Rüstungskontrolle - Last Waltz?von Otfried Nassauer Am Ende der kommenden Woche werden der amerikanische Präsident George W. Bush und Wladimir Putin, sein russischer Amtskollege, in Moskau einen neuen nuklearen Rüstungskontrollvertrag unterzeichnen fast zehn Jahre nach der Unterzeichnung von START 2. Beide Seiten verpflichten sich, ihre strategischen Atomwaffenpotentiale in den kommenden zehn Jahren auf einen aktiven Bestand von je 1.700 2.200 Sprengköpfen zu reduzieren. Na endlich, so könnte man meinen: Der Abrüstungsprozess geht weiter das überschüssige atomare Erbe des Kalten Krieges wird verschrottet. Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Ganze zwei bis drei Seiten umfaßt das neue Abkommen. Interessant ist vor allem, was es alles nicht regelt. Nicht geregelt wird, was mit den außer Dienst gestellten Trägersystemen geschehen soll Moskau und Washington können dies jeweils für sich entscheiden. Das gleiche gilt für Sprengköpfe, die aus dem aktiven Bestand herausgelöst werden. Ob diese auseinander montiert, langfristig eingelagert oder zur kurzfristigen Verstärkung der aktiven Nuklearpotentiale bevorratet werden, ist ebenfalls Sache der Vertragsparteien. Jede Seite kann mit drei Monaten Frist den Vertrag einseitig aufkündigen und so auf gravierende Veränderungen der internationalen Lage reagieren. Über Verifikationsmaßnahmen oder Transparenzregeln zur Überprüfung der Vertragstreue konnte keine Einigung erzielt werden diese sollen nach Inkrafttreten des Vertrages in einer gemeinsamen Kommission noch gefunden werden. Der Vertrag hat eine Laufzeit von zehn Jahren. Danach kann er verlängert werden oder auch nicht. Das umstrittene Thema Raketenabwehr bleibt außen vor; der Vertrag enthält keine Begrenzung für Raketenabwehrsysteme. So viel Flexibilität und so viele Freiheiten bei der Umsetzung eines Rüstungskontrollvertrages gestehen sich Washington und Moskau erstmals zu. Hier setzten sich die USA durch. Deren Interesse ist es, so wenig wie möglich rechtlich verbindlich zu vereinbaren. Angesichts der Tatsache, dass Russland aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage absehbar nicht in der Lage sein wird, die ihm zugestandenen Obergrenzen auch auszunutzen, drängte vor allem das Pentagon darauf, für die Weiterentwicklung des amerikanischen Nuklearpotentials oder gar dessen künftige Wiederaufrüstung auch künftig möglichst flexibel zu bleiben. Eigene Optionen sollen offen gehalten werden. Washington kann und wird wohl einige Tausend Nuklearwaffen über die vereinbarten Obergrenzen hinaus in Reserve halten. Das einzige Zugeständnis Washingtons an Moskau ist, einen rechtlich bindenden Vertrag abzuschließen. Dieser entspricht in etwa den Zielsetzungen, die für einen START-3 Vertrag vorgesehen waren. Letztlich bleibt die geschlossene Vereinbarung aber in einigen Bereichen auch deutlich dahinter zurück. So hatten Moskau und Washington bereits vereinbart zu prüfen, ob die Demontage nuklearer Sprengköpfe oder die Einbeziehung taktsicher Atomwaffen in ein START-3-Abkommen möglich sei. Davon ist nunmehr keine Rede mehr. Das neue Abkommen spiegelt bei genauerer Betrachtung das veränderte Verhältnis Washingtons zu Abrüstung und Rüstungskontrolle wider. Nach achtzehnmonatiger Amtszeit hat die neue US-Administration deutliche Zeichen gesetzt: Mit vertraglich vereinbarter Rüstungskontrolle und Abrüstung, hat sie kaum etwas am Hut. Rüstungskontrolle, das ist für Washington ein Feld für den Kahlschlag im Paragraphenwäldchen. Die US-Regierung möchte sich von rechtlich bindenden Abkommen und vertraglichen Fesseln befreien. Eine systematische Deregulierung der internationalen Beziehungen als Mittel, die Flexibilität des Stärkeren, d.h. der USA, zu verbessern, greift um sich. Die Konfliktlinie in der US-Administration verläuft heute nicht mehr primär zwischen denen, die Rüstungskontrolle befürworten und jenen, die diese skeptisch sehen. Sie verläuft vielmehr zwischen jenen, die praktisch jeden Rüstungskontrollvertrag ablehnen und denen, die im Einzelfall prüfen wollen, welche Vereinbarungen aus nationalem Interesse erhaltenswert sind und welche nicht. Die Zwischenbilanz ist ernüchternd:
Doch damit nicht genug. Die nächsten Schritte sind absehbar:
Die Liste ist lang und könnte fast beliebig fortgesetzt werden. Besonders problematisch aber ist, dass die Haltung der Washingtoner Administration weit über die Rüstungskontrolle hinaus geht. Auch in anderen Bereichen, so z.B. beim Klimaprotokoll von Kyoto werden die internationalen Beziehungen dereguliert, d.h. die USA wollen möglichst keine rechtlich verbindliche Verpflichtungen eingehen. Manche in den Washingtoner Amtsstuben würden gar am liebsten die Wiener Konvention über internationale Verträge wie viele völkerrechtliche Rechtsakte von Washington zwar unterzeichnet jedoch nie ratifiziert durch einen Widerruf der US-Unterschrift aus dem Verkehr ziehen. Diese Konvention fordert von den Signatarstaaten eines Abkommens, das noch nicht ratifiziert ist, sich so zu verhalten als sei der Vertrag bereits in Kraft. Es darf also nicht gegen den Geist der unterzeichneten Vereinbarung verstoßen werden.. Obwohl z.B. der SALT 2 - und der START 2 -Vertrag nie in Kraft getreten sind, haben sich alle Beteiligten an deren Regelungen gebunden gefühlt. Würden die USA ihre Unterschrift unter die Wiener Konvention zurückziehen, so stünde auf einen Schlag eine Vielzahl internationaler Rüstungskontrollabkommen vor dem Aus: Allen voran das Abkommen über einen umfassenden Atomteststopp CTBT, Verträge wie der KSE2-Vertrag über Konventionelle Stabilität in Europa oder auch die Zusatzprotokolle der Genfer Konvention, das wichtigste internationale Dokument zur Begrenzung inhumaner Kriegführung. John Bolton ,der oberste US-Rüstungskontrolleur, macht sich immer wieder über die Abrüstungsverhandlungen der Vergangenheit lustig und meint, dies seien jene Zeiten gewesen, als "kleine Armeen von Unterhändlern die besten Genfer Hotels für Monate und Jahre bewohnt" hätten. Richard Perle, ein wichtiger Berater von Präsident Bush und Verteidigungsminister Rumsfeld, machte deutlich, dass sich Washington aufgrund seiner Sonderrolle in der Welt nicht immer an die gleichen rüstungskontrollpolitischen Regeln halten könne wie andere: Zitat: "Es gibt ein Argument für das, was manchmal als unvernünftiger amerikanischer Anspruch auf eine Ausnahmerolle verspottet wird", meinte er. "Man kann aber nicht sagen wir seien die einzige Supermacht und im gleichen Atemzug fortfahren, wir seien wie jeder andere Staat." Richard Haass, Direktor für Politische Planung im Außenministerium, verwahrte sich gegen Kritik, die USA betrieben eine Politik des Unilateralismus. Wörtlich sagte er: "Was Sie von dieser Administration erwarten dürfen, ist Multilateralismus á la carte. (...) Wir werden uns jedes Abkommen einzeln anschauen und eine Entscheidung treffen." Das Ergebnis der bisherigen Einzelfallentscheidungen ist bildlich gesprochen eine Schneise der Verwüstung in der Rüstungskontroll-Landschaft. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Regierung Bush jetzt erstmals einen Rüstungskontrollvertrag unterzeichnet. In ihm steht nichts, was die Interessen Washingtons beeinträchtigen könnte, aber vieles, das für einen weiteren Abbau rüstungskontrollpolitischer Regeln genutzt werden kann.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
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