Alles wie gehabt? Rüstungsexporte nach dem Urteil aus Karlsruhe
von Otfried Nassauer
Lesen bildet. Das gilt auch für den Wortlaut des
jüngsten Urteils des Verfassungsgerichts über die
Informationspflicht der Bundesregierung in Sachen
Rüstungsexport. Die Kläger aus der
Grünen-Bundestagsfraktion wollten erreichen, dass die
Bundesregierung ihnen deutlich mehr Informationen über die
Genehmigung von Rüstungsexporten zugänglich macht als
bislang üblich. Anlass der Klage waren Medienberichte
über einen geplanten Export Hunderter Leopard-Panzer nach
Saudi-Arabien im Jahr 2011. Dazu wollte die Bundesregierung damals
partout keine Auskunft geben und zog sich auf die Geheimhaltung
im Bundessicherheitsrat zurück. Die Abgeordneten der
Grünen sahen sich in ihrer Rolle als Kontrolleure der
Regierung beeinträchtigt und klagten in Karlsruhe.
Der erste Eindruck nach dem Urteil: Im Kern hat die Bundesregierung
Recht behalten. Sie hätte allerdings mitteilen
müssen, wenn sie den Export damals bereits endgültig
genehmigt hatte, stellt der Vorsitzende Richter Andreas
Voßkuhle fest:
O-Ton Voßkuhle
„Die Bundesregierung ist grundsätzlich verpflichtet,
Bundestagsabgeordneten auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass
der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes
Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder eine Genehmigung
nicht erteilt worden ist.“
„Grundsätzlich“ sagt der
Verfassungsrichter. Und es geht nur um Kriegswaffen, nicht um sonstige
Rüstungsgüter, den größten Teil
der Rüstungsexporte.
„Grundsätzlich“ bedeutet in der Sprache
der Juristen, dass es Ausnahmen gibt. Also darf die Bundesregierung dem
Parlament manchmal auch verschweigen, dass sie eine Exportgenehmigung
erteilt hat. Das ist der Fall, wenn das
„Staatswohl“ gefährdet wird –
ein dehnbarer Begriff. Es bleibt also abzuwarten, wann sich die
Bundesregierung künftig auf das
„Staatswohl“ zurückzieht und schweigt.
Verweigert sie eine Auskunft, so muss sie das allerdings
begründen.
Nur Details der bisherigen Praxis müssen deshalb nach dem
Urteil geändert werden. So hätten die Abgeordneten
2011 erfahren müssen, ob eine Genehmigung für den
Export von Leopard-Panzern erteilt wurde oder nicht. Begründet
werden muss eine Entscheidung jedoch nicht. Und über die
Antwort auf Voranfragen muss die Regierung ebenfalls keine Auskunft
geben. Noch einmal Verfassungsrichter Voßkuhle:
O-Ton Voßkuhle
„Darüber hinausgehende Angaben, etwa zu den
Gründen der Entscheidung sind dagegen verfassungsrechtlich
nicht geboten. Ebensowenig müssen Auskünfte zu noch
nicht abgeschlossenen Vorgängen erteilt werden, also zum
Beispiel über Voranfragen, da der Willensbildungsprozess
innerhalb der Bundesregierung in diesem Stadium besonders
geschützt ist.“
Die Entscheidung über Voranfragen darf also geheim bleiben.
Gegenüber dem Parlament jedenfalls - denn der anfragenden
Industrie wird das Ergebnis natürlich mitgeteilt. Das Gericht
fürchtet, dass die Parlamentarier versuchen könnten,
das weitere Regierungshandeln zu beeinflussen. Hans Christian
Ströbele, einer der Kläger, betont die Bedeutung der
Voranfragen:
O-Ton Ströbele
„Das wurde nicht zuletzt in den letzten Monaten immer wieder
deutlich, wenn Herr Gabriel, der Wirtschaftsminister, sich darauf
beruft, dass er Kriegswaffen exportieren muss, weil frühere
Bundesregierungen Voranfragen positiv beschieden haben. Da sagt er
selbst, dass die für ihn eine bindende Wirkung
haben.“
Da hatte der grüne Kläger allerdings
übersehen, dass das Gericht in seinem Urteil zugleich
festgehalten hat - Zitat:
Zitat BVerG-Urteil
„Aus einer solchen Mitteilung geht der Wille der
Bundesregierung sich zu binden (...) , nicht eindeutig hervor. Der
Bundessicherheitsrat und die beteiligten Ministerien sind folglich an
die positive Beantwortung einer Voranfrage nicht gebunden, ein
anschließender Antrag auf Erteilung einer Genehmigung kann
auch bei unveränderten Umständen abgelehnt
werden.“
Mit anderen Worten: Wenn die Bundesregierung sich auf die
Bindungswirkung ihrer Antwort auf Voranfragen beruft, dann ist das zwar
eine alte, aber keineswegs eine notwendige Praxis. Diese Antworten sind
keineswegs bindend. Auf ein früheres Ja kann durchaus ein Nein
folgen.
Glücklich macht ein solches Urteil natürlich gelernte
Bürokraten wie Innenminister Thomas de Maizière. Es
stärkt das Eigeninteresse der Exekutive, möglichst
viel selbst entscheiden zu dürfen, ohne dass ihnen die
Politik, insbesondere der Bundestag hineinredet. De Maizière
nach dem Richterspruch:
O-Ton de Maizière
„Ich begrüße dieses Urteil. Es sichert den
internen Willensbildungsprozess der Bundesregierung. Es behindert nicht
die Transparenz gegenüber dem Parlament, aber – wie
wir es nennen – der Kernbereich der exekutiven
Eigenverantwortung wird durch das Bundesverfassungsgericht gerade in
außenpolitischen Belangen gestärkt. Und das ist gut
so.“
Das Verfassungsgericht bleibt damit seiner alten Linie treu: Es engt
die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit der
Bundesregierung so wenig wie möglich ein.
An dieser Stelle enden die meisten Berichte über das Urteil.
Zu Unrecht. Denn in dem Richterspruch steckt eine schallende Ohrfeige
für die Regierung und ihre Beamten, die das bisherige System
der Entscheidungsfindung über
Rüstungsexportgenehmigungen so gestaltet haben, dass die
Exekutive möglichst viel selbst entscheiden und es auch noch
geheim halten kann.
Das Gericht äußert sich auch zu einer Frage, die ihm
die Grünen Kläger nicht vorgelegt haben: Darf der
Bundessicherheitsrat über Rüstungsexportgenehmigungen
überhaupt endgültig entscheiden?
Die Richter sagen: Der Bundessicherheitsrat tut es seit Jahrzehnten,
aber er darf es eigentlich nicht. Das Grundgesetz sieht vor, dass die
Bundesregierung als Ganze über Kriegswaffenexporte
entscheidet. Der Bundessicherheitsrat darf Entscheidung eigentlich nur
vorbereiten. Die Praxis, in dem geheim tagenden Gremium
endgültige Entscheidungen zu treffen, ist unzulässig.
Im Urteil heißt es - Zitat:
Zitat BVerG-Urteil
„Nach der bisherigen Praxis bereitet der Bundessicherheitsrat
des Kabinetts allerdings nicht vor, sondern wird an seiner Stelle
tätig. (...) Bei Regelungen des Grundgesetzes, die eine
Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsehen, ist
daher grundsätzlich davon auszugehen, dass es eines
Beschlusses des gesamten Kabinetts bedarf.“
Die potenzielle Ausnahme vom Grundsätzlichen wäre es,
die Entscheidung an einen Minister und sein Haus zu delegieren
– z.B. an den Wirtschaftsminister: Juristische
Mehrheitsmeinung sei es jedoch, dass – Zitat
„die Delegation der
Genehmigungserteilung auf einzelne Minister (...) verfassungswidrig
sei.“
Es sei also auch unzulässig, die Entscheidungen an einen
einzelnen Bundesminister zu delegieren. Das Grundgesetz verlange ganz
klar, dass die Bundesregierung als Ganzes entscheide.
Regierungsausschüsse und einzelne Ministerien,
dürften eine solche Entscheidung lediglich
vorbereiten.
Damit wäre die bisherige Praxis eigentlich vom Tisch. Die
Richter fanden aber einen Weg, diese Schlussfolgerung aus ihrem Urteil
auszuklammern. Sie argumentieren: Zu dieser Frage sind wir nicht um ein
Urteil gebeten worden, müssen also auch keines sprechen.
Mit anderen Worten: Die Richter geben den Hinweis, dass sie die
bisherige Praxis als verfassungswidrig betrachten, überlassen
es aber Regierung und Parlament, Konsequenzen daraus zu ziehen. Oder
auch nicht. Denn in der Praxis fehlt ja vermutlich ein Kläger,
der berechtigt und bereit wäre, gegen diese
Beschränkung seiner Rechte zu klagen – also ein
Bundesminister, der klagt, weil er an
Rüstungsexportentscheidungen nicht beteiligt wurde. Und wo
kein Kläger ist, ist bekanntlich auch kein Richter.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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