Streitkräfte und Strategien - NDR info
07. August 2004


Die Sicherheits-Olympiade

Susanne Härpfer und Otfried Nassauer

Die Olympia 2004 wird zu einer Sicherheitsolympiade. Zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Vorbei jene Zeiten, in denen sich jederman sicher sein konnte, daß zu Olympia die Verpflichtung galt, sich aller Feindseligkeiten zu enthalten.

Mehr als 100.000 Sicherheitskräfte am Boden, ein ABC- Abwehrbattallion der NATO im Lande, Batterien neuer Patriot-Raketen rund um Athen, die griechische Flotte in den Küstengewässern, eine NATO-Flottille davor, AWACS-Flugzeuge, Marinefernaufklärer und Spezialflugzeuge für die elektronische Kriegführung am Himmel über der Akropolis, Tausende von Überwachungskameras und Mikrophonen in den Straßen: Olympia 2004 - das heißt auch: Sicherheitsfestspiele der Superlative. Der griechische Staat läßt sich die Absicherung der Spiele zwischen einer und anderthalb Milliarden Euro kosten – das ist dreimal soviel wie in Sydney vor vier Jahren.

Es waren vor allem die USA, die frühzeitig auf umfassende Sicherheitsmaßnahmen drängten. Nach den Anschlägen in Madrid aber wuchs auch das Sicherheitsbedürfnis der EU-Staaten. Olympia 2004 – das ist auch ein Zeichen dafür, wie weit der von George W. Bush ausgerufene und teilweise aus dem Ruder gelaufene Krieg gegen den Terrorismus mittlerweile den europäischen Alltag erreicht hat.

Washington offerierte Griechenland eines kleines High- Tech Arsenal: Von der Fahrzeugdurchleuchtungsanlage über spezielle Aufklärungsfahrzeuge bis hin zu einem Informations-, Lagedarstellungs- und Befehlsnetzwerk im Wert von mehr als 300 Mio. US-Dollar. Damit kann die Sicherheitslage an allen relevanten Schauplätzen in Echtzeit dargestellt werden. Die Datenschutzbehörden Griechenlands haben dem zeitlich begrenzten Einsatz einer Komplettüberwachung des öffentlichen Raums durch Kameras, Mikrophone und Sensoren für die olympischen Spiele zugestimmt. Ein gutes Geschäft für den amerikanischen Sicherheitsdienstleister Science Application International.

Doch damit nicht genug: Offeriert wurden auch 400 Special Forces, Kommandosoldaten. Diese – so zunächst die Vorstellung Washingtons – sollten nicht unter griechischem, sondern unter US-Kommando stehen. Die USA, so eine alte Tradition, unterstellen keine Soldaten Befehlshabern aus anderen Ländern. Da macht Olympia genauso wenig eine Ausnahme wie die Friedensmissionen der UNO. Griechenland zeigte Interesse an der Verstärkung, sah aber auch Probleme. Die griechischen Behörden wollten sich das Vorgehen bei der Absicherung der Olympischen Spiele nicht aus der Hand nehmen lassen. Auch verbietet es die Verfassung Ausländern in Griechenland, Waffen zu tragen – es sei denn, es seien die Personenschützer eines Staatsgastes oder Einheiten der NATO. Der jüngst durch den Gewinn der Fußball- Europameisterschaft gestärkte Nationalstolz und die Furcht der Offiziellen vor dem latenten heimischen Anti-Amerikanismus ließ diese zunächst ablehnen. Doch längst stehen die US-Soldaten bereit – der Kompromiß lag nahe: Das Kontingent untersteht formal der NATO. Deren zuständige Oberbefehlshaber in Neapel und Brüssel sind Amerikaner.

Manche Sicherungsmaßnahmen führen auch zu kuriosen Situationen. Während auf dem griechischen Festland und auf der Insel Skyros amerikanische Patriot-Raketen in Stellung gingen, stehen um Heraklion auf Kreta jetzt Flugabwehrraketen vom russischen Typ S-300. Auf Kreta bereitet sich das amerikanische Olympia-Team derzeit auf die Wettkämpfe vor. Den griechischen Raketen-Schutz der US-Sportler müßte das Pentagon eigentlich ablehnen. Immer wieder drohte Washington in der Vergangenheit Staaten, die wie Kuweit oder Südkorea den Kauf der russischen S-300 erwogen: Sollten die Flugabwehr-Raketen gekauft werden, so würde nie wieder ein Flugzeug der US-Streitkräfte am Himmel des kaufwilligen Verbündeten auftauchen. Gilt das auch dieser Tage? Muß sich die Olympia-Mannschaft der USA ohne den Schutz der US-Luftwaffe auskommen?

Mit ganz anderen, aber ebenso spezifischen Problemen hat es ein anderer Teilnehmer der Sicherheitsolympiade zu tun – die Bundesrepublik. Nein, Angebote Bundeswehrkontingente zu entsenden, hat es nicht gegeben. Den Einsatz der Bundeswehr für Zwecke der Inneren Sicherheit verbietet das Grundgesetz. Die Bundeswehr unterstützt Griechenland im Rahmen der NATO. Sie stellt Besatzungsmitglieder für die AWACS- Flugzeuge und Marinekräfte im Rahmen der Ständigen NATO-Flottille im Mittelmeer, die den Seeraum vor den griechischen Küstengewässern schützen sollen. Der Oberbefehl über letztere wurde termingerecht für Olympia am 5.August aus deutschen in griechische Hände verlegt.

Für die Sicherheit im Lande gibt es eine Deutschen und Griechen entgegenkommende Lösung: Die Sportler werden von unbewaffneten deutschen und bewaffneten griechischen Sicherheitskräften begleitet. Bewaffnete BKA, BGS- und GSG-9-Beamte dürfen sich nur um die Sicherheit der extraterritorialen deutschen Einrichtungen in Griechenland kümmern: Um die deutsche Botschaft, das deutsche Haus und das deutsche Schiff: Das ist das Kreuzfahrtschiff Aida Aura. Es liegt – zusammen mit zehn anderen Schiffen - als Herberge der gehobenen Art im Hafen von Piräus, einem Ort, den die Verantwortlichen für besonders gefährdet halten.

Doch auch die Bundesgrenzschützer sind in einem Dilemma. Kreuzfahrtschiffe gelten als mögliche Ziele für Minen. Doch wenn BGS-Kräfte im Wasser nachschauen würden, müßten sie im Trüben fischen – zumindest rechtlich gesehen. Denn das Wasser um das Schiff ist griechisches Hoheitsgebiet und damit eigentlich tabu. Besser für die Minensuche und –entschärfung ausgerüstet wäre die Bundeswehr. Doch die hat weder ein UNO- Mandat noch die Zustimmung des Bundestags. Und damit fehlt die Rechtsgrundlage für einen Einsatz, so besorgte Hausjuristen des Bundesministeriums für Verteidigung. Neu sind denen diese Fragestellungen nicht. Je stärker die Bundeswehr in die Bekämpfung des internationalen Terrorismus einbezogen wird und je häufiger bei Bundeswehreinsätzen im Rahmen der NATO Aspekte der äußeren und inneren Sicherheit gleichzeitig eine Rolle spielen, desto häufiger steht die Bundeswehr vor der Problematik, daß sie aus verfassungsrechtlichen Gründen Aufgaben der inneren Sicherheit nicht übernehmen darf.

Auch im Ausland muß gelten, was diese im Inland vorschreibt – die Trennung der Instrumente des staatlichen Gewaltmonopols für die Innere und die Äußere Sicherheit. Diese politisch und zivilisatorisch wichtige und fortschrittliche Regelung aber gerät damit nicht nur durch die wiederholten Vorschläge konservativer Politiker unter Druck, die Bundeswehr auch im Inneren einsetzen wollen.

Druck entsteht auch durch die alltägliche Kooperation in der NATO. Dort kennen viele Mitgliedsstaaten keine so scharfe Abgrenzung. Sie sind irritiert, wenn deutsche Marinefernaufklärer Informationen über Schmuggler und Schleuser, die sie während ihrer Flüge über der Adria gewinnen, nicht an die italienischen Innenbehörden weitergeben dürfen. Sie sind verärgert, wenn zu Manövern, mit denen im Rahmen der Proliferations- Sicherheitsinitiative das Abfangen von Material für Massenvernichtungswaffen auf hoher See geübt werden soll, deutsche Zöllner und nicht Soldaten anreisen.

Bis 2006 muß die Bundesregierung all diese unterschiedlichen Herangehensweisen wohl unter einen Hut gebracht haben. Dann ereilt ein anderes sportliches Großereignis deutsches Territorium: Die Fußballweltmeisterschaft. Die Bundeswehr hat schon heute auf Ihrer Internetseite – www.bundeswehr.de – eine Sektion "Fußballweltmeisterschaft 2006 – Vorbereitungen der Bundeswehr". Die Bundeswehr werde – so ist dort zu lesen - dem Organisationskommitee bei Transport, Verpflegung, Unterbringung, Sanitätsdienst, Pressearbeit und Protokoll zur Seite zu stehen." Die Stichworte "Sicherheit" und Terrorismusabwehr fehlen. Übrigens auch auf der entsprechenden Seite des zuständigen Bundesinnenministers. Aber bis 2006 ist ja auch noch Zeit für beamtete Blitzmerker.

 

Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin, ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).