Rüstungsexport: Ein spannendes Urteil mit unklaren Folgen
von Otfried Nassauer
Seit Jahren sieht das Stockholmer Friedensforschungsinstitut
SIPRI die Bundesrepublik Deutschland auf Platz der
weltgrößten Rüstungsexporteure. Wehrtechnische Exporte
im Volumen von rund 10 Milliarden Euro werden inzwischen jedes Jahr von
der Bundesregierung genehmigt. Tendenz steigend. Der politische Streit
um diese volkswirtschaftlich recht irrelevante Größenordnung
– es geht nur um rund ein Prozent des deutschen
Außenhandels – entzündet sich vor allem an dem
wachsenden Umfang der Rüstungsexporte in autokratische und
diktatorisch regierte Länder, in Krisen- und Kriegsgebiete sowie
an der Intransparenz seitens der Bundesregierung und ihrer
diesbezüglichen Entscheidungen. Ort der heikelsten Entscheidungen
ist zumeist der geheim tagende Bundessicherheitsrat (BSR).
Nun musste sich das Bundesverfassungsgericht mit diesem heiklen Thema
befassen. Kläger aus der Grünen-Bundestagsfraktion wollten
erreichen, dass die Bundesregierung ihnen deutlich mehr und erheblich
früher Informationen über die Genehmigung von
Rüstungsexporten zugänglich machen muss als bislang
üblich. Anlass der Klage waren Medienberichte über einen
geplanten Export Hunderter Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien im Jahr
2011. Darüber wollte die Bundesregierung damals partout keine
Auskunft geben und zog sich auf die Geheimhaltung im
Bundessicherheitsrat zurück. Die Abgeordneten der Grünen
sahen sich in ihrer Rolle als Kontrolleure der Regierung
beeinträchtigt und klagten in Karlsruhe.
Lesen bildet. Das gilt auch für das jetzt vorliegenden Urteil des
Verfassungsgerichts über die Informationspflichten der
Bundesregierung in Sachen Rüstungsexport. Der erste Eindruck nach
dem Urteil: Im Kern hat die Bundesregierung Recht bekommen. Der
komplette Prozess der Entscheidungsfindung darf geheim bleiben und die
Industrie darf erwarten, dass ihre Geschäftsgeheimnisse gewahrt
werden. Deshalb muss die Bundesregierung dem Bundestag erst über
abschließend getroffene Entscheidungen Auskunft geben. Der
Bundestag kann keinen Anspruch geltend machen, bereits während der
Entscheidungsvorbereitung informiert zu werden, weil dann die Gefahr
bestehe, dass Abgeordnete versuchen, den Entscheidungsprozess der
Regierung zu beeinflussen. Ist die Entscheidung aber gefallen, so muss
die Regierung auch darüber Auskunft geben. Der Vorsitzende Richter
Andreas Voßkuhle: „Die Bundesregierung ist
grundsätzlich verpflichtet, Bundestagsabgeordneten auf
entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass der Bundessicherheitsrat
ein bestimmtes Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder eine
Genehmigung nicht erteilt worden ist.“
„Grundsätzlich“ sagt der Verfassungsrichter. Und es
geht nur um Kriegswaffen, nicht um sonstige Rüstungsgüter,
den größten Teil der Rüstungsexporte.
Grundsätzlich bedeutet in der Sprache der Juristen, dass es
Ausnahmen gibt. Also darf die Bundesregierung dem Parlament manchmal
auch verschweigen, dass sie eine Exportgenehmigung erteilt oder
abgelehnt hat. Das ist – so das Gericht - der Fall, wenn das
„Staatswohl“ gefährdet wird – ein dehnbarer
Begriff. Es bleibt also abzuwarten, wann sich die Bundesregierung
künftig auf das „Staatswohl“ zurückzieht und wie
oft sie deshalb gänzlich schweigt. Verweigert sie die Auskunft, so
muss sie das allerdings begründen.
Nur Details der bisherigen Informationspraxis müssen deshalb nach
dem Urteil geändert werden. Das meiste hat die Bundesregierung
bereits im Frühjahr 2014 vorweggenommen, als sie sich
verpflichtete, den Abgeordneten die endgültigen Entscheidungen des
Bundessicherheitsrates und der Sitzungen des Vorbereitenden Ausschusses
der Staatssekretäre künftig zeitnah mitzuteilen. Allerdings
hätten die Abgeordneten 2011 erfahren müssen, ob eine
Genehmigung für den Export von Leopardpanzern erteilt wurde oder
nicht. Über ihre Antwort auf Voranfragen der Industrie muss sie
zudem ebenfalls keine Auskunft geben. Verfassungsrichter
Voßkuhle: „Darüber hinausgehende Angaben, etwa zu den
Gründen der Entscheidung sind dagegen verfassungsrechtlich nicht
geboten. Ebensowenig müssen Auskünfte zu noch nicht
abgeschlossenen Vorgängen erteilt werden, also zum Beispiel
über Voranfragen, da der Willensbildungsprozess der
Bundesregierung in diesem Stadium besonders geschützt ist.“
Die Entscheidung über die Voranfragen darf also weiter geheim
bleiben. Gegenüber dem Parlament jedenfalls, denn der anfragenden
Industrie wird das Ergebnis natürlich mitgeteilt. Das Gericht
fürchtet, dass die Parlamentarier, würden sie informiert,
versuchen könnten, das weitere Regierungshandeln zu beeinflussen.
Hans Christian Ströbele, einer der Kläger, betont die
Bedeutung der Voranfragen: „Das wurde nicht zuletzt in den
letzten Monaten immer wieder deutlich, wenn Herr Gabriel, der
Wirtschaftsminister, sich darauf beruft, dass er Kriegswaffen
exportieren muss, weil frühere Bundesregierungen Voranfragen
positiv beschieden haben. Da sagt er selbst, dass die für ihn eine
bindende Wirkung haben.“
Da bezog sich der grüne Kläger allerdings auf die lange
geübte Regierungspraxis der Vergangenheit und übersah, dass
das Gericht hinsichtlich der Regierungsantwort auf Voranfragen in
seinem Urteil zugleich festgehalten hatte: „Aus einer solchen
Mitteilung geht der Wille der Bundesregierung sich zu binden (...) ,
nicht eindeutig hervor. Der Bundessicherheitsrat und die beteiligten
Ministerien sind folglich an die positive Beantwortung einer Voranfrage
nicht gebunden, ein anschließender Antrag auf Erteilung einer
Genehmigung kann auch bei unveränderten Umständen abgelehnt
werden.“
Mit anderen Worten: Wenn die Bundesregierung sich bislang immer wieder
auf die Bindungswirkung ihrer Antwort auf Voranfragen berief, dann ist
das zwar eine lange geübte, aber keineswegs eine notwendige
Praxis. Ihre Antworten sind keineswegs bindend, auch dann nicht, wenn
die Lage im und um das Empfängerland weitgehend der ähnelt,
die zum Zeitpunkt ihrer Antwort auf die Voranfrage herrschte. Auf ein
früheres „Ja“ einer alten Bundesregierung kann
beispielsweise eine neu gewählte Regierung durchaus noch ein Nein
folgen lassen. Das ist nunmehr klargestellt.
Glücklich macht ein solches Urteil natürlich gelernte
Bürokraten wie Innenminister Thomas de Maiziere. Es stärkt
das Eigeninteresse der Exekutive, möglichst viel selbst
entscheiden zu dürfen, ohne dass ihnen die Politik hineinredet.
Entsprechend kommentierte de Maiziere den Richterspruch: „Ich
begrüße dieses Urteil. Es sichert den internen
Willensbildungsprozess der Bundesregierung. Es behindert nicht die
Transparenz gegenüber dem Parlament, aber – wie wir es
nennen – der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung wird
durch das Bundesverfassungsgericht gerade in außenpolitischen
Belangen gestärkt. Und das ist gut so.“
Das Verfassungsgericht bleibt also einer alten Linie treu: Es engt die
außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit der
Bundesregierung nur so wenig wie möglich ein.
An dieser Stelle enden interessanterweise fast alle Medienberichte
über das Urteil. Zu Unrecht. Denn in diesem Urteil steckt noch
einiges mehr. Der Richterspruch ist eine schallende Ohrfeige für
die vergangenen Bundesregierungen und ihre Beamten, die das System der
Entscheidungsfindung über Rüstungsexporte so gestaltet haben,
dass die Exekutive möglichst viel selbst entscheiden kann. Das
Gericht äußerte sich nämlich auch zu einer Frage, die
ihm die Grünen Kläger mangels Betroffenheit gar nicht
vorlegen konnten: Darf der Bundessicherheitsrat über
Rüstungsexportgenehmigungen überhaupt endgültig
entscheiden?
Die Richter sagen: Der Bundessicherheitsrat tut es seit Jahrzehnten,
aber er darf es eigentlich nicht. Das Grundgesetz sieht vor, dass die
Bundesregierung als Ganze über Kriegswaffenexporte entscheidet.
Der Bundessicherheitsrat darf als Kabinettsausschuss Entscheidungen der
Regierung vorbereiten, nicht aber stellvertretend für das Kabinett
Entscheidungen treffen. Die Praxis, in der der geheim tagende BSR
endgültige Entscheidungen trifft, ist also unzulässig. Im
Urteil heißt es: „Nach der bisherigen Praxis bereitet der
Bundessicherheitsrat des Kabinetts allerdings nicht vor, sondern wird
an seiner Stelle tätig. (...) Bei Regelungen des Grundgesetzes,
die eine Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsehen,
ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass es eines
Beschlusses des gesamten Kabinetts bedarf.“ Die potenzielle
Ausnahme vom Grundsätzlichen wäre es, die Entscheidung an
einen zuständigen Minister und sein Haus zu delegieren –
z.B. an den Wirtschaftsminister. Juristische Mehrheitsmeinung sei
jedoch auch da, dass „ die Delegation der Genehmigungserteilung
auf einzelne Minister (...) verfassungswidrig sei.“
Es sei also eigentlich auch unzulässig, die
Entscheidungen über die Genehmigung von Kriegswaffenexporten an
einen einzelnen Bundesminister zu delegieren. Das Grundgesetz verlange,
dass die Bundesregierung als Ganze entscheidet.
Regierungsausschüsse und einzelne Ministerien, dürften eine
solche Entscheidung lediglich vorbereiten.
Die Bundesregierung scheint dies geahnt zu haben. Als sie ihre
Transparenzinitiative am 9.April 2014 vorstellte, beschrieb sie noch in
aller Offenheit die bisher übliche Praxis: „Besonders
sensible Rüstungsexportentscheidungen werden vom
Bundessicherheitsrat (BSR) als Kabinettsausschuss unter dem Vorsitz der
Bundeskanzlerin getroffen.“ Auch der vom Bundestag im Mai 2014
angenommene Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zur
Verbesserung der Transparenz bei Rüstungsexporten hielt fest:
„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf: (...)
den Deutschen Bundestag über abschließende
Genehmigungsentscheidungen des Bundessicherheitsrates unverzüglich
und gemeinsam mit den abschließenden Genehmigungsentscheidungen
des Vorbereitenden Ausschusses der Staatssekretäre im Anschluss an
die Erteilung der Genehmigungen, spätestens zwei Wochen nach
Tagung des Bundessicherheitsrates zu unterrichten.“
Der Wortlaut der überarbeiteten Geschäftsordnung
des Bundessicherheitsrates vom 4.Juni 2014 enthält jedoch nicht
nur erstmals überhaupt in der Geschichte dieses Gremiums einen
Hinweis darauf, dass Rüstungsexporte im Bundessicherheitsrat zur
Sprache kommen. Er verzichtet zugleich darauf, festzustellen, dass in
diesem Kabinettsausschuss überhaupt abschließende
Genehmigungsentscheidungen fallen. Im neuen Artikel 8 hieß es:
„Die Bundesregierung unterrichtet den Deutschen Bundestag
über abschließende Genehmigungsentscheidungen, denen eine
Befassung des Bundessicherheitsrates vorangegangen ist.“ Eine
Befassung ist offensichtlich keine abschließende Entscheidung.
Dem zu erwartenden Urteil des Gerichtes wurde bereits vorgebaut.
Damit wäre die bisher übliche Praxis, im Bundessicherheitsrat
zu entscheiden, eigentlich vom Tisch. Die Richter fanden aber einen
Weg, diese Schlussfolgerung aus ihrem Urteil selbst auszuklammern. Sie
argumentieren: Zu dieser Frage sind wir nicht um ein Urteil gebeten
worden, also müssen wir auch keines sprechen. Mit anderen Worten:
Sie gaben den Hinweis, dass sie die bisherige Praxis als
verfassungswidrig betrachten, überlassen es aber Regierung und
Parlament, Konsequenzen daraus zu ziehen. Oder auch nicht.
Ähnlich ist es in einem zweiten Fall: Die Beschreibung des
jährlichen Rüstungsexportberichtes oder präziser des
Jahresberichtes über die Genehmigungspolitik der Bundesregierung
für Rüstungsexporte fällt im Urteil ziemlich vernichtend
aus: „Die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung sind
zudem nicht hinreichend präzise, um das berechtigte
parlamentarische Informationsinteresse zu befriedigen. Die Berichte
differenzieren nicht nach einzelnen Genehmigungsakten, sondern
führen die im Berichtsjahr genehmigten Geschäfte summiert
auf. Die Beschreibung der betroffenen Güter erfolgt pauschal.
(...) Es muss den Abgeordneten daher im Rahmen einer effektiven
parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns möglich sein,
über diese Rüstungsexportberichte hinaus durch konkrete
Fragen Informationen darüber zu erhalten, in welchem Umfang
Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegswaffen besonderer
Bedeutung, wie etwa Kampfpanzer, in bestimmte Staaten erteilt
wurden.“
Das Urteil verpflichtet die Bundesregierung zwar nicht, die
Rüstungsexportberichte künftig präziser und
detaillierter abzufassen, aber zumindest dazu, Bundestagsabgeordneten
künftig auf Anfrage genauere Angaben zu den Eckdaten der
Geschäfte zu machen. Als Eckdaten betrachtet das Urteil
„Angaben über Art und Anzahl der Kriegswaffen, über das
Empfängerland, über die beteiligten deutschen Unternehmen und
über das Gesamtvolumen des Geschäfts.“ In der
Konsequenz muss sich die Bundesregierung nun entscheiden, ob sie diese
Angaben in ihren Bericht integriert oder Abgeordneten zumindest auf
Anfrage offenzulegen. Letzteres dürfte die naheliegendere, weil
weniger arbeitsintensive Lösung sein.
Unklar ist schließlich, welche Auswirkungen das Urteil für
die Industrie haben wird. Für die Firmen haben nämlich die
scheinbar nebensächlichen Anmerkungen des Gerichtes zur fehlenden
Bindungswirkung der Regierungsantworten auf Voranfragen eine
möglicherweise beträchtliche Nebenwirkung. Für die
Wirtschaft macht es einen erheblichen Unterschied, ob die Antwort der
Bundesregierung auf eine Voranfrage bindend ist oder nicht. Solange sie
das ist, geht von der das Geschäft vorfinanzierenden Bank bis zum
Wirtschaftsprüfer jeder davon aus, dass dies einer
künftigen Genehmigung gleich kommt. Es ist ein Geschäft mit
kleinem Restrisiko. Ist die Antwort aber nicht bindend, so ist das
Geschäft weiterhin mit erheblichen Risiken behaftet. Mehr noch,
dies gilt nicht nur für Kriegswaffenexporte, sondern in einem
reduzoerten Umfang auch für Exporte für sonstige
Rüstungsgüter und Dual Use-Güter. Dür die Industrie
impliziert das Urteil also einen erheblichen Unsicherheitsfaktor.
Der Blick in die Zukunft
Nach dem Urteil steht nun die Entscheidung an, welchen Kurs die
große Koalition in Sachen Genehmigungspolitik für
Rüstungsexporte künftig fahren wird und will. Seit dem
Frühsommer 2013 haben sich Hunderte von potentiell strittigen
Exportanträgen bei BAFA und Wirtschaftsministerium gestapelt, die
jetzt der Abarbeitung harren. Regierung und Wirtschaftsminister wissen
jetzt, auf welcher Basis sie in den nächsten Jahren entscheiden
können und Auskunft geben müssen. Das Feld ist also wieder
offen für die Politik. Selbst wenn die Bundesregierung mit Blick
auf die Statistik für das Jahr 2014 zögern sollte noch dieses
Jahr große Teile des aufgelaufenen Antragsbergs abzuarbeiten
– spätestens mit Beginn des Jahres 2015 muss diese Aufgabe
angegangen werden.
Die Rahmenbedingungen für die anstehende Richtungsentscheidung
haben sich zudem verändert. Die Rüstungsindustrie setzt die
Politik verstärkt unter Druck. Sie fordert, dass die Bundeswehr
ihre Beschaffungen angesichts der Ukraine-Krise wieder ausweitet und
droht für den Fall einer restriktiveren Genehmigungspolitik schon
einmal prophylaktisch mit der Abwanderung ins Ausland oder dem Verkauf
von Fabriken. 2015 wird also voraussichtlich ein Jahr der
Entscheidungen.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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