US-Atomwaffenarsenal: Was sich unter Trump alles ändern wird
von Otfried Nassauer
Wenn Donald Trump über Atomwaffen twittert oder redet, ist die
Verwunderung oft groß. Das wichtigste atomare
Rüstungskontrollabkommen mit Russland, den New-START-Vertrag
nannte er kurzerhand ein „einseitiges Geschäft“ zum
Vorteil Russlands. Putins Angebot, die Laufzeit dieses Vertrages um 5
Jahre zu verlängern, schlug er aus. Gleich zu Beginn seiner
Amtszeit behauptete er, eine umfassende Modernisierung der
Nuklearstreitkräfte in Auftrag gegeben zu haben, von der niemand
wusste. Und vor drei Monaten soll er bei einer Sitzung im Weißen
Haus sogar eine Verzehnfachung des Atomwaffenbestandes der USA für
notwendig gehalten haben. Oft werden solche Äußerungen
schnell widerrufen, uminterpretiert oder zu Fake News erklärt.
Trumps Grundhaltung spiegelt sich wohl am ehesten in einer Aussage vom
vergangenen Februar wider:
O-Ton Trump (overvoice)
„Es wäre wunderbar, wenn wir vereinbaren könnten, dass
kein Land Atomwaffen hat. Wenn und solange aber Länder Atomwaffen
haben, werden wir an der Spitze des Rudels stehen.“
In den nächsten Monaten muss Donald Trump konkreter
werden. Er muss dem US-Kongress einen Bericht über die Zukunft des
Atomwaffenpotentials der USA und über die künftige Rolle
nuklearer Waffen vorlegen - den sogenannten Nuclear Posture Review. Das
Gesetz fordert von jedem US-Präsidenten, der zum ersten Mal ins
Amt gewählt wird, ein solches Dokument. Trump hat die Studie kurz
nach seinem Amtsantritt in Auftrag gegeben. Seit April ist sie
offiziell in Arbeit. Militärexperten aus Think Tanks und die
Generalität betreiben jetzt die Lobbyarbeit für ihre
Vorschläge, wie Trumps Nuclear-Strategie sich von der seines
Vorgängers Obama unterscheiden sollte.
Schon Barack Obamas Nukleardokument hatte es in sich: Es sah
vor, in den nächsten Jahrzehnten alle Trägersysteme für
Atomwaffen der USA durch neue Systeme zu ersetzen. Zugleich sollten
alle fünf Typen von atomaren Sprengsätzen modernisiert
werden, die die USA bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts
behalten wollen. Ein Programm, das über 30 Jahre geschätzt
etwa 1.000 Milliarden Dollar oder mehr kosten würde. Was also soll
unter republikanischer Führung auf dieses allumfassende und
irrwitzig teure Vorhaben noch draufgesattelt werden?
Adam Smith, der Sprecher der Demokraten im
Verteidigungsausschuss des Repräsentantenhauses, brachte das
Dilemma bei einer Konferenz in Washington im Juli auf den Punkt:
O-Ton Smith (overvoice)
„Im Grunde versetzen uns die Generäle und die Leute
aus den Denkfabriken in Angst und Schrecken, weil wir bei allem und
jedem hinterherhinken (...). Die Botschaft, die massiv verbreitet wird,
ist Panik: Sie müssen uns mehr Geld geben. (...) Was wirklich
beunruhigend ist, ist das Fehlen einer Strategie, die Abwesenheit von:
Okay, hier ist unser Bedarf, hier sind die Ressourcen, mit denen wir
vernünftigerweise rechnen können und hier sind unsere
Prioritäten. Das ist das, was nicht gemacht wurde.“
Es sind vor allem konservative zivile Militärexperten aus
dem Umfeld der Republikaner, die versuchen, neue Vorschläge
einzubringen. Sie möchten, dass Trump in seinen Nuclear Posture
Review die Analyse der Bedrohungen in den Vordergrund rückt.
Bedrohungen, aus denen Forderungen nach zusätzlichen
Waffenprogrammen und Fähigkeiten abgeleitet werden können.
Hans Kristensen, Nuklearexperte bei der Vereinigung Amerikanischer Wissenschaftler, beschreibt diesen neuen Ansatz so:
O-Ton Kristensen (overvoice)
„Ein Punkt hat mit dem internationalen Klima zu tun. Sie werden
wahrscheinlich argumentieren, dass sich die Lage geändert hat,
dass es nicht länger eine positive Beziehung zu Russland gibt,
sondern dass Russland jetzt ein Gegner ist. Das wird wohl den Ton des
Nuclear Posture Reviews bestimmen.“
Daneben sei vor allem mit zwei Vorschlägen zur
Atomwaffenmodernisierung zu rechnen: Zum einen sollen künftig auch
die Langstreckenraketen der USA mit Atomwaffen ausgestattet werden,
deren Sprengkraft variabel eingestellt werden kann. Außerdem
sollen diese Waffen deutlich zielgenauer werden. Solche Waffen brauche
man, um ungewollte Kollateralschäden zu vermeiden. Das würde
diese Waffen deutlich flexibler nutzbar machen und damit auch die
Schwelle vor dem Einsatz senken.
Hans Kristensen hält das für überflüssig:
O-Ton Kristensen (overvoice)
„Was da natürlich fehlt ist die Tatsache, dass die USA
bereits mehr als 1.000 nukleare Sprengköpfe besitzen,
Sprengköpfe für Marschflugkörper und für
Atombomben, die schon über eine sehr niedrige Sprengkraft
verfügen. Das Neue wäre also, diese Fähigkeiten auch
noch bei ballistischen Raketen einzuführen. (...) Es ist eine
grundsätzliche Strategie im amerikanischen Militär, dass sie
versuchen, die Zielgenauigkeit und die Effizienz nuklearer Waffen zu
vergrößern, damit die Sprengkraft der Waffen verkleinert
werden kann. So bekommt der Präsident die Möglichkeit,
Atombomben einzusetzen, die geringere Kollateralschäden
verursachen.“
Ein zweiter Vorschlag resultiert aus dem wiederholten Vorwurf,
Russland verletze den vor 30 Jahren geschlossenen Vertrag über das
Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen mit Reichweiten von
500 bis 5.500 Kilometern. Moskau habe einen landgestützten
Marschflugkörper dieser Reichweite getestet und stationiere diesen
inzwischen, so die Behauptung. Auch wenn der Öffentlichkeit
dafür bislang kein klarer nachvollziehbarer Beweis vorgelegt
wurde, folgt daraus eine Forderung. Washington soll ebenfalls ein
landgestützes Marschflugkörper-System entwickeln und zur
Stationierung in Europa vorhalten.
Die zuständigen amerikanischen Generäle reagieren
überwiegend zurückhaltend. Sie sind sich zwar einig, dass sie
erheblich mehr Geld wollen. Das „Wofür“ bleibt aber
meist vage. Sie wollen sich keine Verpflichtungen aufhalsen,
spezifische neue Waffensysteme neu einzuplanen. Sie wissen zu genau,
dass dies auf Kosten des für konventionelle Waffen
verfügbaren Gelds gehen würde. Zudem könnte es einen
neuen atomaren Rüstungswettlauf hervorrufen und die Notwendigkeit,
gegen geltende Rüstungskontrollabkommen zu verstoßen.
Die Militärs wissen auch, dass viele der atomaren
Modernisierungsvorhaben, die sie der Regierung Obama verkauft haben,
deutlich teurer werden als geplant und auch länger dauern als
angekündigt. Sie wollen keine unbegrenzte, maßlose und nicht
finanzierbare nukleare Aufrüstung in Gang zu setzen. Mit der
Maxime der amerikanischen Nuclear-Strategie unter der Regierung Obama
und deren Modernisierungsplänen, einem „Weniger ist
mehr“, können sie im Grundsatz gut leben.
Wird Trumps Nuclear Posture Review Auswirkungen für
Europa haben? Unweigerlich. Die USA sind die entscheidende Nuklearmacht
in der NATO. Obama’s Bericht fand 2010 unmittelbar Widerhall in
der westlichen Allianz. Er schrieb die nukleare Teilhabe und die
Stationierung US-amerikanischer Nuklearwaffen in Europa auf Jahrzehnte
neu fest und stellte damit auch Weichen für die geplante
Modernisierung der Nuklearwaffen in Europa. Die NATO wird über die
Auswirkungen des Trump‘schen Nuclear Posture Reviews beraten.
2018 ist ein NATO-Gipfel geplant, bei dem Konsequenzen für das
Bündnis beschlossen werden können.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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