Entscheidungsdruck bei der Bundeswehr
Die Herausforderungen für die Verteidigungsministerin
von Otfried Nassauer
Im Verteidigungsministerium ist Ursula von der Leyen die
vierte Ministerin binnen fünf Jahren. Kontinuität
sieht anders aus. Die häufigen Wechsel signalisieren, dass das
Verteidigungsministerium ein großes, schwieriges Ministerium
ist – mit vielen, seit langem ungelösten Problemen,
in dem schon so mancher Minister gescheitert ist. Wird die
CDU-Politikerin, für die die Bundeswehr politisches Neuland
ist, dort klar kommen, fragten sogleich besorgte Insider.
Schon diese Frage belegt, wie schwierig das Ressort zu führen
ist. Es ist ein Umfeld, in dem solche Fragen schnell aufkommen - ein
Ministerium, das sich für jeden Minister schnell zur Fallgrube
entwickeln kann. Allein schon, weil es dort keine Kultur des Zugebens
von Fehlern gibt.
Ursula von der Leyen weiß, wie man Ministerien
führt. Sie bringt zehn Jahre Erfahrung mit. Als Tochter des
früheren niedersächsischen
Ministerpräsidenten Ernst Albrecht dürfte sie auch
genug über politische Ränke- und Machtspiele wissen,
um in einem Haifischbecken zu überleben. Sie ist
zudem zielstrebig und sicher auch strategisch ambitioniert.
Dass sie entscheidungsfreudig ist und Risiken nicht scheut,
haben ihre harten Personalentscheidungen der ersten Tage
gezeigt: Aus der alten Leitung des Ministeriums bleiben nur zwei
Personen: Der umstrittene beamtete Staatssekretär Stephane
Beemelmanns und der eher öffentlichkeitsscheue und nicht
besonders agile Generalinspekteur Volker Wieker. Die Parlamentarischen
Staatssekretäre wurden ebenso abgelöst wie der
beamtete Staatssekretär Rüdiger Wolf, einer der
wichtigsten Träger institutionellen Wissens im Ministerium. Er
musste einem Vertrauten der neuen Ministerin Platz machen. Ist das
nicht zu viel des Risikos und zu wenig an verbleibender fachlicher
Kompetenz?
Die Diskussion darüber konnte nicht einmal aufkommen, da
folgte bereits ein strategischer Themenwechsel: Von den harten
Personalentscheidungen zur fürsorglichen, menschlichen Seite.
Die Vorweihnachtszeit und ein schneller Besuch bei den deutschen
Soldaten in Afghanistan boten dafür ein perfektes Umfeld. Im
Feldlager Masar-i-Scharif traf die Ministerin den richtigen Ton:
O-Ton Ursula von der Leyen
„Mir ist wichtig, mit diesem Besuch zu zeigen: Das hier sind
Soldatinnen und Soldaten, die sind für uns da. Mir ist wichtig
zu zeigen: Ich bin für die Soldatinnen und Soldaten da. Da
können Sie sich auf mich verlassen.“
Das klang wie „Mutter der Kompanie“, aber mehr noch
nach Fürsorge der Dienstherrin und jener Anerkennung, die in
der Bundeswehr so viele seit Peter Strucks Zeiten vermissen. Noch
einmal von der Leyen:
O-Ton von der Leyen
„Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen sagen, dass ich
einen hohen Respekt vor Ihrer Aufgabe, vor Ihrer Leistung habe, dass
ich tief beeindruckt bin, von dem, was ich heute gehört habe,
in vielen verschiedenen Gesprächen, in sehr fundierten
Briefings, was Sie geleistet haben, wieviel Sie mit auf den Weg
gebracht haben. Ich bin von ganzem Herzen dankbar, Ihre
Verteidigungsministerin sein zu dürfen.“
Da ist sie - jene Anerkennung, die ihrem Vorgänger,
Thomas de Maizière so schwer über die Lippen kam.
Von der Leyen will sie offenbar mit anderen Themen
kombinieren, die in der Bundeswehr oft als Defizit bemängelt
werden: Sie will die Attraktivität des Dienstes und
das Ansehen der Bundeswehr insgesamt verbessern. Die
Ministerin im ARD-Morgenmagazin:
O-Ton Ursula von der Leyen
„Die Bundeswehr ist eine Freiwilligenarmee, das
heißt, sie konkurriert mit vielen anderen zivilen
Unternehmen, muss ein attraktiver Arbeitgeber sein und da kommen die
ganzen Themen rein: Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wie ist die
Ausrüstung? Wie sind die Perspektiven, die die Menschen dort
haben? Wie sieht es aus für die Soldatinnen und Soldaten mit
ihren Familien? Was kann man als attraktiver Arbeitgeber da auch
bieten? Das sind alles Themen, die sind neu für die
Bundeswehr.“
Neu sind sie zwar nicht, aber in vielen Teilaspekten ungelöst.
Und deshalb sind es Themen, die sowohl den Bundeswehrverband als auch
den Wehrbeauftragten des Bundestages hoffen lassen, dass die ehemalige
Familien- und Arbeitsministerin hier einen Schwerpunkt setzt.
Die Zeit drängt. Denn in diesen Wochen stehen in
rascher Folge heikle Ent-scheidungen an, bei denen der gute Start der
Ministerin schnell von den Tü-cken des Alltags
überlagert werden könnte: Der Haushalt für
2014 muss dem Bundestag vorgelegt werden. Lassen sich darin
bereits Signale für die neuen Schwerpunkte der CDU-Politikerin
finden? Die Verlängerung problematischer
Auslandseinsätze steht an. Über einen Euro
Hawk-Nachfolger muss entschieden werden und über die
Tragfähigkeit der umstrittenen Beschaffung eines neuen
Marinehubschraubers. Auch die Entscheidung über die
milliardenschwere Beschaffung weiterer 37 Kampfflugzeuge vom Typ
Eurofighter steht bald an. Vor allem muss eine wirksame Reform und
Kontrolle des Beschaffungswesens der Bundeswehr eingeleitet werden. Das
alles verlangt Sachkenntnis, die Ursula von der Leyen derzeit noch
nicht haben kann. Das gibt sie auch freimütig zu und will sich
schnell sachkundig machen. Mit Rat und Tat unterstützen wird
sie dabei ein alter Bekannter: Der Präsident der Bundesagentur
für Arbeit und Oberst der Reserve, Frank Jürgen
Weise. Er leitete unter Minister zu Guttenberg die Strukturkommission
der Bundeswehr.
Letztlich wird von der Leyen daran gemessen werden, ob sie den Worten
auch Taten folgen lassen kann. Dafür wäre erheblich
mehr Geld nötig oder aber ein erneuter Eingriff in die
Bundeswehrstruktur, der deutlich über ein Nachjustieren
einzelner Entscheidungen hinausginge. Denn die Liste
kostenträchtiger Defizite bei der Bundeswehr lässt
sich ja ohne weiteres noch verlängern: Jahrelang
wurde zur Finanzierung der Auslandeinsätze die Modernisierung
von Kasernen im Inland verschleppt. Während die
Ausrüstung im Einsatz inzwischen relativ modern ist,
lässt die Ausstattung für den Alltag im Inland
vielfach zu wünschen übrig.
Die entscheidende Frage lautet daher, ob Ursula von der Leyen genug
zusätzliches Geld zur Verfügung steht –
durch Umschichtungen im Verteidigungshaushalt oder durch
zusätzliche Mittel von Finanzminister Schäuble. Und
es geht um jene Frage, die Hellmut Königshaus im vergangenen
Monat aufgeworfen hat. Im Deutschlandfunk sagte der
Wehrbeauftragte:
O-Ton Hellmut Königshaus
„Ich glaube nicht, dass – ich sage das ganz offen
– die verteidigungspolitischen Richtlinien und die dort
festgelegten Ziele mit der derzeit festgelegten Personalstruktur 1:1
umzusetzen sind. Ich denke, da muss man noch mal drüber
nachdenken, ob wir entweder unsere Ambitionen reduzieren oder ob wir
eben dann doch noch mal bei der Personalstruktur, bei der
Ausstattungsstruktur noch mal etwas verändern.“
Ambitionen reduzieren - Königshaus benennt den Knackpunkt: Um
in der Praxis militärisch zu können, was die
Bundeswehr bislang auf dem Papier alles können soll, braucht
sie mehr Personal und teilweise eine andere Ausstattung. Oder eben mehr
Geld. Soll sie dagegen mit dem verfügbaren Personal und mit
den vorhandenen Mitteln auskommen, so müssten die
militärischen Ansprüche gesenkt werden. Das
Mantra „Breite vor Tiefe“ bei
den militärischen Fähigkeiten, müsste in
Frage gestellt werden. Die Bundeswehr würde dann nicht mehr
alles ein „bisschen“ können. Es
müsste entschieden werden, auf welche militärischen
Fähigkeiten die Bundeswehr verzichten soll. Diese
Frage führt also unausweichlich zu einer weiteren: Wird es
möglicherweise doch eine Reform der Bundeswehrreform
geben?
Ursula von der Leyen ahnt wohl, was ihr bevorsteht:
O-Ton von der Leyen
„Ich habe einen Mordsrespekt vor der Aufgabe (...) Aber ich
habe ‚Ja‘ gesagt, ich will das machen. Und das ist
immer mit einer gewaltigen Herausforderung, sicher auch mit Risiken,
aber auch mit gewaltigen Chancen verbunden.“
Wer so denkt, kann sich nur zwei Szenarien vorstellen: Entweder von der
Leyen wird als starke Ministerin in die Geschichte des
Verteidigungsministeriums eingehen oder sie scheitert
grandios. Eine unauffällige Amtsführung, ein Dasein
als graue Maus im Kabinett, kommt für die erste deutsche
Verteidi-gungsministerin jedenfalls nicht infrage.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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