Streitkräfte und Strategien - NDR info
18. September 2004


Weltraum-Programme der EU - Schon bald auch militärisch nutzbar?

Susanne Härpfer

Angesichts knapper Kassen wird es für Verteidigungsminister und die Militärbürokratie immer schwieriger, Mittel für Rüstungsvorhaben bewilligt zu bekommen. Im Gegensatz zu Umwelt- und Katastrophenschutz-Projekten. Deshalb werfen Militärs und Nachrichtendienste neuerdings gerne einen grünen Tarnmantel über, um Mittel zu beantragen. Sie haben schon längst erkannt, dass auch zivil angelegte Weltraum-Projekte von militärischem Nutzen sein können. Der Vorteil: Hierfür werden eher Mittel bereitgestellt als für rein militärische Vorhaben. Außerdem sind zivile Projekte gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit leichter durchsetzbar. So wirbt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt  jetzt für die RapidEye AG. Die Firma plant, für rund 150 Millionen Euro fünf Minisatelliten ins Weltall schießen zu lassen. Ab 2007 sollen sie Bilder von allen Äckern weltweit liefern. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, kurz DLR, fördert das Unternehmen mit 14,7 Millionen Euro und erhält dafür kostenlos die Aufnahmen. Mit denen lassen sich natürlich die Folgen von Naturkatastrophen analysieren. Doch dafür gibt es bereits zahlreiche Anbieter, wie den deutschen Satelliten "Bird", ebenfalls mit 15 Millionen Euro gefördert vom DLR. Frankreich hat für diese Zwecke "Essaim", Großbritannien hat "Topsat". Bereits 1994 sollen Institute damit überfordert gewesen sein, die anfallende Informationsflut der Erdbeobachtungssatelliten zu verarbeiten. Inzwischen werden sogar Datenbanken gegründet, um die vielfältigen Angebote überhaupt zu erfassen. Angesichts des Wirrwarrs wird so manche Information mehrfach vorhanden sein. Geheimdienste stört dies nicht. Im Gegenteil. Sie konnten noch nie genug Daten bekommen. Und frühzeitige Informationen über Ernteausfälle waren für sie schon immer interessant. Satelliten, die Weizenfelder ausspähen, liefern auch Bilder von Truppenbewegungen. Frankreich hat gleich mehrere solcher "dual use"- Satelliten. "Dual use" - mit diesem Begriff sind Technologien gemeint, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke genutzt werden können.

Seit Juni hat "dual use" in der Raumfahrt einen ersten institutionellen Rahmen bekommen. Bezeichnenderweise über die Hintertür der Wissenschaft. Die Europäische Kommission hat ein Sachverständigengremium für Raumfahrt und Sicherheit geschaffen. Den Vorsitz hat EU-Forschungskommissar Philippe Busquin. Für die EU-Kommission ist die Schaffung dieser Einrichtung ein Schritt zur Aufhebung der, so wörtlich, "künstlichen Europäischen Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung". Als Beispiele werden die Erdbeobachtung in der Globalen Umwelt- und Sicherheitsüberwachung genannt, aber auch ganz offen das EU-Satelliten-Projekt Galileo. Solange es darum ging, Galileo genehmigt zu bekommen, wurde immer behauptet, Galileo werde rein zivil genutzt. Heinz Hilbrecht, Direktor der Europäischen Kommission für Landverkehr, kennt den Grund: "Das mag daran liegen, dass es keine Zustimmung des Ministerrats für Galileo gegeben hätte, wäre gesagt worden, dass ein spezieller militärischer Code entwickelt werden solle", so Hilbrecht. Im Klartext: Militärische Satelliten lassen sich der Öffentlichkeit kaum verkaufen und fallen eigentlich nicht in den zivilen Aufgabenbereich der EU-Kommission - also redet man nur über deren zivile Aufgaben.

Nur bei nationalen Satelliten-Programmen wie dem französischen Helios-II ist die militärische Verwendung immer klar gewesen. Helios-II hat zwar kein Radar, aber Infrarotsensoren für die Nachtaufklärung. Auch das deutsche demnächst einsatzfähige allwetterfähige Radarsatellitensystem SAR Lupe hat eine rein militärische Funktion. Die fünf Kleinsatelliten können innerhalb von 36 Stunden jeden Ort der Erde abbilden. Bei Bedarf können einzelne Bildausschnitte vergrößert werden. Dann sind Objekte zu erkennen, die weniger als einen halben Meter groß sind.

Das in erster Linie militärisch genutzte Satellitenzentrum der Europäischen Union im spanischen Torrejón ist Bestandteil des neuen Sachverständigengremiums für Raumfahrt und Sicherheit. Bis Ende dieses Jahres will das Gremium der EU-Kommission vorschlagen, wie das europäische Raumfahrtprogramm künftig aussehen soll. Und wieder werden die Ausgaben für geplante Satelliten und die Weltraumforschung scheinbar harmlos begründet: Mit Aufgaben der Grenzüberwachung, der Konfliktverhütung, humanitären Missionen und der Bekämpfung von organisiertem Verbrechen und Terrorismus. Damit zeichnet sich eine Entwicklung wie in den USA ab. Dort werden wissenschaftliche Projekte vor allem gefördert, wenn sie der inneren oder äußeren Sicherheit dienen. Bereits im vergangenen Jahr hat die Parlamentarische Versammlung der Westeuropäischen Union eine Europäische militärische Raumfahrtbehörde gefordert. Denn seit der Gründung des Europäischen Satellitenzentrums 1995 sei nichts mehr geschehen. Ausgerechnet ein weiteres Gremium, allerdings mit militärischer Entscheidungskompetenz, soll dies nun ändern. Die Begründung: Weltraumgestützte Beobachtung sei essentiell für die Verteidigung Europas. Satelliten könnten eingesetzt werden, um Abrüstung und die mögliche Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu überwachen, um Krisen zu analysieren und zu bewältigen und um vorbeugend einzugreifen. Bislang sei die Entwicklung und der Betrieb von Satelliten eine rein nationale Angelegenheit. Jedes Land beharre auf seinem eigenen. Besonders deutlich sei dies auf dem Gebiet der militärischen Kommunikationssatelliten. Politisch wird argumentiert, jedes Land brauche seinen eigenen Satelliten, um die Unabhängigkeit zu gewährleisten. Doch die Realität sieht schon längst anders aus. Die Geldnot der Staatshaushalte führt zu Allianzen, die Länder übergreifend sind oder private und staatliche Geldgeber in public-private partnerships zusammenfassen. Oft wird mit Ländern kooperiert, die eigentlich potentielle Ziele der Aufklärung sind. Dazu gehören Russland und China. Trotzdem beharrt jedes Land auf seiner eigenen Aufklärungskapazität und gibt sich der Illusion der Unabhängigkeit hin. Es profitieren die Herstellerfirmen, sie werden subventioniert mit Steuergeldern.

Doch selbst dies kann nicht verhindern, dass es zu viele Trägerraketen gibt, die Preise für Raketenstarts haben sich in den letzten Jahren halbiert. Alle Bereiche der Satelliten- und Raumfahrttechnik sind vom starken Abschwung betroffen. Zu diesem Schluss kommt das im vergangenen Jahr vorgelegte Weißbuch der EU-Kommission zur Raumfahrtpolitik. Es widerspricht damit den Werbebroschüren des Bundeswirtschafts- und des Bundesforschungsministeriums, die Satelliten- und Raumfahrttechnik als Branche der Zukunft propagieren. Wer das Geld für die Projekte aufbringen soll, verraten beide nicht. Bis Ende dieses Jahres soll nun eine EU-Arbeitsgruppe festlegen, welche Bedeutung Satelliten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GASP haben können. Denn angesichts der knappen Kassen drohen die neuen und ambitiösen Satellitenprogramme die GASP in Bedrängnis zu bringen - auch wenn man verstärkt auf Vorhaben setzt, die sowohl militärisch wie zivil nutzbar sind.

 

Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin.