"Obama ist bei Raketenabwehr zu Entgegenkommen bereit"
Interview mit Otfried Nassauer
Russland und die USA haben gemeinsame strategische Interessen.
Der Besuch von Präsident Barack Obama in Moskau wird deshalb das
Verhältnis zwischen beiden Staaten verbessern. Das sagt Otfried Nassauer,
Direktor des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit.
Leipziger Volkszeitung: Gibt es mit Barack
Obama und Dmitri Medwedew den überfälligen Neuanfang in den
amerikanisch-russischen Beziehungen?
Otfried Nassauer: Es kann einen Neuanfang geben. Allerdings
- Russland ist skeptisch. Versprechen, Russland in die Lösung globaler
Probleme und bei Kernfragen europäischer Sicherheit stärker
einzubeziehen, hat Moskau schon von den Präsidenten Bush und Clinton
gehört, ohne dass Russland seine Interessen wirklich berücksichtigt
gesehen hätte. Medwedew wird sich deshalb auf den Standpunkt stellen:
Schönen Worten müssen entsprechende Taten folgen. Wladimir Putin
vertritt diese Position noch deutlicher. Eine der Taten, die Russland
sehen will, ist die Abkehr vom geplanten US-Raketenschild.
Leipziger Volkszeitung: Wird Medwedew ein derartiges
Zugeständnis bekommen?
Otfried Nassauer: Obama hat bereits mit seiner Haushaltsplanung
für 2010 signalisiert, dass er bei der strategischen Raketenabwehr
zu Entgegenkommen bereit ist. Geld für die Anlagen in Tschechien
und Polen ist nicht eingeplant.
Leipziger Volkszeitung: Ist das eine temporäre
oder eine strategische Entscheidung?
Otfried Nassauer: Es könnte eine prinzipielle
Entscheidung Obamas sein, die allerdings noch von mehreren Faktoren abhängt
- etwa Fortschritten bei der Abrüstung von Atomwaffen und der Bereitschaft
Russlands, die Ambitionen Irans einzudämmen. Was ich nicht glaube
ist, dass offener russischer Druck hilfreich wäre. Aus innenpolitischen
Gründen muss der Verzicht in Amerika als amerikanische Entscheidung
daherkommen.
Leipziger Volkszeitung: Im Dezember läuft der Start-Vertrag
zur Begrenzung strategischer Waffen aus. Wird das Nachfolgeabkommen zu
einer echten Abrüstung führen?
Otfried Nassauer: Washington und Moskau müssen
bis August einen Vertrag entwerfen, damit der US-Senat ihn noch rechtzeitig
ratifizieren kann. Es ist also wenig Zeit für Detailverhandlungen.
Das verhindert weitreichende Ergebnisse, die neue technische Detaillösungen
erfordern. Ich rechne mit einer sehr pragmatischen Lösung - einer
weiteren Ab¬senkung der Obergrenzen bei ato¬maren Sprengköpfen
zum Beispiel auf etwa 1500 Sprengköpfe. Weitergehende Abrüstung
braucht mehr Zeit. Ein Signal, dass weitere Verträge mit tieferen
Einschnitten gewollt sind, können die Präsidenten aber durchaus
aussenden.
Leipziger Volkszeitung: Wie wichtig sind denn global
gesehen amerikanisch-russische Absprachen überhaupt noch?
Otfried Nassauer: Im rüstungskontrollpolitischen
Sinn noch immer: enorm! Beispiel Atomwaffensperrvertrag, der im kommenden
Jahr zur Überprüfung ansteht. Wenn Washington und Moskau die
Nichtweiterverbreitungsregeln stärken wollen, dann müssen sie
ihren atomaren Abrüstungswillen deutlich unter Beweis stellen. Obamas
Vision einer atomwaffenfreien Welt war ein Signal.
Wenn die USA und Russland auch die anderen Atommächte zur Abrüstung
bewegen wollen, dann müssen sie die ersten großen Schritte
zunächst selber tun. Die anderen werden erst in Verhandlungen einsteigen,
wenn auch die beiden Großen nur noch hunderte Atomwaffen haben.
Leipziger Volkszeitung: Wie groß sind nach den
Bush-Jahren die gemeinsamen Ansatzpunkte bei den Problemfeldern Afghanistan,
Iran und Nordkorea?
Otfried Nassauer: Gemeinsame Interessen sind unübersehbar.
Weder Moskau noch Washington können ein Interesse an der Entstehung
neuer Atommächte haben. Es kann ihnen nicht daran gelegen sein, dass
der Iran und Nordkorea auf Jahrzehnte unkalkulierbare Krisenherde sind.
Es wird deshalb - wenngleich mit einer Menge Finger¬hakeln - sehr
wahrscheinlich zu pragmatischen Absprachen kommen. Bereitschaft zu Pragmatismus
deutet Moskau ja bereits an, wenn es den USA Waffentransporte nach Af¬ghanistan
durch den russischen Luftraum erlauben will.
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Das Interview führte Kostas Kipuros |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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