Welche Rüstungsbereiche sind militärische Schlüsseltechnologien?
von Otfried Nassauer
Die deutsche Rüstungsindustrie lebt von der Bundeswehr und vom
Export. Überwiegend kommen die Käufer aus dem Ausland;
inzwischen sogar mehrheitlich aus Drittländern. Also jenen
Staaten, die weder der NATO noch der EU angehören. Der
Rüstungsexport-Bericht der Kirchen hat das in dieser Woche wieder
kritisch angemerkt. – Zitat:
„Die
Liefergenehmigungen in Drittländer außerhalb von EU und Nato
sind mit 63,5 Prozent auf einem Rekordhoch.“
Sollen die Rüstungsexporte in umstrittene
Drittländer restriktiver gehandhabt werden, droht die Industrie
gerne mit Kapazitätsabbau oder gar Abwanderung ins Ausland. Ein
heikles Thema, weil dies Arbeitsplätze kosten könnte. Zudem
könnte auch der Anteil jener Rüstungsgüter sinken, mit
denen sich die Bundeswehr bei der heimischen Industrie eindecken kann.
Auch deshalb wird diskutiert, welche Schlüsseltechnologien die
deutsche Rüstungsindustrie künftig beherrschen soll. Was ist
unverzichtbar? Was soll aus dem Verteidigungshaushalt gefördert
werden, in Deutschland entwickelt und hergestellt werden?
Sigmar Gabriel, der Wirtschaftsminister, hat die Frage aufgeworfen und
die Verteidigungsministerin aufgefordert, Schlüsseltechnologien zu
benennen. Die Antwort überraschte ihn. Ursula von der Leyen
benannte nur Informationstechnologien und Schutztechniken:
O-Ton von der Leyen
„Im Eurohawk ist eine Technologie drin, eine
Aufklärungstechnologie – die brauchen wir in der Zukunft, um
unabhängig von anderen auch Erkenntnisse zu haben. Sie ist fast
fertig erforscht. Sie hat den Labortest bestanden. Sie muss jetzt nur
noch den Praxistest in großer Höhe bestehen.“
Von der Leyen sprach von ISIS, einem signalerfassenden
Aufklärungssystem der Firma Airbus, das sie gerne zuende
entwickeln und einführen möchte. Sie will deshalb die von
ihrem Vorgänger Thomas de Maiziere eingemottete Skandaldrohne Euro
Hawk wieder flott machen und das deutsche Aufklärungssystem
später an Bord einer Weiterentwicklung, der Drohne Triton,
beschaffen.
Ihre kurze Liste der zu fördenden Schlüsseltechnologien
brachte der Ministerin zunächst den Spott des Wirtschaftsministers
ein. Auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik sagte Gabriel:
O-Ton Gabriel
[Der Koalitionsvertrag von Union und SPD bekennt sich nicht nur zu
einer restriktiven Waffenexportpolitik, sondern stuft zugleich die
Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als eine Schlüsselbranche
von nationalem Interesse ein, deren Kernkompetenzen und industrielle
Fähigkeiten weiter entwickelt und deren Arbeitsplätze
erhalten werden sollen. (...)] Ich begrüße es [deshalb
sehr], dass die Bundesverteidigungsministerin diese Diskussion nun
begonnen und erste Hinweise mit Blick auf die Festlegung wesentlicher
nationaler Kernkompetenz gegeben hat. Der Deutsche Bundestag und auch
die Bundesregierung werden allerdings zu diskutieren haben, ob die sehr
schmale Festlegung des Verteidigungsministeriums auf
informationstechnische Kernkompetenzen dem Auftrag des
Koalitionsvertrages ausreichend Rechnung trägt.“
Der süffisante Seitenhieb auf die „sehr schmale
Festlegung“ auf „informationstechnische
Kernkompetenzen“ dürfte dem Wirtschaftsminister bald mehr
Sorgen als Freude machen. Die Kabinettskollegin hat ihn geschickt unter
Druck gesetzt. Von der Leyen zählte nämlich weder U-Boote,
noch Kleinwaffen oder gepanzerte Fahrzeuge zu den
Schlüsseltechnologien – allesamt Spitzentechnologie und
erfolgreiche Exportgüter der deutschen Rüstungsindustrie.
Glaubt sie, darauf könne man verzichten? Keineswegs. Über
diese Bereiche will sie erst noch mit Ihren SPD-Kollegen im
Wirtschafts- und Außenressort reden. Diese trifft eine
Mitverantwortung für die Industrie, denn bei Rüstungsexporten
haben diese die Federführung.
In einem internen Diskussionspapier beschrieb das
Verteidigungsministerium schon früh, es gehe ihm bei der
Festlegung von Schlüsseltechnologien um einen – so
wörtlich - „Indikator für das
sicherheitspolitische Votum des BMVg bei Exportfragen“. Mit
anderen Worten: Da wo Deutschland gut ist, z.B. bei Panzern und
U-Booten, würde das BMVg gerne für viele Exportgenehmigungen
votieren, damit es seine eigenen Gelder auf Bereiche konzentrieren
kann, in denen Deutschland besser werden soll. Das seien eben Bereiche
wie Aufklärung oder die Kryptologie zur Verbesserung der
abhörsicheren Kommunikation.
Für die SPD birgt die Kombination aus U-Booten, Panzern und
Kleinwaffen jedoch eher Probleme. An diesen Exportschlagern hängen
viele Arbeitsplätze in SPD-geführten Ländern. Seit
Jahrzehnten finanzieren die Gewinne aus U-Boot-Exporten die
Weiterentwicklung der deutschen U-Boot-Technik. Damit dies bei Panzern
oder Kleinwaffen ähnlich laufen könnte, müsste man diese
ebenso freizügig exportieren wie die U-Boote. In diese
Zwickmühle will von der Leyen das von der SPD geführte
Wirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt manövrieren.
Sigmar Gabriel muss das ungelegen kommen. Er hat sich öffentlich
für eine restriktivere Exportpolitik ausgesprochen. Bislang
lässt er keine Gelegenheit aus, sich als prinzipientreu
darzustellen. Verteidigungs- und Haushaltsexperten wie
Bartholomäus Kalb von der CDU und Gabriels SPD-Kollege Rainer
Arnold vergrößern jetzt allerdings den Druck. Sie sprechen
mittlerweile neben den Schlüsseltechnologien von den
Kernfähigkeiten der Rüstungsindustrie, die es in Deutschland
zu erhalten gelte. Damit meinen sie U-Boote, Panzer, Handfeuerwaffen,
Luft- und Raumfahrtprodukte und vieles andere mehr.
Doch die Zwickmühle für Gabriel kann auch auf das
Verteidigungsministerium zurückschlagen. Dort hat man zwei
Problembereiche konsequent ausgeblendet. Zum einen gilt für die
Bundeswehr immer noch das Prinzip „Breite vor Tiefe“.
Hellmut Königshaus, der Wehrbeauftragte, erläutert, was damit
gemeint ist:
O-Ton Königshaus
“Das bedeutet, wir können alles, aber wir können es nur
für kurze Zeit, weil wir eben dort in allen Bereichen etwas
aufbauen, aber nichts, das wir sozusagen über längere Zeit
durchhalten können.“
Mit anderen Worten: Die Bundeswehr will möglichst viele
militärische Fähigkeiten behalten. Wer so plant, kann auch
besser begründen, dass er eine Industrie braucht, die viel liefern
kann. Der CDU-Verteidigungsexperte Henning Otte, macht diesen Punkt
deutlich:
O-Ton Otte
„Bei der Benennung dieser Schlüsseltechnologien müssen
wir uns wohl breiter aufstellen, damit wir das Fähigkeitsspektrum
für die Bundeswehr auch erfüllen können. Eine breite
Aufstellung mag auf den ersten Blick vielleicht nicht effizient oder
betriebswirtschaftlich logisch sein. Aber Sicherheitspolitik ist mehr
als nur reine Betriebswirtschaftslehre. Sie ist eben auch Ausdruck
dessen, was wir brauchen, um die Souveränität unseres Landes
abbilden zu können.“
Es geht also nicht nur Schlüsseltechnologien, sondern
auch um weitere Kernfähigkeiten. Da das Prinzip „Breite vor
Tiefe“ aber für die Industrie betriebswirtschaftlich keinen
Sinn macht, muss man die Rüstungsbranche notfalls mit
Steuermitteln fördern und subventionieren - also erheblich
mehr Geld in die Hand nehmen, so wie es die Verteidigungspolitiker der
Koalitionsfraktionen mit Blick auf den Haushalt 2016 beabsichtigen.
Da zeigt sich dann das zweite Problem: Der im Sommer an eine
externe Firma vergebene Beratungsauftrag zur Durchleuchtung der
Beschaffungsprobleme der Bundeswehr beschränkte sich auf die
Amtsseite. Die Unternehmsberater sollten nicht herauszufinden, warum
die Industrie so oft viel zu teuer, viel zu spät und viel
schlechter liefert als geplant. Sie konzentrierten sich vielmehr auf
die Rüstungsbürokratie des Verteidigungsministeriums. Da die
Bundeswehr aber ihr Geld oft gerade deshalb nicht effizient ausgeben
kann, weil massive Probleme der Industrie das verhindern, müsste
sich auch bei den Rüstungsunternehmen gewaltig etwas
ändern, damit die Bundeswehr Waffensysteme effizient beschaffen
kann. Mit den Ende November verkündeten regelmäßigen
Gesprächsrunden zwischen dem Lobbyverband der
Rüstungsindustrie, dem BDSV und dem Ministerium wird es sicher
nicht getan sein. Das Interesse der Industrie gilt beidem: Mehr
Aufträgen der Bundeswehr und mehr genehmigten Exporten.
Kapazitätsabbau ist dagegen nicht im Interesse der
Rüstungsbranche.
Beide Versäumnisse des Verteidigungsministeriums, also die
mangelnde Durchleuchtung der Rüstungsbranche und das Prinzip
Breite vor Tiefe laufen also auf dieselbe Konsequenz hinaus wie von der
Leyens Vorschlag, die Rüstungsexportpolitik als Instrument zur
Förderung der Rüstungsindustrie einzuspannen: Man
benötigt mehr Geld, will aber den erforderlichen
Kapazitätsabbau in der wehrtechnischen Industrie umgehen. Das
Ergebnis wäre auf jeden Fall teuer.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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