Die lange Schatten der Vergangenheit
von Otfried Nassauer
Bilder sprechen ihre eigene Sprache. Sie liefern mitunter unangenehme
Fakten. So am Osterwochenende. In Thailand verhängte die Regierung
den Ausnahmezustand. Zu Tausenden marschierten Soldaten gegen demonstrierende
Oppositionelle auf. Warnschüsse fielen, zwei Toten und über
hundert Verletzte wurden gezählt. Schlimmeres lag in der Luft, ein
Blutbad schien möglich. Dass es dazu noch kommt, kann nicht ausgeschlossen
werden.
Die Soldaten trugen Sturmgewehre. Bilder zeigen Gewehre des Typs HK-33,
einer Standardwaffe in Thailand. Es ist ein Produkt der schwäbischen
Rüstungsschmiede Heckler & Koch, geliefert vor Jahrzehnten. Eingesetzt
wird es bis heute. Auch im Inneren.
Schon Anfang 1971 erteilte die Bundesregierung „nach langer Diskussion“
Heckler & Koch die Genehmigung, mehr als 40.000 HK-33-Sturmgewehre
nach Thailand zu exportieren. Erlaubt wurde zudem, dass die Waffe in Thailand
in Lizenz gefertigt und für 58 Millionen D-Mark die erforderlichen
Fertigungsanlagen exportiert werden durften. Die bundeseigene Fritz-Werner
AG übernahm den Aufbau einer passenden Munitionsfertigung für
Geschosse des Kalibers 5,56mm. Die Argumente, mit denen der Export damals
begründet wurde, lassen aufhorchen.
Beamte des Auswärtigen Amtes bemühten sich, wie mittlerweile
freigegebene Dokumente zeigen, die Lieferungen durchzusetzen: Es sei „unbillig“,
Thailand zu verweigern, was man dem rivalisierenden Nachbarn Burma (Myanmar)
bereits 1960 erlaubt habe, hieß es zum einen. Zugleich wurde argumentiert,
das Königreich Thailand wolle „seine Unabhängigkeit von allen
Großmächten stärker betonen“. Deutschland solle es „im
Rahmen des Möglichen unterstützen und ihm helfen, seine stabilisierende
Rolle in Südostasien weiterzuspielen“.
Es blieb nicht bei Gewehren des Typs HK-33. Thailand kaufte später
auch Maschinenpistolen des Typs MP-5. Auch sie sind auf Bildern der jüngsten
Unruhen zu sehen. Zudem wurden sie, wie Chavoret Jaruboon, ein Henker,
in seinen Memoiren berichtet, zur Vollstreckung der Todesstrafe in Thailand
eingesetzt. Bis in die jüngste Vergangenheit erhielt Thailand deutsche
Schusswaffen. Seit 2002 genehmigte die Bundesregierung Kleinwaffenexporte
an Bangkok im Wert von 11 Millionen €. Bilder, die anlässlich des
abgebrochenen ASEAN-Gipfels in der vergangenen Woche entstanden, zeigen
thailändische Spezialkräfte mit dem modernen Sturmgewehr von
Heckler & Koch, dem G-36.
Thailand ist kein Einzelfall. Viele Staaten in Südostasien nutzen
Waffen aus der Oberndorfer Rüstungsschmiede – auch zur Unterdrückung
der eigenen Opposition: Indonesien erhielt 1961 erstmals G-3-Gewehre und
produzierte bald darauf das G-3 und die Maschinenpistole MP5 in Lizenz.
Malaysia durfte ebenfalls G-3-Gewehre produzieren und wurde später
mit HK33 beliefert. Die Philippinen erhielten zu Zeiten der Marcos-Diktatur
die Erlaubnis zur Produktion des G-3s. Auch Myanmar (Burma) fehlt nicht
auf der Liste der Oberndorfer Kunden. 1960 wurden zunächst fertige
G-3-Gewehre geliefert und später vorort in Lizenz gebaut.
Konsequenzen aus dem vielfach dokumentierten Einsatz deutscher Handfeuerwaffen
in inner- und zwischenstaatlichen Konflikten Südostasiens zogen weder
Heckler & Koch noch die Bundesregierung. Die Oberndorfer dürfen
bis heute moderne Schusswaffen liefern: G-36-Gewehre oder Maschinenpistolen
des Typs MP-7 werden heute u.a. in Thailand, den Philippinen, Malaysia,
Singapur und Indonesien genutzt. Noch handelt es sich meist um kleine
Stückzahlen. Sie kommen bei Sondereinheiten von Polizei und Militär
zum Einsatz. Doch jeder genehmigte Export schafft zugleich einen Präzedenzfall
für größere, künftige Lieferungen. Lange Schatten
der eigenen Liefervergangenheit werden Heckler & Koch auch in den
kommenden Jahrzehnten begleiten.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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