Immer mehr militärische und zivile Aktivitäten im All
Weltraumrecht und Rüstungskontrolle überfällig?
von Susanne Härpfer
Im Weltraum ist es eng geworden. Keine Spur mehr von "endlosen Weiten" des
Alls. Im Gegenteil. Überall fliegt Weltraumschrott herum, gefährdet Mann und Labormaus.
Über 13.000 Objekte schwirren momentan durchs Weltall. Davon sind 90 Prozent als
Weltraummüll zu bezeichnen. Schon ein kleines Schräubchen kann durch die Wucht des
Aufpralls einen Satelliten funktionsunfähig machen. Besonders gefährlich wird es, wenn
atomar verstrahltes Material zur Erde stürzt und Menschen gefährdet. So geschehen 1978,
als in Kanada radioaktive Satellitentrümmer niedergingen.
Mittlerweile ist die paradoxe Situation entstanden, dass inzwischen Weltraumschrott
mindestens so gefährlich ist wie die ballistischen Raketen, die im Ernstfall gestartet
werden sollen. Vor allem deshalb ist für den Weltraum ein erweiterter Sicherheitsbegriff
notwendig. Zu diesem Ergebnis kommen jedenfalls der amerikanische Botschafter Thomas
Graham, das kanadische Außenministerium und die Nichtregierungsorganisation Ploughshares
in ihrem im Oktober vorgestellten Jahrbuch zur Weltraumsicherheit. Graham war unter
Präsident Clinton Chefunterhändler für Abrüstungsfragen und leitete Mitte der 90er
Jahre die US-Delegation auf der New Yorker Konferenz zur Überprüfung des
Atomwaffensperrvertrages. Gemeinsam mit seinen Partnern hat er einen Index für den Status
der Sicherheit im Weltraum entwickelt. Und mit der steht es danach nicht zum Besten.
Den verlässlichsten Indikator für diese Aussage liefert die Versicherungswirtschaft.
Denn seit 1998 hat sie ihre Prämien um 129 Prozent angehoben. 2002 mussten US-Versicherer
für Schäden in Höhe von 830 Millionen Dollar aufkommen, während sie über Prämien nur
490 Millionen Dollar einnahmen. Der Allianz-Konzern warnte bereits vor fünf Jahren vor
dem riskanten Geschäft. 1998 habe es Schadensersatzforderungen von 1,8 Milliarden Dollar
gegeben. Vor allem die zivile Raumfahrt und die Nutzung durch kommerzielle Firmen tragen
zur mangelnden Sicherheit des Weltraums bei. Denn mit Zunahme der Aktivitäten im All
wächst auch die Unfallgefahr. Außerdem werden Konflikte wahrscheinlicher. Zumal immer
mehr Staaten Weltraumpläne haben und sich im All engagieren. Bis 1988 gab es mit den
NATO-Staaten sowie Russland und China nur einige wenige Akteure im Weltraum. Das hat sich
inzwischen erheblich geändert. Als "Weltraummächte" hinzugekommen sind
mittlerweile Israel, Japan, Chile, Indien, Pakistan, Brasilien, Ägypten, Thailand und
Taiwan. Die Folge: es fällt immer mehr Weltraumschrott an. Und es wird eng bei den
Frequenzen für die Kommunikation und für andere Wege der Informationsübertragung. Hinzu
kommt, dass kommerzielle Akteure internationale Abkommen unterlaufen können. Schon jetzt
herrscht Rechtsunsicherheit im Weltraum. Dieser Umstand ist einer von insgesamt acht
Faktoren, die nach Ansicht Grahams die Weltraumsicherheit beeinträchtigen.
Zwar schreibt der Weltraumvertrag von 1967 die friedliche Nutzung des Weltraums vor.
Aber was das genau heißt, ist bereits Auslegungssache. So hat Kai Uwe Schrogl vom
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unlängst darauf hingewiesen, dass es kein
ausdrückliches Verbot konventioneller Waffen im Weltraum gibt. Seit mehr als zwanzig
Jahren appelliert die Generalversammlung der Vereinten Nationen an die Mitgliederstaaten,
ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern. 2004 stimmten 178 Länder für diese so
genannte Paros-Resolution. Paros steht für "Prevention of an arms race in outer
space". Vier Staaten enthielten sich der Stimme unter ihnen allerdings Israel
und die USA.
Die Amerikaner wollen ihre Dominanz im Weltraum nicht preisgeben. Es verwundert daher
nicht, dass die UN-Abrüstungskonferenz zu Fragen der Militarisierung des Weltraums seit
1998 auf der Stelle tritt. Nur das UN-Komitee für die friedliche Nutzung des Weltalls
konnte im vergangenen Jahr Fortschritte vermelden. Es wurde nämlich geklärt, wann ein
Staat rechtlich für den Transport von Satelliten und anderen Objekten ins All
verantwortlich ist. Dies ist wichtig für Schadensersatzfragen. Denn seit 1972 gibt es ein
Weltraumhaftungsübereinkommen. Demnach sind Staaten auch dann schadensersatzpflichtig,
wenn die Schäden aus Raketenstarts kommerzieller Firmen resultieren. Rechtlich besonders
kompliziert: Wenn beispielsweise europäische Firmen ihre Satelliten mit chinesischen oder
russischen Raketen ins All befördern. Regressforderungen gegen Unternehmen,
Versicherungen und Rückversicherungen können die Folge sein. Noch komplexer wird die
Rechtslage, wenn Länder eigene, nationale Weltraumgesetze verabschieden, diese aber
gleichzeitig anderen bilateralen Abkommen teilweise widersprechen.
Der Rüstungswettlauf im All ist also keineswegs gebannt. Im Gegenteil. Er wird
vielmehr angeheizt durch Waffensysteme und Technologien, die zwar nicht im Weltraum,
sondern auf der Erde stationiert werden, - die aber auf das All zielen und dort
hineinwirken können. Das im vergangenen Jahr veröffentliche Jahrbuch zur
Weltraumsicherheit nennt in diesem Zusammenhang ausdrücklich Defensivsysteme wie das
amerikanische Raketenabwehrprogramm.
Aber auch andere Projekte der USA forcieren die Aufrüstung im All. Selbst dann, wenn
sie im Grenzbereich zwischen Orbit und Erde und in eine juristische Grauzone fallen. Zumal
es bis heute keine Einigung über die rechtliche Abgrenzung von Luftraum und Weltraum
gibt. Die unklare Rechtslage betrifft sowohl bestehende Einrichtungen und
Militärkommandos wie NORAD als auch neue Militärprojekte wie beispielsweise die
Entwicklung von Energiewaffen. Darüber hinaus sollen so genannte Jammer also
Störsender - den Funkverkehr und Kommunikationssatelliten lahm legen. Gearbeitet wird an
Hyperschallgeschossen zum Stückpreis von 66 Millionen Dollar, die vom All aus Ziele auf
der Erde zerstören können. 10.000 Kilometer pro Stunde würden sie beschleunigen, mit
der Kraft einer Atombombe aufschlagen, ohne dass radioaktive Strahlung freigesetzt wird.
Mikrosatelliten sollen feindliche Satelliten ausschalten. Die Militärplaner wollen
außerdem Überschalljets entwickeln, die binnen 45 Minuten an jedem Ort der Erde sein
können. Die Entwicklungskosten für solche Waffen werden im Budget für das ballistische
Raketenabwehrprogramm versteckt, kritisiert der Rüstungsexperte Graham.
Die schleichende Aufrüstung des Weltalls wird durch das bestehende weltraumrechtliche
Instrumentarium und die existierenden Rüstungskontrollvereinbarungen nicht gebremst. Zu
dieser Schlussfolgerung kam bereits 2004 der Bericht des Ausschusses für
Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags. Deutschland und Europa müssten daher
eigene Initiativen für Rüstungskontrolle im Weltraum- und Völkerrecht starten, fordert
der Weltraumexperte Schrogl. Denn von den potentiellen Folgen der Aufrüstung wären alle
betroffen die Militärs und der zivile Sektor in den jeweiligen Staaten. Zwar wird
Washington an seiner Doktrin der Dominanz auch im Weltraum festhalten - und die steht
allen Bemühungen zur Rüstungsbegrenzung entgegen. Aber mit der Aufrüstung des Alls
werden auch Schäden einhergehen, etwa durch besagten Weltraumschrott. Und Schäden sind
Kosten.
Auf Unternehmen, die an der Aufrüstung des Weltraums beteiligt sind, kommen also
potentiell Haftungs- und Regressforderungen zu. Rote Zahlen aber kann sich auch ein
Rüstungsunternehmen nicht leisten. Für Firmen vielleicht ein Anreiz, das eine oder
andere Projekt, das letztlich zur Militarisierung des Weltraums führt, dann doch zu
überdenken.
Susanne Härpfer ist freie Fernsehjournalistin.
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