Streitkräfte und Strategien - NDR info
14. Januar 2006


Immer mehr militärische und zivile Aktivitäten im All
Weltraumrecht und Rüstungskontrolle überfällig?

von Susanne Härpfer

Im Weltraum ist es eng geworden. Keine Spur mehr von "endlosen Weiten" des Alls. Im Gegenteil. Überall fliegt Weltraumschrott herum, gefährdet Mann und Labormaus. Über 13.000 Objekte schwirren momentan durchs Weltall. Davon sind 90 Prozent als Weltraummüll zu bezeichnen. Schon ein kleines Schräubchen kann durch die Wucht des Aufpralls einen Satelliten funktionsunfähig machen. Besonders gefährlich wird es, wenn atomar verstrahltes Material zur Erde stürzt und Menschen gefährdet. So geschehen 1978, als in Kanada radioaktive Satellitentrümmer niedergingen.

Mittlerweile ist die paradoxe Situation entstanden, dass inzwischen Weltraumschrott mindestens so gefährlich ist wie die ballistischen Raketen, die im Ernstfall gestartet werden sollen. Vor allem deshalb ist für den Weltraum ein erweiterter Sicherheitsbegriff notwendig. Zu diesem Ergebnis kommen jedenfalls der amerikanische Botschafter Thomas Graham, das kanadische Außenministerium und die Nichtregierungsorganisation Ploughshares in ihrem im Oktober vorgestellten Jahrbuch zur Weltraumsicherheit. Graham war unter Präsident Clinton Chefunterhändler für Abrüstungsfragen und leitete Mitte der 90er Jahre die US-Delegation auf der New Yorker Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages. Gemeinsam mit seinen Partnern hat er einen Index für den Status der Sicherheit im Weltraum entwickelt. Und mit der steht es danach nicht zum Besten.

Den verlässlichsten Indikator für diese Aussage liefert die Versicherungswirtschaft. Denn seit 1998 hat sie ihre Prämien um 129 Prozent angehoben. 2002 mussten US-Versicherer für Schäden in Höhe von 830 Millionen Dollar aufkommen, während sie über Prämien nur 490 Millionen Dollar einnahmen. Der Allianz-Konzern warnte bereits vor fünf Jahren vor dem riskanten Geschäft. 1998 habe es Schadensersatzforderungen von 1,8 Milliarden Dollar gegeben. Vor allem die zivile Raumfahrt und die Nutzung durch kommerzielle Firmen tragen zur mangelnden Sicherheit des Weltraums bei. Denn mit Zunahme der Aktivitäten im All wächst auch die Unfallgefahr. Außerdem werden Konflikte wahrscheinlicher. Zumal immer mehr Staaten Weltraumpläne haben und sich im All engagieren. Bis 1988 gab es mit den NATO-Staaten sowie Russland und China nur einige wenige Akteure im Weltraum. Das hat sich inzwischen erheblich geändert. Als "Weltraummächte" hinzugekommen sind mittlerweile Israel, Japan, Chile, Indien, Pakistan, Brasilien, Ägypten, Thailand und Taiwan. Die Folge: es fällt immer mehr Weltraumschrott an. Und es wird eng bei den Frequenzen für die Kommunikation und für andere Wege der Informationsübertragung. Hinzu kommt, dass kommerzielle Akteure internationale Abkommen unterlaufen können. Schon jetzt herrscht Rechtsunsicherheit im Weltraum. Dieser Umstand ist einer von insgesamt acht Faktoren, die nach Ansicht Grahams die Weltraumsicherheit beeinträchtigen.

Zwar schreibt der Weltraumvertrag von 1967 die friedliche Nutzung des Weltraums vor. Aber was das genau heißt, ist bereits Auslegungssache. So hat Kai Uwe Schrogl vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unlängst darauf hingewiesen, dass es kein ausdrückliches Verbot konventioneller Waffen im Weltraum gibt. Seit mehr als zwanzig Jahren appelliert die Generalversammlung der Vereinten Nationen an die Mitgliederstaaten, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern. 2004 stimmten 178 Länder für diese so genannte Paros-Resolution. Paros steht für "Prevention of an arms race in outer space". Vier Staaten enthielten sich der Stimme – unter ihnen allerdings Israel und die USA.

Die Amerikaner wollen ihre Dominanz im Weltraum nicht preisgeben. Es verwundert daher nicht, dass die UN-Abrüstungskonferenz zu Fragen der Militarisierung des Weltraums seit 1998 auf der Stelle tritt. Nur das UN-Komitee für die friedliche Nutzung des Weltalls konnte im vergangenen Jahr Fortschritte vermelden. Es wurde nämlich geklärt, wann ein Staat rechtlich für den Transport von Satelliten und anderen Objekten ins All verantwortlich ist. Dies ist wichtig für Schadensersatzfragen. Denn seit 1972 gibt es ein Weltraumhaftungsübereinkommen. Demnach sind Staaten auch dann schadensersatzpflichtig, wenn die Schäden aus Raketenstarts kommerzieller Firmen resultieren. Rechtlich besonders kompliziert: Wenn beispielsweise europäische Firmen ihre Satelliten mit chinesischen oder russischen Raketen ins All befördern. Regressforderungen gegen Unternehmen, Versicherungen und Rückversicherungen können die Folge sein. Noch komplexer wird die Rechtslage, wenn Länder eigene, nationale Weltraumgesetze verabschieden, diese aber gleichzeitig anderen bilateralen Abkommen teilweise widersprechen.

Der Rüstungswettlauf im All ist also keineswegs gebannt. Im Gegenteil. Er wird vielmehr angeheizt durch Waffensysteme und Technologien, die zwar nicht im Weltraum, sondern auf der Erde stationiert werden, - die aber auf das All zielen und dort hineinwirken können. Das im vergangenen Jahr veröffentliche Jahrbuch zur Weltraumsicherheit nennt in diesem Zusammenhang ausdrücklich Defensivsysteme wie das amerikanische Raketenabwehrprogramm.

Aber auch andere Projekte der USA forcieren die Aufrüstung im All. Selbst dann, wenn sie im Grenzbereich zwischen Orbit und Erde und in eine juristische Grauzone fallen. Zumal es bis heute keine Einigung über die rechtliche Abgrenzung von Luftraum und Weltraum gibt. Die unklare Rechtslage betrifft sowohl bestehende Einrichtungen und Militärkommandos wie NORAD als auch neue Militärprojekte wie beispielsweise die Entwicklung von Energiewaffen. Darüber hinaus sollen so genannte Jammer – also Störsender - den Funkverkehr und Kommunikationssatelliten lahm legen. Gearbeitet wird an Hyperschallgeschossen zum Stückpreis von 66 Millionen Dollar, die vom All aus Ziele auf der Erde zerstören können. 10.000 Kilometer pro Stunde würden sie beschleunigen, mit der Kraft einer Atombombe aufschlagen, ohne dass radioaktive Strahlung freigesetzt wird. Mikrosatelliten sollen feindliche Satelliten ausschalten. Die Militärplaner wollen außerdem Überschalljets entwickeln, die binnen 45 Minuten an jedem Ort der Erde sein können. Die Entwicklungskosten für solche Waffen werden im Budget für das ballistische Raketenabwehrprogramm versteckt, kritisiert der Rüstungsexperte Graham.

Die schleichende Aufrüstung des Weltalls wird durch das bestehende weltraumrechtliche Instrumentarium und die existierenden Rüstungskontrollvereinbarungen nicht gebremst. Zu dieser Schlussfolgerung kam bereits 2004 der Bericht des Ausschusses für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags. Deutschland und Europa müssten daher eigene Initiativen für Rüstungskontrolle im Weltraum- und Völkerrecht starten, fordert der Weltraumexperte Schrogl. Denn von den potentiellen Folgen der Aufrüstung wären alle betroffen – die Militärs und der zivile Sektor in den jeweiligen Staaten. Zwar wird Washington an seiner Doktrin der Dominanz auch im Weltraum festhalten - und die steht allen Bemühungen zur Rüstungsbegrenzung entgegen. Aber mit der Aufrüstung des Alls werden auch Schäden einhergehen, etwa durch besagten Weltraumschrott. Und Schäden sind Kosten.

Auf Unternehmen, die an der Aufrüstung des Weltraums beteiligt sind, kommen also potentiell Haftungs- und Regressforderungen zu. Rote Zahlen aber kann sich auch ein Rüstungsunternehmen nicht leisten. Für Firmen vielleicht ein Anreiz, das eine oder andere Projekt, das letztlich zur Militarisierung des Weltraums führt, dann doch zu überdenken.


Susanne Härpfer ist freie Fernsehjournalistin.