Streitkräfte und Strategien - NDR info
03. April 2004


Abschied vom alten Denken? - Wie die Bundeswehr die Offizier-Ausbildung reformieren will

Otfried Nassauer

Jeder Interessierte weiß es inzwischen: Die Bundeswehr wird nicht mehr reformiert. Sie wird transformiert. Doch was genau ist der Unterschied? Wolfgang Schneiderhan, der Generalinspekteur, benennt immer wieder wesentliche Punkte:

  • Den neuen aus den veränderten Aufgaben abgeleiteten Fähigkeits- orientierten Ansatz.
  • Den Prozesscharakter der Transformation, der die Bundeswehr nicht in eine fest ausgeplante, neue Struktur überführen soll, sondern bei dem sich auch das Ziel des Reformprozesses selbst weiterentwickelt.
  • Den teilstreitkräfteübergreifenden Ansatz, bei dem es vor allem auf die künftigen Fähigkeiten der Bundeswehr als Ganzes und nicht länger vorrangig darauf ankommt, was die einzelnen Teilstreitkräfte leisten können.

Doch ohne deutliche Veränderungen bei Personal und Ausbildung ist wirkliche Transformation nicht möglich. Wolfgang Schneiderhan war es dann auch, der Anfang des Jahres bei der Vorstellung der Eckpunkte für die neue Konzeption der Bundeswehr feststellte: "Die Offizierausbildung wird mit ihren militärischen Anteilen stärker auf die wahrscheinlicheren Einsätze im multinationalen und teilstreitkräftegemeinsamen Umfeld ausgerichtet. Das gilt von der Offizierschule bis zur Führungsakademie." Zitat Ende. Der Bundeswehr wird also auch die längst überfällige Reform ihres Ausbildungssystems verordnet. Neue Aufgaben machen neue Kenntnisse erforderlich.

Im vergangenen Monat präsentierte der Generalinspekteur erste Schritte: In seiner Weisung zur Weiterentwicklung der Streitkräfte wird u.a. angeordnet, den teilstreitkräfteübergreifenden Aufbau einer Logistikschule und einer Führungsunterstützungsschule der Bundeswehr zu planen. Details zur Reform der Offizierausbildung sind allerdings noch nicht bekannt. Und die Führungsakademie?

Die Führungsakademie der Bundeswehr hat die Aufgabe, die Elite der Bundeswehr aus- und weiterzubilden. Auch hier hat das Nachdenken begonnen, wie die Generalstabsausbildung den künftigen Anforderungen besser gerecht werden kann. Neue Aufgaben machen neue Bildungs- und Ausbildungsangebote erforderlich, aber auch neue Ausbildungsstrukturen. Die Neuausrichtung der Bundeswehr verlangt eine Neuorientierung des militärischen Bildungswesens. Bildungsinhalte und Ausbildungsziele müssen neu definiert werden. Das ergibt sich schon daraus, dass die Bundeswehr eine "Armee im Einsatz" werden soll, die zum Beispiel Eingreif- und Stabilisierungsoperationen im Ausland durchführt. Das erfordert Offiziere und Soldaten, die sich in das politische, soziale, kulturelle und religiöse Umfeld im Einsatzland weitgehend eigenständig, schnell und flexibel einarbeiten können. Die neue Bundeswehr braucht darüber hinaus Offiziere, die die Lage im Einsatzland und die Konsequenzen des eigenen Vorgehens dort im voraus strategisch analysieren und im Nachhinein selbstkritisch auswerten können. Die Führungsakademie als höchste Bildungsstätte der Bundeswehr, muss sich diesen Notwendigkeiten besonders früh stellen. Denn wie sollte sich die Bundeswehr als Ganzes auf die neuen Herausforderungen vorbereiten können, wenn nicht einmal die Offiziere im Generalstabsdienst das nötige Handwerkszeug gelernt haben?

Dazu muss die Organisation der Führungsakademie verändert werden. Diese ist noch weitgehend an den Ausbildungserfordernissen des Kalten Krieges ausgerichtet. Manche Bereiche, z.B. die Lehrgangsorganisation, sind zwar bestens ausgestattet, können aber künftig zum Ausbildungserfolg kaum noch etwas beitragen. Die Struktur der Führungsakademie ist auf die bisherige starke Rolle der einzelnen Teilstreitkräfte ausgerichtet und kennt kaum eine bundeswehrgemeinsame Orientierung. Zugleich gilt: Veraltete Strukturen stellen meist auch Einspar- und Rationalisierungspotentiale dar, deren Nutzung den Abbau von Reibungsverlusten verspricht. Ressourcen können freigesetzt werden, z.B. um der Akademie eine begrenzte Forschungskomponente zu geben, die sicherstellt, dass militärische Grundsatzfragen nach wissenschaftlichen Standards bearbeitet werden. Denn was an der Akademie gelehrt werden soll, wird in Deutschland an keiner Universität erforscht.

Derzeit hat die Führungsakademie eine problematische und aufgeblähte Führungsstruktur. Zwei Bereiche, Lehre und Lehrgangsorganisation mit je einem General an der Spitze, untergliedern sich in sechs Fachbereiche, ein Zentrum und umfängliche Strukturen der Lehrgangsorganisation mit Leitern, Tutoren und Disziplinarfunktionen. Der militärische Anteil dominiert. Die Teilstreitkräfte und ihre Interessen spielen eine große Rolle. Künftig sollte die Führungsakademie in zwei gleichwertige Bereiche und mehrere flexible, fachlich orientierte Kompetenzzentren gegliedert werden. Infrage kommen einerseits ein Bereich "Wissenschaft und Forschung", zuständig für die wissenschaftliche Bildung, und andererseits ein Bereich "Militärische Lehre", zuständig für die militärische Weiterbildung der Offiziere. Beide gemeinsam sollten die Lehrgänge der Generalstabsausbildung gestalten und verantworten. Die fachlich orientierten Kompetenzzentren sollten je nach Thema unter Federführung eines der beiden Bereiche aufgebaut werden. Auf der militärischen Seite bietet sich an, Kompetenzzentren aufzubauen, die sich an den künftigen Aufgaben und Strukturen der Bundeswehr ausrichten, also an "Eingreifaufgaben", "Stabilisierungs-Missionen" und "Unterstützungsaufgaben". Der wissenschaftliche Bereich sollte Kompetenzzentren aufbauen mit den Schwerpunkten "Innere Führung und Militärsoziologie", "Betriebswirtschaft" sowie "Strategie und strategische Analyse". Bereichsübergreifend könnte an einem gemeinsamen Kompetenzzentrum für die Vorbereitung von Offizieren auf Aufgaben in multinationalen oder internationalen Stäben und Einsätzen gearbeitet werden.

Eine solche deutlich schlankere Gliederung würde wesentliche, aber produktive Veränderungen mit sich bringen. Sie beginnen beim Selbstverständnis der Führungsakademie und ihrer Organisation der Lehre: Bislang ist die Ausbildung an der Führungsakademie - überspitzt formuliert – vergleichbar mit dem Unterricht an einer gymnasialen Oberstufe vor der Oberstufenreform. Es gibt noch Klassenverbände mit Tutoren, also Klassenlehrern. Künftig sollte die Führungsakademie zu einer echten "Akademie" werden, das heißt zu einer post-universitären Ausbildungsstätte mit entsprechenden Bildungs- und Ausbildungsangeboten, aber auch entsprechenden Strukturen für eigenverantwortliches Lernen. Die überwiegende Zahl der Lehrgangs-teilnehmer hat schließlich bereits eine abgeschlossene universitäre Ausbildung. Nur so können jene Kompetenzen vermittelt werden, auf die es bei der Auftragserfüllung durch die Bundeswehr künftig immer mehr ankommen wird – Kompetenzen wie Eigenverantwortlichkeit, Analysefähigkeit und Entschei-dungsbereitschaft.

Widerstände sind zu erwarten. Aber sind sie mehr als Besitzstandswahrung? Mehr als das Festhalten am Nicht–mehr-Zeitgemäßen?

Keine Frage, die Teilstreitkräfte werden um Einfluss und Dienstposten fürchten. Sie haben das Geschehen und die Personalstruktur an der Führungsakademie bisher dominiert. Aber kann eine teilstreitkräfteübergreifende Ausrichtung der Bundeswehr auf bundeswehrgemeinsame Fähigkeiten für die neuen Aufgaben überhaupt gelingen, wenn die Teilstreitkräfte dominieren? Sicher, das Gewicht der wissenschaftlichen Bildung und die Zahl der zivilen Dozenten würde deutlich steigen. Der Anteil und Einfluss des militärischen Personals nähme ab. Aber gibt es eine ernstzunehmende Alternative, wenn es darum geht, kompetente, flexible Führungspersönlichkeiten auszubilden, die eigen-verantwortlich Entscheidungen in wechselnden Auftrags- und Einsatz-umfeldern treffen können? Dazu müssen sie äußerst bildungsfähig und gebildet sein. Sie müssen eigenständig mit strategisch-analytischen, sozialen und ethischen Fähigkeiten beweisen, dass sie kompetent umgehen können mit Menschen, Informationen und ihrem Auftrag. Gefragt sind immer weniger Befehlstaktik, stattdessen immer mehr Auftragstaktik. Als Offizier der Zukunft ist vor allem der gebildete Staatsbürger in Uniform gefragt – ganz gleich wo er eingesetzt wird –, weniger der Technokrat und noch weniger der Kämpfer oder gar Krieger.

Und noch etwas macht einen solchen Ansatz attraktiv: Die Führungsakademie der Zukunft käme mit deutlich weniger Personal aus als heute. Sie kann also sparen und trotzdem mehr leisten. Schon das ist ein Argument für eine Reform der höchsten Ausbildungsstätte der Bundeswehr.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).