Eskalation im Atomstreit mit dem Iran - Gewaltfreies Ende der Krise immer
unwahrscheinlicher?
von Otfried Nassauer
Seit der iranischen Ankündigung, neben der Urankonversion auch die Atomforschung
teilweise wieder aufzunehmen, vergeht kaum ein Tag ohne deutliche Warnungen und Drohungen.
Die EU-Unterhändler wollen die Angelegenheit jetzt vor den Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen bringen. Amerikas Außenministerin, Condolezza Rice, sprang ihnen zur Seite,
nicht ohne zu betonen, dass militärische Maßnahmen möglich sind. Israel beeilte sich,
gleich ein ganzes Paket von Sanktionen gegen den Iran vorzuschlagen, das der
Sicherheitsrat jetzt schnell beschließen müsse. Frankreichs Präsident Chirac erklärte,
die französischen Atomwaffen dienten künftig auch zur Abschreckung von Staaten, die
Terroristen unterstützten. Selbst der bislang zurückhaltend agierende Chef der IAEO, al
Baradei, ließ sich zu einer Stellungnahme hinreißen, die manch einer als Drohung mit
militärischen Mitteln interpretierte.
Was aber steckt hinter dieser raschen Eskalation, die den deutschen Außenminister
Steinmeier veranlasste, vor einer "Militarisierung" des Denkens zu warnen? Geht
es um die propagandistische Vorbereitung der Öffentlichkeit auf einen weiteren
Waffengang? Sind die scharfen Töne Ausdruck von Selbstbewusstsein und Stärke? Soll am
Iran ein Exempel in Sachen einer neuen Nichtverbreitungspolitik statuiert werden? Oder
verstecken sich hinter dem verbalen Radikalismus Anzeichen von Hilflosigkeit und Trotz,
weil es nicht gelingt, den Iran zum Einlenken zu zwingen?
Soviel scheint sicher: Die wachsende Nervosität resultiert nicht nur daraus, dass der
Iran seine freiwillig unterbrochenen Nuklearaktivitäten schrittweise wieder aufnimmt. Sie
ergibt sich auch daraus, dass der Iran konsequent bei seinen Positionen bleibt, sich das
Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen lässt, Ankündigungen in die Tat umsetzt und
offensichtlich weiterhin aus einer gewissen Position der Stärke agiert. Teheran scheint
taktisch besser aufgestellt zu sein als die EU, die USA und andere Kritiker der iranischen
Regierung. Klare Beweise für aktuelle Verstöße des Landes gegen seine Verpflichtungen
aus dem Atomwaffensperrvertrag und den Safeguard-Abkommen können die Kritiker bislang
nicht vorweisen. Indizien und ungeklärte Fragen können Beweise nicht ersetzen. Ältere
Verstöße, die inzwischen korrigiert wurden, können heute ein scharfes politisches oder
gar militärisches Vorgehen kaum rechtfertigen. Etliche Drohungen an die Adresse Teherans
erscheinen undurchdacht und wenig glaubwürdig. Schon die Forderung nach Sanktionen
könnte im Sicherheitsrat auf ein Veto stoßen. Die Schärfe, mit der gegenwärtig eine
weitere Eskalation angedroht wird, beruht nicht zwingend auf Stärke, Glaubwürdigkeit,
beweisbaren Fakten und einer konsistenten Position der Kritiker. Sie kann durchaus auch
ein Ausdruck von Hilflosigkeit und der Angst sein, das Gesicht zu verlieren.
Dann wären die scharfen Töne ein Zeichen dafür, dass in Europa insgeheim die Zweifel
wachsen, ob der Verhandlungsansatz für die Gespräche mit dem Iran richtig gewählt
wurde. Zweifel, ob Erfolg noch möglich ist. Zweifel, ob am Ende der amerikanische Weg
militärischer Drohungen allein deshalb mitgegangen werden muss, weil die diplomatischen
Wege Europas nicht oder nicht rechtzeitig zum Ziel geführt haben.
Der europäische Ansatz war und ist problematisch. Die EU trat in weiten Teilen als
Anwalt der Forderungen der USA und Israels auf. Substantielle Gegenleistungen beider
Staaten konnte sie dem Iran dagegen auch für den Fall einer iranischen Bereitschaft zum
Einlenken nicht versprechen. Im Gegenteil: Die EU-Staaten stehen bei Washington im Wort,
den Streit über den Iran aktiv in den Sicherheitsrat zu tragen, falls das Land nicht
einlenkt. Das war der Preis dafür, dass Washington damals dem Wunsch der Europäer
nachkam, der Diplomatie eine Chance zu geben. Die Rolle eines ehrlichen Maklers auf der
ergebnisoffenen Suche nach einem Kompromiss war den EU-Staaten damit von Anfang an
verwehrt.
Schnell zeigte sich: Der Iran ist auch bei massivem Druck nicht bereit, Eingriffe in
seine Souveränität und Beschränkungen seines Rechts zur zivilen Nutzung der Atomenergie
zuzulassen. Er akzeptiert weder einseitige rechtliche Verpflichtungen noch einen Verzicht,
den kein anderer Staat bislang eingehen musste. Die Gegenleistungen, die die EU ihm bieten
wollte und konnte, waren aus iranischer Sicht entweder unzulänglich oder zu
unverbindlich. Sie waren nicht geeignet, das iranische Sicherheitsdilemma über
glaubwürdige Sicherheitsgarantien aufzubrechen und das Land aus der politischen Isolation
herauszuführen.
Für Europa steht derzeit viel auf dem Spiel. Der Versuch, mit einer eigenen,
nicht-militärisch orientierten Strategie zur Bekämpfung der Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen das schwächelnde Nichtverbreitungsregime wieder zu stärken,
könnte gleich im ersten Praxistest scheitern. Es würde zerrieben zwischen dem iranischen
Anspruch auf Gleichbehandlung und dem Anspruch der USA, festlegen zu können, wer die
Kernenergie in welchem Umfang nutzen darf. Die Stärkung des internationalen Rechts würde
dem Recht des Stärkeren geopfert. Der Anspruch, bei Proliferationsverdacht notfalls
militärisch zu Handeln, hätte sich durchgesetzt.
Doch ganz so schnell wie derzeit gefordert, wird der Fall Iran wohl doch noch nicht vor
dem Sicherheitsrat landen. Der Chef der Atomenergiebehörde IAEO al-Baradei will die
Fristen, die er dem Iran zur Auskunftserteilung und Aufklärung gesetzt hat, nicht
verkürzen. Er will seinen nächsten Bericht wie geplant erst am 6. März vorlegen.
Russland und China halten wenig von der Idee, jetzt in den Sicherheitsrat zu gehen, da
für den 18. Februar weitere Gespräche über den russischen Kompromissvorschlag einer
gemeinsamen Urananreicherung in Russland angesetzt sind. Der Gouverneursrat der IAEO hat
eine neue, für die Iran-Kritiker weniger günstige Zusammensetzung. Und mancher stellt
sich die Frage, ob die Causa Iran wenn sie erst einmal vor dem Sicherheitsrat ist
angesichts des Vetorechtes der USA jemals wieder zur IAEO zurückverlagert werden
könnte?
Kommt der Iran jetzt vor den Sicherheitsrat, so würde dies allen Beteiligten schaden.
Die IAEO müsste unter politisch motiviertem Zeitdruck ein Urteil über den Iran fällen.
Damit stiege das Risiko, dass die Atomenergiebehörde falsch, auf unvollständiger
Faktenbasis oder gar unter politischem Druck urteilt und Glaubwürdigkeit einbüßt. Die
EU wäre gescheitert. Die USA müssten entscheiden, ob sie wirklich Krieg führen wollen.
Alle Kritiker Teherans verlören das wohl effektivste Instrument zur Kontrolle des
iranischen Atomprogramms. Das Parlament in Teheran hat die eigene Regierung mit
überwältigender Mehrheit verpflichtet, auch die Unterschrift unter das Zusatzprotokoll
zum Safeguard-Abkommen mit der IAEO in diesem Fall zurückzunehmen. Das entzöge der IAEO
vielleicht sogar die Möglichkeit, festzustellen, ob das iranische Atomprogramm nur
zivilen oder auch militärischen Zwecken dient. Der Iran schließlich käme noch mehr
unter Druck und müsste mit einem Angriff rechnen.
Zu hoffen ist, dass die verbleibende Zeit von allen Beteiligten konstruktiv genutzt
wird. Der Iran ist gefordert, sich um größtmögliche Transparenz bei der Aufklärung
offener Fragen zu bemühen. Die EU und der Iran sollten prüfen, ob sie für ihre
Verhandlungen einen neuen Ansatz entwickeln können, der beide Seiten aus der aktuellen
Sackgasse und den festgefahrenen Positionen herausführt und Raum für Kompromisse,
Lösungen und Gesichtswahrung lässt. Und die USA und Israel sollten sich fragen, mit
welchen eigenen Beiträgen sie dazu beitragen können, dass der Iran gesichtswahrend einem
Kompromiss zustimmen kann.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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