Streitkräfte und Strategien - NDR info
21. April 2012


Unterstützung auch bei einem Militärschlag?
Deutschland und die israelische Iran-Politik

von Otfried Nassauer

Deutschland sieht sich seit vielen Jahrzehnten in einer besonderen Verantwortung für die Existenz Israels. Ursache dafür ist die deutsche Verantwortung für den Holocaust, den Mord an rund sechs Millionen europäischen Juden während der Nazizeit. Die Existenz des Staates Israel ist eine Garantie dafür, dass sich ein solches Verbrechen nicht wiederholen kann – so das Argument. Bundesregierungen aller Couleur haben es benutzt und Israel deshalb seit den 50er Jahren unterstützt. Besonders deutlich formulierte es Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 vor dem israelischen Parlament, der Knesset:

O-Ton Merkel
„Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.“

Starke Worte, die ebenso starke Taten versprechen. Mit Finanzhilfen, Rüstungs- und Technologielieferungen ist Deutschland diesem Versprechen immer wieder nachgekommen. Seit den 50er Jahren bezieht Israel Rüstungsgüter aus Deutschland, mitunter auf Kosten der deutschen Steuerzahler. Der kommt für einen Teil dieser Verteidigungshilfen auf. Erneut war es ein Bundeskanzler, der das besonders deutlich zum Ausdruck brachte. Gerhard Schröder 2002 vor dem Deutschen Bundestag:

O-Ton Schröder
„Ich will ganz unmissverständlich sagen: Israel bekommt das, was es für die Aufrechterhaltung seiner Sicherheit braucht, und es bekommt es dann, wenn es gebraucht wird.“

Gemeint waren damals unter anderem in Deutschland gebaute moderne        U-Boote der Dolphin-Klasse. Die Bundesrepublik hat die israelische Marine bereits mit drei dieser modernen Boote ausgestattet, zwei weitere noch leistungsfähigere werden demnächst ausgeliefert und ein sechstes Boot wurde kürzlich bestellt. Der Bundeshaushalt bezuschusst den Kauf mit insgesamt rund einer Milliarde Euro. Experten vermuten seit Ende der 90er Jahre, dass Israel diese Boote so umrüsten kann, dass von ihnen Atomwaffen gestartet werden können. Israel hätte dann eine unverwundbare seegestützte atomare Abschreckung. Und Deutschland hätte dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Kein Wunder also, dass von israelischer Seite die deutsch-israelischen Beziehungen in der Regel als gut oder sehr gut beschrieben werden. Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak bei seinem Berlin-Besuch vor wenigen Wochen:

O-Ton Barak (overvoice)
„Die Verteidigungsbindungen zwischen Israel und Deutschland sind stark, dauerhaft und gesichert. Die Beziehungen zwischen den beiden Verteidigungsapparaten sind sehr eng und wir begrüßen die fortgesetzte intensive Zusammenarbeit und den wichtigen Beitrag Deutschlands zu Israels Verteidigung und zur Sicherheit unseres Landes.“

Doch in den letzten Jahren hat die Debatte über Deutschlands besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels auch eine zusätzliche Dimension bekommen. Die Regierung in Jerusalem sieht den Iran und dessen Nuklearprogramm immer stärker als Bedrohung der Existenz Israels. Es wird diskutiert, den Iran mit militärischen Mitteln zu stoppen. Israel befürwortet einen Präventivschlag und droht, diesen notfalls im Alleingang zu unternehmen. Die rote Linie wird dabei immer weiter vorverlegt. Ehud Barak glaubt, ein Angriff müsse unbedingt erfolgen, bevor der Iran eine „Zone der Immunität“ erreiche und seine wichtigsten Atomanlagen unzerstörbar in unterirdische Anlagen verlagere.

Mit diesem Argument setzt Israel seinen wichtigsten Verbündeten mächtig unter Zugzwang. Die USA sollen sich an einem solchen Angriff beteiligen. Besser noch, ihn durchführen. Präsident Obama hat Israels Premierminister Netanjahu unmissverständlich deutlich gemacht, dass die USA eine solche Aktion zurzeit ablehnen und für voreilig halten. Washington hofft noch auf eine diplomatische Lösung. Doch auch die Bundesrepublik mit ihrer besonderen Verantwortung für die Sicherheit Israels gerät durch das israelische Drängen unter Druck. Wie sähe die Solidarität und Unterstützung Berlins konkret aus, sollte sich Israel für ein militärisches Vorgehen entscheiden? Berlin hält einen Militärschlag für falsch und lehnt ihn ab. Auch einen Alleingang Israels. Verteidigungsminister de Maizière warnte Ehud Barak bei seinem Besuch im vergangenen Monat:

O-Ton de Maizière
„Ich empfehle allen Seiten dringend – rhetorisch und auch in der Sache – Zurückhaltung, auch militärisch. Eine militärische Eskalation brächte nicht kalkulierbare Risiken für Israel, für die Region und auch für andere – auch zum Schaden Israels.“

Doch hinter der Warnung verbirgt sich auch die Befürchtung, ein militärischer Alleingang Israels mit dessen unabsehbaren Folgen könne die Existenz Israels gefährden. Dessen wichtigste Verbündete, Washington und Berlin, könnten gezwungen sein, Israel auch militärisch beizustehen. Auf die Frage, welche konkreten Formen Deutschlands Solidarität mit Israel in einem solchen Fall habe, antwortet Verteidigungsminister de Maizière deshalb ausweichend:

O-Ton de Maizière
„Wir stehen an der Seite Israels. Was das bedeutet oder bedeuten könnte, steht jetzt nicht zur Entscheidung an.“

Diese vorsichtige Antwort ist nur zu verständlich. Zum einen kann Israel nicht erwarten, dass sich seine Verbündeten bedingungslos hinter jede Entscheidung und jede militärische Aktion der israelischen Regierung stellen. Zum anderen und viel wichtiger: Ein präventiver Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen wäre eindeutig völkerrechtswidrig, es sei denn, der UN-Sicherheitsrat hätte dazu ein Mandat erteilt. Israel hat bereits zweimal demonstriert, dass es zu solchen Aktionen bereit ist. Im Irak und in Syrien. Israels Verteidigungsminister Barak hält das für richtig und bemühte in einem ZDF-Interview den Propheten Jesaja:

O-Ton Barak (overvoice)
„Wir [Juden] haben die Jesaja Prophezeiung eingeführt, dass die Zeit kommen wird, in der Lamm und Löwe friedlich nebeneinander liegen werden. Aber solange wie das in der Praxis heißt, dass man das Lamm alle paar Tage ersetzen muss, ziehen wir es doch vor, ein freundlicher Löwe zu sein.“

Der schlägt nicht jeden Tag ein Lamm, aber gelegentlich. Das wirft Fragen auf, die in den USA bereits breit diskutiert werden, in Deutschland aber nur hinter vorgehaltener Hand: Kann die israelische Regierung erwarten, dass ihre Verbündeten mehr tun, als ein solches völkerrechtswidriges Handeln stillschweigend zu tolerieren? Darf Jerusalem deren militärische Solidarität einfordern, sollte ein solcher Präventivschlag fehlschlagen oder die Reaktionen Israel treffen und möglicherweise sogar dessen staatliche Existenz gefährden?

Schwierige Fragen. Klar ist. Die gegenwärtige Regierung in Jerusalem hat mit ihrer Politik das Verhältnis zu Deutschland ungleich komplizierter gemacht. In der Vergangenheit lautete die zentrale Frage für die deutsche Politik: Wie viel Kritik an der konkreten Politik israelischer Regierungen verträgt sich mit Deutschlands historischer Verpflichtung gegenüber dem Staat Israel? Und wie scharf darf diese Kritik sein? Nun droht eine viel weitreichendere Frage: Wie weit geht die Verpflichtung zur Solidarität mit Israel? Kann Israel Deutschlands Unterstützung erzwingen, wenn es sich zum Bruch internationaler Rechtsnormen entschließt, die iranischen Atomanlagen angreift und damit eine Krise auslöst, die seine Existenz gefährden könnte? Die Antwort auf diese Fragen müsste eigentlich ein klares und rechtzeitig ausgesprochenes Nein sein. Etwas rechtzeitig zu sagen, ist guter Stil unter politischen Freunden. Die Antwort zu vertagen, bis sie unter dem Druck tagespolitischer Krisenereignisse gegeben werden muss, ist dagegen eine schlechte Politik. Und eine Einladung an Israel, Fehler zu machen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS