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22. August 2011


Kunde König
Zwei Rüstungsexportgeschäfte mit Saudi Arabien

von Otfried Nassauer


Aufregung um deutsche Waffenexporte ins autokratisch regierte Saudi-Arabien: Kurz vor der Sommerpause, am 27. Juni 2011, gab der Bundessicherheitsrat grünes Licht für eine Voranfrage der deutschen Panzerbauer von Krauss-Maffay-Wegmann (KMW). KMW will 200 oder gar bis zu 270 Leopard-2-Panzer exportieren, ein Geschäft, das bis zu 5 Milliarden Euro wert sein kann. Der Spiegel berichtete Anfang Juli, deutliche Kritik quer durch die politischen Lager wurde laut. Mitten in der Sommerpause der zweite Streich: Das Fernsehmagazin Kontraste machte bekannt, was Fachleute bereits wussten: In Saudi–Arabien hat der Oberndorfer Schusswaffenhersteller Heckler & Koch eine Fabrik gebaut, die das aktuelle Standardgewehr der Bundeswehr, das G36, in Lizenz herstellt.

Beide Nachrichten platzten in dasselbe Umfeld: In den arabischen Ländern haben sich im letzten Jahr Demokratiebewegungen entwickelt, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die dort herrschenden Autokraten zu Reformen zu zwingen oder von der Macht zu vertreiben. In Ägypten und Tunesien waren sie erfolgreich, in Libyen herrscht Bürgerkrieg und in weiteren Ländern reagieren die Machthaber mit brutaler Gewalt. So in Bahrain, einem kleinen Nachbarland Saudi-Arabiens. Der dortigen Regierung schickte das saudische Königshaus Soldaten zur Unterstützung, um den Aufstand der schiitischen Bevölkerung gegen das sunnitische Königshaus niederzuschlagen.

Beide Nachrichten signalisieren Wandel und Kontinuität zugleich in der deutschen Rüstungsexportpolitik. Künftig will die Bundesregierung, dass deutsche Rüstungsexporteure – so wie jene aus Frankreich und Großbritannien – auch dann mitspielen, wenn es um große, umstrittene Exportgeschäfte geht. Die Zeiten vornehmer Zurückhaltung sind vorbei. Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag wird umgesetzt. Das neoliberale Versprechen, den deutschen Rüstungsexporteuren ein „level playing field“, einen Wettbewerb zu gleichen Bedingungen um Exportgeschäfte, zu ermöglichen, wird eingehalten. Dabei werden Tabus gebrochen und bisherige Prinzipien hinfällig. Soweit der Wandel. Kontinuität dagegen herrscht im Blick auf die Belieferten: Es sind die autokratischen und oft menschenrechtsverachtenden Regime in der arabischen Welt, für die die Bundesregierung Rüstungsexportlizenzen ausstellt, weil sie als strategische Partner, regionale Stabilitätsanker oder willkommenes Gegengewicht zu Iran gelten. Das wiegt schwerer als verletzte Menschenrechte.

Im jüngsten Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik, der die Zeit bis zum Februar 2010 abdeckt, heißt es, Saudi-Arabien halte grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte nicht ein. „Die Todesstrafe wurde 2008 mindestens 102 mal und 2009 mindestens 69 mal vollstreckt, Körperstrafen wie z. B. das Auspeitschen werden regelmäßig vollzogen, Dissidenten werden inhaftiert, Geständnisse erzwungen, Frauen werden wesentliche Menschenrechte vorenthalten, minderjährige Mädchen zwangsverheiratet, freie Meinungsäußerung ist nur teilweise möglich, die Religionsausübung für nicht-muslimische Religionen verboten, die schiitische Minderheit im Osten des Landes wird diskriminiert und ausländische Arbeitnehmer sind weitgehend rechtlos.“


Panzer nach Nahost

Gelingt es den deutschen Panzerbauern, den Milliardenauftrag über mehr als 200 Panzer der neuesten Version Leopard 2A7+ aus Riad einzufahren, so werden sie von der Bundesregierung auch die erforderliche Exportgenehmigung bekommen. Das verspricht ihnen die positive Antwort der Bundesregierung auf ihre Voranfrage. Die Antwort ist verbindlich. Dumm nur, dass der Beschluss postwendend öffentlich wurde, obwohl der Bundessicherheitsrat geheim tagt. Das verursacht ungewollte öffentliche Aufmerksamkeit und zurecht politische Aufregung

Panzer auf die arabische Halbinsel? In das Spannungsgebiet des Nahen Ostens? Bislang ging das gar nicht – auch wenn sich das saudische Königshaus seit Ende der 70er Jahre immer wieder Leopard-Panzer wünschte und auch wiederholt danach fragte. Helmut Schmidt sagte nein, Helmut Kohl ebenso und Gerhard Schröder erneut. Nun bricht der Damm, langsam, aber Stück für Stück.

2008 machte die damalige rot-schwarze Koalition den ersten Schritt. Sie beantwortete erstmals eine Voranfrage für Panzerlieferungen auf die arabische Halbinsel positiv. Katar war damals am Export von 36 Leopard-Panzern interessiert. Wenn Israel keinen Widerspruch einlege, dürfe geliefert werden, beschied der Bundessicherheitsrat – auf sozialdemokratischen Vorschlag. Israel verzichtete auf ein Nein und half damit, die bislang grundsätzlich ablehnende Haltung Deutschlands gegen Panzerlieferungen in seine Nachbarschaft aufzuweichen. Künftig sind solche Lieferungen auf die arabische Halbinsel kein Tabu mehr. Sie sind Gegenstand von Einzelfallentscheidungen, Wünsche, über die von Fall zu Fall entschieden werden kann.

Also auch eine Einladung, solche Wünsche erneut anzumelden. So verstand es wohl auch die saudische Regierung. Sie unternahm im Herbst 2010 einen erneuten Vorstoß, den begehrten Leopard-2 einzuführen. Man fühlte parallel auf zwei Wegen vor: Zum einen nutzte die saudische Regierung einen Spanien-Besuch von Prinz Khaled bin Sultan, dem Sohn des Verteidigungsministers, um das Gerücht entstehen zu lassen, Saudi-Arabien sei am Kauf von bis zu 270 Leopard-2 aus der spanischen Lizenzproduktion bei Santa Barbara interessiert. Ein gewaltiges Geschäft, dessen Wert spanische Zeitungen sogleich auf 3 Milliarden Dollar schätzten. Zum anderen platzierte Saudi-Arabien stillschweigend eine Anfrage über Leopard-2-Panzer der neusten Version A7+ bei Krauss-Maffay-Wegmann, dem deutschen Hersteller.

Diese Doppelstrategie war klug gewählt. Beide Lieferungen waren nur zu realisieren, wenn der Bundessicherheitsrat in Berlin dafür grünes Licht gab. Wurde dessen positive Entscheidung zur Voraussetzung für weitergehende Verhandlungen gemacht, so wurden zwei entscheidende Fragen gleich mit geklärt: Wäre die Lieferung einer großen Zahl von Panzern zustimmungsfähig und wäre die Lieferung der modernsten Version des Leopard zustimmungsfähig. Die modernste Version des Leopards ist speziell für den Einsatz in bebautem Gebiet entwickelt. Der Leopard 2 A7+ Peace Operations vereint die Fähigkeiten eines Panzers mit langem Rohr für traditionelle Panzerschlachten mit den Vorteilen einer neuen Ausstattung, die für Operationen in bebautem, städtischen Gebiet entwickelt wurde und dafür sowohl mit einer zusätzliche Waffenanlage als auch mit Kanonenrohren unterschiedlicher Länge und Reichweite ausgerüstet werden kann. Im Interesse KMWs musste es liegen, sich bei der Bundesregierung dafür stark zu machen, den ganzen Auftrag nach Deutschland zu holen. Dann aber konnte auch über eine große Stückzahl der Panzer neuster Version gesprochen werden.
Eine Ironie der Geschichte ergänzt das Bild: Im Februar 2011 stellten die deutschen Panzerbauer den Leopard 2 in seiner neuen Version erstmals auf der großen Rüstungsmesse IDEX in Abu Dhabi aus. Zuvor hatte er eine Wüstenerprobung in Katar durchlaufen. KMW und Rheinmetall brachten je einen Leopard zur IDEX 2011 mit. Die Rheinmetall-Version trug bezeichnenderweise den sensiblen Namen Leopard 2 „MBT Revolution“.


Tradition und Lizenzen – Heckler & Koch

Das saudische Königshaus ist Heckler & Koch seit Jahrzehnten ein treuer Kunde. Seit etwa 40 Jahren kauft es Waffen der Oberndorfer Firma. Zudem erwarb es Lizenzen, um die begehrtesten Typen im eigenen Land herstellen zukönnen. Einen Überblick gibt die folgende Tabelle:


Heckler & Koch–Waffen in Saudi-Arabien

Waffe

Typ

Lieferant(en)

Lizenzproduktion

Bemerkung

Pistole

P9S

H&K GmbH

 

 

Maschinenpistole

MP-5

H&K GmbH
RSAF (UK)

seit 1986 bei MIC

 

Gewehr

G3 A2 und A3

H&K GmbH
RSAF

seit 1974 bei MIC

Export u.a. Jemen

 

G36

H&K GmbH

seit 2009 bei MIC

 

Granatpistole

HK69

H&K GmbH

 

 

Ezell, Edward C.: Small Arms Today, 2nd Ed., Stackpole Books, 1988, Jane’s Infantry Weapons (div. Jahrgänge).

Saudi-Arabien vereint für Heckler & Koch die Vorteile eines Käufers, der größere Stückzahlen der in Oberndorf hergestellten Waffen kauft mit denen eines Kunden, der – und sei es noch so teuer – aus Prestigegründen eine Lizenzfertigung im eigenen Land haben möchte. Die Lizenzen für die Lieferung kompletter Handfeuerwaffen aus Deutschland nach Saudi Arabien bildet die folgende Tabelle ab:


Deutsche Kleinwaffengenehmigungen für den Export nach Saudi–Arabien seit 2003

Typ

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

Gesamt/Stück

Gewehre & Karabiner

k.A.

k.A

10

 

105

 

 

6

121

Maschinenpistolen

16

4

2.506

1.030

 

 

 

 

3.556

Automatische Gewehre

101

10

 

2.000

5.100*

600

3.500

3.002

14.313

Leichte Maschinengewehre

k.A.

k.A.

 

20

 

898

 

 

918

Rückstoßfreie Gewehre

 

 

 

 

 

2.000

 

 

2.000

Granatwerfer / - pistolen

k.A.

k.A:

 

 

 

 

 

1

1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Handfeuerwaffen (insgesamt)

117

20

2.516

3.050

5.205

3.498

3.500

3.009

20.909

* Im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung weicht die Zahl ab. Die Lizenz wurde für 5.135 Gewehre erteilt.
Quellen: Deutsche Meldungen an das Waffenregister der Vereinten Nationen / Kleinwaffenmeldungen (verfügbar für 2005-10) und Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2003 – 2009 Die gelisteten Genehmigungen betreffen überwiegend Waffen der Firma H&K, nicht aber zwingend ausschließlich Waffen dieser Firma.

Das Geschäft mit vollständigen Waffen ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Hinzu kommen die Zulieferungen für Schlüsselkomponenten, die eine Endfertigung deutscher Gewehre und Maschinenpistolen in Saudi-Arabien ermöglichen. Läufe, Gewehrverschlüsse und andere Einzelteile müssen aus der Bundesrepublik zugeliefert werden, weil sie nur dann in der für eine einwandfreie Funktion nötigen Präzision hergestellt sind. Das macht die Lizenzfertigung in Saudi-Arabien für Heckler und Koch zu einem lukrativen und vor allem dauerhaften Geschäft. Die Zahl der zugelieferten genehmigungspflichtigen Bauteile macht das deutlich:


Deutsche Genehmigungen für Kleinwaffenkomponenten nach Saudi-Arabien

Typ

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

Gesamt/
Stück

Teile für MPs

28.500

18.500

45.113

4.006

5.001

32.000

21.309

k.A.

154.429

Teile für Gewehre
mit KWL-Nummer

297.941

91.618

129.000

234.850

117.711

diverse

366.394

k.A.

1.002.664

Teile für MGs

 

 

 

20

 

978

 

k.A.

998

Quelle: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2003 – 2009

Aufbauend auf die langjährige Zusammenarbeit und die Lizenzfertigung von G-3 Gewehren und MP-5 Maschinenpistolen bemühte sich Saudi-Arabien im letzten Jahrzehnt um eine lizenzierte Endfertigung des neuen Standardgewehrs der Bundeswehr, des G-36. 2003 genehmigte die rot-grüne Bundesregierung die Lieferung von Gewehren für die saudische Polizei. 2007 und 2008 folgten die erforderlichen Genehmigungen für den Aufbau der Lizenzfertigung und die Grundsteinlegung bei der saudischen Military Industrial Corporation (MIC), die bereits G-3 und MP5 in Lizenz fertigte. Seit 2009 wird produziert. MIC bietet das Gewehr auch auf Messen im Ausland an. Man möchte diese Waffen nicht nur für den Eigenbedarf fertigen, sondern auch für den Export.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass sie eine wirksame Endverbleibskontrolle ausüben kann, weil sie regelmäßig Lizenzen für die Zulieferungen der entscheidenden Komponenten erteilen muss. Dafür müssen Endverbleibserklärungen Saudi-Arabiens vorgelegt werden oder aber es muss die deutsche Zustimmung zu einem Reexport angefragt werden. Da der faktische Endverbleib durch die Bundesregierung jedoch nur selten und im Verdachtsfall kontrolliert wird, handelt es sich um ein Verfahren, dass meist auf Treu und Glauben beruht und durch einen Beweis des Gegenteils jederzeit als untauglich entlarvt werden kann.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS