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Nach dem Willen der
Brauchen die Kurden im hochgerüsteten Irak wirklich Waffen und
wenn ja, wofür? Fragen an den Friedensforscher Otfried
Nassauer.
Publik-Forum (Bettina Röder): Herr Nassauer, deutsche
Waffenlieferungen an die irakischen Kurden sind hochumstritten. Gibt es
Beispiele, wo durch Waffenlieferungen doch geholfen wurde?
Otfried Nassauer: Das ist eine Frage des Blickwinkels: Im Kalten Krieg
gab es ein paarmal Lieferungen, mit denen Kriege
eingedämmt wurden, weil keine Seite mehr gewinnen konnte, aber
die Kriege wurden dadurch oft auch länger. Es gab auch ein
paar Lieferungen, die kurzfristig stabilisierend waren, z.B.
Ausrüstungshilfen für die Libanesischen
Streitkräfte. Aber gerade der Libanon zeigt auch etwas
anderes: Waffen aus den dortigen Bürgerkriegen sind
während der Balkankriege wieder aufgetaucht und nach diesen
wieder im Nahen und Mittleren Osten oder in Afrika. Waffen haben ein
langes Leben. 30, 50 Jahre und mehr. Sie werden nach Kriegen oft zu
Geld gemacht und sind dann Öl im Feuer des nächsten
Krieges.
Haben Sie Beispiele, wo es keine Waffenwanderung gab?
Nassauer: Nein, ich weiß keine. Verschrotten würde
Geld kosten, verkaufen bringt womöglich noch Geld. Selbst in
Deutschland gilt: Überschusswaffen der Bundeswehr
müssen verkauft werden, wenn das billiger ist als sie zu
verschrotten. Wir haben z.B. mehr als 300.000 Kalaschnikows und mehr
als 85 Millionen Schuss Munition aus DDR-Beständen
an die Türkei gegeben. Von da ist ein Teil im Nordirak
gelandet. Waffen, die nicht mehr gebraucht werden, werden in der Regel
zu Geld gemacht.
Welche Rolle spielt der Waffenhandel für die Konflikt im Irak?
Nassauer: Im Irak haben alle drei großen
Bevölkerungsgruppen genug Waffen, um Konflikte
militärisch auszutragen. Auch die Kurden. Eine Ausnahme sind
nur die kleinen Minderheiten wie die Jesiden. Das Land ist mit Waffen
überflutet und die Großwaffensysteme, die im Krieg
2003 zerstört wurden, sind längst durch neue
modernere Waffen aus den USA ersetzt worden
Woher bekommen die Kurden ihre Waffen?
Nassauer: Die Peschmerga-Armee, hat schon vor Jahrzehnten Waffen gekauft, nach Saddam Husseins Diktatur stand ihnen ein Teil der Waffen für die neuen irakischen Streitkräfte zu und von der irakischen Armee haben sie bei deren Flucht in diesem Jahr ganze Depots übernommen, z.B. von der 12. Division. Sie fordern jetzt westliche Waffenhilfe, ohne vorher zu erklären, was sie mit den erbeuteten Waffen gemacht haben. Das irritiert mich. Wir sind übrigens mit der Entscheidung, ihnen zusätzliche Waffen zu liefern gerade dabei, der Willkür Tür und Tor zu öffnen.
Inwiefern?
Nassauer: Das Argument für Waffenlieferungen lautet: Wir haben
eine Schutzverantwortung für die Menschen, die der Islamische
Staat bedroht. Wenn wir aber hier einen
Präzedenzfall schaffen, fragt uns morgen die Ukraine nach
Waffen für ihren Kampf gegen die russischen Separatisten.
Jedes Mal müssen wir dann urteilen: Sind die, die uns um
Waffen bitten, die Guten, denen wir liefern wollen oder die
Bösen, denen wir nicht liefern sollten. Von
Völkermord und Vertreibung können aber auch mal die
bedroht sein, die für uns die Bösen sind. Dann wird
halt nicht geliefert. Das Schutzverantwortungsargument kann leicht
missbraucht, willkürlich angewendet werden. Die
Fälle, in denen es bisher genutzt wurde, deuten darauf hin.
Welche sind das?
Nassauer: Nehmen Sie Libyen. Da gab es angeblich die dringliche Notwendigkeit, die Menschen vor Diktator Gaddafi zu schützen. Daraus wurde ein militärisch erzwungener Regimewechsel und dann folgte ein Bürgerkrieg, in dem den Menschen immer noch Massenmord droht. Nur schert sich darum jetzt keiner mehr. Gaddafi ist ja weg und das war das westliche Ziel. Oder Syrien: Da hätte man in der Logik der Schutzverantwortung längst intervenieren müssen. Aber es gab niemanden, der Truppen schicken wollte. Also geht das Morden weiter. Mit dem Argument Schutzverantwortung kann ich wunderbar Macht- und Interessenspolitiik unter humanistischer Tarnung betreiben. Ich entscheide, wann ich diese Verantwortung wahrnehme und wann nicht. Die Schutzverantwortung taugt deshalb auch nicht als Völkerrecht. Da jetzt noch eins drauf zu setzen und im Namen der Schutzverantwortung auch Waffen zu liefern, weil man keine Truppen schicken will, ist schlicht daneben. Für ein gutes Gewissen Waffen liefern und Kriege führen – wie bitte? Da fehlt nur noch einer der Lieblingssätze unserer Kanzlerin: Da sei eben alternativlos.
Die Amerikaner haben Waffen nach Ägypten geliefert. Jetzt
haben sie die Lieferung eingestellt. Was ist gewonnen, da sich
Ägypten nun anderswo Waffen beschafft?
Nassauer: Das ist das klassische Argument der
Rüstungsindustrie: Wenn wir nicht liefern, dann liefern
andere. Das ist strukturell ein demagogisches Argument, weil es die
Beweislast umkehrt. Derjenige der Waffen exportieren will, muss das
nicht begründen, sondern derjenige, der es nicht will.
Wären die Brandherde weltweit denkbar, wenn es keine
Rüstungsexporte gäbe?
Nassauer: Lange Kriege ohne Rüstungsexporte als
Brandbeschleuniger sind nur zwischen Ländern möglich,
die selbst große Rüstungsindustrien haben. Bei allen
anderen spielt Waffenhandel eine zentrale Rolle.
Was also brauchen wir?
Nassauer: Weltweit gültige Normen, wie bei Rüstungsexporten restriktiv vorgegangen werden soll. Der ATT-Vertrag, der den internationalen Handel regeln soll, ist ein Schritt in die richtige Ruchtung, wenn auch nur ein allererster Anfang.
Was wäre politisch eine Alternative zu Waffenlieferungen?
Nassauer: Nehmen Sie den Irak. Die Kurden im Nordirak haben noch ganz andere Sorgen. Sie müssen über eine Million Flüchtlinge zusätzlich versorgen und kriegen die ihnen zustehenden Steuern aus Bagdad nicht ausgezahlt, sind an der Grenze zur Zahlungsunfähigkeit. Wenn die Bundesrepublik etwas Gescheites machen wollte, dann wäre es möglich, eine Zwischenfinanzierung sicher zu stellen. Oder mehr zur Flüchtlingshilfe beizutragen.
Siegmar Gabriel ist auf dem Weg, Waffenexporte einzuschränken.
Ein richtiger Schritt?
Nassauer: Ob er das ist, wird sich nach dem Urteil des
Verfassungsgerichts zeigen. Herr Gabriel hat sich mit Frau Merkel
geeinigt, alle Rüstungsexporte, bei denen das
Verfassungsgericht das bisherige Entscheidungsprozedere für
illegal erklären könnte, auf Halde zu legen. Die
Bundesregierung erwartet eine heftige Backpfeife vom
Bundesverfassungsgericht. Danach geht der Streit um die
künftige Ausrichtung der deutschen
Rüstungsexportpolitik erst richtig los.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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