Rüstungschaos bei der Bundeswehr
Neuanfang in Sicht?
von Otfried Nassauer
Rund 1,4 Millionen Euro hat die Studie der KPMG gekostet. Drei
Monate wurde an ihr gearbeitet. Mehr als 140 Probleme und Risiken haben
die Berater diagnostiziert, 180 Verbesserungsvorschläge gemacht.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zeigte sich
einsichtig:
O-Ton von der Leyen
„Das ist so nicht akzeptabel. Aber es hat auch seine Gründe:
Handwerkliche Fehler im Verteidigungsministerium, aber auch
handwerkliche Fehler auf Seiten der Industrie, die ganz klar benannt
werden müssen und politische Einflussnahme und dann kann man aus
diesem ganzen Gebräu heraus sehen, dass die Diagnose, wenn auch
schmerzhaft, richtig ist und uns auch sehr kostbare Hinweise darauf
gibt, wo wir Veränderungen herbeiführen müssen und an
diese Arbeit machen wir uns jetzt.“
Die Ministerin würde die Studie gerne als Schlussstrich
unter die Fehler betrachten, die ihre Vorgänger zu verantworten
haben. Nun räumt sie auf, wagt den Neubeginn. Als ersten Schritt
legte sie ihre „Agenda Rüstung“ vor. Aber ob mit
dieser Agenda die Fehler im Beschaffungswesen der Bundeswehr abgestellt
werden können, dass kann bezweifelt werden. Und auch das hat mit
der Studie zu tun.
Ein kurzer Blick zurück auf die Arbeit der Berater: Sie
haben neun große Beschaffungsvorhaben mit einem Volumen von mehr
als 50 Milliarden Euro durchleuchtet. Darunter waren etliche Projekte,
die schon für negative Schlagzeilen gesorgt haben: Die
Aufklärungsdrohne Euro Hawk, der Eurofighter, das
Transportflugzeug A400M zum Beispiel. Untersucht wurde, welche
technischen Probleme es gibt und welche Fehler in den
Beschaffungsverträgen gemacht wurden. Analysiert wurden auch die
Defizite beim Programmablauf, beim Projektmanagement und bei der
Kontrolle der Projektdurchführung. Und natürlich auch, wie
man das abstellen könnte.
Herausgekommen sind viele erschreckende Einzelheiten. Dazu
gehören ungelöste Korrosions- und Triebwerksprobleme beim
Transporthubschrauber NH90, weiter drohende
Auslieferungsverzögerungen beim Unterstützungshubschrauber
Tiger und der Fregatte 125, sowie ein erheblicher
Nachrüstungsbedarf beim Transportflugzeug A400M, das der
Bundeswehr unfertig geliefert werden wird und vieles andere mehr.
Entsprechend kleinteilig sind die Empfehlungen der Berater:
Flicken und Notlösungen, um die Probleme zu begrenzen oder deren
Ausweitung zu verhindern. Hier müsse schnell ein Vertrag zum Kauf
von Ersatzteilen geschlossen werden, um das Waffensystem betreiben zu
können. Da seien Nachverhandlungen mit der Industrie nötig,
um Vertragsprobleme zu klären.
Gefunden wurden auch grundsätzliche Probleme. Beispielsweise, dass
die Juristen des Beschaffungswesens der Bundeswehr ihren
Industriekollegen meist hoffnungslos unterlegen sind. Die Industrie
zahlt besser, hat deshalb meist das bessere Personal und kann die
Beamten über den Tisch ziehen. Die behelfen sich oft mit
standardisierten Musterverträgen, die zu den konkreten Projekten
schlecht passen und deswegen Lücken und Unklarheiten enthalten.
Oft schreibt die Industrie sogar die Vertragsentwürfe. Die Beamten
gehen lediglich auf Fehlersuche. Allein die Vereinbarungen über
den Bau des deutsch-französischen Hubschraubers Tiger umfassen
mehr als 800 nationale und internationale Verträge, von denen 100
noch gültig sind. Kann es da noch verwundern, wenn die Kontrolle
über ein solches Projekt verloren geht?
Grundsätzlich empfehlen die Gutachter, die Handlungsfähigkeit
der Beschaffer zu verbessern. Deren Position gegenüber der
Industrie soll gestärkt werden, das Controlling, das Vertragswesen
und das Berichtswesen muss verbessert werden. Das soll weitgehend im
Rahmen der Strukturen des bisherigen Beschaffungswesens erreicht
werden. Größere Umstrukturierungen, wie sie zum Beispiel die
Weise-Kommission 2010 mit der Umwandlung des Koblenzer
Beschaffungsamtes in eine Agentur angeregt hatte, werden nicht
vorgeschlagen.
Spätestens an dieser Stelle wird klar: Aufgabe der Studie war es
nicht, eine Blaupause zu entwickeln, mit der die Ministerin die
Probleme des Beschaffungswesens an der Wurzel bekämpfen
könnte.
Das kommt nicht von ungefähr. Auf Basis von Vorgaben aus dem
Ministerium wurde die Studie durch das Koblenzer Bundesamt für
Beschaffung, Ausrüstung, Information und Nutzung der Bundeswehr
ausgeschrieben. Dieses Amt ist einer der wichtigsten Akteure des
Beschaffungswesens und hat selbst erheblichen Reformbedarf. Dort wurde
die Arbeit der Berater konzipiert und kalibriert.
Die Berater hatten nur drei Monate Zeit, einschließlich der
Sommerferien. Analysiert wurde lediglich die Arbeit der staatlichen
Akteure im Beschaffungswesen. Außen vor blieb die Industrie. Sie
wurde nicht einmal befragt. Deshalb konnten die Berater zwar
konstatieren, dass auch dort viele Ursachen der Probleme liegen, aber
wenig konkrete Vorschläge machen. So fanden sie zum Beispiel
heraus, dass die Verspätung bei A400M und Eurofighter auch dadurch
verursacht wurde, dass der Hersteller Airbus seine verfügbaren
Ressourcen jahrelang vorrangig in die Entwicklung der kriselnden
Zivilflugzeuge A380 und A350 steckte. Ihre Empfehlung an die Bundeswehr
dagegen klingt etwas unrealistisch: Sie soll künftig
sicherstellen, dass ihr Haus- und Hoflieferant den Staat nicht als
Kunden zweiter Klasse behandelt. Eine detaillierte Untersuchung der
charakteristischen Probleme multinationaler Beschaffungen wurde
ebenfalls nicht vorgenommen. Sie wäre auch mangels Zeit und
Akteneinblick nicht zu leisten gewesen.
Was also bleibt? Das Beratungsergebnis reicht aus, um sowohl bei den
Einzelprojekten als auch im Beschaffungswesen eine Vielzahl von
Korrekturen vorzunehmen. Es erlaubt Ursula von der Leyen die Abgrenzung
von den Fehlern, die ihre Vorgänger zu verantworten haben. So kann
sie behaupten: Problem erkannt, Problem wird gebannt. Wir arbeiten
dran.
Allerdings: Als Grundlage für eine tiefgreifende Reform der
Bundeswehrbeschaffung taugt die Studie nicht. Im Gegenteil: Es besteht
die Gefahr, dass wichtige strukturelle Empfehlungen nicht umgesetzt
werden.
Ein Beispiel: Die Berater kritisierten richtigerweise, dass es immer
wieder zu ungerechtfertigter politischer Einflussnahme auf
Beschaffungen komme und der Lobbyismus aus den Regierungsfraktionen
schade. Als Beispiel nennen sie die Einflussnahme zugunsten einer
Wiederbelebung der Großdrohne Euro Hawk und ihres Nachfolgers
Triton, einer moderneren Version derselben Drohne. Die Berater halten
diesen Vorschlag für nicht entscheidungsreif. Trotzdem
preschte der Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss Rainer Arnold
noch vor Veröffentlichung des Berichtes vor und
begrüßte, dass dieser Vorschlag nun mit Hochdruck verfolgt
werden solle: Im Bericht aus Berlin sagte er:
O-Ton Rainer Arnold
„Der alte Verteidigungsminister hat ja im letzten Jahr gesagt, er
hat die Reißleine gezogen. Wir haben das schon immer für
eine politisch unüberlegte Panikreaktion gehalten. Deshalb bin ich
froh, dass wir uns jetzt wieder diesem richtig guten Projekt
zuwenden.“
Mittlerweile häufen sich die Vorstöße aus der
Politik. Die Verteidigungspolitiker von CDU/CSU und SPD brachten
für den Haushalt 2015 gleich mehrere Anträge zugunsten neuer
Beschaffungsvorhaben ein, die teuer werden können.
Sie beantragten,
- die Zahl der Leopardpanzer in der Bundeswehrstruktur zu
erhöhen, diese Panzer zu modernisieren und die Entwicklung eines
Leopard 3 anzugehen;
- ein zweites Los des Radpanzers Boxer einzuplanen;
- weitere Systeme Infanterist der Zukunft zu beschaffen;
- die an die kurdischen Peshmergas geliefert G-36 Gewehre zu ersetzen;
- und schnellstmöglich den nächsten Entwicklungsschritt für das Luftverteidigungssystem MEADS einzuleiten.
Die Industrie wird sich freuen. Erstaunlich ist aber, wie hemmungslos
die Politik neue Beschaffungsprojekte fordert, noch bevor die Probleme
der alten auch nur ansatzweise gelöst sind. Wer so vorgeht, gibt
ein klares Signal: Das Beschaffungswesen der Bundeswehr wird auch in 5
oder 10 Jahren weder effektiv noch effizient sein. Der
nächste Beschaffungsskandal ist nur eine Frage der Zeit. Der
Steuerzahler muss es ausbaden.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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