Neues Deutschland
05. April 2008


"Bush hat sich durchgesetzt"

Bush und Putin streiten in Sotschi weiter

Interview mit Otfried Nassauer über den NATO-Gipfel

Was hat der NATO-Gipfel in Bukarest gebracht? Otfried Nassauer analysiert die Entwicklung des Nordatlantik-Paktes seit Jahren. Mit dem Gründer und Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) sprach für ND Jürgen Elsässer.

ND: Der NATO-Gipfel wird unterschiedlich bewertet – »Riesenerfolg« für Merkel, »Desaster« für Bush oder in der Frage der Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens ein Kompromiss, mit dem der USA-Präsident »gut leben« könne. Was stimmt denn nun?

Nassauer: Bush hat sich weitgehend durchgesetzt. Ein Teil der deutschen Journalisten ist den Sprüchen der deutschen Diplomaten auf den Leim gegangen, die den Gipfel als großen Erfolg der westeuropäischen Kritiker des NATO-Beitritts der beiden Staaten verkaufen wollen. Tatsächlich aber war das eher ein Pyrrhussieg, der sich schon bald als Niederlage für die Europäer erweisen kann.

Aber blieb es mit Blick auf Georgiens und die Ukraine nicht tatsächlich bei einer vagen Absichtserklärung?

Einen Fahrplan gibt es zwar nicht, aber der Beitritt wurde fest zugesichert. Schon im Dezember sollen die NATO-Außenminister erneut darüber beraten. Sie wurden ermächtigt, über den entsprechenden Aktionsplan zu entscheiden. Diesen Erfolg haben die Westeuropäer sich mit einem großen Zugeständnis erkauft: Sie haben ihre Skepsis gegenüber der geplanten USA-Raketenabwehr in Polen und Tschechien fallen gelassen und sich hinter dieses Projekt gestellt. Das verpflichtet über das Ende der Regierung Bush hinaus. Politisch kommt man davon genauso wenig herunter wie von der Zusage, dass Georgien und die Ukraine definitiv aufgenommen werden sollen. Wenn im Dezember weiter verhandelt wird, werden die USA erneut drängeln. Dann wird entweder ein Zeitplan beschlossen oder die europäischen Kritiker müssen erneut Zugeständnisse bei anderen Fragen machen. Bush hat sein Erbe gesichert. Nun wird auch seinem Nachfolger immer vorgehalten werden können, dass die europäischen Verbündeten hinter der NATO-Ostausdehnung und der Raketenabwehr stehen.

Und warum wäre der NATO-Beitritt der beiden Staaten eine »Niederlage« für die Westeuropäer?

Georgien wie auch die Ukraine haben interne Probleme. In der Ukraine ist die große Mehrheit der Bevölkerung gegen diesen Schritt. In Georgien gibt es Abspaltungstendenzen der Regionen Abchasien und Südossetien. Solche Fragen müssen vorab politisch gelöst werden. Sonst könnte ein NATO-Mitglied Georgien künftig die Verbündeten zu Hilfe rufen, wenn es mit seinen unbotmäßigen Regionen nicht mehr klarkommt. Da würde die NATO in Konflikte hineingezogen, die nicht die ihren sind und die sie auch nicht lösen kann.

Wurde mit dem Beschluss zu Georgien und der Ukraine die »rote Linie« überschritten, von der Moskau gesprochen hat?

Es wurde jedenfalls viel weiteres Konfliktpotenzial im Verhältnis zu Russland angehäuft. Russland will keinesfalls, dass Georgien und die Ukraine der NATO beitreten. Es befürchtet sogar eine Einkreisung. Und mit der Raketenabwehr, der Nicht-Ratifizierung des AKSE-Vertrages über konventionelle Rüstungsbeschränkungen in Europa, einer versteckten Abwertung des NATO-Russland-Kooperationsrates und der westlichen Anerkennung der Kosovo-Abspaltung gibt es noch etliche weitere Entscheidungen, die Moskau als Provokation wahrnimmt. Da Russland mit Dmitri Medwedjew bald einen neuen Präsidenten bekommt, sind zwei Entwicklungen möglich: Entweder schluckt Putin die Kröten jetzt, damit Medwedjew sie später nicht verantworten muss. Oder die westlichen Zumutungen führen dazu, dass Medwedjews Präsidentschaft im Voraus negativ vorbelastet wird und er deshalb einen stärker nationalistischen Kurs fahren muss, also keinen Neuanfang mit dem Westen wagen kann. Die Bukarester Beschlüsse wirken nicht konstruktiv.

Zu Afghanistan: Wurde wirklich erstmals über eine Exit-Strategie nachgedacht, wie oft zu hören ist?

Die detaillierten Beschlüsse sind geheim. Das, was öffentlich wurde, lässt vermuten, dass es um eine ähnliche Art von Exit-Strategie geht, wie die USA sie vor zwei Jahren für Irak verkündet haben. Erst werden die Bemühungen verstärkt, die Aufständischen militärisch zu schlagen und die Sicherheitskräfte Afghanistans zu stärken. Dann soll der Wiederaufbau gestärkt werden, damit man gehen kann. Damit würde es auch in Afghanistan auf absehbare Zeit keinen Vorrang für den zivilen Wiederaufbau oder auch nur ein Gleichgewicht von Militäreinsatz und zivilem Aufbau geben.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS