Streitkräfte und Strategien - NDR info
22. Oktober 2005


Einsatz in rechtlicher Grauzone?
Sanitätssoldaten der Bundeswehr in Afghanistan

von Jürgen Rose

Nur wenige Monate ist es her, da erteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig der rot-grünen Bundesregierung eine schallende Ohrfeige, vor allem wegen der deutschen Unterstützungsleistungen für den britisch-amerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak vor zweieinhalb Jahren. Denn gegen diese Maßnahmen erhoben die Richter "gravierende völkerrechtliche Bedenken" als sie in ihrem Urteilsspruch den Bundeswehrmajor Florian Pfaff vom Vorwurf der Gehorsamsverweigerung freisprachen.

Die schriftliche Urteilsbegründung ist noch nicht umfassend geprüft, da steht dem Bundesministerium der Verteidigung wiederum Ärger wegen zweifelhaften Umgangs mit dem Völkerrecht ins Haus – diesmal geht es um das humanitäre Kriegsvölkerrecht. Dieses zählen die Völkerrechtler zum sogenannten "ius cogens", das heißt zum immer und überall zwingend einzuhaltenden Recht. Auslöser für die neuerlichen juristischen Auseinandersetzungen ist der Einsatz von Sanitätspersonal der Bundeswehr für Wach- und Sicherungsdienste, die sogenannte Lagersicherung, in Afghanistan. Dabei geht es nicht um die Bewachung ausschließlich von Sanitätseinrichtungen, wie zum Beispiel eines Feldlazaretts, die völkerrechtlich durchaus zulässig ist, sondern um die umfassende militärische Absicherung der Garnisonen der multinationalen Streitkräfte. Hierfür wurden Sanitätssoldaten sogar am Maschinengewehr als Kämpfer eingesetzt, nachdem ihnen zuvor das Ablegen der Rotkreuzarmbinden befohlen worden war. Besonders markant ist der Fall einer Sanitätssoldatin im Dienstgrad Hauptfeldwebel. Sie wurde angewiesen, die Personenkontrolle von afghanischen Frauen durchzuführen, die im ISAF-Lager Camp Warehouse in Kabul als lokale Arbeitskräfte beschäftigt sind. Hierzu sollte sie ebenfalls ihre Rotkreuzarmbinde ablegen. Deswegen wurde die Sanitätssoldatin bei dem eingeteilten Sicherungszugführer vorstellig, einem Oberleutnant. Die Sanitäterin teilte dem Offizier mit, sie sei im Sinne des humanitären Völkerrechts Nichtkombattant. Und daher dürfte sie für Sicherungsaufgaben gar nicht eingesetzt werden, weil dies nämlich eine verbotene Kombattantentätigkeit darstelle. Allein für diese Meldung und für den damit verbundenen Versuch, sich an die Bestimmungen der Genfer Konventionen zu halten, wurde die Soldatin mit einer Disziplinarbuße von 800 Euro belegt und "repatriiert". Das bedeutet, sie wurde strafweise nach Deutschland zurückkommandiert. Die Begründung für diese Bestrafung wirkt bizarr: Sie hätte mit ihrem Verhalten den Sicherungszugführer verunsichert, ihn von seinen Aufgaben abgehalten und so den ordnungsgemäßen Dienstablauf behindert. Das Fatale an einer derartigen Vorgehensweise liegt darin, dass Soldaten hierdurch abgeschreckt werden, sich mit den rechtlichen oder auch moralischen Auswirkungen ihres Handelns auseinander zu setzen. Die Beschwerde der Soldatin gegen diese disziplinare Maßregelung wurde vom zuständigen Truppendienstgericht abgewiesen. Dessen merkwürdige Begründung lautete im Kern - Zitat: "Ihr musste klar sein, dass der Sicherungszugführer diese Frage nicht sofort klären konnte und sie hat diesen damit bewusst instrumentalisiert." Weil sie nämlich, so das Gericht, die Angelegenheit bereits drei Tage zuvor schriftlich an ihren Disziplinarvorgesetzten gemeldet und darauf noch keinen Bescheid erhalten hätte. Das Gericht sah darin einen – Zitat – "Missbrauch ihrer Rechte zu Lasten eines Kameraden". Es warf der Soldatin vor, den Dienstbetrieb gestört zu haben, und attestierte der Sanitäterin obendrein, dass ihr Handeln "ein bedenkliches Licht auf ihren Charakter" werfe.

Keine Anstrengung verschwendete das Truppendienstgericht im Laufe der Verhandlung allerdings auf die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von Sanitätssoldaten der Bundeswehr zu Wach- und Sicherungsaufgaben im Rahmen internationaler Einsätze. Dabei spielt diese Frage eine zentrale Rolle im humanitären Völkerrecht. Denn in den vier Genfer Abkommen von 1949 sowie den beiden Zusatzprotokollen aus dem Jahr 1977 wird das Sanitätspersonal unter strikten Schutz gestellt. Demnach muss es "unter allen Umständen geschont und geschützt werden". Voraussetzung ist allerdings, dass Sanitäter – so wörtlich - "ausschließlich zum Aufsuchen, zur Bergung, Beförderung oder Behandlung von Verwundeten und Kranken oder zur Verhütung von Krankheiten sowie ausschließlich zur Verwaltung von Sanitätseinheiten und -einrichtungen" verwendet werden. Keinesfalls darf Sanitätspersonal "gezwungen werden, Aufgaben zu übernehmen, die mit seinem humanitären Auftrag unvereinbar sind". Leisten Sanitätssoldaten andere militärische Dienste, verlieren sie den ihnen garantierten Schutzstatus. Dann werden sie zu Kombattanten und dürfen angegriffen werden, so wie jeder andere Soldat in einem bewaffneten Konflikt auch.

Nach der Genfer Konvention müssen die Angehörigen der Sanitätstruppe mit dem international anerkannten Schutzzeichen in Form einer Rot-Kreuz-Armbinde gekennzeichnet werden und zusätzlich eine spezielle Ausweiskarte bei sich tragen. Wörtlich heißt es in Art. 40, Absatz 4 des I. Genfer Abkommens: "In keinem Fall dürfen dem oben erwähnten Personal die Abzeichen oder die Ausweiskarte abgenommen oder das Recht zum Tragen der Armbinde entzogen werden." Aber auch freiwillig können die Sanitäter ihren Schutzstatus nicht aufgeben, denn in Art. 7 der Konvention ist zu lesen: "Die Verwundeten und Kranken sowie die Mitglieder des Sanitäts- und Seelsorgepersonals können in keinem Falle, weder teilweise noch vollständig, auf die Rechte verzichten, die ihnen das vorliegende Abkommen verleiht."

Eigentlich eine glasklare und unmissverständliche Rechtslage, vermutet der unvoreingenommene Betrachter. Aber weit gefehlt. Denn die Rechtsberater im Referat R II 3 des Verteidigungsministeriums glauben, ein juristisches Hintertürchen gefunden zu haben, durch das sie den völkerrechtlichen Verpflichtungen entkommen könnten. Spitzfindig behaupten sie nämlich, dass "die Bundesrepublik Deutschland sich durch die Teilnahme am ISAF-Einsatz nicht in einem internationalen bewaffneten Konflikt befindet". Und weil, so die Verteidigungsministerialen weiter, "außerhalb des internationalen bewaffneten Konflikts eine Differenzierung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten nicht stattfindet, stellt der Einsatz von Sanitätspersonal zur Sicherung des Feldlagers keinen Verstoß gegen die Regelungen des humanitären Völkerrechts dar". In der Tat agiert die ISAF in Afghanistan nicht im Rahmen eines zwischen Staaten ausgetragenen Konflikts. Allerdings scheint den Rechtsexperten des Ministeriums die Ziffer 211 der Zentralen Dienstvorschrift 15/2 entgangen zu sein, die da lautet: "Ebenso wie ihre Verbündeten beachten die Soldaten der Bundeswehr die Regeln des humanitären Völkerrechts bei militärischen Operationen in allen bewaffneten Konflikten, gleichgültig welcher Art." Völlig eindeutig ist auch die Haltung der UNO zu dieser Frage. Bereits 1999 hat der UN-Generalsekretär nämlich verfügt – Zitat: "Die Grundprinzipien und Grundregeln des humanitären Völkerrechts finden Anwendung auf Truppen der Vereinten Nationen, soweit und solange sie in Situationen des bewaffneten Konflikts als Kombattanten aktiv an dem Konflikt beteiligt sind. Sie finden demzufolge Anwendung bei Zwangsmaßnahmen oder bei Friedensoperationen, wenn der Einsatz von Gewalt zur Selbstverteidigung gestattet ist." Zitat Ende. Und da die ISAF mit einem robusten Mandat des UN-Sicherheitsrates und in seinem Auftrag als Friedenstruppe in Afghanistan agiert, hat sie diese Verfügung selbstverständlich zu beachten.

Angesichts dieser Rechtslage könnte sich das scheinbare Hintertürchen der Hardthöhen-Advokaten unversehens als Fallgrube entpuppen. Denn die geschurigelte Frau Hauptfeldwebel der Sanitätstruppe hat gegen den ihrer Auffassung nach völkerrechtswidrigen Einsatz als Kombattantin mittlerweile Rechtsmittel eingelegt. Der Fall ist damit auf dem Weg zum zuständigen Bundesverwaltungsgericht. Man darf gespannt sein, ob die Leipziger Richter erneut eine Lanze für das Völkerrecht brechen werden.


 

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.