Otfried Nassauer Endlich konnte Javier Solana Erfolg vermelden. Als der Hohe Repräsentant für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU am 16. Dezember vor die Presse trat und verkündete, dass Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit von NATO und EU könne in Kraft treten, da lagen ein hartes Stück Arbeit und ein bizarrer politischer Streit hinter ihm. Denn die Türkei und streckenweise auch Griechenland hatten ein solches Abkommen immer wieder blockiert und damit die Möglichkeit der EU, durch den Rückgriff auf Ressourcen der NATO eigenständige Kriseneinsätze frühzeitig durchführen zu können. Für Monate schien es, als werde der Streit gar verhindern, dass die EU ihre 60.000 Männer und Frauen starken militärischen Krisenkräfte Anfang 2003 termingerecht einsatzfähig erklären könnte. Eine politische Blamage drohte.Ankara hatte auf zwei Feldern Bedingungen gestellt und mit seinem Veto in derNATO gedroht. Da war zunächst der NATO-EU-Vertrag, der der EU einen garantierten Zugang zu den Planungskapazitäten und militärischen Fähigkeiten der NATO sichern soll. Hier konnte zwar Einigkeit erzielt werden, dass bei Operationen, bei denen die EU auf NATO-Fähigkeiten zurückgreift, auch alle NATO-Staaten das Recht auf Beteiligung und Mitsprache haben. Strittig bleib allerdings, was geschieht, wenn die EU autonom agiert, d.h. die Fähigkeiten der NATO nicht in Anspruch nimmt. Die Türkei wünschte auch für einen solchen Fall ein Mitspracherecht u.a. wegen der Streitigkeiten in der Ägäis und um Zypern. Griechenland zur Zeit zuständig für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU - drohte mit seinem Veto, wenn die türkischen Forderungen erfüllt würden. Zum zweiten ging es um das Sicherheitsabkommen zwischen der NATO und der EU, mit dem militärische Geheimnisse der Allianz geschützt werden sollen. Der Abschluss dieses Abkommens ist Voraussetzung dafür, dass die EU die Mazedonien-Mission übernehmen kann. Denn dort würde sie mit NATO-Kommandobehörden zusammenarbeiten und auf Aufklärungsergebnisse der NATO zurückgreifen. Auch hier drohte die Türkei mit ihrem Veto. Ankara forderte, dieses Abkommen solle nur für jene Staaten gelten, die heute Mitglied der EU sind. Die Gültigkeit des Abkommens für die EU-Beitrittskandidaten sollte unter Zustimmungsvorbehalt der NATO bleiben. Mithin, unter türkischem Vorbehalt. Denn Zypern ist Kandidat für den EU-Beitritt und der neue UNO-Friedensplan, der eine Wiedervereinigung Zyperns und den EU-Beitritt für ganz Zypern ermöglichen soll, ist von Ankara noch nicht akzeptiert. Die Türkei selbst drängt seit langem, endlich eine zeitlich klare Beitrittsperspektive zur EU eröffnet zu bekommen. Dann die Lösung: Nachdem der Kopenhagener EU-Gipfel der Türkei eine Entscheidung über Beitrittsgespräche im Dezember 2004 und weitere Finanzhilfen in Aussicht gestellt hatte, gab Ankara in der Frage der Mitspracherechte nach. Beim Sicherheitsabkommen stimmte man einem Kompromiss zu, der den Türken erlaubte, das Gesicht zu wahren. Das Abkommen gilt nur für die neuen Mitglieder, die NATO-Partner sind oder in der Bündnis-Initiative "Partnerschaft für den Frieden" mitmachen. Es gilt also nicht für Malta und Zypern. Damit war die Kuh in letzter Minute vom Eis. Nun kann die EU erstmals Krisenmanagement-Operationen in eigener Verantwortung durchführen und ihre Krisenkräfte einsatzbereit erklären. Solana kündigte das schon für die nahe Zukunft an: Ende Februar sei die EU bereit, die NATO-Mission "Allied Harmony" in Mazedonien zu übernehmen. Prüfen wolle man dann auch, ob neben der internationalen Polizeimission in Bosnien-Herzegowina auch die SFOR-Operation von der NATO übernommen werden kann. Der EU-Gipfel in Kopenhagen hatte dazu vorsorglich schon einmal seine Bereitschaft erklärt. Ist damit alles wieder auf bestem Wege? Wird die EU nach endlosen Blockaden nun doch noch ein eigenständiger sicherheitspolitischer Akteur? Aus drei Gründen ist Skepsis angebracht: Erstens darf bezweifelt werden, dass die EU gesichert und jederzeit auf die Fähigkeiten der NATO zurückgreifen kann, wenn die Allianz in einem Konflikt nicht aktiv werden will, die EU dazu aber bereit ist. Die Abkommen mit der NATO sind weiterentwickelte Versionen der WEU-NATO-Abkommen. Auch in ihnen dürfte eine Politik festgeschrieben sein, die im Zweifelsfall der NATO den Vorrang sichert. Bei konkurrierenden Anforderungen im Blick auf den Zugriff auf die gleichen Ressourcen hätte die EU das Nachsehen, auch wenn dadurch eine laufende EU-Operation gefährdet würde. Zweitens verschärft sich mit den Beschlüssen des Prager NATO-Gipfels die Konkurrenz um die militärischen Ressourcen. Wird beispielsweise die NATO-Response-Force wie beschlossen umgesetzt, so werden EU-Mitglieder, die zugleich in der NATO sind, ihre besten Fähigkeiten in vielen Fällen für die Allianz bereitstellen oder bereithalten müssen. Damit aber stehen sie nur selten für EU-Operationen zur Verfügung. Im Rahmen der Prager Fähigkeitsverpflichtungen entstehen zudem im NATO-Kontext zusätzliche militärische Kapazitäten, auf die die EU bei Durchführung ihrer Operationen angewiesen sein könnte. Die Folge: Die EU könnte künftig auf die NATO noch mehr angewiesen sein als bisher, obwohl EU-Mitglieder den Löwenanteil der neuen Fähigkeiten der NATO bereitstellen bzw. bezahlen sollen. Und schließlich: Schon bei Übernahme der Friedensmission in Mazedonien wird sich zeigen, ob die EU nur in Lastenteilung NATO-Aufgaben übernimmt oder auch zu eigenständigem politischen Handeln bereit ist. Die für Mazedonien wichtige, stabilisierende Mission wurde zwar von der NATO um sechs Monate verlängert, jedoch zugleich von heute rund 800 Soldaten auf 450 verringert. Mazedonien wurde der sicherheitspolitisch wichtigste Wunsch abgeschlagen: Die NATO-Operation "Allied Harmony" übernimmt nicht die Überwachung der Grenzen zu Albanien und zum Kosovo, über die immer wieder Bewaffnete nach Mazedonien eindringen. Wird die EU dazu bereit sein? Während sich die Europäer zur Zeit mit der praktischen Ausgestaltung der heutigen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik plagen, hat an anderer Stelle längst der Kampf um die politisch-strategische Vorherrschaft über die nächste Ausbaustufe der sicherheitspolitischen Integration Europas begonnen. Im Europäischen Konvent, jener Versammlung, die eine Europäische Verfassung und die Regierungskonferenz zur Fortschreibung des Vertrages über die Europäische Union im Jahre 2004 vorbereiten soll, wird über die rechtliche Basis für eine Europäische Verteidigungspolitik und eine integrierte Außen- und Sicherheitspolitik gestritten. Nicht zuletzt um in dieser Debatte als Schwergewicht mitzumischen, hat sich Bundesaußenminister Fischer nach der Bundestagswahl als Vertreter der Bundesregierung in den Konvent entsenden lassen. Dort wird diskutiert, ob die EU die sogenannten Petersberg-Aufgaben neu fassen oder aber breiter definieren soll. Zu den Petersberg-Aufgaben gehören u.a. Friedenserhaltende Missionen, Evakuierungsmaßnahmen, aber auch Kampfeinsätze. Der Konvent debattiert, ob die Union oder zumindest der Teil ihrer Mitglieder, der dazu bereit ist künftig auch im Bereich der kollektiven Verteidigung zusammenarbeiten darf; ob und in welcher Form die militärische Beistandsverpflichtung des WEU-Vertrages in den Vertrag über die EU überführt werden soll. Hier wird überlegt, in welchem Umfang auch in der Außen- und Sicherheitspolitik künftig Mehrheitsentscheidungen möglich sein sollten. Im Konvent geht es darum, ob die Union künftig auch die Rüstungsindustrie in den gemeinsamen Markt überführt, ob sie militärische Forschungs- und Entwicklungsvorhaben finanzieren soll oder gar Beschaffungen von Rüstungsgütern für gemeinsame Fähigkeiten vornehmen soll, ob es eine europäische Rüstungsplanung und eine europäische Rüstungsbeschaffungsbehörde geben soll. Der Konvent diskutiert auch, für welche Teile der außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit künftig die Kommission unter Aufsicht des Europaparlaments zuständig sein soll, und für welche Teile der Europäische Rat, also letztlich die nationalen Regierungen. Mit anderen Worten: Hier geht es um große Politik, die Perspektive und die Strategie der europäischen Integration, um künftige Zuständigkeiten und damit um Machtverteilung und den Umfang demokratischer Kontrollmöglichkeiten. Kein Wunder also, dass darüber die Probleme bei der Ausgestaltung der konkreten Krisenmanagement-Fähigkeiten in den Hintergrund treten.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
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