UN-Resolution gegen den Terrorismus
Entschließung mit weitreichenden Folgen?
von Otfried Nassauer
Auf den ersten Blick glaubt man, es sei zweifellos richtig
und unproblematisch: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
hat eine Resolution verabschiedet, die es Terrorgruppen schwerer
machen soll, Kämpfer im Ausland zu rekrutieren und sie in ein
Kampfgebiet reisen zu lassen. Anlass war die massive Beteiligung
ausländischer Kämpfer an den Operationen der Terrorgruppe
„Islamischer Staat“ im Irak und in Syrien. Dieser Beschluss
fiel einstimmig.
Barack Obama, US-Präsident und Initiator der Resolution, vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen:
O-Ton-Obama (overvoice)
„Die Resolution ist rechtlich verbindlich. Sie etabliert neue
Verpflichtungen, die Nationen einhalten müssen. Insbesondere sind
die Staaten gefordert, ‚die Rekrutierung, die Organisation, den
Transport und die Ausstattung‘ ausländischer terroristischer
Kämpfer zu verhindern und zu unterbinden, sowie ‚die
Finanzierung ihrer Reisen und Aktivitäten‘. Die Staaten
müssen ‚die Bewegung von Terroristen und
Terrorgruppen‘ durch ihr Staatsgebiet verhindern und
sicherstellen, dass ihre Gesetze eine Strafverfolgung solcher
Bewegungen ermöglichen.”
Vordergründig wendet sich die Resolution gegen die
Terror-Organisation „Islamischer Staat“, die syrische
Al-Nusra-Front und andere Al-Qaida-nahe Gruppen. Allein in den Reihen
der Terrormiliz „Islamischer Staat“ sollen nach
Schätzung der zuständigen UN-Beobachtergruppe mittlerweile
mehr als 13.000 ausländische Kämpfer aktiv oder aktiv gewesen
sein. Barack Obama nannte sogar eine noch größere
Zahl:
O-Ton Obama (overvoice)
„Unsere Geheimdienste schätzen, dass mehr als 15.000
ausländische Kämpfer aus mehr als 80 Ländern in den
vergangenen Jahren nach Syrien gereist sind.“
Der Beschluss des Sicherheitsrates fällt unter Kapitel
VII der Charta der Vereinten Nationen, also in jenen Bereich, in dem
sogar die Anwendung militärischer Gewalt durch die Vereinten
Nationen autorisiert werden kann. Damit wird ein entschiedenes Vorgehen
der internationalen Staatengemeinschaft signalisiert.
Ganz so einfach ist es um diese Resolution jedoch nicht bestellt. Sie
birgt Risiken und Missbrauchsmöglichkeiten. Obwohl sie einstimmig
verabschiedet wurde, kann sie noch erheblichen Streit
hervorrufen. Warum?
Diese Resolution gilt nicht nur für die ausdrücklich
erwähnten Terror-Organisationen wie „Islamischer
Staat“, Al-Nusra oder Al-Qaida, sondern für alle
terroristischen Gruppen. Das berührt eine alte Streitfrage: Wer
ist eigentlich ein Terrorist? Welche Organisationen sollen als
Terrororganisationen gelten? Die Vereinten Nationen konnten
darüber seit Jahrzehnten keine Einigkeit erzielen.
Obwohl die UNO es wiederholt versucht hat: Eine weltweit akzeptierte
Definition des Terrorismus oder eine klare Abgrenzung, wer als
Terrorist oder Terrororganisation zu gelten hat, konnte bislang nicht
erreicht werden. Der Grund ist nachvollziehbar. Etwas flapsig
formuliert: Wer für einen Teil der UN-Mitglieder als Terrorist
galt, der war meist für andere ein Befreiungs- oder ein legitimer
Widerstandskämpfer. Jassir Arafat, der verstorbene
Palästinenserführer, militante Kämpfer und
Friedensnobelpreisträger, brachte dies bereits 1974 in einer Rede
vor den Vereinten Nationen exemplarisch zum Ausdruck. Wörtlich
sagte er damals:
Zitat Arafat
„Der Unterschied zwischen Revolutionären und Terroristen
liegt in der Zielsetzung, für die sie kämpfen. Wer immer
für eine gerechte Sache kämpft und für die Freiheit und
Befreiung seines Landes von Eindringlingen, Siedlern und Kolonialisten,
der kann wohl kaum als Terrorist bezeichnet werden. Ansonsten
wären die Amerikaner bei ihrem Kampf um die Befreiung von
britischer Kolonialherrschaft Terroristen gewesen. Auch der
europäische Widerstand gegen die Nazis wäre Terrorismus. Und
viele hier in dieser Versammlung müssten als Terroristen angesehen
werden.“
Genau darum geht es: Nur dann, wenn ausschließlich die
Gewaltanwendung durch Staaten – und seien es brutalste Diktaturen
oder Besatzungsregime – legitim und legal wäre, nur dann
wäre es auch klar, dass jede Gewaltanwendung durch
nicht-staatliche Organisationen als Terrorismus gebrandmarkt werden
könnte. Dann gäbe es keinerlei Recht auf bewaffneten
Widerstand gegen Regierungen. Erkennt man dagegen die Existenz eines
Rechtes auf bewaffneten Widerstand an, so wird es immer Akteure geben,
die für die einen Freiheitskämpfer und für die anderen
Terroristen sind. Solange wird es auch keine allgemein anerkannte
Definition geben, wer Terrorist ist und wer legitimer Widerstands- oder
Freiheitskämpfer.
Es wird also ein Ausnahmefall bleiben, wenn sich die internationale
Staatengemeinschaft darauf einigen kann, dass ein nicht-staatlicher
Gewaltakteur als Terrororganisation gelten soll. Al-Qaida oder die
Terror-Organisation „Islamischer Staat“ sind bislang solche
Ausnahmefälle. Sie ermöglichen es der internationalen
Staatengemeinschaft, ausnahmsweise gemeinsam zu handeln,
möglicherweise auch militärisch.
In den meisten anderen Fällen wird es dagegen auch künftig
unterschiedliche Sichtweisen geben. Das wird bereits in der gleichen
Krisen-Region deutlich. Die Türkei betrachtet die kurdische PKK
als Terrororganisation. Ähnlich stuft sie die verbündeten
kurdisch-syrischen Volksverteidigungseinheiten YPG ein. Beide tragen
jedoch wesentliche Teile der Last des Kampfes gegen die Terror-Miliz
„Islamischer Staat“. Trotzdem wird die Türkei darauf
bestehen, dass die neue UN-Resolution auch auf die PKK angewandt wird.
Ankara wird darüber hinaus seine zögerliche Beteiligung an
der Bekämpfung der Terror-Miliz „Islamischer Staat“
auch nutzen wollen, um die kurdischen Kräfte zu
schwächen, obwohl diese die Terror-Organisation IS bekämpfen.
Viele westliche Länder haben zwar schon vor Jahren dem
türkischen Wunsch entsprochen, die PKK als Terrororganisation
einzustufen, aber nicht alle werden Ankaras Interesse folgen wollen,
die kurdischen Kräfte jetzt als Terroristen zu diskreditieren.
Würde Israel die Anwendung dieser UN-Resolution auf die
Palästinenserorganisationen PLO, Hamas und Hisbollah verlangen, so
würde ein solcher Vorstoß ebenfalls auf Widerspruch
stoßen. Das gleiche gälte für Russland, wenn es eine
Anwendung auf den tschetschenischen Widerstand verlangen würde
oder für China, wenn es eine Einstufung des Widerstandes der
Uiguren als Terrorismus einfordern würde.
Diese Beispiele machen deutlich: Die Entscheidung, wer von wem als
Terrorist eingestuft wird, unterliegt einem willkürlich
getroffenen Urteil. Dieses Urteil erfolgt zumeist auf der Basis von
Werten oder auf Basis nationaler Interessen oder simpler
Machtinteressen. Ein Konsens über diese Beurteilung ist in der
Internationalen Gemeinschaft dann aber oft ein Ding der
Unmöglichkeit.
Mehr noch: Sind Werturteile oder Interessen eine wesentliche
Voraussetzung dafür, ob eine internationale Norm umgesetzt
werden kann, so droht ein weiteres Dilemma. Die Norm wird meist nur
dann angewendet, wenn es ausreichende starke Kräfte gibt, um sie
auch durchzusetzen. Weil das nicht immer der Fall ist, kann sie keine
Allgemeingültigkeit erlangen. Wird eine solche Norm unter
Rückgriff auf eine Koalition der Willigen und das Recht des
Stärkeren durchgesetzt, so widerspricht das der Grundidee der
Verrechtlichung der internationalen Beziehungen durch eine
ständige Stärkung des Völkerrechts.
Zum wiederholten Mal verdeutlicht diese Resolution ein Phänomen,
das die Vereinten Nationen seit dem Ende des Kalten Krieges bereits
mehrfach geschwächt hat: Ähnlich wie das Konzept der
Schutzverantwortung postuliert die neue Resolution eine neue weltweit
gültige Rechtslage, die nur dann durchgesetzt werden kann, wenn es
auch Staaten gibt, die dafür sorgen können. Tun wichtige
Staaten dies nicht, so bleibt die neue Rechtslage wirkungslos. Genau
dies liegt oft im Interesse starker Staaten, die solche Vorschläge
für eine neue Rechtslage einbringen und sie auch durchsetzen
können. Sie wollen sich Optionen schaffen, ihr Eingreifen unter
Rückgriff auf das Recht des Stärkeren auch dann
völkerrechtlich zu rechtfertigen, wenn sie von den Vereinten
Nationen kein Mandat für ihr Eingreifen bekommen, weil andere
Staaten ihr willkürliches Werturteil nicht teilen. Für die
Vereinten Nationen und das Völkerrecht ist das keine gute
Entwicklung.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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