Gefangen in der Irak-Falle
Washingtons Suche nach einer Ausstiegs-Strategie
von Otfried Nassauer
Bei der Vorlage ihres Berichtes konnten sich die Autoren der Irak-Studiengruppe des
amerikanischen Kongresses über mangelnde Aufmerksamkeit wahrlich nicht beklagen. Die 142
Seiten und 79 Empfehlungen des Baker-Hamilton-Reports fanden ein großes Echo in den
Medien. Im Inland und vor allem im Ausland. Landauf, landab wurde über die
Kernvorschläge berichtet. Sie wurden kommentiert, bewertet und analysiert. Der Bericht
enthält drei zentrale Botschaften:
Erstens: Notwendig ist eine "neue diplomatische Initiative" zur
Stabilisierung des Iraks und der mittelöstlichen Region. An dieser sollen sich alle
Staaten beteiligen können, die ein Interesse daran haben, weiteres Chaos im Irak zu
verhindern. Dies gilt auch für Syrien und den Iran, Staaten mit denen die USA schon lange
keine bilateralen Beziehungen mehr unterhalten. Auf beide Staaten solle Washington
konstruktiv zugehen. Der Atomstreit mit dem Iran könne separat behandelt werden. Ein
verstärktes, direktes Engagement der USA im Streit zwischen Israel und den
Palästinensern sei mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung erforderlich. Auch das erfordere
die Einbeziehung Syriens.
Zweitens: Der Einsatz der US-Streitkräfte im Irak müsse grundlegend verändert
werden, damit diese in verantwortlicher Weise abgezogen werden können. Es gelte, sie
schrittweise aus der Bekämpfung inner-irakischer Unruhen herauszulösen. Verstärkt
werden sollen dagegen die Aus- und Weiterbildung irakischer Sicherheitskräfte, die
Grenzsicherung sowie die Ausstattung irakischer Verbände mit moderner Technik. Die
Bekämpfung von Terrorgruppen wie Al Qaida sei vorläufig weiterzuführen. Aufwachsende
Fähigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte sollen es ermöglichen, bis zum ersten
Quartal 2008 alle US-Kampfbrigaden abzuziehen, die nicht für Sicherungsaufgaben benötigt
werden. Das wäre die Mehrzahl der US-Soldaten im Irak. Washington solle klarstellen, dass
es langfristig keine Militärstützpunkte im Irak brauche. US-Truppen würden nur im Lande
bleiben, wenn die irakische Regierung dies wünsche.
Und die dritte Kernaussage des Berichtes ist: Der irakischen Regierung müsse deutlich
gemacht werden, dass sie selbst mehr für Sicherheit und Stabilität tun und mehr
Verantwortung übernehmen müsse. Erfolge dies entlang festgelegter Zwischenziele, so
werde die politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung der USA für den
Irak weitergehen. Geschehe dies nicht, müsse der irakischen Regierung klargemacht werden,
dass die USA keine zeitlich unbegrenzte Verpflichtung hätten, Truppen im Irak zu
stationieren. Der Abzug werde dann trotzdem weitergehen. Fortschritte der irakischen
Regierung seien in den Bereichen nationaler Versöhnung, Sicherheit und der
Regierungsfähigkeit vordringlich.
Soweit also die zentralen Vorschläge der Baker-Hamilton-Kommission. Glaubt man der
Medienberichterstattung der ersten Tage, so hat George W. Bush gar keine Wahl: Er muss
eine klare Wende in seiner Irakpolitik vollziehen. Er muss so der Eindruck
Einlenken, und dem vernichtenden Urteil der Kommission Tribut zollen. Zu deutlich zeige
der Bericht die Fehler und Schwachstellen der bisherigen Politik auf. Schonungslos
analysiere er die Lage. Zu klar seien die Forderungen nach einem Neuansatz. Die Autoren
brechen mit einem innenpolitischen Tabu und schließen sogar die Möglichkeit eines
Scheiterns der USA nicht aus. Wörtlich heißt es: "Die Lage im Irak ist ernst und
sie verschlechtert sich weiter. Es gibt keinen Weg, der Erfolg garantieren könnte, nur
die Aussicht auf Erfolg kann verbessert werden." Und weiter: "Wenn die Lage sich
weiter verschlechtert, könnten die Konsequenzen schwerwiegend sein. Ein Schlittern ins
Chaos könnte den Zusammenbruch der irakischen Regierung und eine humanitäre Katastrophe
zur Folge haben. Nachbarländer könnten intervenieren, die Auseinandersetzungen zwischen
Sunniten und Schiiten eskalieren. Al Qaida könnte einen Propagandasieg erringen und seine
Operationsbasis ausweiten. Das globale Ansehen der USA könnte sinken. Die öffentliche
Meinung in den USA könnte sich polarisieren." Zitat Ende.
Es sind die beiden letzten Sätze, die auf eine wichtige Schwäche des Baker-Berichtes
hinweisen: Die Sorge um eine weitere Polarisierung der amerikanischen Öffentlichkeit und
um das Ansehen und damit die Durchsetzungsfähigkeit Washington in der Welt. Der Bericht
hat ein außenpolitisches Thema, aber seine Vorschläge sind vor allem aus der
innenpolitischen Debatte Washingtons geboren. Nämlich aus der Tatsache, dass in zwei
Jahren ein neuer Präsident gewählt wird. Die Autoren des Baker-Reports kommen aus den
beiden großen Parteien. Sie haben Vorschläge gemacht, mit denen die Demokraten aber auch
Republikaner bis zur Wahl 2008 leben können, ohne gravierende Nachteile im Wahlkampf
befürchten zu müssen. Die Empfehlungen der Kommission decken sich mit dem, was in
Washington als Interesse der USA definiert wird. Aber genau aus diesem Grund werden die
Vorschläge auf erhebliche Widerstände stoßen. Vor allem im Nahen und Mittleren Osten.
Zum Teil aber auch in der amerikanischen Innenpolitik.
Der irakische Präsident Talabani hat den vorgelegten Bericht pauschal abgelehnt. Aus
Israel kommen einerseits laute Warnungen und andererseits noch drohendere Töne in Sachen
Iran. Saudi-Arabien spielt mit dem Gedanken, sich auf Seiten der Sunniten im Irak
einzumischen, sollte Washington seine Truppen abziehen. Der Iran und Syrien halten sich
zurück und lassen offen, ob sie auf Angebote aus den USA eingehen würden. Viele dieser
Reaktionen verweisen auf einen wichtigen Nebeneffekt des Irak-Krieges. Mit dem Sturz von
Saddam Hussein ging das regionale Gegengewicht zum Iran verloren. Teheran ist ohne eigenes
Zutun regionale Vormacht geworden. Damit aber will kaum jemand leben. Die einen wollen
politische Hilfe beim Wiederaufbau eines sunnitisch dominierten Gegenpols. Die anderen,
dass der Iran militärisch zurechtgestutzt wird. Hier zeigt der Baker-Bericht keine
Lösung auf.
Darf man also erwarten, dass seine wichtigsten Ergebnisse gravierenden Einfluss auf die
Politik der USA bekommen? - Nein. Die politisch wichtigen Kernpunkte werden wohl kaum
umgesetzt. Ernsthafte Initiativen zu einer konstruktiven Einbeziehung des Irans und
Syriens in die Stabilisierung des Iraks wird es eher nicht geben. Chancen auf Umsetzung
haben lediglich zweitrangige Empfehlungen, die Dritte realisieren müssten: Die Forderung
nach mehr Eigeninitiative seitens der neuen irakischen Regierung zum Beispiel. Oder der
Appell nach einer stärkeren Einbindung Europas. Beides berührt das innenpolitische
Machtgefüge in Washington und die Interessen der USA wenig.
Noch sind zwar nicht alle Messen gesungen. Doch vor seinem
"innenpolitisch-taktischen" Hintergrund und angesichts regionaler Widerstände
gegen die Vorschläge bietet der Baker-Bericht George W. Bush genug Ansatzpunkte, auch auf
andere Ratgeber zu hören. Ratgeber, die ihm weiter einen Sieg und einen demokratisierten
Mittleren Osten versprechen und nicht nur die Option, eine Niederlage vermeiden zu
können. Darin wird ihn Dick Cheney, sein ultrakonservativer Vizepräsident, nach Kräften
bestärken. Damit aber bleibt vorläufig auch die Möglichkeit auf dem Tisch, dass George
W. Bush dem Iran noch vor Ende seiner Präsidentschaft militärisch die Grenzen aufzeigt
dass er israelischem Druck und den Vorschlägen von Hardlinern folgt. George W.
Bush könnte geneigt sein, sich selbst als den einzigen und vielleicht letzten
Präsidenten der USA zu sehen, der den Mut dazu hat. Klassische Realpolitiker, wie der
neue Verteidigungsminister Robert Gates, haben in der Regierung Bush noch lange nicht das
Zepter übernommen. Auch wenn das vielleicht besser wäre.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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