Deutsche Pistolen in Kolumbien
Über ein Loch in der Endverbleibskontrolle
von Otfried Nassauer
Die Endverbleibsregelungen für deutsche
Rüstungs- und Waffenlieferungen sind löchrig wie ein
Schweizer Käse. Mehr Loch als Käse. Meist geben sich
die deutschen Behörden mit einer schriftlichen
Erklärung des Empfängers zufrieden.
Überprüft, ob die Lieferungen tatsächlich
dort sind und bleiben, wo sie angeblich hingehen, wird in den
allermeisten Fällen nicht.
In den letzten Tagen wurde ein weiteres Loch sichtbar. Und das kam so:
Der NDR und die Süddeutsche berichteten, Pistolen des
Herstellers Sig Sauer aus Eckernförde seien in
großen Mengen über dessen Schwesterfirma in den USA
und die US-Army an die kolumbianische Nationalpolizei geliefert worden.
Zeugen, Seriennummern, Prüfstempel – alles belegt,
es handelt sich um Waffen aus Deutschland.
Kolumbien jedoch ist seit Jahrzehnten ein Land im Bürgerkrieg
und die staatlichen Organe nehmen es mit den Menschenrechten und
ungerechtfertigter Gewaltanwendung nicht so wirklich ernst. In
Deutschland wäre eine Lieferung dieser Pistolen an die
kolumbianische Polizei deshalb nicht genehmigt worden. Sie wurde auch
nie beantragt. In den USA dagegen ist die Lage anders. Denn die
US-Regierung betrachtet die Unterstützung der Regierung in
Bogota als stabilisierende Maßnahme. Als
„Ertüchtigung“ eines regionalen Partners
wie Kanzlerin Angela Merkel zu sagen pflegt. Jahrelang half Washington
der kolumbianischen Rechten mit dem „Plan Colombia“
und Hunderten Millionen von Dollars pro Jahr bei der
Bekämpfung von Drogenhandel und linksgerichteten Guerillas.
Dass auch rechte Todesschwadronen die Regierung unterstützen
und von dieser oft geduldet oder gefördert wurden,
stört Washington nicht.
Im April 2009 bestellte das US-Army Material Command bei Sig Sauer Inc.
aus Exeter in New Hampshire für 306 Millionen Dollar Pistolen.
Ein gewaltiger Auftrag. Mit der Lieferung der ersten 55.890 Waffen des
Typs SP2022 sollte sofort begonnen werden. Später sollten
42.000 weitere in einem zweiten Los dazukommen. Der Vertrag sollte bis
2012 laufen. Die Pistole werde die „Faustfeuerwaffe der
ganzen kolumbianischen Nationalpolizei“, so die Firma stolz
in einer Pressemitteilung.
Gefertigt wurde die Waffe 2009 bei der Schwesterfirma in
Eckernförde, der Sig Sauer GmbH &Co KG. Dort kaufte
Sig Sauer Inc. die gefragten Pistolen regelmäßig in
großer Stückzahl ein, um die begehrte Waffe auf dem
riesigen Markt der amerikanischen Waffennarren vertreiben zu
können. Der gleiche Weg wurde nun genutzt, um die US-Army
schnell zu beliefern, damit diese die kolumbianische Nationalpolizei
ausstatten konnte. In den Jahren 2009 und 2010 wurden Pistolen aus
deutscher Produktion geliefert, erst im Januar 2011 meldete Sig Sauer
Inc., man nehme jetzt eine eigene Produktionslinie für diese
Waffen in den USA in Betrieb. Einzelne Bauteile kamen vorerst noch
weiter aus Deutschland. Zum damaligen Zeitpunkt waren bereits 400.000
dieser Pistolen weltweit verkauft und ausgeliefert worden.
Die Medienberichte gehen davon aus, dass die US Army die
Bundesregierung um eine Reexporterlaubnis nach Kolumbien bitten musste.
Ein Reexportersuchen aus den USA für diese Lieferung gab es
jedoch nie. Ohne Erlaubnis, so die Schlussfolgerung, sei die Lieferung
ein Verstoß gegen deutsche Vorschriften, der eigentlich
geahndet werden müsse. Die Rüstungsexportrichtlinien
der Bundesregierung sehen schließlich vor, dass
„grundsätzlich“ keine
Rüstungsgüter mehr in ein unzuverlässiges
Empfängerland geliefert werden dürfen, bis dort
wieder sichergestellt ist, dass die deutschen Endverbleibsbestimmungen
wieder eingehalten werden.
Doch das ist wohl ein Irrtum. Die Lieferungen der US-Army nach
Kolumbien waren wohl rechtmäßig. Dass dem so ist,
liegt an der deutschen Rechtslage in Sachen Endverbleib. Sie hat ein
Loch. Eine amtliche Endverbleibserklärung mit einem
„Reexportverbot mit Erlaubnisvorbehalt“ ist
nämlich nur nötig für Kriegswaffen,
kriegswaffennahe sonstige Rüstungsgüter und
für „sonstige Rüstungsgüter, die
nach Umfang oder Bedeutung für einen Kriegswaffe
wesentlich“ sind“ wie die für
Rüstungsexportgenehmigungen zuständige deutsche
Behörde, das BAFA, in einer Bekanntmachung über
Endverbleibsdokumente erläutert.
Dazu gehören die Pistolen aber nicht. Sie fallen in die
Kategorie der sonstigen Rüstungsgüter und
für diese gibt es Ausnahmen. So kann zum Beispiel auf das
„Reexportverbot mit Erlaubnisvorbehalt“ verzichtet
werden. Staaten, die der NATO oder der EU angehören oder
diesen gleichgestellt sind, werden anders behandelt als die sogenannten
Drittstaaten. Und es gibt eine weitere gravierende Ausnahme, die in
diesem Fall greift: Legen Lieferant und Empfänger ein
staatliches „Internationales Importzertifikat“ (IC)
aus einer bestimmten Gruppe von Empfängerländern vor,
so hat dies rechtlich Folgen: Sobald die Waren oder Waffen in ein
Empfängerland aus dieser Ländergruppe
eingeführt sind, gilt für den weiteren Umgang mit
ihnen ausschließlich das nationale Recht des
Empfängerlandes, sodass ein „gegebenenfalls
anschließender Reexport nach diesen Vorschriften behandelt
wird“, erklärt das BAFA. Auf die USA wird diese
Reglung angewendet.
Konkret am Fall Kolumbien: Da ein amtliches IC vorlag, schon weil es ab
einem Warenwert von 125.000€ bei einem privaten
Empfänger wie Sig Sauer Inc. von deutscher Seite gefordert
wird, galten für den Weiterverkauf an die US-Army und den
Reexport nach Kolumbien nicht mehr die deutschen, sondern die
amerikanischen Rechtsregeln. Nach diesen stellt eine Lieferung nach
Kolumbien kein Problem dar. Sie war sogar politisch gewollt. Dass die
USA wie durch das IC gefordert in solchen Fällen
tatsächlich ihr nationales Exportrecht anwenden, ist belegt.
Nachweise finden sich in den diplomatischen Fernschreiben, die
Wikileaks veröffentlicht hat. Etliche Schreiben fordern
örtliche US-Botschaften und Konsulate auf, die Importeure von
Sig-Sauer-Waffen zu besuchen und zu befragen, die Sig Sauer Inc.
beliefert.
Das Loch, das diese Ausnahmen reißen, hat eine beachtliche
Größe. Denn die Zahl der Länder, in denen
diese Lücke für Exporte in Drittstaaten genutzt
werden kann, ist ziemlich groß. Vor allem: Dazu
gehören viele für den internationalen Handel
bedeutende Staaten. Derzeit können solche ICs aus den
Ländern Australien, Belgien, China, Dänemark,
Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Hongkong,
Irland, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Neuseeland, Niederlande,
Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz,
Singapur, Slowakische Republik, Spanien, Tschechische Republik,
Türkei, Ungarn und natürlich den USA
genutzt werden. Für China, Polen, die Slowakische Republik,
die Tschechische Republik und Ungarn gilt allerdings ein
„neues IC ("Importer Statement on End-User and End-Use"), in
dem bereits auch der künftige Endverwender und zum Teil auch
die spezielle Endverwendung genannt werden müssen.
Offen bleibt die Frage, ob die USA sich beim Import der
Herstellungstechnologie für die Sig Sauer Pistolen vom Typ
2022 auf ein „Reexportverbot mit
Erlaubnisvorbehalt“ eingelassen haben. Ein solches Verbot ist
heute regelmäßig durch den Anhang 4 der
Endverbleibserklärung zum Export solcher Unterlagen und
Technologie gefordert. Doch auch ein US-Verstoß gegen diese
Vorgabe wäre nur dann gegeben, wenn die Technologie zur
Herstellung der SP2022 tatsächlich aus Deutschland (und nicht
z.B. aus der Schweiz) erfolgt wäre und es zugleich keine
ähnlich weitreichende Umgehungsmöglichkeit
gäbe wie sie durch die ICs für in Deutschland
hergestellte Pistolen geschaffen wurde. Zumindest letzteres ist
unwahrscheinlich. Warum sollte es unmöglich sein, bei einen
Technologieexport, der zu den Exporten sonstiger
Rüstungsgüter zählt, dem BAFA ebenfalls ein
staatliches IC des Empfängerlandes vorzulegen und damit den
deutschen Erlaubnisvorbehalt aus dem Anhang 4 der
Endverbleibserklärung gleich wieder aufzuheben? Jedenfalls bei
Geschäften mit der oben beschriebenen großen
Ländergruppe. Es ist sogar davon auszugehen, dass dies nicht
nur möglich ist sondern auch immer wieder genutzt
wird. Dann aber gäbe es gleich noch ein weiteres
großes Loch im System der deutschen Endverbleibsregelungen.
Zeit also, darüber nachzudenken, wie diese und andere
Lücken in Zukunft geschlossen werden können. Einen
Anlass gibt es auch. Der grüne Bundestagsabgeordneten Hans
Christian Ströbele und Katja Keul haben vor dem
Bundesverfassungsgericht geklagt, weil die Bundesregierung den
Bundestag unzureichend und zu spät über die deutschen
Rüstungsexporte und deren Genehmigungen unterrichtet. Im Mai
hörte das Gericht dazu die Parteien des Verfahrens und einige
Experten an. Die Richter stellten in diesem Kontext viele Fragen, die
über die Hauptstoßrichtung der Klage hinausgingen.
Sie interessierten sich z.B. auch für die Rolle von
Voranfragen und der Reaktion der Behörden darauf und stellten
Fragen zur Kontrolle des Endverbleibs deutscher
Rüstungslieferungen. Wenn Richter solche Fragen stellen, dann
kann dies ein Hinweis darauf sein, dass sie weitergehende
verfassungsrechtliche Probleme sehen, als jene, auf deren
Änderung die Klage direkt zielt. In den Regierungsfraktionen
scheint die Anhörung jedenfalls eine neue Nachdenklichkeit
ausgelöst zu haben. Überraschend bemerkte der
verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, bei einer
Podiumsdiskussion im ARD-Hauptstadtstudio kurz darauf: Bei den
Endverbleibsregelungen gebe es künftig noch Handlungsbedarf.
Dezember 2014: Ein überfälliger Nachtrag
ig Sauer in Eckernförde hat die in diesem Artikel
geschilderte Lücke im Endverbleibsrecht zwar gekannt, aber
offenbar nicht genutzt. Gegen die Firma wird weiterhin wegen
möglicher Verstöße gegen das
Außenwirtschaftsrecht ermittelt. Die Behörden haben zudem
ein Überprüfung der Zuverlässigkeit eingeleitet, die
faktisch weitere Ausfuhrgenehmigungen vorerst ausschließt. Da Sig
Sauer stark vom Exportgeschäft abhängig ist, trifft dieses
Verdikt die Arbeitnehmer des deutschen Kleinwaffenherstellers
hart.
Die Eigentümer lassen seit August 2014 kurzarbeiten und
planen die Entlassung von knapp Zweidrittel der derzeitigen
Mitarbeiterschaft für den März 2015. Die Produktion von Sig
Sauer soll weitgehend von der US-Schwester Sig Sauer Inc.
fortgeführt werden. In Eckernförde sollen nur 49 Mitarbeiter
verbleiben und die Firma mit einer Restproduktion von gazen 25 Pistolen
und 5 Sportgewehren pro Tag überleben – ein rechnerisch
wenig glaubwürdiger Ansatz. Schulden der Deutschen vor allem bei
der ihrer US-Schwester, so argumentieren die Eigentümer, lassen
keine andere Wahl, da Technologierechte und andere geldwerte Substanz
bereits früher an die US-Tochter abgetreten worden seien.
Diese Ankündigungen rufen neue Fragen hervor: Mitte des
letzten Jahrzehnts beschäftigte Sig Sauer in Eckernförde noch
rund 500, später 450 Menschen. 2009 kam es zu ersten umfangreichen
Entlassungen, weil zuvor die gewinnträchtige Jagdwaffenproduktion
an eine Konzernschwester in Isny abgetreten werden musste. Danach sank
die Mitarbeiterzahl weiter auf heute knapp 140 Personen – trotz
größerer Aufträge wie der Bestellung aus Kolumbien, die
für die US-Schwester abgearbeitet wurden. Wie kam dann es zu den
Schulden der Deutschen bei ihrer US-amerikanischen Schwester, wenn dort
lukrative Geschäfte wie das Kolumbien-Geschäft nur abwickeln
konnte, weil man auf die Produktion in Deutschland setzen konnte?
Fielen dabei die Kosten in Deutschland, die Gewinne aber in den USA an?
Folgt die Verlagerung der Produktion in die USA einem schon länger
existierenden Plan? Indizien für Letzteres gibt es.
Sig Sauer Inc. hat seine Produktions- und
Geschäftsräume in den USA von Exeter in New Hampshire ins
nahegelegene Newton verlegt und sich dort ganz erheblich auf mehr als
19.000 Quadratmeter vergößert. Man arbeite jetzt mit neusten
Maschinen, von denen keine älter als drei Jahre sei,
verkündete die Geschäftsführung. Am neuen Standort
befinde sich jetzt das „ globale Hauptquartier“. Berichten
zufolge soll die Kapazität der neuen Produktionsanlagen bei einer
halben Million Schusswaffen pro Jahr liegen. Das Umzugsvorhaben begann
bereits im März 2012. Es sollte bis Ende 2013 abgeschlossen sein.
Als der Expansionskurs in den USA beschlossen wurde, war von
potentiellen Exportvergehen in Deutschland noch keine Rede. Der
Geschäftsführer von Sig Sauer Inc., Ron Cohen, erzählte
darüber hinaus bereits im Juni 2014 Nick Leghorn, einem
führenden Blogger der Kleinwaffenszene, dass Sig Sauer bis 2015
seine gesamte Produktion in die USA verlagern und nicht mehr auf
Importe aus Deutschland angewiesen sein. In Deutschland war damals von
Entlassungen noch nicht die Rede.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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