Euro Hawk-Untersuchungsausschuss
Dauerprobleme mit dem
Bundeswehr-Beschaffungswesen
von Otfried Nassauer
Der Berg hat gekreist und eine Maus geboren. So kann man
das
offensichtliche Ergebnis des Untersuchungsausschusses „Euro
Hawk“ zusammenfassen. Die Arbeit im Ausschuss und bereits die
Einrichtung dieses Gremiums waren vom Wahlkampf geprägt. Die
Opposition hatte Verteidigungsminister de Maizière im
Verdacht, das Parlament belogen und zudem sein Ministerium nicht im
Griff zu haben. Eine gute Gelegenheit, die Regierung noch einmal
anzugreifen und zu kritisieren. Die Koalition sah das
naturgemäß ganz anders. Sie sah sich verpflichtet,
ihren Minister zu verteidigen. Beide Seiten interpretierten die Fakten
konsequent im Sinne ihrer Aufgabe und kamen
naturgemäß zu einem Ergebnis, das die Ausgangslage
widerspiegelt: Die Regierung sieht Verteidigungsminister Thomas de
Maizière vollständig rehabilitiert und findet seine
Entscheidung zum Abbruch des Rüstungsprojektes richtig. Die
Opposition dagegen kommt zu dem Schluss, der Minister habe nicht nur
gelogen, sondern auch sein Ministerium schlecht geführt, und
sich um das Beschaffungswesen nicht genug gekümmert. De
Maizière selbst vollbrachte das Kunststück, seine
falschen Aussagen zu missverständlichen Formulierungen zu
erklären, und vorwiegend Mitarbeiter für das Desaster
verantwortlich zu machen. Der CDU-Politiker nach seiner
Anhörung im Sommer:
O-Ton
de Maizière
„Ich bin davon überzeugt, dass ich heute alle
Irritationen und Missverständnisse ausräumen konnte.
Das war mir wichtig. (...) Ich bedauere, dass ich mich am 5. Juni nicht
klarer ausgedrückt habe.“
De Maizière bleibt im Amt und die Obleute
der Opposition
glauben, dies sei den Wahlkampfzeiten geschuldet.
Der SPD-Obmann Arnold:
O-Ton
Arnold
„Ich glaub‘, die können im Augenblick froh
sein, dass Wahlkampf ist, weil außerhalb des Wahlkampfes zu
normalen politischen Zeiten, wäre dieser Minister nicht
gehalten worden.“
In der Sache hält de Maizière seine
getroffenen
Entscheidungen nach wie vor für richtig. Ein
luftgestütztes elektronisches Signalaufklärungssystem
wie ISIS sei weiter dringend erforderlich.
Wie soll es also nun weitergehen? Bis zum Jahresende wird untersucht,
welche Alternativen zum Euro Hawk als Trägersystem
für ISIS genutzt werden können. Drei Ergebnisse sind
denkbar: Entweder darf der ISIS-Hersteller EADS nun auch ein bemanntes
Trägerflugzeug liefern, in das das Aufklärungssystem
erst noch für viel Geld integriert werden muss. Oder aber, es
wird ein marktverfügbares Geschäftsreiseflugzeug
eines anderen Herstellers als Plattform genutzt. In beiden
Fällen müsste die Bundeswehr Einschränkungen
bei den geplanten Fähigkeiten in Kauf nehmen, könnte
aber recht sicher sein, dass ihr Aufklärungssystem zugelassen
würde. Eine dritte Option wäre ein anderer, neuer
Euro Hawk. Genauer: Als Basis könnte dann der neuere Global
Hawk Block 40 verwendet werden, statt des auslaufenden Modells Block
30. Dann müssten die Zulassungsfragen und das Problem einer
verlässlichen Kollisionsvermeidung zwar weiterhin mit viel
Geld gelöst werden, aber der Prozess könnte durch die
zwischenzeitliche Einführung niedrigerer Voraussetzungen
für die Zulassung unterstützt werden.
Ein zweiter Blick auf den mehr als 1.500 Seiten dicken Abschlussbericht
des Untersuchungsausschusses zeigt jedoch, dass die Anhörungen
den Abgeordneten klar gemacht haben, dass das Beschaffungswesen der
Bundeswehr dringend einer umfassenden Reform bedarf.
Fraktionsübergreifend sprachen sie von einem Bermuda-Dreieck,
in dem der Bedarfsträger, also die Bundeswehr, die Industrie
und die zivile Bürokratie des Wehrbeschaffungsamtes BAAIN
regelmäßig teure und wichtige Beschaffungsprojekte
der Streitkräfte in den Sand setzen oder gleich ganz
versenken. Obwohl dem Ausschuss für eine gründliche
Untersuchung die Zeit fehlte, wurde mehrfach deutlich, warum die
Industrie am Ende immer wieder viel weniger, viel später und
weit teurer liefert, als sie ursprünglich versprochen hat.
Mehrere Facetten dieses „Warums“ kamen zur Sprache:
Eine Zeugin aus dem Bundesrechnungshof führte
überzeugend den Nachweis, dass es im Verteidigungsministerium
weder ein funktionsfähiges Controlling noch ein geregeltes
Berichtswesen und eine durchschaubare Aktenführung gibt. Da
sei es nur logisch, wenn die linke Hand nicht wisse, was die rechte tue
und wichtige Informationen die Entscheidungsträger nur
spät oder gar nicht erreichen. Diese Erfahrung musste selbst
der Untersuchungsausschuss bei seiner Arbeit machen: Er bekam so manche
Akte aus dem Ministerium erst, nachdem er die Zeugenbefragungen bereits
abgeschlossen hatte. Dabei wollte sich das Gremium mit den
angeforderten Dokumenten auf die Anhörung vorbereiten.
Auch für ein weiteres Problem fehlte dem Ausschuss schlicht
die Zeit, um es gründlich zu untersuchen. Trotzdem
spürten die Abgeordneten fraktionsübergreifend, warum
bei Rüstungsprojekten so viel schief läuft: Erfahrene
Insider aus dem Beschaffungsamt beklagen schon lange, dass Industrie
und Beschaffungsbürokratie oft eine unheilige Allianz
eingehen: Probleme werden gemeinsam vertuscht und verschwiegen, obwohl
sie aktenkundig sind. Klar erkannte Fehler lösen sich auf dem
Weg der Berichterstattung und Meldungen durch die mittleren und
höheren Managementebenen in versteckte Hinweise oder gar
gleich im Nichts auf. Das hat Vorteile für die Industrie, weil
sie nicht auf eigene Kosten nachbessern muss. Und es hat Vorteile
für die zuständigen Projektmanager in
Behörde und Ministerium: Die Projekte bleiben im Zeitplan, die
Zuständigen bekommen gute Beurteilungen und werden
zügig befördert. Allerdings: Am Ende erhält
die Bundeswehr problematisches, wenn nicht gar schadhaftes
Gerät. Politisch Verantwortliche werden oft erst informiert,
wenn sich die Probleme weder lösen noch totschweigen lassen.
Oder wenn sie selbst auf der Arbeitsebene nachfragen. Ihnen bleibt dann
nur noch die Wahl, ob sie die Verantwortung für dramatische
Mehrkosten und Verzögerungen tragen wollen oder aber das
Projekt abbrechen, bei dem dann Steuergelder verloren gehen wie beim
Euro Hawk.
Mitglieder des Untersuchungsausschusses wollen darauf
reagieren. Der
SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Rainer Arnold, weiß,
dass etwas getan werden muss:
O-Ton
Arnold
„An diesem Amt in Koblenz sind ja schon manche verzweifelt.
(...) Ein Ansatz – ich sag das jetzt mal sehr radikal - ist:
(...) Dieses Amt darf nicht ständig größer
und mächtiger werden. (...) Ich glaube, wir kommen hier nur
aus der Misere raus, wenn man dieses Amt eher kleinteiliger
organisiert, überschaubarere Einheiten schafft. (...) Also ich
plädiere eher für eine dezentralere
Organisationsstruktur in diesem Bereich.“
Sein Kollege Omid Nouripour von den Grünen will
das Parlament
in die Überwachung der Beschaffungsprojekte einbinden:
O-Ton
Nouripour
„Ich persönlich würde der nächsten
Legislaturperiode und dem nächsten Verteidigungsausschuss eine
Empfehlung aussprechen. Diese lautet, einen Unterausschuss
einzurichten, der sich permanent mit den Rüstungsvorhaben
beschäftigt.“
Man darf gespannt sein, was aus diesen guten
Vorsätzen wird.
Möglicherweise nicht viel, denn an einer Reform des
Wehrbeschaffungswesens hat sich schon so mancher die Zähne
ausgebissen.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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