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Sandra Schulz: 1.200 Seiten
soll das Dokument stark sein. Über 1.200 Seiten Pannen,
Mängel, Risiken und Probleme bei der Bundeswehr und dem
Beschaffungswesen im Bundesverteidigungsministerium. Schon seit Wochen
beschäftigt uns die Pannenserie bei der Bundeswehr. Jetzt will
Verteidigungsministerin von der Leyen für Durchblick sorgen und
die Probleme angehen, damit sie nicht gar noch selbst unter Druck
kommt. Gegen halb zwei will sie das Gutachten der
Wirtschaftsprüfer KPMG vorstellen. Vieles ist schon bekannt und in
der Diskussion.
Am Telefon ist Otfried Nassauer, Direktor des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit. Guten Tag!
Otfried Nassauer: Schönen guten Tag, Frau Schulz.
Schulz: Mit dem Gutachten, das
die Verteidigungsministerin heute vorlegen wird, ist damit ein erster
Schritt gemacht, um die Probleme in den Griff zu bekommen?
Nassauer: Ein erster Schritt vielleicht, aber der wird mit Sicherheit
noch nicht ausreichen. Denn das Gutachten ist in seiner Analyse der
Schwierigkeiten, die die Bundeswehr im Moment hat, und der Probleme,
die dabei auftreten, sozusagen eine Bildaufnahme eines Teilbereichs. Es
ist nicht das gesamte Problemfeld, vor dem die Bundeswehr steht, und
von daher wird neben dem Gutachten noch vieles andere zusätzlich
notwendig sein, um die Probleme zu beheben.
Eine vertiefte Analyse wird notwendig sein
Schulz: Was denn?
Nassauer: Es wird mit Sicherheit noch mal einen genaueren Blick auf die
Frage der Personalsteuerung bei der Bundeswehr und auf die
Infrastruktur erforderlich sein. Es wird eine vertiefte Analyse bei
vielen dieser Beschaffungsprojekte, die jetzt mal etwas
oberflächlich angeguckt worden sind, notwendig sein. Und es wird
notwendig sein, dass man sehr viel mehr Zeit und Geld darin investiert
zu fragen, wie man die Konkurrenzen, die es zwischen der zivilen und
der militärischen Bürokratie der Bundeswehr gibt,
möglicherweise beseitigen kann.
Schulz: Aber wenn das
Ministerium nicht mal damit zurechtkommt, das Geld, das ihm zur
Verfügung steht, auszugeben, wie ist dem Ministerium dann
überhaupt noch zu helfen?
Nassauer: Zunächst mal sicher nicht, indem man ihnen noch mehr
Geld gibt, was sie dann nicht ausgeben können, sondern zu helfen
ist dem Ministerium durch richtige, politisch gesteuerte
Fragestellungen, und das, meiner Einschätzung nach, ist auch eine
Aufgabe, die die Politik deutlicher wahrnehmen muss, als sie es in der
Vergangenheit gemacht hat. Ich glaube, dass man das schon hinkriegen
kann, aber es wird eine ziemlich langwierige und komplexe Aufgabe, denn
natürlich gibt es wie bei allen großen Bürokratien die
Tendenz der Selbstermächtigung, und diese Tendenz der
Selbstermächtigung bedeutet natürlich auch, dass
Bürokratie politische Kontrolle nicht immer gerne gucken
lässt.
Schulz: Ist das
Verteidigungsministerium tatsächlich - und das heißt es ja
jetzt immer wieder - eine Behörde mit einem besonderen Eigenleben?
Nassauer: Schon von der Größe her ja. Natürlich! Aber es ist ansonsten auch eine typische Behörde.
Schulz: Und diese Probleme,
über die wir jetzt sprechen, wann haben die denn angefangen? Das
ist ja alles nicht seit gestern oder vorgestern erst klar.
Nassauer: Diese Probleme existieren eigentlich, seit die Bundeswehr
wieder in Deutschland Rüstung beschafft. Das können Sie
eigentlich, wenn Sie zurückgucken, von dem Schützenpanzer
HS30 und dem Starfighter bis heute verfolgen: Immer dann, wenn viel
Steuergeld an die Rüstungsindustrie (ob im Inland oder im Ausland
oder in internationalen Kontexten) ausgegeben wird, dann wollen viele
Leute mitverdienen und dann bilden sich Strukturen mit Eigenleben, die
man permanent unter Kontrolle halten muss, und das haben in der
Vergangenheit nur wenige Minister versucht, Helmut Schmidt zum
Beispiel, und Frau von der Leyen kann man nur Glück wünschen,
wenn sie diesen Versuch jetzt noch mal ernsthaft unternehmen sollte.
Aber schon durch die Empfehlung, die die KPMG gegeben hat und die Frau
von der Leyen jetzt sehr schnell übernimmt, habe ich an der einen
oder anderen Stelle meinen Zweifel, dass es in die richtige Richtung
geht - Beispiel die Wiederbelebung des Euro-Hawks und der Drohne Triton
als Ersatzträger für den Euro-Hawk.
Die strukturellen Probleme gab es schon früher
Schulz: Aber ist es nicht
richtig, dass man sagt, wir haben so viel Geld in dieses Projekt
reingesteckt, das soll zumindest nicht alles verloren sein?
Nassauer: Dazu müsste man erst mal wissen, ob mit der neuen
Trägerdrohne Triton nicht das Signalerfassungs- und
Aufklärungssystem ISIS, das die deutsche Seite beistellen will,
neu integriert werden muss und ob die Zulassungsprobleme für die
Triton denn lösbar sind, denn die Triton ist im Prinzip eine, in
mehreren Schritten weiterentwickelte Global-Hawk, wie der Euro-Hawk
auch, und da sind inzwischen so viele Änderungen eingetreten und
es ist auch noch gar nicht klar, was die Amerikaner bereit wären,
den Deutschen zu verkaufen. Da muss man, glaube ich, noch sehr, sehr
viel genauer hingucken, als das bisher getan worden ist, und die
schnelle Idee, einfach das modernere Trägersystem zu nehmen vom
ähnlichen Typ, ob die sich umsetzen lässt, das werden wir
noch sehen.
Schulz: Sie sind eben bei den
Problemen ziemlich weit in die Geschichte zurückgegangen, als Sie
von Helmut Schmidt gesprochen haben. Lässt sich sagen, wer ist
verantwortlich? Sind das die Verteidigungsminister der letzten
Jahrzehnte?
Nassauer: Im Kern sind als Verantwortliche für die jetzt
auftretenden Probleme die Minister seit Herrn Jung zu benennen.
Allerdings gab es die strukturellen Probleme auch schon früher.
Schulz: Und von der Leyen ist ein Teil des Problems, oder Teil der Lösung?
Nassauer: Sie muss sich entscheiden, was sie werden will.
Schulz: Und das heißt?
Nassauer: Sie muss sich entscheiden, ob sie die Probleme
grundsätzlich angehen will. Dann würde sie Teil der
Lösung werden. Wenn sie vorschnell sich auf die erstbesten
Empfehlungen verlässt und die Probleme nicht grundsätzlich
genug angeht, dann wird sie Teil des Problems.
Schulz: Aber das heißt,
Sie gehen davon aus, dass die Probleme grundsätzlich lösbar
sind? Das ist ja recht zuversichtlich.
Nassauer: Dass sie grundsätzlich lösbar sein müssten,
ist von der Sache her gegeben, ja. Das sind keine Probleme, die ganz
unlösbar sind.
Die Bundeswehr sollte sich einer grundsätzlichen Reform unterziehen
Schulz: Und was hat da jetzt Priorität?
Nassauer: Priorität hätte für mich die Aufhebung - das
habe ich auch schon erwähnt - beziehungsweise der Versuch, an der
Stelle, wo sich das zivile und das militärische
Bundeswehr-Management gegenseitig teilweise Konkurrenz machen und auch
kooperieren müssen, steuernd einzugreifen und zum Beispiel mal zu
gucken, ob das in Koblenz ansässige Amt für
Bundeswehrbeschaffungen nicht inzwischen viel zu groß geworden
ist und ob man das nicht mal ähnlich wie die Bundeswehr selbst
einer grundsätzlichen Reform unterziehen sollte, ohne dass es
zwangsnotwendig eine Agentur werden muss.
Schulz: Aber das möchte
ich gerne noch mal ein bisschen konkreter besprechen. Wir haben ja auch
jetzt aus diesem Gutachten gehört, dass teilweise Leute fehlen.
Kann dies das Problem sein, eine Behörde zu verkleinern?
Nassauer: Die Bundeswehr-Beschaffungsbehörde in Koblenz ist in den
letzten Jahren mit immer mehr Aufgaben betraut worden und immer
größer und damit auch mächtiger geworden.
Natürlich gibt es das Problem, dass Fachleute fehlen. Das ist aber
das Problem, was ich auch am Anfang schon mal erwähnt habe,
nämlich der Personalsteuerung, und da bedarf es genauso eines
Eingriffs von der politischen Seite her mit einem Reformansatz, der
dann dazu führt, dass die Dinge wieder effizienter ablaufen.
Schulz: Aber wir hören ja
jetzt schon, dass durch die Eingriffe, die von der Leyen schon gemacht
hat, ihre Beliebtheit dadurch im Ministerium nicht unbedingt gewachsen
ist. Ist das wirklich möglich, durch einzelne Entscheidungen ein
ganzes Ministerium, ein ganzes Beschaffungswesen zu entproblematisieren?
Nassauer: Wer etwas ändert, macht sich meistens nicht beliebt, es
sei denn, dass alle einsehen, dass zwingend was geändert werden
muss. Also muss man zunächst die Einsicht darin fördern, dass
etwas geändert werden muss, und auf der militärischen Seite
war die bei der Bundeswehrreform in den letzten Jahren eigentlich fast
immer gegeben, und im zivilen Bereich der Bundeswehr, also bei der
zivilen Beschaffungsbürokratie zum Beispiel, da muss man diese
Einsicht durchaus noch möglicherweise einfach fördern, denn
die müssen tatsächlich sehen, dass sie selber auch Teil des
Problems sind.
Schulz: ..., sagt Otfried
Nassauer, Direktor des Berliner Informationszentrums für
transatlantische Sicherheit, heute hier in den „Informationen am
Mittag" im Deutschlandfunk. Danke Ihnen!
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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