"Schlagzeilen, wie 'neuer Kalter Krieg,' sind nicht angebracht"
Interview mit Otfried Nassauer
Drei Meldungen der letzten 24 Stunden: In Tallinn, der Hauptstadt Estlands,
entfernen die Behörden in der Nacht ein Ehrenmal für Weltkriegssoldaten der roten Armee.
Zuvor gab es dort Ausschreitungen. In Honolulu, auf Hawaii, schießt die US-Marine eine
Rakete und einen Nahflugkörper mit eigenen Raketen in der Luft ab. Die US-Armee spricht
von einem erfolgreichen Test. In Moskau setzt Präsident Putin den Vertrag zwischen der
NATO und Russland über konventionelle Streitkräfte in Europa aus. Bundesaußenminister
Steinmeier warnt vor neuem Misstrauen.
NDR Info: Muss man sich Sorgen um Russland machen? Sind Schlagzeilen, Schlagworte, wie
'neuer Kalter Krieg' angebracht?
Nassauer: Nein, die sind nicht angebracht. Herr Putin redet, meiner
Einschätzung nach, eher klare Kante und Klartext, als dass er im Moment einen neuen
'Kalten Krieg' anfacht. Er will in aller Klarheit deutlich machen, dass Russland ernst zu
nehmen ist und seine Interessen wahren wird. Und deswegen auch vom Westen Kooperation
fordert, die der noch nicht unternommen hat, aber das, wozu er sich eigentlich schon
verpflichtet hatte, auch umsetzt.
NDR Info: Ist dieser KSE-Vertrag, um den es geht, militärisch wichtig
oder ist er im Moment eigentlich mehr ein Symbol für Vertrauen oder Misstrauen?
Nassauer: Er ist beides. Er ist auf jeden Fall im Moment primär ein Abkommen,
das einen vertrauensbildenden Charakter hat, weil Obergrenzen für alle schwer
Waffensysteme in Europa damit festgelegt werden. Und er ist auf der anderen Seite eine
Maßnahme, die auch sicherheitspolitisch noch relevant ist, weil er damit auch verhindert,
dass erneut irgendwelche Obergrenzen überschritten werden und neue Rüstungswettläufe
beginnen. Insbesondere ist das sicherheitspolitisch relevant für Länder, wie das
Baltikum, weil er die russischen Waffensysteme, die in der Umgebung des Baltikums
stationiert werden können, drastisch beschränkt.
NDR Info: Was schürt denn nun umgekehrt das russische Misstrauen vor der
NATO gegenüber dem Westen?
Nassauer: Als dieser Vertrag 1990 abgeschlossen und 1999 modernisiert wurde, war
die Situation teilweise anders als sie heute ist. Früher war zahlenmäßig der Warschauer
Pakt - ursprünglich ist der Vertrag ja mal zwischen NATO und Warschauer Pakt geschlossen
worden - der NATO überlegen. In der heutigen Situation ist es so, dass es letztlich zwar
zahlenmäßig immer noch so sein kann, dass Russland mehr hat - aber konventionell ist
Russland heute den NATO-Staaten signifikant unterlegen. Und die Russen sagen, wir wollen
diese Unterlegenheit nicht noch weiter ausdifferenziert erleben. Wir wollen, dass alle
NATO-Staaten diesen Vertrag endlich unterzeichnen. Die Staaten, die der NATO nach 1997
beigetreten sind, haben noch nicht alle ratifiziert. Und das fordern die Russen jetzt. Sie
wollen das binnen eines Jahres eigentlich erreichen.
NDR Info: Nun ist die NATO ja nicht nach Osten einmarschiert. Erst war
das Ende des Warschauer Pakts, dann ein Sicherheitsbedürfnis vieler Staaten - auch
entlang der Grenze Russlands. Wann ist das außer Takt geraten?
Nassauer: Das ist eigentlich erst außer Takt geraten, seit George W. Bush in
Amerika die Regierungsgeschäfte führt. Der Regierung Bush gilt die Abrüstung und die
Rüstungskontrolle nicht viel. Da wird gesagt, Rüstungskontroll-Verträge sind im
Wesentlichen Eindämmungen der Flexibilität der beteiligten Staaten. Sie sind aber
letztlich nicht ein sicherheitspolitscher Gewinn. Und seit dieses Politik in den USA ist,
gibt es einige neue NATO-Staaten, die das ausnutzen. Sie sagen, wir verändern oder wir
steigen auf Rüstungskontrollvereinbarungen nicht mit ein, die es schon gibt - obwohl sich
die Situation drastisch in Europa verändert hat. Die Russen wollen [das nicht],
insbesondere angesichts der amerikanischen Politik, rund um Russland zunehmend
militärische Basen aufbauen. Und damit muss sich die NATO auch tatsächlich
auseinandersetzen. Denn, dass das die russische Forderung ist, wissen die NATO-Staaten
mindestens seit 2004, als der russische Verteidigungsminister diesen Komplex auf der
Münchener Sicherheitskonferenz ganz offen dargelegt hat.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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