Einsatz in rechtlicher Grauzone?
Sanitätssoldaten der Bundeswehr in Afghanistan
von Jürgen Rose
Nur wenige Monate ist es her, da erteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig der
rot-grünen Bundesregierung eine schallende Ohrfeige, vor allem wegen der deutschen
Unterstützungsleistungen für den britisch-amerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak
vor zweieinhalb Jahren. Denn gegen diese Maßnahmen erhoben die Richter "gravierende
völkerrechtliche Bedenken" als sie in ihrem Urteilsspruch den Bundeswehrmajor
Florian Pfaff vom Vorwurf der Gehorsamsverweigerung freisprachen.
Die schriftliche Urteilsbegründung ist noch nicht umfassend geprüft, da steht dem
Bundesministerium der Verteidigung wiederum Ärger wegen zweifelhaften Umgangs mit dem
Völkerrecht ins Haus diesmal geht es um das humanitäre Kriegsvölkerrecht. Dieses
zählen die Völkerrechtler zum sogenannten "ius cogens", das heißt zum immer
und überall zwingend einzuhaltenden Recht. Auslöser für die neuerlichen juristischen
Auseinandersetzungen ist der Einsatz von Sanitätspersonal der Bundeswehr für Wach- und
Sicherungsdienste, die sogenannte Lagersicherung, in Afghanistan. Dabei geht es nicht um
die Bewachung ausschließlich von Sanitätseinrichtungen, wie zum Beispiel eines
Feldlazaretts, die völkerrechtlich durchaus zulässig ist, sondern um die umfassende
militärische Absicherung der Garnisonen der multinationalen Streitkräfte. Hierfür
wurden Sanitätssoldaten sogar am Maschinengewehr als Kämpfer eingesetzt, nachdem ihnen
zuvor das Ablegen der Rotkreuzarmbinden befohlen worden war. Besonders markant ist der
Fall einer Sanitätssoldatin im Dienstgrad Hauptfeldwebel. Sie wurde angewiesen, die
Personenkontrolle von afghanischen Frauen durchzuführen, die im ISAF-Lager Camp Warehouse
in Kabul als lokale Arbeitskräfte beschäftigt sind. Hierzu sollte sie ebenfalls ihre
Rotkreuzarmbinde ablegen. Deswegen wurde die Sanitätssoldatin bei dem eingeteilten
Sicherungszugführer vorstellig, einem Oberleutnant. Die Sanitäterin teilte dem Offizier
mit, sie sei im Sinne des humanitären Völkerrechts Nichtkombattant. Und daher dürfte
sie für Sicherungsaufgaben gar nicht eingesetzt werden, weil dies nämlich eine verbotene
Kombattantentätigkeit darstelle. Allein für diese Meldung und für den damit verbundenen
Versuch, sich an die Bestimmungen der Genfer Konventionen zu halten, wurde die Soldatin
mit einer Disziplinarbuße von 800 Euro belegt und "repatriiert". Das bedeutet,
sie wurde strafweise nach Deutschland zurückkommandiert. Die Begründung für diese
Bestrafung wirkt bizarr: Sie hätte mit ihrem Verhalten den Sicherungszugführer
verunsichert, ihn von seinen Aufgaben abgehalten und so den ordnungsgemäßen Dienstablauf
behindert. Das Fatale an einer derartigen Vorgehensweise liegt darin, dass Soldaten
hierdurch abgeschreckt werden, sich mit den rechtlichen oder auch moralischen Auswirkungen
ihres Handelns auseinander zu setzen. Die Beschwerde der Soldatin gegen diese disziplinare
Maßregelung wurde vom zuständigen Truppendienstgericht abgewiesen. Dessen merkwürdige
Begründung lautete im Kern - Zitat: "Ihr musste klar sein, dass der
Sicherungszugführer diese Frage nicht sofort klären konnte und sie hat diesen damit
bewusst instrumentalisiert." Weil sie nämlich, so das Gericht, die Angelegenheit
bereits drei Tage zuvor schriftlich an ihren Disziplinarvorgesetzten gemeldet und darauf
noch keinen Bescheid erhalten hätte. Das Gericht sah darin einen Zitat
"Missbrauch ihrer Rechte zu Lasten eines Kameraden". Es warf der Soldatin vor,
den Dienstbetrieb gestört zu haben, und attestierte der Sanitäterin obendrein, dass ihr
Handeln "ein bedenkliches Licht auf ihren Charakter" werfe.
Keine Anstrengung verschwendete das Truppendienstgericht im Laufe der Verhandlung
allerdings auf die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von
Sanitätssoldaten der Bundeswehr zu Wach- und Sicherungsaufgaben im Rahmen internationaler
Einsätze. Dabei spielt diese Frage eine zentrale Rolle im humanitären Völkerrecht. Denn
in den vier Genfer Abkommen von 1949 sowie den beiden Zusatzprotokollen aus dem Jahr 1977
wird das Sanitätspersonal unter strikten Schutz gestellt. Demnach muss es "unter
allen Umständen geschont und geschützt werden". Voraussetzung ist allerdings, dass
Sanitäter so wörtlich - "ausschließlich zum Aufsuchen, zur Bergung,
Beförderung oder Behandlung von Verwundeten und Kranken oder zur Verhütung von
Krankheiten sowie ausschließlich zur Verwaltung von Sanitätseinheiten und
-einrichtungen" verwendet werden. Keinesfalls darf Sanitätspersonal "gezwungen
werden, Aufgaben zu übernehmen, die mit seinem humanitären Auftrag unvereinbar
sind". Leisten Sanitätssoldaten andere militärische Dienste, verlieren sie den
ihnen garantierten Schutzstatus. Dann werden sie zu Kombattanten und dürfen angegriffen
werden, so wie jeder andere Soldat in einem bewaffneten Konflikt auch.
Nach der Genfer Konvention müssen die Angehörigen der Sanitätstruppe mit dem
international anerkannten Schutzzeichen in Form einer Rot-Kreuz-Armbinde gekennzeichnet
werden und zusätzlich eine spezielle Ausweiskarte bei sich tragen. Wörtlich heißt es in
Art. 40, Absatz 4 des I. Genfer Abkommens: "In keinem Fall dürfen dem oben
erwähnten Personal die Abzeichen oder die Ausweiskarte abgenommen oder das Recht zum
Tragen der Armbinde entzogen werden." Aber auch freiwillig können die Sanitäter
ihren Schutzstatus nicht aufgeben, denn in Art. 7 der Konvention ist zu lesen: "Die
Verwundeten und Kranken sowie die Mitglieder des Sanitäts- und Seelsorgepersonals können
in keinem Falle, weder teilweise noch vollständig, auf die Rechte verzichten, die ihnen
das vorliegende Abkommen verleiht."
Eigentlich eine glasklare und unmissverständliche Rechtslage, vermutet der
unvoreingenommene Betrachter. Aber weit gefehlt. Denn die Rechtsberater im Referat R II 3
des Verteidigungsministeriums glauben, ein juristisches Hintertürchen gefunden zu haben,
durch das sie den völkerrechtlichen Verpflichtungen entkommen könnten. Spitzfindig
behaupten sie nämlich, dass "die Bundesrepublik Deutschland sich durch die Teilnahme
am ISAF-Einsatz nicht in einem internationalen bewaffneten Konflikt befindet". Und
weil, so die Verteidigungsministerialen weiter, "außerhalb des internationalen
bewaffneten Konflikts eine Differenzierung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten
nicht stattfindet, stellt der Einsatz von Sanitätspersonal zur Sicherung des Feldlagers
keinen Verstoß gegen die Regelungen des humanitären Völkerrechts dar". In der Tat
agiert die ISAF in Afghanistan nicht im Rahmen eines zwischen Staaten ausgetragenen
Konflikts. Allerdings scheint den Rechtsexperten des Ministeriums die Ziffer 211 der
Zentralen Dienstvorschrift 15/2 entgangen zu sein, die da lautet: "Ebenso wie ihre
Verbündeten beachten die Soldaten der Bundeswehr die Regeln des humanitären
Völkerrechts bei militärischen Operationen in allen bewaffneten Konflikten,
gleichgültig welcher Art." Völlig eindeutig ist auch die Haltung der UNO zu dieser
Frage. Bereits 1999 hat der UN-Generalsekretär nämlich verfügt Zitat: "Die
Grundprinzipien und Grundregeln des humanitären Völkerrechts finden Anwendung auf
Truppen der Vereinten Nationen, soweit und solange sie in Situationen des bewaffneten
Konflikts als Kombattanten aktiv an dem Konflikt beteiligt sind. Sie finden demzufolge
Anwendung bei Zwangsmaßnahmen oder bei Friedensoperationen, wenn der Einsatz von Gewalt
zur Selbstverteidigung gestattet ist." Zitat Ende. Und da die ISAF mit einem robusten
Mandat des UN-Sicherheitsrates und in seinem Auftrag als Friedenstruppe in Afghanistan
agiert, hat sie diese Verfügung selbstverständlich zu beachten.
Angesichts dieser Rechtslage könnte sich das scheinbare Hintertürchen der
Hardthöhen-Advokaten unversehens als Fallgrube entpuppen. Denn die geschurigelte Frau
Hauptfeldwebel der Sanitätstruppe hat gegen den ihrer Auffassung nach
völkerrechtswidrigen Einsatz als Kombattantin mittlerweile Rechtsmittel eingelegt. Der
Fall ist damit auf dem Weg zum zuständigen Bundesverwaltungsgericht. Man darf gespannt
sein, ob die Leipziger Richter erneut eine Lanze für das Völkerrecht brechen werden.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt
in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
|