6. Oktober 2001
Streitkräfte und Strategien, NDR info

 

Krieg im Frieden?
Ein Problem für den demokratischen Rechtsstaat

von Otfried Nassauer

Neu ist die Idee nun wirklich nicht. Aber sie wird immer wieder neu aufgebracht. Zuletzt waren es in schneller Folge die CDU-Politiker Scholz, Schäuble und Merkel. Jetzt ist es Harald Kujat, der Generalinspekteur der Bundeswehr, der die Diskussion um die richtige Antwort auf den Terrorismus für den Vorschlag nutzt, die Bundeswehr bei der Terrorismusbekämpfung auch im Inland einzusetzen. Sie habe, so der oberste Soldat der Republik, "bestimmte Fähigkeiten, die es nirgendwo sonst in unserer Gesellschaft gibt und die im Falle eines terroristischen Angriffs benötigt würden." Zudem seien die gesetzlichen Regeln für den Einsatz der Bundeswehr in den 60er Jahren unter ganz anderen politischen Rahmenbedingungen geschaffen worden und bedürften der Überprüfung.

Kujats letzte Überlegung weist zu Recht auf ein Problem hin. Die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz der Bundeswehr wurden geschaffen, als niemand über regelmäßige Militäreinsätze im Ausland nachdachte, als jeder davon ausging, dass die Bundeswehr praktisch ausschließlich zur Landesverteidigung im Bündnis gebraucht werden würde - dann, wenn die Existenz der Bundesrepublik als Staat auf dem Spiel stehen würde. Die Bundeswehr kann in Friedenszeiten im Inland - so schreibt es das Grundgesetz vor - nur zur Katastrophenhilfe und in anderen schweren Notfällen eingesetzt werden. Ihre Aufgaben im Frieden sind mit dem Ziel der demokratischen Einbindung klar von jenen der Polizeikräfte abgegrenzt. Erst die Ausrufung des Spannungsfalls erweitert die Einsatzmöglichkeiten um den Schutz von wichtigen Gebäuden, Anlagen und die Verkehrsregelung. Zudem gibt es eine enge Verkopplung der rechtlichen Grundlagen für einen Bundeswehreinsatz mit der Notstandgesetzgebung, da mit der Ausrufung von Spannungs- und Verteidigungsfall nach und nach Notstandsgesetze zur Anwendung kommen können. Mit diesen sollte die Mobilisierung umfassender ziviler und wirtschaftlicher Ressourcen für die Landesverteidigung erleichtert und die Handlungsfreiheit der Exekutive durch Einschränkung der Rechte von Bürgern und Legislative vergrößert werden.

Bei den ersten Entscheidungen über internationale Einsätze der Bundeswehr, also nach dem Kalten Krieg, wurde unverändert mit diesen rechtlichen Instrumentarium gearbeitet. Die bisherigen Bundeswehreinsätze - pikanterweise außer jenen des Kommandos Spezialkräfte - wurden parlamentarisch gebilligt. Sie wurden als nationale Beiträge zu multinationalen Einsätzen kollektiver Sicherheit durchgeführt. Auf eine Diskussion über Bündnisfall, Spannungsfall und Verteidigungsfall und damit auf eine Debatte über die Notstandsgesetzgebung wurde weitgehend verzichtet - die Einsätze fanden ja weit ab von deutschem Territorium statt.

Seit den Terroranschlägen auf die USA ist dies nun anders. Die NATO hat den Bündnisfall festgestellt. Terroranschläge könnte es auch in anderen NATO-Staaten geben. Damit aber wird die bundesdeutsche Politik in die Diskussion über die enge Verzahnung von Bündnisfall, Spannungsfall und Verteidigungsfall gezwungen. Mit anderen Worten: Sie muß entscheiden, ob der Bündnisfall den Spannungs- oder gar Verteidigungsfall zur Folge haben soll - und damit all die potentiell problematischen Folgen der Notstandsgesetzgebung für Wirtschaft, Bürger, Politik und Demokratie. Eine solche innenpolitische Eskalation aber will die Bundesregierung nicht - zumindest derzeit nicht und schon gar nicht in Form einer öffentlichen Diskussion. Verteidigungsminister Scharping reagierte deshalb ungewohnt deutlich. Für Kujats Vorschlag gebe es "weder eine sachliche Notwendigkeit noch einen politischen Willen." Solche Vorstöße trügen "einen Alarmismus in die Diskussion", den er für unverantwortlich halte.

Doch das Dilemma kann auch der Minister nicht leugnen. Die rechtlichen Grundlagen für Bundeswehreinsätze im Ausland haben in der Tat Schwächen. Sie wurden geschaffen, um die demokratische Grundordnung und Gewaltenteilung bestmöglich zu schützen und doch klare rechtliche Grundlagen für einen schnellen Übergang vom Frieden zu einem die Existenz der Bundesrepublik gefährdenden Krieg zu ermöglichen. Bis heute fehlen allerdings klare Regelungen, um im Frieden über Militäreinsätze im Ausland und gegebenenfalls deren begrenzte sicherheitspolitischen Rückwirkungen auf die Innenpolitik entscheiden zu können. Bislang besteht hier nur die Möglichkeit, nichts zu tun oder auf überzogene Mittel wie die Ausrufung von Spannungsfall und Verteidigungsfall zurückzugreifen. Die politische Praxis aller Bundesregierungen nach dem Kalten Krieg hat diese Problematik eher verschärft als reduziert.

Zwar wurde Anfang der neunziger Jahre kurz diskutiert, ob das Ende des Kalten Krieges die Notstandsgesetzgebung nicht überflüssig mache. Aber die Idee war schnell wieder vom Tisch. Auch führten die Auslandseinsätze der Bundeswehr wiederholt zu Diskussionen darüber, ob ein Entsendegesetz notwendig sei. Zwei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht  ranken sich mittlerweile um die Auslandseinsätze, ihre Legitimität und die Mitspracherechte des Bundestages. Mancher fragt sich zudem, warum für den Beschluss über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr die einfache Mehrheit der anwesenden Bundestagsabgeordneten hinreichend sein soll, während die Verfassung für die Feststellung des Verteidigungsfalles eine Zweidrittelmehrheit vorschreibt. Andere kritisieren dagegen, der Parlamentsvorbehalt sei zu zeitraubend und - so ist hinter vorgehaltener Hand zu hören - er schränke unnötig das Regierungshandeln ein. Dies schmälere den Einfluss Deutschlands auf internationale Operationen im Vergleich zu Staaten, in denen die Regierung schnell auch ohne ihre Legislative entscheiden könne.

Klammheimlich schiebt sich also die Frage in den Vordergrund, ob die Bundeswehr Parlamentsarmee bleiben und auch künftig nur eingesetzt werden soll, wenn der Bundestag als Volksvertretung zustimmt. Verteidigungsminister Scharping kann sich allerdings bereits jetzt vorstellen, den Bundestag über bestimmte Bundeswehreinsätze erst im Nachhinein zu informieren und denkt dabei wohl vor allem an die bereits erfolgten geheimen Einsätze des Kommandos Spezialkräfte.

Im Kern geht es bei dieser Diskussion immer wieder um dieselbe Frage: Was kann und darf die Regierung, die Exekutive, ohne Zustimmung des Parlamentes? Und was darf sie erst, wenn das Parlament zugestimmt hat? Es geht also um das Recht demokratisch über Krieg und Frieden zu entscheiden. Alle Bundesregierungen seit Ende des Kalten Krieges haben jedoch peinlich genau darauf geachtet, dass der Handlungsspielraum der Exekutive nicht verringert wird. Vielmehr haben sie sich geweigert, neue rechtliche Regeln für die politische Billigung von Bundeswehreinsätzen im Ausland vorzuschlagen. Mehr noch. Sie haben erfolgreich ihren Handlungsspielraum durch Interpretation existierenden Rechts und eigene politische Praxis erweitert. Vielen Bundestagsabgeordneten geht diese Entwicklung mittlerweile zu weit. Nur die Koalitionsräson oder die Hoffnung, bald selbst wieder die Regierung zu stellen, hält sie davon ab, das Problem öffentlich zu benennen. Doch jetzt, nach dem 11. September, geht es nicht länger allein um die Frage, ob das Parlament mitentscheidet, wenn einige Hundert oder Tausend Soldaten ins Ausland geschickt werden. Es geht nun auch um die innenpolitischen Rückwirkungen auf Demokratie und Rechtstaatlichkeit in der Bundesrepublik selbst. Die Auseinandersetzung betrifft jeden Bürger, jeden Parlamentarier und nicht länger nur den dienstpflichtigen Soldaten. Alle gemeinsam stehen vor den innenpolitischen Auswirkungen eines Krieges im Frieden. Sollen im Namen der Terrorbekämpfung Bürgerrechte und Parlamentsrechte eingeschränkt und zugleich die Handlungsmöglichkeiten der Exekutive erweitert werden? Mit anderen Worten: Erweist sich die Demokratie als wehrhaft, weil sie der Drohung mit Terror trotzt und Demokratie bleibt? Oder erweist sie sich als wehrhaft, indem sie auf demokratische Freiheiten verzichtet? Die politische Auseinandersetzung wird also um den Schutz der Demokratie vor der Forderung nach größtmöglicher Handlungsfreiheit für die Exekutive geführt.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).

 

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