Irak-Krieg wahrscheinlich Anfang 2003
Otfried Nassauer im Gespräch mit
Herrn Remme
Remme: Ich begrüße
Herrn Ottfried Nassauer. Er leitet das Informationszentrum für
transatlantische Sicherheit in Berlin. Tag, Herr Nassauer.
Nassauer: Guten Tag, Herr Remme.
Remme: Herr Nassauer, können Sie da feine Unterschiede in der Rhetorik der Reden von George Bush entdecken?
Nassauer: Ja, schon, es gibt feine Unterschiede, gerade in der
Rhetorik. George Bush hat sich hier klar an ein innenpolitisches
Auditorium gewendet, also insbesondere an den Kongress, dessen
Zustimmung zu einer Resolution, die ihm im Prinzip freie Hand gibt, er
jetzt haben will. Zugleich die etwas moderatere Rhetorik, die er in
dieser Rede angeschlagen hat, ist natürlich auch ein Signal in
Richtung auf die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat, wo George
Bush eine Resolution durchbekommen möchte. Eine Situation, in der
es tatsächlich sozusagen einen Freibrief zur Entwicklung der
Situation in eine Kriegssituation geben könnte. Und das ist das
eigentlich problematische der Aufstellung, die hier sozusagen
gedanklich passiert. Es wird zunehmend eine Situation, in der ein
Militärschlag letztlich unausweichlich wird, weil die Definition
darüber, ob er stattfindet oder nicht, strukturell und sukzessiv
von New York nach Washington verlagert.
Remme: Herr Nassauer, ich ahne die Antwort: Ist dieser Irak-Krieg programmiert?
Nassauer: Ja, er ist ziemlich programmiert und das mit relativ unkalkulierbaren Folgen.
Remme: Für wen?
Nassauer: Nicht für die Vereinigten Staaten in dem Sinne,
dass sie diesen Krieg nicht gewinnen könnten. Ich bin relativ
sicher, dass der Irak letztlich geschwächt durch das Embargo der
letzten Jahre und die Inspektionen, die ja doch einen Großteil
des Massenvernichtungswaffenpotentials des Iraks Gott sei Dank
zerstört haben, dass der militärisch heute bei weitem kein so
guter Gegner mehr wäre, wie er das 1990/91 war. Das Hauptproblem
besteht eher in der Instabilität, die eine solche
militärische Aktion sowohl für die Ökonomien auf der
Welt als auch für die Region, also für den ganzen Nahen und
Mittleren Osten mit sich bringt. Nehmen wir nur mal einen Staat, den
Iran: Der wird nach einer solchen Aktion von drei großen
instabilen Nachbarn umgeben sein – von Afghanistan, von Pakistan
und vom Irak.
Remme: Nun mag man über
die außenpolitische Erfahrung von George Bush durchaus
unterschiedlicher Meinung sein. Doch immerhin wird er von erfahrenen
Menschen beraten. Glauben Sie, die sehen diese Risiken nicht?
Nassauer: Doch, die sehen diese Risiken, und sie gehen sie
wahrscheinlich sogar bewusst ein. Insbesondere der stellvertretende
Präsident, Herr Cheney oder auch Herr Rumsfeld, die sehen diese
Gefahren ganz klar. Sie sehen aber auch die Möglichkeit, die sich
dadurch für die Vereinigten Staaten ergeben könnten,
nämlich den aus ihrer Sicht sowieso anstehenden machtpolitischen
Wandel in Asien, selber durch Waffengänge von vorne mitzugestalten
beziehungsweise zu entscheiden, wie der ausgeht.
Remme: Eine Auseinandersetzung,
so hat Bush gesagt, steht nicht unmittelbar bevor. Das Timing ist aber
auch von der militärischen Planung abhängig. Herr Nassauer,
wenn es zu einem Krieg kommen sollte, gibt es aus Ihrer Sicht einen
besonders wahrscheinlichen Zeitpunkt?
Nassauer: Es gibt einen wahrscheinlichen Zeitpunkt. Der liegt
zu Beginn des nächsten Jahres. Also, ich würde sagen, Januar
und Februar. Der ist allerdings nicht unbedingt so vorgegeben. Die
amerikanische Überlegenheit gegenüber dem Irak ist so
groß, dass man diesen Schlag relativ schnell und auch früher
durchführen könnte. Sehen Sie: Das was der Irak heute noch
militärisch zu bieten hat, das ist so signifikant weniger als
1990/91, dass es auch erheblich leichter für Washington werden
würde, sich militärisch zunächst einmal durchzusetzen.
Und man darf auch nicht vergessen, dass die heute stattfindenden
Schläge der amerikanischen und britischen Luftwaffe natürlich
auch im Vorfeld eines solchen Waffenganges zu sehen sind, in gewisser
Weise ein Hineinschlittern in einen solchen darstellen.
Remme: Welche Gründe haben Sie, wenn Sie sagen, Januar oder Februar?
Nassauer: Das hat vor allem mit drei Dingen zu tun. Zum einen:
Ich denke, dass vor den amerikanischen Wahlen und auch den Wahlen in
der Türkei es höchst unwahrscheinlich wäre, dass da ein
amerikanischer Waffengang passieren würde. Zweitens: Noch braucht
der Prozess in den Vereinten Nationen etwas Zeit, und den braucht Bush
um sein Vorgehen, sei es gedeckt durch ein neues UNO-Mandat oder sei es
nicht dadurch gedeckt, zu legitimieren. Und drittens: Es ist auch eine
Frage des militärischen Aufmarsches. Ab Janaur steht
beispielsweise eine höhere Zahl von Flugzeugträgern in der
Region zur Verfügung als das vorher je der Fall sein würde.
Remme: Vielen Dank. Das war Ottfried Nassauer vom Informationszentrum für transatlantische Sicherheit in Berlin.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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