Bushs "Charmeoffensive" in Europa
Interview mit Otfried Nassauer
Dirk Müller: In Berlin sind wir nun verbunden mit Ottfried Nassauer, Direktor
des Zentrums für transatlantische Sicherheit. Guten Tag.
Otfried Nassauer: Guten Tag, Herr Müller.
Müller: Herr Nassauer, das Treffen heute in Brüssel. Diesmal ein besonders großes
Schauspiel?
Nassauer: Ein großes Schauspiel wie immer, aber kein besonders großes Schauspiel.
Müller: Ein glaubwürdiges Auftreten beider Seiten?
Nassauer: Ich denke, dass man sehr vorsichtig sein muss mit der Beurteilung, ob
dieses Auftreten glaubwürdig ist. Es gibt angesichts der Verhandlungen, die im Nahen
Osten zwischen Israelis und Palästinensern im Moment geführt werden, für die Amerikaner
keine Möglichkeit zu sagen, wir eskalieren die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten
weiter und deswegen gibt es im Umkehrschluss auch eine Zeit für eine Atempause im
europäisch-amerikanischen Verhältnis, die jetzt genutzt wird. Daher resultiert ein
Stückchen weit diese Charmeoffensive, die Herr Bush mit den Europäern im Moment
praktiziert. Er möchte, dass sie den Prozess, den er politisch im Nahen und Mittleren
Osten in seinem Sinne wachsen sieht, finanziell und auch materiell unterstützen. Deswegen
braucht er ihre politische Unterstützung.
Müller: Ist die konservative Führung in Washington, Herr Nassauer, tatsächlich
davon überzeugt, dass Amerika Europa braucht?
Nassauer: Ich denke, dass diese konservative Führung zunächst einmal davon
überzeugt ist, dass sie über den israelisch-palästinensischen Prozess eine weitere
Demokratisierung im Nahen und Mittleren Osten anstoßen kann. Dass sie weiterkommt mit der
Idee, den Nahen und Mittleren Osten, die arabische Welt demokratischer zu machen und dass
sie, weil sie glaubt, dass das so ist und weil sie weiß, dass sie bei all diesen
Prozessen sozusagen am längeren Hebel sitzt, zur Zeit kooperativ auftreten kann, weil ihr
die Möglichkeit zu einer Rückkehr zu einer konfrontativeren Haltung ja jederzeit
unbenommen bleibt. Das wird unabhängig davon sein wie die Europäer sich verhalten. Die
Entscheidung kann wieder in Washington gefällt werden.
Müller: Aber reden wir noch einmal konkret über operationale Politik. Sie haben
das Beispiel jetzt, Nahost, genannt. Wo können die Europäer da hilfreich sein?
Nassauer: Die Europäer könne zunächst einmal, das würde George W. Bush gerne
wollen, verstärkt Leistungen beim Aufbau staatlicher Institutionen im Irak leisten. Sie
können als NATO, als Garanten bei einem Friedensprozess zwischen Israelis und
Palästinensern dabei sein. Das wären ja schon mal zwei große Aufgaben, über die die
Nato auch schon diskutiert.
Müller: Wenn wir einmal der These, die wir in diesen Tagen in den Kommentaren
häufig lesen können, folgen, die da sagt, die NATO ist derzeit ein schwaches, ein
geschwächtes Bündnis. Hat George Bush ein Interesse an dieser Schwäche?
Nassauer: Erstmal ist diese Zustandsbeschreibung ja richtig. In der NATO, und zwar
auf amerikanisches Betreiben hin, sind in den vergangenen Jahren die wesentlichen
Entscheidungen nicht mehr gefallen, die sind in Washington gefallen. Was Herr Schröder
will, er will die NATO wieder beleben, aber als Entscheidungsgremium, in dem Europäer und
Amerikaner gemeinsam entscheiden, wie denn mit Krisen umzugehen ist. Diese Stärkung der
NATO ist analog zu einer Stärkung der Vereinten Nationen zu betrachten, in den
Vorstellungen, die Herr Schröder hat. Die Tatsache, die ich eben beschrieben habe, wie
die Amerikaner möglicherweise den Nahen und Mittleren Osten sehen, nämlich als eine
Situation, die im Moment eine Chance beinhaltet, wo man aber das Heft des Handelns in der
Hand behält, die impliziert auch umgekehrt, dass die Phase der Kooperation und der
verstärkten Konsultation in der NATO natürlich auch begrenzt sein könnte und dass dort
der Ton auch wieder schärfer werden könnte in dem Moment, wo Washington sagt, jetzt geht
es aber wieder darum, im Nahen und Mittleren Osten unsere alte Agenda fortzusetzen.
Müller: Das heißt also, derzeit ist die NATO tatsächlich nur noch ein
Debattierforum?
Nassauer: Derzeit ist die NATO ein Debattierforum auf der einen Seite, aber das
Entscheidende ist, eben nur ein konsultatives, kein entscheidendes, kein Gremium, in dem
entschieden wird wie mit Krisen umgegangen wird, ähnlich wie die UNO. Genau das ist das
Problem. In dieser Funktion ist sie für die Europäer nicht genug. Die Europäer wollen
ein Mitentscheidungsrecht wie mit Krisen umgegangen werden soll und dieses
Mitentscheidungsrecht gehört auch zu den Forderungen, die ganz klar im Bereich
NATO-Reform gestellt werden. Gleichzeitig muss die NATO natürlich auch heute als
Handlungsraum gesehen werden. Sie ist natürlich in Afghanistan aktiv und sie kann auch an
anderen Orten aktiv sein.
Müller: Herr Nassauer, wenn George Bush nach Europa kommt, dann redet man über
Amerika und Europa. Wenn wir beide zum Schluss noch einmal über Europa reden, es hat ja
nicht nur diese europäisch-amerikanischen Differenzen gegeben in der Vergangenheit,
sondern vor allem auch innereuropäische. Passen denn Frankreich, Großbritannien und
Deutschland und all die anderen inzwischen wieder zusammen?
Nassauer: Ich denke, sie sind sich in einem Punkt einig geworden, dass sie nämlich
eine verstärkte Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik brauchen, dass, nur
wenn sie gemeinsam auftreten, sie auch gegenüber den Amerikanern in ihrer Position auch
gehört werden. Diese Lehre ist aus den Streitigkeiten rund um den Irakkrieg gezogen
worden, hat dazu geführt, dass in der Europäischen Union inzwischen eine größere
Grundlagenübereinstimmung in der Außen- und Sicherheitspolitik erarbeitet worden ist und
führt auch dazu, dass die Europäische Union angesichts der Tatsache, dass viele der
Risiken, die in der Welt existieren ja nicht primär militärischer Natur sind, erkennt,
dass sie an bestimmten Stellen die Institution ist, die handeln kann, während die NATO
zum Teil gar nicht handeln kann, weil sie eine ausschließlich politisch-militärische
Institution ist. Ich glaube, dieser Punkt gehört auch in den Bereich, den die Europäer
gerne mit den Amerikanern diskutieren würden, dass sie nämlich auch für die
nicht-militärischen Formen der Krisenbearbeitung in Amerika oder für den
transatlantischen Dialog ein Forum brauchen.
Müller: Gibt es jemanden derzeit in Europa, der den Ton angibt?
Nassauer: Ich glaube, es gibt keinen einzelnen, der den Ton angibt und das ist auch
gut so. Wenn es einen gibt, der den Ton vorgibt, dann ist es meistens Javier Solana, der
aber auch oft auf Initiativen aus den Nationalstaaten reagiert.
Müller: Otfried Nassauer war das, Direktor des Zentrums für transatlantische
Sicherheit.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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