa übernahm die
Zusatzaufgabe, CENTCOM nuklear zu unterstützen, in der zweiten Hälfte
der 90er Jahre eher widerwillig. Weder Kanada, noch
Griechenland oder die Türkei wurden in der NATO von den USA kritisiert,
weil sie keine Flugzeuge für die nukleare Teilhabe mehr bereitstellen.
Auf schwerwiegende Schwächungen der transatlantischen Beziehungen würde
Washington anders und vor allem deutlich reagieren.
Auch die Bündnissolidarität unter den nicht-nuklearen NATO-Staaten
wäre kaum gefährdet. Diese Annahme steht häufig hinter
dem Argument, alle Teilnehmer an der nuklearen Teilhabe sollten gemeinsam
über deren Zukunft entscheiden – eine Debatte, die aber niemand offensiv
ingang-setzen will. Oft wird dann darauf verwiesen, dass die Türkei
– als Nachbar der Krisenregion Naher und Mittlerer Osten – ein besonderes
Bedürfnis habe, sichtbar unter dem Nuklearschutz der NATO zu stehen
und an der Teilhabe festzuhalten. Das Argument wendet sich aber gegen
sich selbst, wenn es stimmt, dass die Türkei bereits seit einigen
Jahren nicht mehr an der technischen Umsetzung der nuklearen Teilhabe
mitwirkt.
Eine eigenständige Abschreckung?
Noch problematischere Aussagen benutzte der CDU-Außenpolitiker
Eckhart von Klaeden. Er argumentierte laut der Nachrichtenagentur AFP:
Atomwaffen seien "wichtig für unsere Sicherheit, damit wir uns
nicht erpressbar machen von anderen Nuklearstaaten". So müsse
Deutschland etwa damit rechnen, "dass der Iran Nuklearwaffen zu politischen
Zwecken einsetzt, um uns zu erpressen". Allerdings müsse für
die hierzulande gelagerten Atomwaffen das "Zwei-Schlüssel-Prinzip"
gelten - nach dem diese nur mit Zustimmung der Bundesregierung eingesetzt
werden dürften.
Wenn deutsche Politiker so argumentieren, kann leicht der Eindruck entstehen,
das nicht-nukleare Deutschland werde durch die nukleare Teilhabe zur Quasi-Atommacht,
von der eigenständig eine abschreckende Wirkung ausgehe. Dies kann
den Eindruck, dass mit der nuklearen Teilhabe in der NATO seit langem
gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen wird, entscheidend verstärken
und damit zu einer massiven Schwächung des Nichtverbreitungsregimes
beitragen. Zudem erweckt es den Eindruck, dass zwischen der Bundesregierung
und den USA verbindliche bilaterale, geheime Abmachungen bestehen, die
der Bundesregierung ein faktisches Vetorecht gegen den Einsatz in Deutschland
gelagerter Atomwaffen einräumen. Offiziell gibt es ein solches Recht
nicht. Die USA haben formal die alleinige Verfügungsgewalt über
diese Waffen.
Die ministerielle Kunst des Sich-Selbst-Widersprechens
Verteidigungsminister Franz Josef Jung trieb die Probleme um die nukleare
Teilhabekürzlich auf die Spitze. In einer Neufassung der „Druckschrift
Einsatz Nr. 03 Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten“,
einer für alle Bundeswehrsoldaten gültigen Vorschrift aus dem
Juni 2008, heißt es auf Seite 5 völkerrechtlich völlig
korrekt: „Insbesondere der Einsatz folgender Kampfmittel ist deutschen
Soldaten bzw. Soldatinnen in bewaffneten Konflikten verboten: Antipersonenminen,
atomare Waffen, biologische Waffen und chemische Waffen“. Die Piloten
der Jagdbomber in Büchel müssen verwundert gestutzt haben. Sie
werden von der Bundeswehr bezahlt, damit sie üben, was ihnen völkerrechtlich
verboten ist - den Einsatz atomarer Waffen. „Die Bundesregierung wäscht
ihre Hände vorab in völkerrechtlicher Unschuld und macht den
Atomwaffeneinsatz im Krieg zum Privatproblem der Piloten“, echauffierte
sich der Grüne Verteidigungsexperte Winni Nachtwei oder „soll ich
das etwa als versteckten Befehl zur Befehlsverweigerung im Ernstfall lesen?“
Vorläufig müssen die Piloten die Gewissensfrage mit sich selbst
ausmachen, denn das Verteidigungsministerium hüllt sich eisern in
Schweigen.
„Wer zu spät kommt,
den bestraft das Leben.“ So lautet ein geflügeltes Wort, das Michail
Gorbatschow zugesprochen wird. Die nukleare Teilhabe und die Lagerung
atomarer Waffen in Deutschland sind ein Auslaufmodell. Die Bundesregierung
muss bei Gefahr politischer Strafe aufpassen, nicht zu spät zu dieser
Erkenntnis zu kommen.
Noch kann sie selbst entscheiden, auf die technisch nukleare Teilhabe
und die Lagerung atomarer Waffen zu verzichten. Politisch wäre das
ein wichtiges Signal: Die Mittelmacht Deutschland fühlt sich sicher
– auch ohne Nuklearwaffen. Deutschland leistet einen eigenständigen
Beitrag zur nuklearen Abrüstung. Es stärkt die Bemühungen
um nukleare Abrüstung und das Nichtverbreitungsregime. Es beseitigt
die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der nuklearen Teilhabe, indem
es den Stein des Anstoßes selbst aus dem Weg räumt. Es trägt
dazu bei, dass Russland die Bereitschaft entwickelt, auch über seine
taktischen bzw. substrategischen Atomwaffen mit sich reden zu lassen.
Entscheidet die Bundesregierung nicht oder nicht rechtzeitig, so treten
diese positiven Signalwirkungen nicht mehr ein. Niemand wird es Deutschland
mehr positiv anrechnen, wenn es auf die nukleare Teilhabe erst verzichtet,
wenn die Trägerflugzeuge außer Dienst gestellt werden oder
die USA die nukleare Teilhabe aus Kostengründen auslaufen lassen.
Das ist die große Gefahr, die mit der Position der SPD verbunden
ist. Der Atomwaffensperrvertrag trat morgen vor 40 Jahren in Kraft. Eigentlich
ein schönes Datum, um der Bestrafung durch die Geschichte rechtzeitig
zu entgehen – leider aber derzeit noch unrealistisches.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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