Streitkräfte und Strategien - NDR info
19. November 2011


Auf Sand gebaut?
Die Finanzplanung der Bundeswehr

von Otfried Nassauer

Manchmal reden sogar Minister Klartext. Zum Beispiel Karl-Theodor zu Guttenberg. Im Mai vergangenen Jahres hielt er an der Führungsakademie in Hamburg eine Grundsatzrede über die bevorstehende Reform der Bundeswehr. Eine Rede, die es in sich hatte:

O-Ton zu Guttenberg
„Der mittelfristig höchste strategische Parameter, quasi als Conditio sine qua non, unter dem die Zukunft der Bundeswehr gestaltet werden muss, ist die von mir schon apostrophierte Schuldenbremse, ist das globalökonomisch gebotene und im Verfassungsrang verankerte Staatsziel der Haushaltskonsolidierung, ein Ziel, das uns immer mittelbar wie unmittelbar auch trifft.“

Die Nachwirkungen der Bankenkrise und die heraufziehende Schuldenkrise zeigten Wirkung. Der Minister zog Konsequenzen und forderte ein klares Umdenken in der Art und Weise, wie die Bundeswehr ihre Zukunft plant:

O-Ton zu Guttenberg
„Dementsprechend ergibt sich für die Streitkräfteplanung zwangsläufig eine von einigen sicher nicht gerne gehörte Paradigmenumkehr. Der Anspruch „Cost to Design“, also den strukturellen Rahmen seitens der Exekutive vorzugeben und anschließend zu finanzieren, wird völlig illusionsfrei durch die Realität des „Design to Cost“ bestimmt werden..., also der Finanzrahmen wird den strukturellen Rahmen und damit auch das eigene Anspruchsniveau, den „level of ambition“, vorzugeben drohen.“

Nicht die Planung werde die Kosten bestimmen, sondern die finanziellen Mittel werden bestimmen, was noch geplant werden kann. Zu Guttenberg nannte Beispiele: Es reiche nicht mehr, einzelne Beschaffungsvorhaben zu streichen oder Stückzahlen zu reduzieren. Der Verteidigungshaushalt sinke schon bald um jährlich weit über eine Milliarde. Ein finanzieller Ausgleich für Mehrkosten durch Inflation und die Umstellung von der Wehrpflicht auf eine Freiwilligenarmee seien nicht in Sicht, und tiefe Eingriffe in die Struktur unumgänglich:

O-Ton zu Guttenberg
„Mit dem jetzt umzusetzenden gravierenden Schnitt – und ein Schnitt ist unvermeidbar angesichts dieser Zahlen, er ist unvermeidbar auch mit Blick auf das, was an Aufgabenspektrum auch einer Strukturkommission zuwächst - muss das Prinzip des Schiebens und Streckens (...) einer ebenso absehbar finanzierbaren Sollstruktur weichen, wobei die Kosten der vollständigen Einnahme der Sollstruktur ebenfalls innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung verbindlich abgebildet sein müssen.“

Zu Guttenberg hatte zugestimmt, dass sein Haushalt von 31,5 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 27,6 Milliarden im Jahr 2014 absinkt. Den Sparbeitrag der Bundeswehr zur Haushaltskonsolidierung bezifferte er auf 8,3 Milliarden Euro.

Diese Pläne stießen auf massive Kritik. Sicherheitspolitik könne nicht nach Kassenlage gemacht werden. Der Minister habe den Sparbeitrag der Bundeswehr ohne Not und vorschnell akzeptiert. Doch eines muss man zu Guttenberg zu Gute halten. Er forderte die Abkehr von dem planerischen Wunschdenken, das die Bundeswehrplanung jahrzehntelang gekennzeichnet hat. Seine Rede an der Führungsakademie sollte aufrütteln und ein Umdenken erzwingen. Der CSU-Politiker forderte eine realistische Planung, bei der am Ende auch herauskommen sollte, was am Anfang als Ziel festgelegt wurde.

Sein Nachfolger Thomas de Maizière beschritt dagegen einen anderen Weg. Ihm war klar: Für den Umbau benötigt die Bundeswehr mehr Geld. Den entscheidenden Anknüpfungspunkt lieferte ihm sein Vorgänger: Um die Aussetzung der Wehrpflicht durchzusetzen, hatte zu Guttenberg akzeptiert, dass die Bundeswehr künftig eine Sollstärke von 175.000 bis 185.000 Soldaten haben sollte. Doch diese Vorgabe war nicht mit der aktuellen Haushaltplanung vereinbar. Kurz nach seinem Amtsantritt monierte de Maizière damals:

O-Ton de Maiziere 
„Die Wunschzahlen, die ich vorgefunden habe, passten mit den Planungen zur mittelfristigen Finanzplanung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zusammen.... ... Das mussten wir erst zusammenbringen, und das ist jetzt gelungen.“

Das war nur möglich, weil de Maizière bei seinem Amtsantritt Bedingungen stellen konnte. Denn Bundeskanzlerin Merkel musste für den wegen der Plagiatsaffäre zurückgetretenen zu Guttenberg einen glaubwürdigen und seriösen Nachfolger präsentieren. Die Weichen für den Umbau der Streitkräfte waren bereits gestellt, die Ausplanung der Bundeswehrreform hatte gerade begonnen. De Maizière bekam schließlich mehr Geld. Das Ergebnis fasste er im September zusammen:

O-Ton de Maizière
„Zielgröße bei der Finanzplanung für das Jahr 2015 sind nicht mehr 27,65 Milliarden Euro, sondern 30,4 Milliarden Euro. Ich finde, das ist eine gute Nachricht für die Bundeswehr und die Sicherheit unseres Landes.“

Ein deutlicher Unterschied. Die Bundeswehr hat nun bis 2015 insgesamt 8,6 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als zunächst geplant. Doch damit nicht genug. Die Bundeswehr wird künftig auch von zusätzlichen Kosten entlastet. Der Verteidigungsminister:

O-Ton de Maizière 
„Es bleibt aber dabei, dass mit dem Finanzminister folgende Formulierung vereinbart ist: Dass Belastungen durch die Neuausrichtung, insbesondere den Personalabbau, vermieden werden sollen.“

Im Einzelplan 60 sind zwei Beträge eingestellt: Mit jährlich bis zu einer Milliarde Euro unterstützt das Finanzministerium in den kommenden Jahren den Abbau von nicht mehr benötigten Zivilbeschäftigten bei der Bundeswehr. Weitere 450 Millionen Euro zahlt der Finanzminister, wenn die Bundeswehr mehr als 5.000 junge Männer und Frauen anwirbt. Bis zu 10.000 weitere Freiwillige sollen damit bezahlt werden. Beides entlastet den Verteidigungshaushalt.

Der finanzielle Druck auf die Bundeswehr wurde also deutlich gemindert. Ist die Neuausrichtung der Bundeswehr aber damit auch abgesichert und solide finanziert, wie Verteidigungsminister de Maizière behauptet?

Zweifel sind angebracht: Im vergangenen Monat antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen: 

Zitat 
„Im Regierungsentwurf zum Haushalt 2012 und im 45. Finanzplan wird daher – gestreckt um ein Jahr – am Einsparziel von rund 8,3 Milliarden Euro festgehalten.“

Es soll also bei den geplanten Einsparungen bleiben. Unklar bleibt jedoch zu großen Teilen, wie dieses Sparziel konkret umgesetzt werden soll.

Finanzielle Unwägbarkeiten kommen hinzu: Unsicher ist, ob wichtige Einspareffekte, mit denen die Bundeswehr rechnet, wie geplant eintreten werden. Die Erfahrung hat z.B. gezeigt, dass der Personalabbau bei den Zivilbeschäftigten schwierig ist. Ihre Zahl sollte eigentlich längst auf 75.000 abgesenkt worden sein. Doch noch immer stehen rund 90.000 zivile Mitarbeiter im Haushaltsplan des Verteidigungsministeriums. Bis 2017 sollen es nun nur noch 55.000 sein. Doch warum sollte der Abbau diesmal so viel schneller gelingen? Der Abbauprozess dürfte länger dauern und mehr kosten als vorgesehen. Ähnliches gilt für die nicht mehr benötigten Berufssoldaten. Wenn bei den Personalaufwendungen gespart werden soll, sind den Möglichkeiten für einen goldenen Handschlag jetzt engere Grenzen gesetzt. Aus dem Verteidigungshaushalt werden mittlerweile auch die Pensionen ehemaliger Soldaten bezahlt. Unklar ist schließlich, ob die erhofften Einsparungen bei den Beschaffungsvorhaben realisierbar sind. Die Industrie müsste mitspielen und geänderte Verträge akzeptieren. Selbst Thomas de Maizière scheint da Zweifel zu haben. Anfang des Monats warb er zwar für sein Vorhaben, schränkte aber ein, wenn das scheitere, bleibe es eben „so wie es ist.“ 

Die größten Zweifel an der Solidität der neuen Bundeswehrplanung weckt jedoch die Art und Weise, wie zurzeit wieder geplant wird. Mit dem Rücktritt zu Guttenbergs und den zusätzlichen Milliarden für Thomas de Maizière ist der Druck entfallen, in wirklich engen finanziellen Grenzen zu denken. Dieser Druck hätte eine echte Neuausrichtung der Bundeswehr erzwungen. Da er nun entfallen ist, sind die Planer in vielen Bereichen zu alten Denkweisen zurückgekehrt. Sie haben hier und da etwas gekürzt, das ein oder andere gestrichen, oder sind gar in altes Wunschdenken zurückgefallen. Der gute Vorsatz, die Bundeswehr wirklich neu auszurichten, ist unter die Räder geraten.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS