Unveröffentlichter Artikel
15. April 2009


Die lange Schatten der Vergangenheit

von Otfried Nassauer

Bilder sprechen ihre eigene Sprache. Sie liefern mitunter unangenehme Fakten. So am Osterwochenende. In Thailand verhängte die Regierung den Ausnahmezustand. Zu Tausenden marschierten Soldaten gegen demonstrierende Oppositionelle auf. Warnschüsse fielen, zwei Toten und über hundert Verletzte wurden gezählt. Schlimmeres lag in der Luft, ein Blutbad schien möglich. Dass es dazu noch kommt, kann nicht ausgeschlossen werden.

Die Soldaten trugen Sturmgewehre. Bilder zeigen Gewehre des Typs HK-33, einer Standardwaffe in Thailand. Es ist ein Produkt der schwäbischen Rüstungsschmiede Heckler & Koch, geliefert vor Jahrzehnten. Eingesetzt wird es bis heute. Auch im Inneren.

Schon Anfang 1971 erteilte die Bundesregierung „nach langer Diskussion“ Heckler & Koch die Genehmigung, mehr als 40.000 HK-33-Sturmgewehre nach Thailand zu exportieren. Erlaubt wurde zudem, dass die Waffe in Thailand in Lizenz gefertigt und für 58 Millionen D-Mark die erforderlichen Fertigungsanlagen exportiert werden durften. Die bundeseigene Fritz-Werner AG übernahm den Aufbau einer passenden Munitionsfertigung für Geschosse des Kalibers 5,56mm. Die Argumente, mit denen der Export damals begründet wurde, lassen aufhorchen.

Beamte des Auswärtigen Amtes bemühten sich, wie mittlerweile freigegebene Dokumente zeigen, die Lieferungen durchzusetzen: Es sei „unbillig“, Thailand zu verweigern, was man dem rivalisierenden Nachbarn Burma (Myanmar) bereits 1960 erlaubt habe, hieß es zum einen. Zugleich wurde argumentiert, das Königreich Thailand wolle „seine Unabhängigkeit von allen Großmächten stärker betonen“. Deutschland solle es „im Rahmen des Möglichen unterstützen und ihm helfen, seine stabilisierende Rolle in Südostasien weiterzuspielen“.

Es blieb nicht bei Gewehren des Typs HK-33. Thailand kaufte später auch Maschinenpistolen des Typs MP-5. Auch sie sind auf Bildern der jüngsten Unruhen zu sehen. Zudem wurden sie, wie Chavoret Jaruboon, ein Henker, in seinen Memoiren berichtet, zur Vollstreckung der Todesstrafe in Thailand eingesetzt. Bis in die jüngste Vergangenheit erhielt Thailand deutsche Schusswaffen. Seit 2002 genehmigte die Bundesregierung Kleinwaffenexporte an Bangkok im Wert von 11 Millionen €. Bilder, die anlässlich des abgebrochenen ASEAN-Gipfels in der vergangenen Woche entstanden, zeigen thailändische Spezialkräfte mit dem modernen Sturmgewehr von Heckler & Koch, dem G-36.

Thailand ist kein Einzelfall. Viele Staaten in Südostasien nutzen Waffen aus der Oberndorfer Rüstungsschmiede – auch zur Unterdrückung der eigenen Opposition: Indonesien erhielt 1961 erstmals G-3-Gewehre und produzierte bald darauf das G-3 und die Maschinenpistole MP5 in Lizenz. Malaysia durfte ebenfalls G-3-Gewehre produzieren und wurde später mit HK33 beliefert. Die Philippinen erhielten zu Zeiten der Marcos-Diktatur die Erlaubnis zur Produktion des G-3s. Auch Myanmar (Burma) fehlt nicht auf der Liste der Oberndorfer Kunden. 1960 wurden zunächst fertige G-3-Gewehre geliefert und später vorort in Lizenz gebaut.

Konsequenzen aus dem vielfach dokumentierten Einsatz deutscher Handfeuerwaffen in inner- und zwischenstaatlichen Konflikten Südostasiens zogen weder Heckler & Koch noch die Bundesregierung. Die Oberndorfer dürfen bis heute moderne Schusswaffen liefern: G-36-Gewehre oder Maschinenpistolen des Typs MP-7 werden heute u.a. in Thailand, den Philippinen, Malaysia, Singapur und Indonesien genutzt. Noch handelt es sich meist um kleine Stückzahlen. Sie kommen bei Sondereinheiten von Polizei und Militär zum Einsatz. Doch jeder genehmigte Export schafft zugleich einen Präzedenzfall für größere, künftige Lieferungen. Lange Schatten der eigenen Liefervergangenheit werden Heckler & Koch auch in den kommenden Jahrzehnten begleiten.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS