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15. November 2014


Rüstungsexport: Ein spannendes Urteil mit unklaren Folgen

von Otfried Nassauer

 

Seit Jahren sieht das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI die Bundesrepublik Deutschland auf Platz der weltgrößten Rüstungsexporteure. Wehrtechnische Exporte im Volumen von rund 10 Milliarden Euro werden inzwischen jedes Jahr von der Bundesregierung genehmigt. Tendenz steigend. Der politische Streit um diese volkswirtschaftlich recht irrelevante Größenordnung – es geht nur um rund ein Prozent des deutschen Außenhandels – entzündet sich vor allem an dem wachsenden Umfang der Rüstungsexporte in autokratische und diktatorisch regierte Länder, in Krisen- und Kriegsgebiete sowie an der Intransparenz seitens der Bundesregierung und ihrer diesbezüglichen Entscheidungen. Ort der heikelsten Entscheidungen ist zumeist der geheim tagende Bundessicherheitsrat (BSR).

Nun musste sich das Bundesverfassungsgericht mit diesem heiklen Thema befassen. Kläger aus der Grünen-Bundestagsfraktion wollten erreichen, dass die Bundesregierung ihnen deutlich mehr und erheblich früher Informationen über die Genehmigung von Rüstungsexporten zugänglich machen muss als bislang üblich. Anlass der Klage waren Medienberichte über einen geplanten Export Hunderter Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien im Jahr 2011. Darüber wollte die Bundesregierung damals partout keine Auskunft geben und zog sich auf die Geheimhaltung im  Bundessicherheitsrat zurück. Die Abgeordneten der Grünen sahen sich in ihrer Rolle als Kontrolleure der Regierung beeinträchtigt und klagten in Karlsruhe.

Lesen bildet. Das gilt auch für das jetzt vorliegenden Urteil des Verfassungsgerichts über die Informationspflichten der Bundesregierung in Sachen Rüstungsexport. Der erste Eindruck nach dem Urteil: Im Kern hat die Bundesregierung Recht bekommen. Der komplette Prozess der Entscheidungsfindung darf geheim bleiben und die Industrie darf erwarten, dass ihre Geschäftsgeheimnisse gewahrt werden. Deshalb muss die Bundesregierung dem Bundestag erst über abschließend getroffene Entscheidungen Auskunft geben. Der Bundestag kann keinen Anspruch geltend machen, bereits während der Entscheidungsvorbereitung informiert zu werden, weil dann die Gefahr bestehe, dass Abgeordnete versuchen, den Entscheidungsprozess der Regierung zu beeinflussen. Ist die Entscheidung aber gefallen, so muss die Regierung auch darüber Auskunft geben. Der Vorsitzende Richter Andreas Voßkuhle: „Die Bundesregierung ist grundsätzlich verpflichtet, Bundestagsabgeordneten auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder eine Genehmigung nicht erteilt worden ist.“

„Grundsätzlich“ sagt der Verfassungsrichter. Und es geht nur um Kriegswaffen, nicht um sonstige Rüstungsgüter, den größten Teil der Rüstungsexporte. Grundsätzlich bedeutet in der Sprache der Juristen, dass es Ausnahmen gibt. Also darf die Bundesregierung dem Parlament manchmal auch verschweigen, dass sie eine Exportgenehmigung erteilt oder abgelehnt hat. Das ist – so das Gericht - der Fall, wenn das „Staatswohl“ gefährdet wird – ein dehnbarer Begriff. Es bleibt also abzuwarten, wann sich die Bundesregierung künftig auf das „Staatswohl“ zurückzieht und wie oft sie deshalb gänzlich schweigt. Verweigert sie die Auskunft, so muss sie das allerdings begründen.

Nur Details der bisherigen Informationspraxis müssen deshalb nach dem Urteil geändert werden. Das meiste hat die Bundesregierung bereits im Frühjahr 2014 vorweggenommen, als sie sich verpflichtete, den Abgeordneten die endgültigen Entscheidungen des Bundessicherheitsrates und der Sitzungen des Vorbereitenden Ausschusses der Staatssekretäre künftig zeitnah mitzuteilen. Allerdings hätten die Abgeordneten 2011 erfahren müssen, ob eine Genehmigung für den Export von Leopardpanzern erteilt wurde oder nicht. Über ihre Antwort auf Voranfragen der Industrie muss sie zudem ebenfalls keine Auskunft geben. Verfassungsrichter Voßkuhle: „Darüber hinausgehende Angaben, etwa zu den Gründen der Entscheidung sind dagegen verfassungsrechtlich nicht geboten. Ebensowenig müssen Auskünfte zu noch nicht abgeschlossenen Vorgängen erteilt werden, also zum Beispiel über Voranfragen, da der Willensbildungsprozess der Bundesregierung in diesem Stadium besonders geschützt ist.“

Die Entscheidung über die Voranfragen darf also weiter geheim bleiben. Gegenüber dem Parlament jedenfalls, denn der anfragenden Industrie wird das Ergebnis natürlich mitgeteilt. Das Gericht fürchtet, dass die Parlamentarier, würden sie informiert, versuchen könnten, das weitere Regierungshandeln zu beeinflussen. Hans Christian Ströbele, einer der Kläger, betont die Bedeutung der Voranfragen: „Das wurde nicht zuletzt in den letzten Monaten immer wieder deutlich, wenn Herr Gabriel, der Wirtschaftsminister, sich darauf beruft, dass er Kriegswaffen exportieren muss, weil frühere Bundesregierungen Voranfragen positiv beschieden haben. Da sagt er selbst, dass die für ihn eine bindende Wirkung haben.“

Da bezog sich der grüne Kläger allerdings auf die lange geübte Regierungspraxis der Vergangenheit und übersah, dass das Gericht hinsichtlich der Regierungsantwort auf Voranfragen in seinem Urteil zugleich festgehalten hatte: „Aus einer solchen Mitteilung geht der Wille der Bundesregierung sich zu binden (...) , nicht eindeutig hervor. Der Bundessicherheitsrat und die beteiligten Ministerien sind folglich an die positive Beantwortung einer Voranfrage nicht gebunden, ein anschließender Antrag auf Erteilung einer Genehmigung kann auch bei unveränderten Umständen abgelehnt werden.“

Mit anderen Worten: Wenn die Bundesregierung sich bislang immer wieder auf die Bindungswirkung ihrer Antwort auf Voranfragen berief, dann ist das zwar eine lange geübte, aber keineswegs eine notwendige Praxis. Ihre Antworten sind keineswegs bindend, auch dann nicht, wenn die Lage im und um das Empfängerland weitgehend der ähnelt, die zum Zeitpunkt ihrer Antwort auf die Voranfrage herrschte. Auf ein früheres „Ja“ einer alten Bundesregierung kann beispielsweise eine neu gewählte Regierung durchaus noch ein Nein folgen lassen. Das ist nunmehr klargestellt.

Glücklich macht ein solches Urteil natürlich gelernte Bürokraten wie Innenminister Thomas de Maiziere. Es stärkt das Eigeninteresse der Exekutive, möglichst viel selbst entscheiden zu dürfen, ohne dass ihnen die Politik hineinredet. Entsprechend kommentierte de Maiziere den Richterspruch: „Ich begrüße dieses Urteil. Es sichert den internen Willensbildungsprozess der Bundesregierung. Es behindert nicht die Transparenz gegenüber dem Parlament, aber – wie wir es nennen – der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung wird durch das Bundesverfassungsgericht gerade in außenpolitischen Belangen gestärkt. Und das ist gut so.“

Das Verfassungsgericht bleibt also einer alten Linie treu: Es engt die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung nur so wenig wie möglich ein.

An dieser Stelle enden interessanterweise fast alle Medienberichte über das Urteil. Zu Unrecht. Denn in diesem Urteil steckt noch einiges mehr. Der Richterspruch ist eine schallende Ohrfeige für die vergangenen Bundesregierungen und ihre Beamten, die das System der Entscheidungsfindung über Rüstungsexporte so gestaltet haben, dass die Exekutive möglichst viel selbst entscheiden kann. Das Gericht äußerte sich nämlich auch zu einer Frage, die ihm die Grünen Kläger mangels Betroffenheit gar nicht vorlegen konnten: Darf der Bundessicherheitsrat über Rüstungsexportgenehmigungen überhaupt endgültig entscheiden?

Die Richter sagen: Der Bundessicherheitsrat tut es seit Jahrzehnten, aber er darf es eigentlich nicht. Das Grundgesetz sieht vor, dass die Bundesregierung als Ganze über Kriegswaffenexporte entscheidet. Der Bundessicherheitsrat darf als Kabinettsausschuss Entscheidungen der Regierung vorbereiten, nicht aber stellvertretend für das Kabinett Entscheidungen treffen. Die Praxis, in der der geheim tagende BSR endgültige Entscheidungen trifft, ist also unzulässig. Im Urteil heißt es: „Nach der bisherigen Praxis bereitet der Bundessicherheitsrat des Kabinetts allerdings nicht vor, sondern wird an seiner Stelle tätig. (...) Bei Regelungen des Grundgesetzes, die eine Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsehen, ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass es eines Beschlusses des gesamten Kabinetts bedarf.“ Die potenzielle Ausnahme vom Grundsätzlichen wäre es, die Entscheidung an einen zuständigen Minister und sein Haus zu delegieren – z.B. an den Wirtschaftsminister. Juristische Mehrheitsmeinung sei jedoch auch da, dass „ die Delegation der Genehmigungserteilung auf einzelne Minister (...) verfassungswidrig sei.“ 

Es sei also eigentlich auch unzulässig, die Entscheidungen über die Genehmigung von Kriegswaffenexporten an einen einzelnen Bundesminister zu delegieren. Das Grundgesetz verlange, dass die Bundesregierung als Ganze entscheidet. Regierungsausschüsse und einzelne Ministerien, dürften eine solche Entscheidung lediglich vorbereiten.

Die Bundesregierung scheint dies geahnt zu haben. Als sie  ihre Transparenzinitiative am 9.April 2014 vorstellte, beschrieb sie noch in aller Offenheit die bisher übliche Praxis: „Besonders sensible Rüstungsexportentscheidungen werden vom Bundessicherheitsrat (BSR) als Kabinettsausschuss unter dem Vorsitz der Bundeskanzlerin getroffen.“ Auch der vom Bundestag im Mai 2014 angenommene Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zur Verbesserung der Transparenz bei Rüstungsexporten hielt fest: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf: (...) den Deutschen Bundestag über abschließende Genehmigungsentscheidungen des Bundessicherheitsrates unverzüglich und gemeinsam mit den abschließenden Genehmigungsentscheidungen des Vorbereitenden Ausschusses der Staatssekretäre im Anschluss an die Erteilung der Genehmigungen, spätestens zwei Wochen nach Tagung des Bundessicherheitsrates zu unterrichten.“

Der Wortlaut der überarbeiteten Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates vom 4.Juni 2014 enthält jedoch nicht nur erstmals überhaupt in der Geschichte dieses Gremiums einen Hinweis darauf, dass Rüstungsexporte im Bundessicherheitsrat zur Sprache kommen. Er verzichtet zugleich darauf, festzustellen, dass in diesem Kabinettsausschuss überhaupt abschließende Genehmigungsentscheidungen fallen. Im neuen Artikel 8 hieß es: „Die Bundesregierung unterrichtet den Deutschen Bundestag über abschließende Genehmigungsentscheidungen, denen eine Befassung des Bundessicherheitsrates vorangegangen ist.“ Eine Befassung ist offensichtlich keine abschließende Entscheidung. Dem zu erwartenden Urteil des Gerichtes wurde bereits vorgebaut.

Damit wäre die bisher übliche Praxis, im Bundessicherheitsrat zu entscheiden, eigentlich vom Tisch. Die Richter fanden aber einen Weg, diese Schlussfolgerung aus ihrem Urteil selbst auszuklammern. Sie argumentieren: Zu dieser Frage sind wir nicht um ein Urteil gebeten worden, also müssen wir auch keines sprechen. Mit anderen Worten: Sie gaben den Hinweis, dass sie die bisherige Praxis als verfassungswidrig betrachten, überlassen es aber Regierung und Parlament, Konsequenzen daraus zu ziehen. Oder auch nicht.

Ähnlich ist es in einem zweiten Fall: Die Beschreibung des jährlichen Rüstungsexportberichtes oder präziser des Jahresberichtes über die Genehmigungspolitik der Bundesregierung für Rüstungsexporte fällt im Urteil ziemlich vernichtend aus: „Die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung sind zudem nicht hinreichend präzise, um das berechtigte parlamentarische Informationsinteresse zu befriedigen. Die Berichte differenzieren nicht nach einzelnen Genehmigungsakten, sondern führen die im Berichtsjahr genehmigten Geschäfte summiert auf. Die Beschreibung der betroffenen Güter erfolgt pauschal. (...) Es muss den Abgeordneten daher im Rahmen einer effektiven parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns möglich sein, über diese Rüstungsexportberichte hinaus durch konkrete Fragen Informationen darüber zu erhalten, in welchem Umfang Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegswaffen besonderer Bedeutung, wie etwa Kampfpanzer, in bestimmte Staaten erteilt wurden.“

Das Urteil verpflichtet die Bundesregierung zwar nicht, die Rüstungsexportberichte künftig präziser und detaillierter abzufassen, aber zumindest dazu, Bundestagsabgeordneten künftig auf Anfrage genauere Angaben zu den Eckdaten der Geschäfte zu machen. Als Eckdaten betrachtet das Urteil „Angaben über Art und Anzahl der Kriegswaffen, über das Empfängerland, über die beteiligten deutschen Unternehmen und über das Gesamtvolumen des Geschäfts.“ In der Konsequenz muss sich die Bundesregierung nun entscheiden, ob sie diese Angaben in ihren Bericht integriert oder Abgeordneten zumindest auf Anfrage offenzulegen. Letzteres dürfte die naheliegendere, weil weniger arbeitsintensive Lösung sein.

Unklar ist schließlich, welche Auswirkungen das Urteil für die Industrie haben wird. Für die Firmen haben nämlich die scheinbar nebensächlichen Anmerkungen des Gerichtes zur fehlenden Bindungswirkung der Regierungsantworten auf Voranfragen eine möglicherweise beträchtliche Nebenwirkung. Für die Wirtschaft macht es einen erheblichen Unterschied, ob die Antwort der Bundesregierung auf eine Voranfrage bindend ist oder nicht. Solange sie das ist, geht von der das Geschäft vorfinanzierenden Bank bis zum Wirtschaftsprüfer  jeder davon aus, dass dies einer künftigen Genehmigung gleich kommt. Es ist ein Geschäft mit kleinem Restrisiko. Ist die Antwort aber nicht bindend, so ist das Geschäft weiterhin mit erheblichen Risiken behaftet. Mehr noch, dies gilt nicht nur für Kriegswaffenexporte, sondern in einem reduzoerten Umfang auch für Exporte für sonstige Rüstungsgüter und Dual Use-Güter. Dür die Industrie impliziert das Urteil also einen erheblichen Unsicherheitsfaktor.


Der Blick in die Zukunft


Nach dem Urteil steht nun die Entscheidung an, welchen Kurs die große Koalition in Sachen Genehmigungspolitik für Rüstungsexporte künftig fahren wird und will. Seit dem Frühsommer 2013 haben sich Hunderte von potentiell strittigen Exportanträgen bei BAFA und Wirtschaftsministerium gestapelt, die jetzt der Abarbeitung harren. Regierung und Wirtschaftsminister wissen jetzt, auf welcher Basis sie in den nächsten Jahren entscheiden können und Auskunft geben müssen. Das Feld ist also wieder offen für die Politik. Selbst wenn die Bundesregierung mit Blick auf die Statistik für das Jahr 2014 zögern sollte noch dieses Jahr große Teile des aufgelaufenen Antragsbergs abzuarbeiten – spätestens mit Beginn des Jahres 2015 muss diese Aufgabe angegangen werden.

Die Rahmenbedingungen für die anstehende Richtungsentscheidung haben sich zudem verändert. Die Rüstungsindustrie setzt die Politik verstärkt unter Druck. Sie fordert, dass die Bundeswehr ihre Beschaffungen angesichts der Ukraine-Krise wieder ausweitet und droht für den Fall einer restriktiveren Genehmigungspolitik schon einmal prophylaktisch mit der Abwanderung ins Ausland oder dem Verkauf von Fabriken. 2015 wird also voraussichtlich ein Jahr der Entscheidungen.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS