Streitkräfte und Strategien - NDR info
18. Oktober 2014


Rüstungschaos bei der Bundeswehr
Neuanfang in Sicht?

von Otfried Nassauer

Rund 1,4 Millionen Euro hat die Studie der KPMG gekostet. Drei Monate wurde an ihr gearbeitet. Mehr als 140 Probleme und Risiken haben die Berater diagnostiziert, 180 Verbesserungsvorschläge gemacht. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zeigte sich einsichtig: 

O-Ton von der Leyen
„Das ist so nicht akzeptabel. Aber es hat auch seine Gründe: Handwerkliche Fehler im Verteidigungsministerium, aber auch handwerkliche Fehler auf Seiten der Industrie, die ganz klar benannt werden müssen und politische Einflussnahme und dann kann man aus diesem ganzen Gebräu heraus sehen, dass die Diagnose, wenn auch schmerzhaft, richtig ist und uns auch sehr kostbare Hinweise darauf gibt, wo wir Veränderungen herbeiführen müssen und an diese Arbeit machen wir uns jetzt.“

Die Ministerin würde die Studie gerne als Schlussstrich unter die Fehler betrachten, die ihre Vorgänger zu verantworten haben. Nun räumt sie auf, wagt den Neubeginn. Als ersten Schritt legte sie ihre „Agenda Rüstung“ vor. Aber ob mit dieser Agenda die Fehler im Beschaffungswesen der Bundeswehr abgestellt werden können, dass kann bezweifelt werden. Und auch das hat mit der Studie zu tun.

Ein kurzer Blick zurück auf die Arbeit der Berater: Sie haben neun große Beschaffungsvorhaben mit einem Volumen von mehr als 50 Milliarden Euro durchleuchtet. Darunter waren etliche Projekte, die schon für negative Schlagzeilen gesorgt haben: Die Aufklärungsdrohne Euro Hawk, der Eurofighter, das Transportflugzeug A400M zum Beispiel. Untersucht wurde, welche technischen Probleme es gibt und welche Fehler in den Beschaffungsverträgen gemacht wurden. Analysiert wurden auch die Defizite beim Programmablauf, beim Projektmanagement und bei der Kontrolle der Projektdurchführung. Und natürlich auch, wie man das abstellen könnte. 

Herausgekommen sind viele erschreckende Einzelheiten. Dazu gehören ungelöste Korrosions- und Triebwerksprobleme beim Transporthubschrauber NH90, weiter drohende Auslieferungsverzögerungen beim Unterstützungshubschrauber Tiger und der Fregatte 125, sowie ein erheblicher Nachrüstungsbedarf  beim Transportflugzeug A400M, das der Bundeswehr unfertig geliefert werden wird  und vieles andere mehr.

Entsprechend kleinteilig sind die Empfehlungen der Berater:  Flicken und Notlösungen, um die Probleme zu begrenzen oder deren Ausweitung zu verhindern. Hier müsse schnell ein Vertrag zum Kauf von Ersatzteilen geschlossen werden, um das Waffensystem betreiben zu können. Da seien Nachverhandlungen mit der Industrie nötig, um Vertragsprobleme zu klären. 

Gefunden wurden auch grundsätzliche Probleme. Beispielsweise, dass die Juristen des Beschaffungswesens der Bundeswehr ihren Industriekollegen meist hoffnungslos unterlegen sind. Die Industrie zahlt besser, hat deshalb meist das bessere Personal und kann die Beamten über den Tisch ziehen. Die behelfen sich oft mit standardisierten Musterverträgen, die zu den konkreten Projekten schlecht passen und deswegen Lücken und Unklarheiten enthalten. Oft schreibt die Industrie sogar die Vertragsentwürfe. Die Beamten gehen lediglich auf Fehlersuche. Allein die Vereinbarungen über den Bau des deutsch-französischen Hubschraubers Tiger umfassen mehr als 800 nationale und internationale Verträge, von denen 100 noch gültig sind. Kann es da noch verwundern, wenn die Kontrolle über ein solches Projekt verloren geht?

Grundsätzlich empfehlen die Gutachter, die Handlungsfähigkeit der Beschaffer zu verbessern. Deren Position gegenüber der Industrie soll gestärkt werden, das Controlling, das Vertragswesen und das Berichtswesen muss verbessert werden. Das soll weitgehend im Rahmen der Strukturen des bisherigen Beschaffungswesens erreicht werden. Größere Umstrukturierungen, wie sie zum Beispiel die Weise-Kommission 2010 mit der Umwandlung des Koblenzer Beschaffungsamtes in eine Agentur angeregt hatte, werden nicht vorgeschlagen.

Spätestens an dieser Stelle wird klar: Aufgabe der Studie war es nicht, eine Blaupause zu entwickeln, mit der die Ministerin die Probleme des Beschaffungswesens an der Wurzel bekämpfen könnte.

Das kommt nicht von ungefähr. Auf Basis von Vorgaben aus dem Ministerium wurde die Studie durch das Koblenzer Bundesamt für Beschaffung, Ausrüstung, Information und Nutzung der Bundeswehr ausgeschrieben. Dieses Amt ist einer der wichtigsten Akteure des Beschaffungswesens und hat selbst erheblichen Reformbedarf. Dort wurde die Arbeit der Berater konzipiert und kalibriert.

Die Berater hatten nur drei Monate Zeit, einschließlich der Sommerferien. Analysiert wurde lediglich die Arbeit der staatlichen Akteure im Beschaffungswesen. Außen vor blieb die Industrie. Sie wurde nicht einmal befragt. Deshalb konnten die Berater zwar konstatieren, dass auch dort viele Ursachen der Probleme liegen, aber wenig konkrete Vorschläge machen. So fanden sie zum Beispiel heraus, dass die Verspätung bei A400M und Eurofighter auch dadurch verursacht wurde, dass der Hersteller Airbus seine verfügbaren Ressourcen jahrelang vorrangig in die Entwicklung der kriselnden Zivilflugzeuge A380 und A350 steckte. Ihre Empfehlung an die Bundeswehr dagegen klingt etwas unrealistisch: Sie soll künftig sicherstellen, dass ihr Haus- und Hoflieferant den Staat nicht als Kunden zweiter Klasse behandelt. Eine detaillierte Untersuchung der charakteristischen Probleme multinationaler Beschaffungen wurde ebenfalls nicht vorgenommen. Sie wäre auch mangels Zeit und Akteneinblick nicht zu leisten gewesen.

Was also bleibt? Das Beratungsergebnis reicht aus, um sowohl bei den Einzelprojekten als auch im Beschaffungswesen eine Vielzahl von Korrekturen vorzunehmen. Es erlaubt Ursula von der Leyen die Abgrenzung von den Fehlern, die ihre Vorgänger zu verantworten haben. So kann sie behaupten: Problem erkannt, Problem wird gebannt. Wir arbeiten dran.

Allerdings: Als Grundlage für eine tiefgreifende Reform der Bundeswehrbeschaffung taugt die Studie nicht. Im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, dass wichtige strukturelle Empfehlungen nicht umgesetzt werden.

Ein Beispiel: Die Berater kritisierten richtigerweise, dass es immer wieder zu ungerechtfertigter politischer Einflussnahme auf Beschaffungen komme und der Lobbyismus aus den Regierungsfraktionen schade. Als Beispiel nennen sie die Einflussnahme zugunsten einer Wiederbelebung der Großdrohne Euro Hawk und ihres Nachfolgers Triton, einer moderneren Version derselben Drohne. Die Berater halten diesen Vorschlag für nicht  entscheidungsreif. Trotzdem preschte der Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss Rainer Arnold noch vor Veröffentlichung des Berichtes vor und begrüßte, dass dieser Vorschlag nun mit Hochdruck verfolgt werden solle: Im Bericht aus Berlin sagte er:

O-Ton Rainer Arnold
„Der alte Verteidigungsminister hat ja im letzten Jahr gesagt, er hat die Reißleine gezogen. Wir haben das schon immer für eine politisch unüberlegte Panikreaktion gehalten. Deshalb bin ich froh, dass wir uns jetzt wieder diesem richtig guten Projekt zuwenden.“

Mittlerweile häufen sich die Vorstöße aus der Politik. Die Verteidigungspolitiker von CDU/CSU und SPD brachten für den Haushalt 2015 gleich mehrere Anträge zugunsten neuer Beschaffungsvorhaben ein, die teuer werden können.

Sie beantragten, 

  • die Zahl der Leopardpanzer in der Bundeswehrstruktur zu erhöhen, diese Panzer zu modernisieren und die Entwicklung eines Leopard 3 anzugehen;
  • ein zweites Los des Radpanzers Boxer einzuplanen;
  • weitere Systeme Infanterist der Zukunft zu beschaffen;
  • die an die kurdischen Peshmergas geliefert G-36 Gewehre zu ersetzen;
  • und schnellstmöglich den nächsten Entwicklungsschritt für das Luftverteidigungssystem MEADS einzuleiten.


Die Industrie wird sich freuen. Erstaunlich ist aber, wie hemmungslos die Politik neue Beschaffungsprojekte fordert, noch bevor die Probleme der alten auch nur ansatzweise gelöst sind. Wer so vorgeht, gibt ein klares Signal: Das Beschaffungswesen der Bundeswehr wird auch in 5 oder 10 Jahren weder  effektiv noch effizient sein. Der nächste Beschaffungsskandal ist nur eine Frage der Zeit. Der Steuerzahler muss es ausbaden.



 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS