Original Artikel
10. August 2014


Rüstungsexportgenehmigungen im Bundessicherheitsrat
Eine verfassungswidrige Praxis?

von Otfried Nassauer

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Die Bundesregierung muss bangen und zittern. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet im Herbst dieses Jahres über die langjährige Praxis, Informationen über die Genehmigung von Rüstungsexporten lange geheimzuhalten und selbst dem Bundestag nur spät und in sehr allgemeiner Form zugänglich zu machen. Es geht um die Entscheidungen, die im geheim tagenden Bundessicherheitsrat gefällt werden. Doch das Gericht könnte noch weiter gehen und sich fragen, ob der Bundessicherheitsrat überhaupt das Recht und die Zuständigkeit hat, über Rüstungsexportgenehmigungen zu entscheiden. Der Kabinettsausschuss tut dies seit Jahr und Tag wie selbstverständlich. Aber gibt es dafür überhaupt eine ausreichende rechtliche Grundlage? Äußerer Anlass ist eine Klage der Grünen-Abgeordneten Hans Christian Ströbele und Katja Keul, die gerichtlich erzwingen wollen, dass der Bundestag mehr und frühzeitigere Informationen über die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung bekommt. Diese Klage könnte nun Auswirkungen haben, die weit über das ursprüngliche Ziel der Kläger hinaus reichen. Denn bei dem Versuch, die Grünen-Klage zurückzuweisen, hat die Bundesregierung viel grundsätzlichere Probleme in ihrer bisherigen Praxis sichtbar gemacht. Das Gericht könnte diese Praxis sogar grundsätzlich infrage stellen, weil sie den Vorgaben des Grundgesetzes widerspricht.


Wer darf was?

Das Grundgesetz legt die Entscheidung über Rüstungsexportgenehmigungen in die Hand der Bundesregierung. In Artikel 26.2 heißt es: 

„Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Das Bundesgesetz ist das Kriegswaffenkontrollgesetz. Dort heißt es in § 11 Abs.1: 

„Für die Erteilung und den Widerruf einer Genehmigung ist die Bundesregierung zuständig.“ 

Die Bundesregierung besteht nach Art. 62 des Grundgesetzes „aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern“. Genehmigungen obliegen also dem Kabinett als Ganzem, soweit nicht im Einzelfall nach dem Ressortprinzip einzelne Minister für ihren Zuständigkeitsbereich entscheiden können. Letztere Möglichkeit beruht z.B. auf § 11 Abs. 2 des Kriegswaffenkontrollgesetzes, der lautet: 

„Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates nicht bedarf, die Befugnis zur Erteilung und zum Widerruf der Genehmigung in den Fällen der §§ 2, 3 Abs. 1 und 2 und des § 4a

  1. für den Bereich der Bundeswehr auf das Bundesministerium der Verteidigung,
  2. für den Bereich der Zollverwaltung auf das Bundesministerium der Finanzen,
  3. für den Bereich der für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zuständigen Behörden oder Dienststellen sowie der Behörden des Strafvollzugs auf das Bundesministerium des Innern,
  4. für alle übrigen Bereiche auf das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zu übertragen.“

Das Recht, die Vielzahl der für einen Kriegswaffenexport notwendigen einzelnen Verkaufs-, Herstellungs- und Ausfuhrgenehmigungen nach dem Ressortprinzip auf die jeweils zuständigen Ministerien aufzuteilen und zu delegieren, ist also gegeben. Sinnvollerweise wird das auch so gehandhabt. Die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen obliegt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Letzteres gilt auch für sonstige Rüstungsgüter und Güter mit doppeltem Verwendungszweck, deren Ausfuhr nach dem Außenwirtschaftsgesetz einer Genehmigung bedarf. Das Wirtschaftsministerium hat deshalb in den meisten Fällen die Federführung.

Das Recht zur Genehmigung von Kriegswaffenexporten obliegt dagegen der Bundesregierung als Ganzer, also dem Kabinett. Weder im Grundgesetz, noch im Kriegswaffenkontrollgesetz noch im Außenwirtschaftsgesetz wird erwähnt, dass dieses Recht an einen Kabinettsausschuss wie den Bundessicherheitsrat delegiert werden kann oder delegiert wurde. Mehr noch: Auch die Geschäftsordnung der Bundesregierung enthält keinen Hinweis, dass das Kabinett Genehmigungen für Rüstungsexporte an ein Untergremium delegiert hat. Die früher geheime Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates enthält nicht den kleinsten Hinweis darauf, dass gerade dieses Gremium sich mit der Genehmigung von Rüstungsexporten befasst. Zur Zuständigkeit des Bundessicherheitsrates hieß es dort in Paragraph 1 lediglich: 

„Der Bundessicherheitsrat berät Fragen der Sicherheitspolitik, insbesondere auf allen Gebieten der Verteidigung sowie der Abrüstung und Rüstungskontrolle. (...) Die Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind geheim.“ 

Niemand käme bei der Lektüre dieser Sätze auf den Gedanken, dass die Genehmigung von Rüstungsexportgeschäften ein zentrales Thema in diesem Gremium sein könnte. Und doch ist das seit Jahrzehnten so. Im Bundessicherheitsrat wird politisch entschieden, welche Exporte genehmigt werden und welche nicht. Entdecken konnte man dies allerdings erst, als die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates Ende letzten Jahres nach Jahrzehnten der Geheimhaltung öffentlich gemacht wurde.


Mangelnde Rechtsgrundlagen werden sichtbar

Im Juni 2014 musste die Bundesregierung im Kontext ihrer Initiative zur Verbesserung der Transparenz ihrer Genehmigungspolitik für Rüstungsexporte die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates in Sachen Geheimhaltung ändern. Sie musste sicherstellen, dass ihre Informationen an das Parlament keinen Geheimnisverrat darstellen. Auch die neu Version der Geschäftsordnung wurde im Internet veröffentlicht. 

Der Wortlaut der überarbeiteten Geschäftsordnung enthält erstmalig einen Hinweis, dass der Bundessicherheitsrat sich mit Rüstungsexporten befasst. Im neuen Artikel 8 hieß es: 

„Die Bundesregierung unterrichtet den Deutschen Bundestag über abschließende Genehmigungsentscheidungen, denen eine Befassung des Bundessicherheitsrates vorangegangen ist. Diese Unterrichtung erfolgt grundsätzlich schriftlich und beinhaltet die Beschreibung und Anzahl der genehmigten Güter sowie das Endempfängerland. Eine anschließende mündliche Erläuterung kann auf der Grundlage einzelner Erwägungsgründe erfolgen. Die Geheimhaltung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 3 gilt insoweit nicht.“

Jetzt darf das Parlament also legal informiert werden. Dieser Hinweis auf Rüstungsexporte besagt jedoch interessanterweise nur, dass der Bundessicherheitsrat sich mit Exportgenehmigungen „befasst“. Er sagt nicht, dass der Rat abschließend über sie entscheidet. Und er deutet auch nur an, wer auch noch über Genehmigungen entscheidet, über die der Bundestag künftig besser informiert werden soll. Die neue Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates hält in § 8 Absatz 2 fest: 

„Genehmigungsentscheidungen des Vorbereitungsausschusses sowie Genehmigungsentscheidungen auf der Grundlage vorangegangener Voranfragen werden dem Bundessicherheitsrat zur Billigung vorgelegt.“ 

Das ist eine Ebene darunter. Und: Der Vorbereitende Ausschuss der Staatssekretäre besteht aus Beamten, nicht aus Politikern. Dessen Genehmigungsentscheidungen sind noch einen Schritt weiter von der Vorgabe des Grundgesetzes entfernt, solche Entscheidungen der Bundesregierung vorzubehalten. [ 1

Die seit Jahrzehnten gängige Praxis, im Bundessicherheitsrat über sensible Rüstungsexporte endgültig zu entscheiden, wird dagegen auch in der neuen Geschäftsordnung mit keinem Wort erwähnt. Das ist juristisch interessant und wohl auch trickreiche Absicht. Die Formulierungen sollen wohl einen offen nachlesbaren Widerspruch zu §1 der (alten und) neuen Geschäftsordnung vermeiden. Dies Paragraph enthält nämlich unverändert bis heute die verfassungs- und gesetzeskonforme Aussage: 

„Der Bundessicherheitsrat kann endgültig entscheiden, soweit nicht nach dem Grundgesetz oder einem Bundesgesetz ein Beschluss der Bundesregierung erforderlich ist.“

Genau dies postulieren Artikel 26 des Grundgesetzes und §11 Absatz 1 des KWKG. Beide legen die Genehmigungsentscheidung über Rüstungsexporte explizit in die Hand der ganzen Bundesregierung. Wären die früheren Bundesregierungen dieser Vorgabe gefolgt, so hätte der Bundessicherheitsrat, wenn denn seine Existenz eine ausreichende rechtliche Grundlage hätte, eigentlich nur Empfehlungen für spätere Entscheidungen des Kabinetts abgeben können. 

Der Widerspruch zwischen der Vorgabe „Regierungsentscheidung“ und der tatsächlichen, langjährigen Praxis, politisch endgültige Entscheidungen in einem Kabinettsausschuss zu treffen, wird durch den neuen Paragraphen in der Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates de facto verschleiert. Die Einhaltung der Verfassungsvorgabe wird durch die alte und die neue Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates einfach nur behauptet, ohne dass dies mit der Praxis in Übereinstimmung stünde.


Tricksen auf hohem Niveau

Diese schwerwiegende Problematik muss der derzeitigen Bundesregierung bewusst gewesen oder geworden sein, denn als die Koalitionspartner ihre Transparenzinitiative am 9.4.2014 vorstellten, beschrieben sie noch in aller Offenheit die bisher übliche Praxis: 

„Besonders sensible Rüstungsexportentscheidungen werden vom Bundessicherheitsrat (BSR) als Kabinettsausschuss unter dem Vorsitz der Bundeskanzlerin getroffen.“

Auch der vom Bundestag im Mai 2014 angenommene Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zur Verbesserung der Transparenz bei Rüstungsexporten hielt fest: 

„Besonders sensible Rüstungsexportentscheidungen werden vom Bundessicherheitsrat (BSR) als Kabinettsausschuss unter dem Vorsitz der Bundeskanzlerin getroffen. (...) Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf: (...) den  Deutschen  Bundestag  über  abschließende Genehmigungsentscheidungen  des  Bundessicherheitsrates (sic!) unverzüglich und gemeinsam mit den abschließenden Genehmigungsentscheidungen des  Vorbereitenden  Ausschusses der  Staatssekretäre (sic!) im  Anschluss  an  die Erteilung der Genehmigungen, spätestens zwei Wochen  nach Tagung des Bundessicherheitsrates zu unterrichten.“

Die Bundesregierung unterrichtete den Bundestag am 4.6.2014 über die Änderung der Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates und hielt dabei bzgl. der Bedeutung dieses  Entschließungsantrags fest: 

„Grundlage hierfür ist der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag „Mehr Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen sicherstellen“ (Bundestagsdrucksache 18/1334, vom Deutschen Bundestag angenommen in seiner 33. Sitzung am 8. Mai 2014).“ 

Ein expliziter Hinweis auf die bisherige oder aktuelle Praxis, dass der Bundessicherheitsrat abschließende Genehmigungsentscheidungen in Sachen Rüstungsexport trifft, ist in dessen Geschäftsordnungen jedoch bis heute nicht enthalten. Ob diese trickreiche Verschleierung der langjährigen Praxis die Karlsruher Richter überzeugen kann, dass das  Procedere aller früheren Bundesregierungen verfassungsgemäß war, darf bezweifelt werden. Auch die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates erkannte ja jederzeit an, dass der Bundessicherheitsrat nur dann endgültige Entscheidungen treffen kann, wenn diese nicht explizit der Bundesregierung als Ganzer vorbehalten waren. Und das war zumindest für den Bereich des Kriegswaf-fenkontrollgesetzes zu jeder Zeit klar der Fall.


Große Tragweite

Damit liegt die Frage offen auf dem Tisch, ob es verfassungsgemäß und zulässig ist, wenn der Bundessicherheitsrat abschließend über Rüstungsexportgenehmigungen entscheidet, obwohl dies laut Grundgesetz eigentlich die Bundesregierung als Ganze tun und sich dafür gegenüber dem Parlament verantworten müsste. Mehr noch: Damit steht die Frage im Raum, ob all die früheren Entscheidungen des Bundessicherheitsrates über die Genehmigung von Rüstungsexporten überhaupt (verfassungs)rechtlich einwandfrei zustande kamen. Diese Entscheidung ist von großer Tragweite. Man darf gespannt sein, ob und wie sich das Bundesverfassungsgericht zu diesen Fragen äußert.



ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS


 

Fußnoten:  

[ 1 ] Da die neue Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates erst zwei Monate alt ist, ist in der Praxis noch nicht ganz klar geworden, ob der Vorbereitende Ausschuss der Staatssekretäre aufgrund dieser Formulierung wie bisher vor allem als höchste Ebene der interministeriellen Abstimmung und dazu dienen soll, jene Entscheidungen zu treffen, die die Tagesordnung des Bundessicherheitsrates überfrachten würden oder ob künftig alle Genehmigungsentscheidungen dort getroffen und vom Bundessicherheitsrat nur noch gebilligt oder ggf. missbilligt werden sollen. Es wäre sicher nicht im Sinne der sozialdemokratischen Erfinder der Idee, dass auch Entscheidungen des Vorbereitenden Ausschusses der Staatssekretäre dem Parlament mitgeteilt werden müssen, wenn sich die zweite Lesart so ganz nebenbei in der Praxis durchsetzen sollte. Allerdings wäre es dann ein hervorragendes Beispiel einer „bürokratische Selbstermächtigung“.