Streitkräfte und Strategien - NDR info
17. Dezember 2011


Kehrtwende beim Rüstungsexport

Industrieförderung als Ausgleich für  den geringeren Bedarf der neuen Bundeswehr?

von Otfried Nassauer

Verteidigungsminister Thomas de Maiziere steht vor einem Problem. Er will mit der Rüstungsindustrie über Kürzungen bei bestehenden Beschaffungs-Verträgen  reden. Die verkleinerte Bundeswehr braucht inzwischen nicht mehr alle damals bestellten  Systeme. 37 Eurofighter, 40 Transporthubschrauber NH90 und 40 Kampfhubschrauber vom Typ Tiger sollen zum Beispiel wegfallen. Die Zahl der bestellten Puma- Schützenpanzer soll um 60 verringert werden, dafür hätten die Streitkräfte jetzt lieber mehr gepanzerte Kampffahrzeuge vom Typ Boxer. De Maiziere hofft auf ein Einsehen in der Industrie:

O-Ton de Maiziere
"Verträge kann man in der Tat nur gemeinsam ändern, aber in der Vergangenheit sind ja auch im Interesse der Industrie manchmal Verträge verändert worden, wenn 'aus Versehen' ein System plötzlich teurer wurde und ein Nachschuss verlangt wurde, jetzt geht es einmal andersrum."

Grundsätzlich ist die Industrie bereit, über eine Reduzierung von Stückzahlen und  neue Beschaffungen zu  reden. Sie verbindet dies  aber  mit einem weiteren Anliegen. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Georg Wilhelm Adamowitsch:

O-Ton Georg Wilhelm Adamowitsch
„Klar ist, wenn weniger bestellt wird, hat das auch Konsequenzen für die Unternehmen, für den Zulieferer-Bereich und wir werden dann mit dem Verteidigungsministerium auch über die Frage von Export nachdenken, wo wir sicherlich Unterstützung brauchen, aber auch zugesagt bekommen haben."

Deutlicher kann man es kaum ausdrücken: Bestellt die Bundeswehr weniger, dann muss die Politik der Industrie bei Exportvorhaben helfen. Außenwirtschaftsförderung für Rüstungsexporte – das hat der Verteidigungsminister der Industrie bereits zugesagt.

Doch de Maiziere will gar nicht unbedingt weniger Geld für Waffensysteme ausgeben, sondern vor allem andere Rüstungsgüter bestellen. Dem  CDU-Politiker hat der Finanzminister  für die nächsten Jahre deutlich mehr Geld zugestanden als seinem Vorgänger zu Guttenberg. De Maizière bekräftigt daher:

O-Ton de Maiziere
"Das Ziel dieser Maßnahme besteht nicht darin, Ausgaben zu kürzen, sondern das Ziel besteht darin, wieder Aufträge auslösen zu können."

Trotzdem nimmt die Industrie den veränderten Bedarf der Bundeswehr zum Anlass,  eine Änderung  der Genehmigungspraxis bei Rüstungsexporten zu fordern. Der Verkauf von Waffensystemen ins Ausland soll künftig leichter werden . Die  Bundesregierung hat sich dafür offen gezeigt und argumentiert: Die deutsche Industrie benötige endlich faire Wettbewerbsbedingungen. Es müsse Chancengleichheit mit  der  Konkurrenz aus Frankreich, England und anderen Lieferländern geben. Im Koalitionsvertrag heißt es – Zitat:

„Das Außenwirtschaftsrecht und [die] Außenwirtschaftsverordnung werden entschlackt und übersichtlicher ausgestaltet. Es werden Vorschriften gestrichen, die deutsche Exporteure gegenüber ihren europäischen Konkurrenten benachteiligen. Bei der Anwendung des Außenwirtschaftsrechts muss der internationalen Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft mehr als bisher Rechnung getragen werden. (....) Um faire Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Wirtschaft zu gewährleisten, wird eine Harmonisierung mit der Genehmigungspolitik der anderen EU-Staaten auf hohem Niveau angestrebt. Auch beim Export von Dual-Use-Gütern wird die deutsche Genehmigungspraxis in diesem Sinne angeglichen.“

Erste Ideen, wie diese Zusage rechtlich umgesetzt werden könnte, sind inzwischen zwar wieder in der Schublade verschwunden. Aber bei der Genehmigungspraxis und bei der politischen Unterstützung von Exportvorhaben hat sich bereits viel getan.

Die Bundesregierung gibt der Industrie großzügig Schützenhilfe, wenn diese sich um Exportgeschäfte bemüht. Zum Beispiel in Indien: Dorthin möchte die EADS bis zu 126  Kampflugzeuge vom Typ Eurofighter verkaufen. Ein Milliarden-Geschäft. Die Bundeskanzlerin warb während ihres Indien-Besuches persönlich für den deutschen Anbieter:

O-Ton Merkel
„Ich glaube, dass wir ein gutes Angebot auf den Tisch gelegt haben und das wird jetzt bewertet. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass unser Angebot auch sehr fair bewertet werden wird, und insofern ist es eine Möglichkeit. Und unser Angebot ist ja auch ein Konsortium, an dem auch andere Länder mitarbeiten. Ich habe mich beispielsweise mit Premierminister David Cameron darüber unterhalten, weil ja Großbritannien neben anderen Ländern auch eine wichtige Rolle spielt.“

Auch die Bundeswehr leistet massive Unterstützung. Sie stellte dem EADS-Konzern bereits ausgelieferte  Eurofighter mitsamt dem  Personal zur Verfügung, damit der Konzern bei der Luftfahrtausstellung Aero India vor zwei Jahren sein Kampfflugzeug werbwirksam vorführen konnte. Ein Jahr später erprobte die indische Luftwaffe den Eurofighter ausgiebig auf dem Subkontinent und in Europa. Wieder kamen die Flugzeuge und ein großer Teil des Personals von der Bundeswehr. Die EADS musste nur einen Bruchteil der entstandenen Kosten bezahlen. Den weitaus größeren Teil trug der deutsche Steuerzahler.

Selbst langjährige politische Tabus werden geopfert, um der Industrie zu neuen, großen Exportaufträgen zu verhelfen. Im Sommer versprach die Bundesregierung Krauss Maffay Wegmann, den Export von bis zu 270 modernsten Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 nach Saudi Arabien zu genehmigen, falls der Konzern den Auftrag bekommen sollte. Panzerlieferungen auf die arabische Halbinsel wurden in der Vergangenheit regelmäßig abgelehnt. Saudi Arabien liegt nicht weit entfernt von Israel, wird autoritär regiert und von der Bundesregierung immer wieder kritisiert, weil es die Menschenrechte nicht achtet. Vor einigen Monaten  schickte Saudi Arabien gar Truppen ins benachbarte Bahrain, um den  Aufstand der Bevölkerung gegen das dortige Königshaus niederzuschlagen.

Doch all das wird nun neu gewichtet.  Saudi Arabien – wie auch Indien – werden als regionale strategische Partner betrachtet. Diese Länder sind bedeutsam für die Stabilität in ihrer Weltregion. Deshalb sollen sie verstärkt mit Rüstungsgütern beliefert werden. Die Konsequenz: Die bisherige Zurückhaltung bei Rüstungsexporten in diese Regionen wird aufgegeben. Angela Merkel im September vor dem Bergedorfer Gesprächskreis der Körber-Stiftung:

O-Ton Merkel
„Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein [– dies selbstverständlich nur nach klaren und weithin anerkannten Prinzipien. Wir sollten aber versuchen, einen Schritt weiterzugehen: Wenn wir uns im Atlantischen Bündnis einig sind, dass die NATO nicht alle Konflikte lösen kann und dass den aufstrebenden Schwellenländern und Regionalorganisationen mehr Verantwortung zukommt, dann sollten wir im Bündnis bei den Rüstungsexporten auch schrittweise zu einer gemeinsamen Politik kommen.]“

Ein Paradigmenwechsel deutet sich an. Deutsche Rüstungsexporte sollen nicht mehr „restriktiv“, sondern „verantwortungsbewusst“ gehandhabt werden. Also flexibler. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und gleicher Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Industrie rücken ins Zentrum der Regierungspolitik.

Die Exportkontrolle in den EU- und NATO-Ländern soll zwar weiterhin möglichst harmonisiert werden. Berlin besteht aber nicht mehr darauf, dass die künftigen Regeln möglichst streng ausfallen. Im Gegenteil: Man wehrt sich gegen Versuche, strengere gemeinsam Regeln einzuführen. Die Europäische Kommission hat in  diesem Jahr damit begonnen, Vorschläge für eine schärfere Exportkontrolle für sogenannte Dual Use-Güter auszuarbeiten, also Güter, die sowohl  zivil und als auch militärisch verwendbar sind. Brüssel fragte die EU-Mitgliedsstaaten nach ihrer Meinung. Die deutsche Antwort war deutlich – Zitat

 „Eine Neuausrichtung des EU-Ausfuhrkontrollsystems sollte gewährleisten, dass unter der Einhaltung des Grundsatzes der Freiheit des Außenhandels einerseits die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Mitgliedstaaten und andererseits die Interessen der Wirtschaft der Mitgliedstaaten ausgewogen Berücksichtigung finden. Das Bestreben, Proliferationsbemühungen und destabilisierende Waffenanhäufungen zu verhindern und unterbinden zu wollen, sollte daher den legalen Handel, insbesondere die Wirtschaftsbeziehungen mit neuen Gestaltungsmächten nicht unangemessen erschweren oder verhindern.“

Die Bundesregierung hat die meisten Vorschläge der EU-Kommission zurückgewiesen.

Die These, mehr Exporte sollten den geringeren Bedarf der Bundeswehr kompensieren, geht also  am Problem vorbei. Die wehrtechnischen Kapazitäten übersteigen schon seit langem den Bedarf der deutschen Streitkräfte . Die Rüstungsindustrie stellt nach eigenen Angaben heute nur noch 80.000 Arbeitsplätze bereit. Von 16 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr entfallen  schon heute 70% auf den Export, so die Industrie. Ein noch höherer Exportanteil kann also kaum die Lösung sein. Ebensowenig wie ein weiteres Wachstum der Branche. Mehr Rüstungsexporte machen die Firmen nicht zukunftsfähiger, weil sie kaum zu Forschung und Entwicklung beitragen. Der Weg in die Zukunft erfordert vor allem eines: Den Abbau von Überkapazitäten in der Produktion und die Entwicklung neuer, anderer Produkte.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS