Streitkräfte und Strategien - NDR info
07. Februar 2004


Kein Schutz bei Terrorangriffen vor der Küste? Vom Luftsicherheitsgesetz zum Seesicherheitsgesetz

Susanne Härpfer

Terroristen, die ein Flugzeug entführen und damit einen Angriff wie am 11. September fliegen wollen, dürfen in Zukunft auch über Deutschland abgeschossen werden. So will es das Luft-Sicherheitsgesetz, das gerade im Bundestag beraten worden ist. Doch sein Pendant für die Küste lässt immer noch auf sich warten. Wenn Terroristen Schiffe entführen, muss die Marine zur Zeit tatenlos zusehen. Denn das Grundgesetz verbietet den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Dies sollte sich ändern, wenn es nach der CDU/CSU ginge. Doch eine Grundgesetzänderung versucht die Bundesregierung zu verhindern. Deshalb wird an einem See-Sicherheitsgesetz gearbeitet. Unter der Federführung des Bundesinnenministeriums finden "erste Vorüberlegungen zur Einschätzung der bestehenden Gefährdungs- und Rechtslage statt", so ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums auf Anfrage von "Streitkräfte und Strategien". Eine interministerielle Arbeitgruppe gebe es aber zur Zeit noch nicht. Das sieht das Bundesinnenministerium anders. Eine solche Arbeitsgruppe gebe es durchaus. Außerdem bekräftigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums – so wörtlich - "den erklärten Willen von Bundesinnenminister Schily und Bundesverteidigungsminister Struck, ein solches Gesetz zu entwickeln".

Der Befehlshaber der Flotte, Vizeadmiral Wolfgang Nolting, sieht "akuten organisatorischen und gesetzgeberischen Handlungsbedarf, um überhaupt eine Chance zu haben, die Bundesrepublik seeseitig gegen den Terrorismus zu schützen". Denkbar sind unterschiedliche Szenarien, wann ein Einsatz der Marine wünschenswert wäre. Aber ohne See-Sicherheitsgesetz ist er zur Zeit nicht möglich. Einige solcher potentiellen Sicherheitslagen wurden auf einer vertraulichen Tagung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik im Dezember vergangenen Jahres vorgestellt.

Ein Szenario sah wie folgt aus: Um drei Uhr nachts ist ein Kreuzfahrtschiff auf dem Weg von St. Petersburg nach Warnemünde. In der Mecklenburger Bucht wechseln einige der Reisenden ihren Smoking mit dem Tarnanzug. Die Terroristen besetzen die Brücke und übernehmen das Kommando. Der Kapitän wird im Schlaf überwältigt, der 1. Offizier am Ruder überfallen. Dann geht ein zweites Schiff längsseits. Es bringt weitere Terroristen und Ausrüstung an Bord. Innerhalb einer Stunde verminen sie die Decks des Kreuzfahrtschiffes. Die Passagiere werden aus ihren Kabinen in den Prunksaal getrieben. Dort, wo sonst allabendlich Shows stattfinden, halten schwerbewaffnete Terroristen die zumeist älteren Gäste in Schach. Eine Satellitenanlage steht bereit, Bilder eines Massakers so wie im Moskauer Theater zu übertragen. Die Geiselnehmer geben bekannt, dass sich das Schiff in ihrer Gewalt befindet. Sie fordern die Freilassung aller Gefangenen von Guantánamo. Die Forderung läuft in Warnemünde auf. Das Schiff pflügt weiter durch die Nacht. Es durchquert Küstengewässer mit unterschiedlichen Zuständigkeiten. Ansprechpartner ist zunächst Mecklenburg-Vorpommern, dann Schleswig-Holstein aber auch der Bund. Während die Beamten versuchen, untereinander Kontakt aufzunehmen, werden die ersten Passagiere erschossen. Inzwischen begleiten Boote des Bundesgrenzschutzes das Schiff. Die können zwar beobachten. Sie sind aber weder in der Lage, die Terroristen abzudrängen oder zu stoppen noch einen Gegenangriff zu starten. Vizeadmiral Nolting kommt daher zu dem Schluss: "Nach dem bisherigen Verständnis von Amtshilfe, dürfte die Marine nicht einmal Vollzugsbeamte der Polizei in den Einsatz transportieren."

Anders wäre das erst nach Verabschiedung eines See-Sicherheitsgesetzes. Dann könnte die Marine von Kiel, Warnemünde und Wilhelmshaven aus mit Schnellbooten Eingreifkräfte an das Objekt bringen z.B. den BGS - aber auch Kampfschwimmer und andere Zugriffskräfte, die das gekaperte Kreuzfahrtschiff entern könnten. Zugleich würde es Ablenkungsmanöver zur See und zur Luft geben. In einer zweiten Welle würden Hubschrauber weitere Spezialisten zur Unterstützung absetzen. Die Küstenwache wäre bei einem solchen Szenario integriert.

Zur Zeit wären nur GSG-9-Einheiten in der Lage, ein großes Kreuzfahrtschiff zu entern. Denn gegenwärtig werden Bundeswehr-Soldaten für derartige Szenarien nicht ausgebildet. Zwar unterstützt die deutsche Marine die Operation "Enduring Freedom". Und seit Anfang des Jahres fahren Schnellboote und ein Tender in der Straße von Gibraltar zwischen Spanien und Marokko Patrouille. Ihr Hauptauftrag ist allerdings, verdächtige Schiffe zu beobachten und Handelsschiffen gegebenenfalls Geleitschutz zu geben. Flottenbefehlshaber Wolfgang Nolting weist auf eine paradoxe Situation hin: Die Bundesrepublik Deutschland hat zwar das internationale Seerechtsübereinkommen unterzeichnet. Damit ist sie auch zur Bekämpfung der Piraterie verpflichtet. Aber innerstaatliches Recht bzw. die gegenwärtige Auslegung des Grundgesetzes verbietet es der Marine weitgehend, sich daran zu beteiligen. Nur in akuten Pirateriefällen darf sie im Rahmen einer Nothilfe eingreifen. Eine anschließende Verfolgung der Piraten durch die Marine sei jedoch nicht erlaubt, solange Schiffe der Bundeswehr nicht direkt angegriffen würden.

Seerechts-Experten bezweifeln daher, ob Deutschland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommt, die sich aus dem Seerechtsübereinkommen ergeben. Ein See-Sicherheitsgesetz könnte Klarheit schaffen, und sowohl den Einsatz der Marine in internationalen Gewässern neu regeln als auch im deutschen Küstengebiet. Das See-Sicherheitsgesetz könnte auch bei einer anderen Bedrohungslage zur Klärung beitragen. Etwa, wenn die Geheimdienste erfahren, dass ein Container mit gefährlichem Inhalt auf dem Weg in einen deutschen Hafen ist. Nach geltendem Recht dürfte die Marine einen solchen Transport nicht stoppen. Aber auch wenn die rechtlichen Grundlagen vorliegen würden, müsste die Marine sich auf die neue Situation erst einstellen. Die Soldaten benötigen für die neuen Aufgaben eine entsprechende Ausbildung. Eine Zusammenarbeit von BGS, Polizei, Küstenwache und Marine gibt es bislang nicht. Bei einem See-Sicherheitsgesetz muss sie geprobt werden, Zuständigkeiten müssten neu geordnet, eine neue Kommando-Kette gebildet werden.

Im Oktober hat in Kalkar die "Führungszentrale Nationale Luftverteidigung" der Luftwaffe als zentrales Koordinierungselement seine Arbeit aufgenommen. Dort würden Informationen über ein gekapertes Verkehrsflugzeug auflaufen. Von Kalkar aus werden auch die bereitstehenden Abfangjäger geführt. Die Marine bräuchte ein vergleichbares Zentrum. Während die deutschen Seestreitkräfte eine neue Aufgabe bekämen, droht den Krisenstellen der Länder hingegen ein Bedeutungsverlust. Auch deshalb kommt von hier Kritik an den Plänen eines neuen Antiterrorkonzepts - vor allem von nachgeordneten Behörden der Länder. Wegsehen, aussitzen, abschieben, hoffen - so reagieren betroffene Behörden und Schiffseigner aber auch bei der Prävention. Zwar hat die UN-Organisation "International Maritime Organization" IMO im Dezember 2002 beschlossen, das bis zum 1. Juli dieses Jahres alle Schiffe einen ausgebildeten Sicherheitsoffizier haben müssen. Der kann allein zwar keine Terror-Angriffe verhindern. Aber er soll mit den Gefahren vertraut sein und wissen, wie sich die Schiffsbesatzung gegen simple Piratenüberfälle schützen kann. Selbst diese einfachen Sicherheitsmaßnahmen werden offenbar nicht umgesetzt. Das ergab eine Umfrage unter IMO-Mitgliedern. "Es besteht Anlass zur Sorge", so das Urteil einer Sprecherin der Schifffahrts-Organisation.

 

Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin.