Weitere Verzögerungen bei der B61-12
Pentagon glaubt Atomwaffenentwicklern nicht
von Otfried Nassauer
Das Pentagon glaubt nicht, dass die zuständige National Nuclear Security Administration (NNSA) die neue Atombombe B61-12 wie geplant bis 2019 entwickeln kann. Im Verteidigungsministerium geht man dagegen davon aus, dass die erste neue Bombe erst drei Jahre später im Juli 2022 mit 50%iger und erst im Dezember 2023 mit 80%iger Wahrscheinlichkeit fertiggestellt werden könnte. Die Serienproduktion und damit die Stationierung in Europa wäre dann frühestens von 2023-2028 möglich.
Das geht aus einer unabhängigen Kostenschätzung (Independent Cost Assessment) hervor, die das Büro für Kostenstudien und Programm-Evalierung (CAPE) des US-Verteidigungsministeriums im Juli 2012 erstellt hat. Eine Präsentation der Ergebnisse dieser internen Studie wurde jetzt der Union of Concerned Scientists zugespielt und von dieser veröffentlicht.
Die Studie ergab zudem, dass das Verteidigungsministerium von deutlich höheren Kosten für die Entwicklung und Produktion der B61-12 ausgeht. Hatte die NNSA diese zunächst auf knapp 4 Milliarden und dann auf 6,9 Milliarden Dollar geschätzt, so geht das Verteidigungsministerium jetzt davon aus, dass allein auf das Energieministerium Kosten von 10,4 Milliarden Dollar zukommen. Hinzurechnen muss man die separaten Kosten der US-Luftwaffe in Höhe von derzeit rund 1,2 Milliarden Dollar für das neue Heckleitwerk, dass die Bombe zu einer Lenkwaffe machen soll, und für die (elektronischen) Verbindungskomponenten zwischen Bombe und Flugzeug einerseits sowie Bombe und Heckleitwerk andererseits.
In der Gegenrechnung des Pentagons wird beklagt, dass die NNSA bis Juni 2012 keine klare Kostenabschätzung für das Programm vorgelegt hat und zum Beispiel keine ausreichenden Vergleichsdaten für früheren Modernisierungsprogrammen, keine Lebensdauerkostenabschätzung und keine hinreichende technische Risikoabschätzung für die Entwicklung der B61-12 vorgelegt hat. Das zuständige Sandia National Laboratory schätze lediglich, dass der Umfang des Programms drei bis viermal größer sei, als der des laufenden Lebensdauerverlängerungsprogramms für den Sprengkopf W76. Man habe vor, die meistern nicht-nuklearen Komponenten der B61 zu ersetzen und zudem die Nuklearkomponenten zu überarbeiten sowie die Bombe in fünf verschiedene Trägersysteme (B-2-Bomber, F-15E, F-16, Tornado und Joint Strike Fighter) zu integrieren, was erhebliche Zusatzarbeiten und Kosten verursachen werde. Auch seien die Arbeitskosten und deren voraussichtliche Steigerung sowie die Planungen für den erforderlichen Personaleinsatz nicht zuverlässig genug. Die Zeitplanung für das B61-12-Programm sei unrealistisch kurz, wenn man es mit deutlich kleineren Lebensdauerverlängerungsvorhaben der Vergangenheit vergleiche.
Die deutlich höheren zu erwartenden Kosten und die zu erwartenden weiteren Verzögerungen des Programms dürften im Kongress während der kommenden beiden Monate zu erheblichen Diskussionen über die Bereitstellung der erforderlichen Haushaltsmittel für 2013 führen. Pentagon und Energieministerium drohen nach den Präsidentschaftswahlen haushaltsbedingt erhebliche Kürzungen oder sogar lineare Streichungen, falls Kongress und Weißes Haus sich nicht einvernehmlich auf gemeinsame Kürzungen einigen können.
Erstmals benennt das Dokument die 29 Hauptkomponenten der B61, die modernisiert werden sollen und schätzt ab, wie weit deren technische Entwicklung bereits gediehen bzw. noch mit Risiken behaftet sei (vgl. Anhang). Damit legt das Pentagon die Antwort auf etliche Fragen vor, die die Bundesregierung auf Fragen von Bundestagsabgeordneten bislang nie geben wollte oder konnte.
Die Angaben des Pentagons über den Zeitbedarf für das B61-12-Programm dürften realistischer sein, als die Angaben des Energieministeriums und seiner NNSA. Sie sind allerdings auch leichter mit den deutlichen Verzögerungen in Einklang zu bringen, die die US-Luftwaffe in der ersten Jahreshälfte 2012 für die Einführung der nuklearfähigen Variante des Joint Strike Fighters angekündigt hat.
Aus deutscher Sicht werfen diese Verzögerungen immer deutlicher die Frage auf, ob eine Integration der B61-12 in das Trägerflugzeug Tornado überhaupt noch lohnt. Auch wenn der Tornado nach jüngsten Angaben nun „über 2025 hinaus“ genutzt werden soll, und nach vorläufigen Berechnung vielleicht auch über 2030 hinaus genutzt werden kann, muss sich die Bundesregierung fragen, ob eine Integration und Anpassung der neuen Atombombe in dieses Flugzeug noch sinnvoll ist, wenn Außerdienststellung wenige Jahre später bereits ansteht.
Für weitere Informationen zur B61-12 vergleiche: Otfried Nassauer & Gerhard Piper: Atomwaffenmodernisierung in Europa – Das Projekt B61-12, Berlin, Oktober 2012, online: http://www.bits.de/public/pdf/rr-12-1.pdf
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
|