Streitkräfte und Strategien - NDR info
13. Dezember 2003


Keine Erfolgsstory? Das überschätzte EU-Krisenmanagement in Mazedonien
Peter H. Matthiesen

NATO-Generalsekretär Lord Robertson erklärte am 13. November während eines Besuchs in der mazedonischen Hauptstadt Skopje: "Mazedonien hat den schlimmsten Teil seiner Schwierigkeiten überwunden..... Dieses ist eine der erfolgreichen Entwicklungen auf dem Balkan." Doch welche Erfolge sind gemeint?

Im Herbst 2001 wurde der bewaffnete Aufstand der albanischen Minderheit gegen die Staatsgewalt durch einen Vertrag zwischen allen Parteiführern beendet. Dieses Abkommen von Ohrid war zum Zeitpunkt der Unterschrift der bestmögliche Kompromiss. Es räumt der albanischen Bevölkerung über Verfassungsänderungen sehr weitgehende Minderheitenrechte ein. Auf dieses international erzwungene Vertragswerk ist auch Europa bis heute stolz. Doch die Politik hat sich inzwischen neuen Krisenherden zugewandt. Dabei erfordert eine nachhaltige Politik kontinuierliche Begleitung über aktuelle Krisen hinaus. Doch in Mazedonien wie auch in anderen Regionen des Balkans sind unerfahrene Politiker nach einem sichtbaren Erfolg wiederholt allein gelassen worden. Das Abkommen von Ohrid, aber auch der Friedensvertrag von Dayton, sind bisher nur teilweise umgesetzt worden. Wesentliche Konflikt-Ursachen wurden nicht beseitigt. Dieses kann nicht der Erfolg sein, von dem NATO-Generalsekretär Robertson damals in Skopje gesprochen hat.

Seit Herbst 2001 hat es mehrere Missionen von NATO und EU gegeben, die für Sicherheit und Stabilität in Mazedonien sorgen sollten. In dem Land wurden erstmals Soldaten noch vor Beginn eines offenen Konfliktes eingesetzt, zur Verhinderung eines Bürgerkrieges. Die Kämpfe sind seitdem in der Tat kaum wieder aufgeflammt. Diese Tatsache wird politisch immer wieder als Erfolg betont. Im Detail stellt sich die Lage allerdings anders dar. Das Land ist keineswegs befriedet. Die scheinbare Ruhe ist trügerisch. Unter der Oberfläche gärt der Konflikt weiter. Die Extremisten beider Seiten haben bisher lediglich Zusammenstöße mit den in Mazedonien stationierten rund 300 Soldaten vermieden. Und so ist für die offiziellen Politik-Vertreter die in der kommenden Woche auslaufende EU-Operation "Concordia" eine überaus erfolgreiche Mission.

Doch der Eindruck trügt. Denn insbesondere die albanische Minderheit erhofft sich in kritischen Situationen Hilfe und Unterstützung von den Soldaten. Deswegen unterstützt sie auch die Militär-Mission. Die Albaner vertrauen der Waffengewalt der NATO und den Soldaten der EU - nicht aber Polizisten aus Mazedonien, mit denen sie im Land täglich schlechte Erfahrungen machen.

Trotzdem soll die Militäroperation Concordia jetzt durch die EU-Polizei-Mission Proxima abgelöst werden. Dabei sind die Voraussetzungen hierfür keineswegs günstig. Dazu muss man wissen, dass die internationalen militärischen Einsätze auf vier Ebenen ablaufen:

  1. Die Ebene der Information und Aufklärung.
  2. Die Einsatz-Ebene vor Ort mit klarem Mandat zum Schutz der internationalen Beobachter.
  3. Die Ebene der Unterstützung durch Rettungsdienste sowie Minenräumung.

Und letztlich die Ebene vier mit den Möglichkeiten von Entsatz und Evakuierung.

Auf allen vier Ebenen fehlen für die kommende EU-Polizeimission konkrete Absprachen, z.T. die Ausstattung. Zum Beispiel: Medizinische Hilfe oder gar Evakuierung konnte die EU schon bisher nicht leisten. Das hat die NATO bisher für die EU sichergestellt. Die Allianz aber ist in die kommende EU-Polizeimission nicht eingebunden. Für Proxima kein guter Start. Es besteht vielmehr eine lebensgefährliche Lücke, die zum Schutz der Polizisten und der internationalen Beobachter im Land schnell geschlossen werden müsste. Gelingt das, könnte Proxima ein Modell werden, an dem sich die EU bei der Übernahme von SFOR orientieren könnte.

Ein weiteres Beispiel: Die jetzt in Mazedonien auslaufende EU-Militäroperation "Concordia" ist vergleichbar mit den vorangegangenen NATO-Missionen. Allerdings gab es von Beginn an Schwächen. So erfolgte die Übergabe von NATO an EU im März ohne Überlappung und Erfahrungsaustausch. Es gab keine enge Kooperation, obwohl es sich um eine sogenannten "Berlin Plus-Mission" handelt, d.h. die EU-Operation wird von der Allianz unterstützt. Von der NATO während des Einsatzes gewonnene Informationen sind für die EU verloren gegangen. Und umgekehrt hat die NATO heute keinen aktuellen Wissensstand über alle Details der Lage in Mazedonien. Keine guten Rahmenbedingungen für die EU-Polizisten, die in diesem Monat ihren Dienst antreten.

Denn Soldaten oder Polizisten allein sind noch kein Beitrag zur Krisenbewältigung. Es ist mehr erforderlich, um Vertrauen zwischen den Ethnien zu schaffen, um Hass, Wut, und Gewalt zu bekämpfen und ein staatliches Gewaltmonopol durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass angesehene Politiker in Mazedonien eine föderale Struktur oder sogar die Teilung des Landes fordern. Das EU-Krisenmanagement hat diese Entwicklung nicht aufhalten können, da es politisch zu passiv war.

Warum dann der Wechsel zu einer Polizeimission? In jedem Land kommen Soldaten anderer Nationen schnell in den Ruf einer Besatzungsmacht. Daher müssen die militärischen Einsätze nach Auffassung der mazedonischen Regierung enden. Die EU hat Ende September einem entsprechenden Antrag zugestimmt und eine Polizeimission beschlossen. Zudem ist der Einsatz von internationalen Polizisten innenpolitisch leichter zu vertreten als der Einsatz von fremden Soldaten. Doch das geht in Mazedonien am Kern der Probleme vorbei. Denn das Land hat in Europa die höchste Todesrate pro Einwohner durch Waffengewalt. Hier entladen sich weiterhin Spannungen zwischen den Ethnien gewalttätig, wie nahezu täglich brennende Häuser zusätzlich beweisen. Hier enden alle Erfolgsmeldungen ebenso wie die oft gehörte Aussage, dass die Kämpfe vorüber seien und es nur noch um Kriminalität ginge, die durch Polizei bekämpfbar sei. Solche Aussagen werden auch durch Wiederholungen nicht richtiger.

Auftrag der Mission "Proxima" ist, die mazedonische Polizei anzuleiten und zu beraten. Mit der Entscheidung für den Belgier Bart D`Hooge als Missionsleiter, derzeit bei der OSZE in Skopje, wird zumindest ein Versuch gemacht, gewonnene Erkenntnisse zu bündeln. Doch diese personelle Entscheidung allein reicht nicht. Es bleiben Zweifel, ob dieser EU-Polizeieinsatz erfolgreich werden kann. Zumal die Überlappung von militärischer und ziviler EU-Mission bereits ausgeschlossen ist. Es wäre daher sinnvoll, wenn alle Missionen in Mazedonien schnellstens unter Beteiligung der NATO eine gemeinsame Bewertung der Sicherheitslage durchführen würden. Notwendig wäre ein klares Urteil über existierende und mögliche Sicherheitsrisiken für die Polizeimission Proxima.

Die EU-Polizisten in Mazedonien dürfen in Konflikt-Situationen nicht selbst eingreifen. Das hat bereits in Bosnien die EU-Polizeiarbeit erheblich beeinträchtigt. Hier gilt es nachzusteuern, damit insbesondere die albanische Minderheit sich vor Übergriffen der mazedonischen Polizei sicher fühlen kann, aber auch Recht und Gesetz anzuerkennen lernt. Vertrauensbildende Maßnahmen erfordern zwingend die ständige Präsenz von internationalen Sicherheitskräften in Krisenregionen. Das haben die Soldaten in extensiver Auslegung des Mandats bisher geleistet und das wird auch von den Polizisten erwartet. Diese wiederum haben Anspruch darauf, dass ihnen in jeder Lage jede Unterstützung und Hilfe zuteil wird. Nur eine starke und eingreifende EU-Polizei-Mission kann überzeugen und deeskalierend wirken.

Die Voraussetzungen hierfür sind im Moment allerdings nicht gegeben. Doch zum Nachsteuern ist es nicht zu spät. Das Ziel muss sein, durch eine aktive Politik ein Scheitern des Europäischen Krisenmanagements in Mazedonien zu verhindern. Ein echter Erfolg in dem Land würde ein klares Zeichen für den ganzen Balkan setzen: Dass Europa uneingeschränkt für Frieden, Menschenrechte sowie Recht und Gesetz eintritt und nicht nur darüber redet.

 

Peter H. Matthiesen war bis Ende 2002 deutscher Militärattaché in Mazedonien und hat uns diesen Artikel freundlicherweise zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.