Kontinuität oder Neuorientierung?
Die Bundeswehr und die große Koalition
von Otfried Nassauer
Der Berg hat gekreist und geboren wurde ein Koalitionsvertrag von sage und schreibe
mehr als 100 Seiten Länge. Die Außen-, Sicherheits- und Entwick-lungspolitik steht auf
den letzten Seiten zwölf an der Zahl. Viel Platz, um deutlich zu machen, wohin die
sicherheitspolitische Reise unter schwarz-roter Flagge nun gehen soll. Was also wird sich
konkret ändern? Wo soll Kurs gehal-ten werden?
Klar ist: Das Verteidigungsministerium geht vom Sozialdemokraten Peter Struck auf den
hessischen Unionspolitiker Franz Josef Jung über. Zwei Dinge haben beide gemeinsam: Sie
sind Juristen und bis zum Zeitpunkt ihres Amts-antritts sicherheitspolitisch nicht
auffällig in Erscheinung getreten. Peter Struck hat vorgemacht, dass beides kein Nachteil
sein muss. In seiner Amtszeit ver-ordnete er der Bundeswehr längst überfällige Reformen
- und vor allem brachte er die Notwendigkeit dieser Veränderungen im Verbund mit
Generalinspek-teur Schneiderhan den Soldaten auch nahe. Nur so ist es zu erklären,
dass Struck von den üblichen Skandalen verschont und in der Truppe zugleich wohlgelitten
blieb. Ob dies auch für seinen Nachfolger gelten wird, muss sich erst noch zeigen. Heute
weiß man vor allem eines: Jung nimmt am Kabinetts-tisch für Roland Koch Platz, den
mächtigen CDU-Landesfürsten aus Hessen, den er in der Affäre um die hessischen
CDU-Konten selbstlos bis zum eigenen Rücktritt schützte. Das spricht für
Nehmerqualitäten. Vieles andere dafür, dass Franz Josef Jung auch hart austeilen kann.
"Wadenbeißer", "Mann fürs Grobe", "Zack-zack-Fertig Franz
Josef" Freund und Feind haben Jung, dem linken Verteidiger der
Fußballmannschaft des hessischen Landtags, schon so manchen Spitznamen verpasst, der
politische Aggressivität, Härte und Entscheidungsfreudigkeit signalisiert und zugleich
un-terstreicht, dass er bei aller Härte das persönliche Fair Play pflegt. Beides,
Här-te und Fair Play, wird Jung im Verteidigungsministerium ausspielen müssen, wenn er
Erfolg haben will. Denn der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU ist vage und lässt
vieles offen, was eigentlich geklärt sein müsste.
Beginnen wir mit dem scheinbar Einfachsten, dem lieben Geld. Angesichts der
katastrophalen Finanzlage des Bundes kann die Bundeswehr sicher nicht mit mehr Geld
rechnen. Im Gegenteil: Sie muss weiter sparen. Wie viel aber, das bleibt derzeit noch
unklar. Rund 3 bis 3,5 Mrd. Euro pro Jahr sagen die einen. Zwei Milliarden spekulieren
andere. Manchmal ist auch nur von einer halben Milliarde pro Jahr die Rede. Die Wahrheit
lautet wohl: Noch weiß man es nicht genau. Vor allem weiß man nicht, wo das
einzusparende Geld herkommen soll. Während die Verteidigungspolitiker sich seit
Jahrzehnten darauf zurückziehen, dass sie nicht die Erfinder der Rechenkunst seien, kommt
der Spardruck schon ebenso lange von den Haushältern und aus dem Finanzministerium. Dort
weiß man, dass das Wehrressort mit dem Helm an der Decke zu planen pflegt. Schon um die
Einsparvorgaben niedrig zu halten. Wo also soll gespart wer-den? Auf die Beibehaltung der
Wehrpflicht haben sich die Koalitionäre bereits geeinigt. Auch sie kostet Geld. Eine
weitere Absenkung der Bundeswehrstärke, wie vom Finanzministerium angedacht, haben die
Koalitionäre nicht fest ver-einbart. Geprüft werden soll die Zitat -
"Schaffung einer spezifischen Besol-dungsstruktur für Soldatinnen und
Soldaten". Mit Sicherheit, keine Sparmaß-nahme. Im Gegenteil. Es ist eher mit
Mehrkosten zu rechnen. Ähnliches gilt für die Prüfung, wie die "strukturellen
Überhänge bei älteren Berufssoldaten abge-baut werden können". Gemeint sind damit
vor allem höhere und teure Dienst-posten in Ämtern und Stäben. Die Bundeswehr hat noch
immer viel zu viele Häuptlinge und zu wenig Indianer und damit eine falsche Alters- und
Hierar-chiepyramide. Auch das kann teuer werden Stichwort Goldener Handschlag.
Gelingt es aber nicht, hier und in ähnlicher Weise bei den Zivilbeschäftigten den Hebel
für Einsparungen anzusetzen, so kann nur bei den Investitionen ge-spart werden. Schon
geistern auch dafür Einsparlisten durch das politische Berlin: Rund 2 Mrd. Euro pro Jahr
könnten gespart werden, so ist zu hören - wenn die Politiker beider großer
Volksparteien ihre vereinte Macht gegen eini-ge überdimensionierte Großvorhaben in
Stellung bringen würden: Die dritte Tranche des Eurofighters sei verzichtbar, also die
letzten 68 der bestellten 180 Jets. Ebenso 20-30 Transportflugzeuge des neuen Typs A 400M.
Die Planzah-len für die Hubschrauber NH 90 und Tiger sowie für den gepanzerten Puma
könnten reduziert werden. Man mag diese Vorschläge für richtig und vernünftig halten.
Fest vereinbart scheint von alledem jedoch bisher nichts. Klar aber ist, dass über diese
Projekte mit der Industrie schon Verträge existieren, die neu verhandelt oder geändert
werden müssten. Gewichtigster Auftragnehmer ist der europäische Luft- und
Raumfahrtkonzern EADS. Nach derzeitiger Planung kann allein dieser Konzern in so manchem
Jahr künftig mit rund zwei Dritteln aller Bundeswehrausgaben für Neubeschaffungen
rechnen. Warum aber sollte die EADS dem neuen Minister beim Sparen helfen? Neue
Vertragsverhandlun-gen könnten also teuer werden. Selbst ein Versprechen des
Ministeriums, im Gegenzug ein neues Großvorhaben in Angriff nehmen zu dürfen den
schwe-ren Transporthubschrauber wäre für den Rüstungskonzern wenig attraktiv.
Bleibt die Infrastruktur der Bundeswehr Kasernen und Liegenschaften. Deren Abbau
soll wie geplant weitergehen. Mehrkosten sind damit nicht zu erwarten. Die so zu
erzielenden Einsparungen sind allerdings schon verplant. Das alles lässt nur zwei
Alternativen als wahrscheinlich erscheinen: Entweder signalisiert der
Verteidigungsbereich, dass er höchstens einen symbolischen Beitrag zu den Sparbemühungen
beisteuern kann. Oder aber die harten Entscheidungen werden dem neuen Minister
überlassen. Welche er aber trifft, wie sie vermittelt werden und ob sie erfolgreich sind
- daran würde Franz Josef Jung gemessen werden.
Vage bleibt der Koalitionsvertrag auch in einem anderen entscheidenden Punkt: Wie stark
wird die Sicherheitspolitik künftig transatlantisch bzw. europä-isch ausgerichtet?
Politisch im Vordergrund steht das Versprechen, die Zu-sammenarbeit mit den USA zu
verbessern ein Wunsch der Unionsparteien. Zugleich soll am Ausbau der europäischen
Sicherheits- und Verteidigungspoli-tik zu einer europäischen Verteidigungsunion
festgehalten werden. Beides so die Versicherung solle und werde sich
ergänzen. Wie dieses Versprechen im Einzelnen eingelöst werden kann, bleibt dagegen
ungeklärt. Auch hier werden die offenen Detailfragen nicht angesprochen. Lösungen
müssen also im Rah-men der künftigen Tagespolitik gefunden werden.
Der Blick auf den Verteidigungsbereich belegt, was schon während der ersten
Koalitionsgespräche augenfällig wurde: Klarheit herrscht vor allem über das Personal.
Ansonsten deutet der Koalitionsvertrag manches an, vieles wird of-fengehalten und nur
wenig wird wirklich geklärt. Zu letzterem gehören aller-dings folgende Aussagen: Erstens
heißt es in der Koalitionsvereinbarung wört-lich: "Wir halten an den derzeit
geltenden Rüstungsexportbestimmungen fest." Deutlicher kann man den Grünen nicht
bescheinigen, dass selbst die Industrie mit deren Rüstungsexportpolitik gut leben konnte.
Und zweitens wird dem Bür-ger für das Jahr 2006 ein Weißbuch zur Sicherheitspolitik
Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr versprochen. Darin müssen sich die Antworten
auf die genannten offenen Fragen dann finden wenn es denn kommt.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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