30. Juni 2008


Letztes Gefecht oder letztes Geleit?

Die deutsche Debatte um die nukleare Teilhabe in der NATO

von Otfried Nassauer

Im deutschen Bundestag plädieren Grüne, FDP und Linkspartei für einen Abzug der letzten etwa 20 Nuklearwaffen, die in Deutschland noch gelagert werden. Die politisch und rechtlich umstrittene Nukleare Teilhabe soll aufgegeben werden. In deren Rahmen stellt die Bundeswehr Flugzeuge und Piloten des Jagdbombergeschwaders 33 in Büchel bereit, die im Kriegsfall Nuklearwaffen der USA abwerfen können. Die SPD will die nukleare Aufgabe der Bundeswehr auslaufen lassen, wenn in Büchel nicht-nuklearfähige Eurofighter-Flugzeuge die nuklearfähigen Tornados ablösen. Das wäre im nächsten Jahrzehnt der Fall. Lediglich die CDU und das von ihre geführte Verteidigungsministerium unter Minister Franz Josef Jung sieht alles ganz anders. Sie will die nukleare Rolle der Bundeswehr bis mindestens 2020 aufrecht erhalten. Deshalb plant sie, im bayrischen Lechfeld einige der nuklearfähigen Jagdbomber vom Typ Tornado-IDS in Dienst zu halten. Die Nuklearwaffen und deren amerikanische Sicherheits- und Wachmannschaft sollen in Büchel verbleiben. Im Falle eines Falles könnten die Flugzeuge ihre Waffen dort abholen. Der Streit um die Zukunft der deutschen Nuklearwaffenpolitik lähmt die Bundesregierung international. Weder kann die CDU offen für eine Modernisierung der nuklearen Trägersysteme und eine Neufassung der NATO-Nuklearstrategie werben und so die nukleare Teilhabe langfristig absichern. Noch kann die SPD offen für einen Verzicht auf Nuklearwaffenstationierung und nukleare Trägersysteme werben, Schritte, mit denen sie auf dem seit Jahren brachliegenden Feld der nuklearen Abrüstung Bewegung schaffen möchte.


Der Anlass: Mängel bei der Sicherheit

Anlass für die jüngste Debatte im Juni 2008 war die Veröffentlichung eines internen Berichtes der US-Luftwaffe. Er hielt fest, dass die meisten Lagerstätten für Nuklearwaffen in Europa nicht mehr den aktuellen Sicherheitsanforderungen des Pentagons entsprechen und aufwändig modernisiert werden müssen. Zudem wurde beobachtet, dass in Einheiten, die neben nuklearen auch konventionelle Aufgaben erfüllen, Sicherheitsmängel verstärkt deshalb auftreten, weil die nukleare Sicherheitskultur in diesem Einheiten wegen der zusätzlichen Aufgaben leidet. Zu dieser Schlussfolgerung kam im Frühjahr auch ein Bericht des einflussreichen Defense Science Board, das das Pentagon berät.


Neue Erkenntnisse – Neue Reduzierungen

Weniger Aufmerksamkeit fanden zwei andere relevante Meldungen: Die US-Luftwaffe hat nicht nur ihr größtes Atomwaffenlager in Europa, die Ramstein AirBase, auf der etwa 130 nukleare Bomben lagen, geräumt, sondern auch das zweitgrößte. Es befand sich in Lakenheath in Großbritannien und versorgte die dort stationierten US-Jagdbomber vom Typ F-15E. Gelagert waren dort etwa 110 nukleare Bomben. Ramstein und Lakenheath beheimateten vor der Räumung zusammen etwa die Hälfte aller US-Nuklearwaffen in Europa. Die Räumung impliziert also eine Halbierung der Zahl der in Europa gelagerten Atomwaffen. In Zentraleuropa sind künftig nur noch Nuklearwaffendepots in Betrieb die der Aufrechterhaltung der nuklearen Teilhabe der Luftwaffen der nicht-nuklearen Staaten Belgien (Kleine Brogel), Deutschland (Büchel) und Niederlande (Volkel) dienen. Kein Atomwaffendepot der US-Luftwaffe ist noch aktiv. Die verbliebenen Depots der US-Luftwaffe in Europa befinden sich jetzt an der Südflanke der NATO in Aviano (Italien) und Incirlik (Türkei). Wenig Aufmerksamkeit fand auch, dass nach Kanada und Griechenland nunmehr wahrscheinlich auch die Türkei keine Trägerflugzeuge für US-Nuklearwaffen mehr bereitstellt. Einem Bericht der Federation of American Scientists ist darüber hinaus zu entnehmen, dass die US-Luftwaffe über eine weitere Konsolidierung der Nuklearwaffendepots in Europa und den Abzug ihrer Sondereinheit für Nuklearwaffen aus Ghedi in Italien nachdenkt. Geschähe das, so würde auch die italienische Luftwaffe ihre nuklearen Aufgaben verlieren, das Land würde aus der technisch nuklearen Teilhabe ausscheiden.

Wurden nach dem Kalten Krieg in Europa zunächst noch 13 Luftwaffenstützpunkte in 7 europäischen Ländern zur Lagerung amerikanischer nuklearer Waffen genutzt, so sind es heute nur noch 6 Flugplätze in 5 Ländern. Waren damals noch 214 Magazine, die je 4 Atombomben aufnehmen konnten, auf nuklear aktiven Standorten, so sind es heute nur noch 87. Von ursprünglich 7 nicht-nuklearen NATO-Staaten, die sich an der technischen Umsetzung der nuklearen Teilhabe beteiligten und ihre Flugzeuge als Nuklearwaffenträger bereit hielten, sind heute noch vier übrig – darunter Italien, das diese Aufgabe bald ebenfalls aufgeben könnte. Der Trend seit Ende des Kalten Krieges wird deutlich: Die Zahl der in Europa gelagerten Atomwaffen wird immer kleiner und die Zahl der Staaten, die sich aktiv an der Umsetzung der nuklearen Teilhabe beteiligen nimmt immer weiter ab.


Substrategische Nuklearwaffen ohne militärischen Zweck

Dafür gibt es gute Gründe: In der NATO-Strategie werden Nuklearwaffen seit 1991 vor allem als politische Waffen betrachtet, die sichtbar machen sollen, dass die nukleare Abschreckung der Allianz weiter existiert, Angriffe auf Bündnismitglieder keinen Sinn machen und schon der Versuch, sie mit militärischen Mitteln zu erpressen, scheitern würde. Dass ihnen innerhalb des Konsenses der NATO-Staaten keine operative Rolle in der Kriegführung mehr zukommen soll, zeigte sich verschiedentlich: Bereits in der ersten NATO-Strategie nach dem Kalten Krieg, wurden sie als „letztes Mittel“ bezeichnet. Dass dieser Begriff in der heute gültigen NATO-Strategie aus dem Jahr 1999 nicht mehr vorkommt, bedeutet ebenso wenig wie die Tatsache, dass die NATO sich weiterhin die Option eines nuklearen Ersteinsatzes offenhält, dass den Waffen durch die Hintertür erneut eine militärische Rolle zugewiesen worden wäre. Die NATO bringt das selbst zum Ausdruck, indem sie die Waffen nicht mehr als taktische, sondern als sub-strategische bezeichnet. Eine eigenständiger militärischer Zweck, der nicht zugleich von den U-Boot-gestützten strategischen Nuklearwaffen der USA und Großbritanniens erfüllt werden könnte, die diese beiden Nuklearmächte der NATO im Ernstfall assignieren würden, ist nicht erkennbar.


Washingtons nationaler militärischer Zweck

So sehen es offensichtlich auch die USA. Als Washington unter Präsident Clinton in der NATO mit dem Ansinnen gescheitert war, den substrategischen Nuklearwaffen in Europa einen neuen militärischen Sinn mit Blick auf Ziele im Nahen und Mittleren Osten zuzuweisen, ging es seine eigenen Wege. Das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa wurde angewiesen, die Nuklearwaffen in Europa, die für die US-Luftwaffe vorgesehen waren, im nationalen Kontext auch zur Unterstützung des für den Nahen und Mittleren Osten zuständigen Central Commands bereitzuhalten, das keine taktischen Nuklarwaffen vorgeschoben lagert.

Die nuklearen Standortschließungen der USA in Europa folgen dieser Logik: Aufrechterhalten werden die US-Standorte an der NATO-Südflanke, die in diesem Kontext tätig werden können, Aviano in Italien und Incirlik in der Türkei. Alle anderen Standorte, die es noch gibt, lagern Waffen für die europäischen Länder, die sich derzeit noch an der nuklearen Teilhabe beteiligen. Überspitzt formuliert: An der Südflanke lagern die USA heute taktische Nuklearwaffen für nationale „out of area“-Einsätze außer halb des NATO-Gebietes, die in einer Zweitrolle auch als substrategische Waffen zur politisch-nuklearen Abschreckung der NATO beitragen könnten. Ansonsten geht es um die formale Aufrechterhaltung der nuklearen Teilhabe, also einen politischen und keinen militärischen Zweck. Die substrategischen Waffen erlauben es der NATO, einen Nuklearwaffeneinsatz so durchzuführen, dass sichtbar wird, dass er nicht nur von den Nuklearmächten in der NATO getragen, sondern auch von den nicht-nuklearen Staaten mit durchgeführt wird, weil z.B. das Trägerflugzeug der Nuklearwaffe und dessen Piloten aus einem nicht-nuklearen Staat kommen.


Mit dem Atomwaffensperrvertrag vereinbar?

Genau da liegt das zentrales Problem: Die meisten nicht-nuklearen Staaten betrachten es als klaren Verstoß gegen den Nichtverbreitungsvertrag, der in Deutschland besser als Atomwaffensperrvertrag bekannt ist, wenn ein Flugzeug mit Piloten aus einem nicht-nuklearen NATO-Staat im Krieg eine Nuklearwaffe einsetzen würde, die eine den USA gehört. Artikel 1 und 2 des Vertrages – so das Argument – erlauben es unter keinen Umständen – auch nicht im Krieg – das die Verfügungsgewalt über eine Nuklearwaffe von einem Nuklearwaffenstaat auf einen Nicht-Nuklearwaffenstaat übertragen wird. Das aber wäre bei einem solchen Einsatz zweifelsfrei der Fall. Die NATO-Staaten argumentieren, ihr Vorgehen sei trotzdem legitim, weil sie es bei Unterzeichnung des Vertrages offengelegt hätten. Dies taten sie jedoch so trickreich, verschlüsselt und versteckt, dass es der überwiegenden Zahl der anderen Unterzeichnerstaaten unbekannt blieb oder diese sich der praktischen Konsequenz, also der Teilhabe-Praxis nicht bewusst waren. Sie könnten heute argumentieren, die USA und ihre Verbündeten hätten damals unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und in irreführender Absicht verhandelt. Vor diesem „Negotiating under false pretenses“ so der der Fachterminus, hatte - als Gefahr – der Völkerrechtsberater des US-Außenministeriums schon während der Verhandlungen inständig gewarnt. Es könne die Gültigkeit des Vertrages infragestellen.


Fragwürde Argumente für die Teilhabe

Thomas Kossendey, der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium musste dem Bundestag vergangene Woche erklären, was kaum noch zu erklären ist. Warum hält Verteidigungsminister Jung an der Lagerung atomarer Waffen in Deutschland fest? Warum müssen weiter deutsche Tornados mit Bundeswehrpiloten bereitgehalten werden, um im Ernstfall amerikanische Atomwaffen abwerfen zu können? Warum muss Deutschland an der nuklearen Teilhabe der NATO festhalten? Die CDU ist die einzige Partei, die das vertritt. Kossendey las seine Rede vom Blatt - vorsichtshalber. Auf dem stand, was ihm seine Ministerialen aufgeschrieben hatten. Das aber war in wesentlichen Punkten einfach falsch.

Kossendey warnte ausweislich des Protokolls: Wer wolle, dass die in Deutschland gelagerten Atomwaffen abgezogen werden, der stelle „einen Kernbestand der Atlantischen Allianz infrage“ und wolle „letztendlich die Beziehungen zwischen Nordamerika und Europa dauerhaft schwächen“. Er sehe „im Augenblick keine Perspektive, die in absehbarer Zeit eine Änderung“ der Strategie der nuklearen Abschreckung erlaube. Wer die nukleare Teilhabe beenden wolle, gebe „damit auch das Recht auf Mitsprache beim Einsatz von Atomwaffen“ auf. „Deutschland wäre dann nicht mehr in den beschlussfassenden Gremien der NATO repräsentiert.“


Mitspracherechte in Gefahr?

Wenn ein NATO-Staat aus der nuklearen Teilhabe ausscheidet, keine Trägerflugzeuge mehr bereitstellt oder keine Atomwaffen mehr auf seinem Territorium lagert, verliert er weder seine Mitspracherechte noch seinen Platz in den beschlussfassenden NATO-Gremien. Kanada gab die Teilhabe kurz nach Ende des Kalten Krieges auf, Griechenland vermutlich 2001, die Türkei wahrscheinlich ein paar Jahre später. All diese Länder können weiter in der Nuklearen Planungsgruppe und anderen Gremien mitarbeiten und tun das auch. Das gilt auch für all die NATO-Staaten, die nie Atomwaffen gelagert oder bei der technischen Umsetzung der nuklearen Teilhabe mitgemacht haben. Und es gilt auch für die neuen NATO-Mitglieder, auf deren Boden keine Atomwaffenlager eingerichtet werden dürfen. Washington hat Moskau bei der ersten Erweiterung der NATO 1997 verbindlich zugesagt, dass in den neuen Mitgliedsländern weder Nuklearwaffen gelagert, noch Infrastruktur für eine Lagerung im Krisenfall oder Piloten und Flugzeuge für einen Nuklearwaffeneinsatz bereitgehalten werden sollen.

Die NATO betonte damals wie heute, es werde keine Mitglieder erster und zweiter Klasse oder Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben. Für alle Bündnismitglieder gelte die gleiche Sicherheitsgarantie. Alle haben die gleichen Mitsprache- und Konsultationsrechte. Diese sollen genutzt werden, soweit „Zeit und Umstände es erlauben“. Selbstverständlich gilt das vor auch für jene Staaten, deren Territorium bei einem potentiellen Nuklearwaffeneinsatz besonders betroffen wäre, sei es, weil dieses Land Ziel eines Nuklearwaffeneinsatzes wäre oder sei es, dass nuklear bewaffnete Flugzeuge von dort zu einem NATO-Einsatz starten


Gefährdung der Abschreckung?.

Das Ende der nuklearen Teilhabe wäre aber auch nicht gleichbedeutend mit einem Ende der nuklearen Abschreckung der NATO. Im Ernstfall stehen der NATO auch Atomwaffen auf britischen und amerikanischen U-Booten zur Verfügung. Die in Europa gelagerten Atomwaffen leisten keinen zusätzlichen Abschreckungsbeitrag, der nicht auch von diesen Waffen abgedeckt werden könnte. Selbst wenn die NATO einen Nuklearwaffeneinsatz aus politischen Gründen multinational umsetzen wollte, könnte sie es auch ohne die in Europa gelagerten Waffen und die nukleare Teilhabe. Ein strategischer Bomber der USA kann auch mit europäischem NATO-Begleitschutz zu seinem Ziel fliegen.


Schädigung der transatlantischen Beziehungen und der Bündnissolidarität?

Mit dem Abzug der für die US-Luftwaffe vorgesehene Nuklearwaffen aus Deutschland und England wird deutlich, dass Washington die Lagerung amerikanischer Waffen in diesen Ländern nicht mehr für nötig hält. Schon vor mehreren Jahren erklärte der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Spiegel, es sei Sache der Europäer, zu entscheiden, ob sie weiterhin US-Atomwaffen lagern wollen. Die US-Luftwaffe möchte die Kosten der nuklearen Teilhabe schon lange einsparen. Das Oberkommando der US-Streitkräfte in Europa übernahm die Zusatzaufgabe, CENTCOM nuklear zu unterstützen, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre eher widerwillig. Weder Kanada, noch Griechenland oder die Türkei wurden in der NATO von den USA kritisiert, weil sie keine Flugzeuge für die nukleare Teilhabe mehr bereitstellen. Auf schwerwiegende Schwächungen der transatlantischen Beziehungen würde Washington anders und vor allem deutlich reagieren.

Auch die Bündnissolidarität unter den nicht-nuklearen NATO-Staaten wäre kaum gefährdet. Diese Annahme steht häufig hinter dem Argument, alle Teilnehmer an der nuklearen Teilhabe sollten gemeinsam über deren Zukunft entscheiden – eine Debatte, die aber niemand offensiv ingang-setzen will. Oft wird dann darauf verwiesen, dass die Türkei – als Nachbar der Krisenregion Naher und Mittlerer Osten – ein besonderes Bedürfnis habe, sichtbar unter dem Nuklearschutz der NATO zu stehen und an der Teilhabe festzuhalten. Das Argument wendet sich aber gegen sich selbst, wenn es stimmt, dass die Türkei bereits seit einigen Jahren nicht mehr an der technischen Umsetzung der nuklearen Teilhabe mitwirkt.


Eine eigenständige Abschreckung?

Noch problematischere Aussagen benutzte der CDU-Außenpolitiker Eckhart von Klaeden. Er argumentierte laut der Nachrichtenagentur AFP: Atomwaffen seien "wichtig für unsere Sicherheit, damit wir uns nicht erpressbar machen von anderen Nuklearstaaten". So müsse Deutschland etwa damit rechnen, "dass der Iran Nuklearwaffen zu politischen Zwecken einsetzt, um uns zu erpressen". Allerdings müsse für die hierzulande gelagerten Atomwaffen das "Zwei-Schlüssel-Prinzip" gelten - nach dem diese nur mit Zustimmung der Bundesregierung eingesetzt werden dürften.

Wenn deutsche Politiker so argumentieren, kann leicht der Eindruck entstehen, das nicht-nukleare Deutschland werde durch die nukleare Teilhabe zur Quasi-Atommacht, von der eigenständig eine abschreckende Wirkung ausgehe. Dies kann den Eindruck, dass mit der nuklearen Teilhabe in der NATO seit langem gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen wird, entscheidend verstärken und damit zu einer massiven Schwächung des Nichtverbreitungsregimes beitragen. Zudem erweckt es den Eindruck, dass zwischen der Bundesregierung und den USA verbindliche bilaterale, geheime Abmachungen bestehen, die der Bundesregierung ein faktisches Vetorecht gegen den Einsatz in Deutschland gelagerter Atomwaffen einräumen. Offiziell gibt es ein solches Recht nicht. Die USA haben formal die alleinige Verfügungsgewalt über diese Waffen.


Die ministerielle Kunst des Sich-Selbst-Widersprechens

Verteidigungsminister Franz Josef Jung trieb die Probleme um die nukleare Teilhabekürzlich auf die Spitze. In einer Neufassung der „Druckschrift Einsatz Nr. 03 Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten“, einer für alle Bundeswehrsoldaten gültigen Vorschrift aus dem Juni 2008, heißt es auf Seite 5 völkerrechtlich völlig korrekt: „Insbesondere der Einsatz folgender Kampfmittel ist deutschen Soldaten bzw. Soldatinnen in bewaffneten Konflikten verboten: Antipersonenminen, atomare Waffen, biologische Waffen und chemische Waffen“. Die Piloten der Jagdbomber in Büchel müssen verwundert gestutzt haben. Sie werden von der Bundeswehr bezahlt, damit sie üben, was ihnen völkerrechtlich verboten ist - den Einsatz atomarer Waffen. „Die Bundesregierung wäscht ihre Hände vorab in völkerrechtlicher Unschuld und macht den Atomwaffeneinsatz im Krieg zum Privatproblem der Piloten“, echauffierte sich der Grüne Verteidigungsexperte Winni Nachtwei oder „soll ich das etwa als versteckten Befehl zur Befehlsverweigerung im Ernstfall lesen?“ Vorläufig müssen die Piloten die Gewissensfrage mit sich selbst ausmachen, denn das Verteidigungsministerium hüllt sich eisern in Schweigen.


„Wer zu spät kommt,

den bestraft das Leben.“ So lautet ein geflügeltes Wort, das Michail Gorbatschow zugesprochen wird. Die nukleare Teilhabe und die Lagerung atomarer Waffen in Deutschland sind ein Auslaufmodell. Die Bundesregierung muss bei Gefahr politischer Strafe aufpassen, nicht zu spät zu dieser Erkenntnis zu kommen.

Noch kann sie selbst entscheiden, auf die technisch nukleare Teilhabe und die Lagerung atomarer Waffen zu verzichten. Politisch wäre das ein wichtiges Signal: Die Mittelmacht Deutschland fühlt sich sicher – auch ohne Nuklearwaffen. Deutschland leistet einen eigenständigen Beitrag zur nuklearen Abrüstung. Es stärkt die Bemühungen um nukleare Abrüstung und das Nichtverbreitungsregime. Es beseitigt die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der nuklearen Teilhabe, indem es den Stein des Anstoßes selbst aus dem Weg räumt. Es trägt dazu bei, dass Russland die Bereitschaft entwickelt, auch über seine taktischen bzw. substrategischen Atomwaffen mit sich reden zu lassen.

Entscheidet die Bundesregierung nicht oder nicht rechtzeitig, so treten diese positiven Signalwirkungen nicht mehr ein. Niemand wird es Deutschland mehr positiv anrechnen, wenn es auf die nukleare Teilhabe erst verzichtet, wenn die Trägerflugzeuge außer Dienst gestellt werden oder die USA die nukleare Teilhabe aus Kostengründen auslaufen lassen. Das ist die große Gefahr, die mit der Position der SPD verbunden ist. Der Atomwaffensperrvertrag trat morgen vor 40 Jahren in Kraft. Eigentlich ein schönes Datum, um der Bestrafung durch die Geschichte rechtzeitig zu entgehen – leider aber derzeit noch unrealistisches.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS