Keine Katastrophe?
Nachdenken über einen Iran mit Atomwaffen
Gastbeitrag von Jürgen Rose
"Es gibt nur eines, was noch schlimmer ist als eine Militäraktion das ist
ein nuklear bewaffneter Iran." Mit diesen Worten bringt US-Senator John McCain
die Haltung derer auf den Punkt, die eine Atommacht am Persischen Golf um jeden Preis
verhindern wollen. Auf der Linie dieser Scharfmacher liegt auch Präsident Bush, wenn er
fordert: "Der Iran darf keine Atombombe haben." Ganz in diesem Sinne haben zudem
die so genannten EU-3 also Frankreich, Großbritannien und Deutschland - mit der
iranischen Seite über deren Programm zur zivilen Atomenergienutzung verhandelt. Geteilt
und unterstützt wird die transatlantische Interessenlage von der israelischen Regierung.
Shaul Mofaz, vor einigen Monaten noch Verteidigungsminister, drohte als Kabinettsmitglied,
sein Land werde Atomwaffen in iranischem Besitz unter gar keinen Umständen dulden. Zur
Erinnerung: Israel selbst verfügt über schätzungsweise 200 bis zu 500 nukleare
Gefechtsköpfe und ist damit mittlerweile zur viert- oder gar drittstärksten Atommacht
der Welt aufgestiegen.
Mit ihren kriegerischen Tönen begeben sich die Hardliner jedoch in eine tückische
Argumentationsfalle. Denn der Verhandlungsprozess könnte scheitern und am Ende ist nicht
ausgeschlossen, dass der Iran sogar von seinem verbrieften Recht Gebrauch macht, seine
Mitgliedschaft im so genannten "Atomwaffensperrvertrag" zu kündigen. Dann
stünden die Verfechter einer harten Linie vor dem selbstgesetzten Zwang, ihren
großspurigen Worten auch kriegerische Taten folgen zu lassen. Zudem wird verschleiert,
dass es neben den immer wieder diskutierten Wirtschaftssanktionen durchaus noch einen
anderen Ausweg aus der Atomkrise gibt. Nämlich: Die Weltgemeinschaft akzeptiert
zähneknirschend eine Atommacht Iran und versucht, die Konfliktlage im Nahen und Mittleren
Osten mit nichtmilitärischen Mitteln zu entschärfen.
Ganz in diesem Sinne ist der Zwischenruf zu verstehen, den Zbigniew Brzezinski, der
ehemalige Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, schon vor einem
Jahr ertönen ließ. Unbeeindruckt vom alarmistischen Stakkato diesseits und jenseits des
Atlantiks erklärte dieser klassische Vertreter der realistischen Schule, dass er einen
moderaten Iran mit Atomwaffen einem feindseligen vorzöge, der aus Furcht vor einer
Intervention der USA ständig versuchte, sich nuklear zu bewaffnen. Letzterer sei nämlich
"weitaus gefährlicher als ein moderates, atomar bewaffnetes Land". Diesseits
des Atlantiks fand Brzezinski Unterstützung von Altbundeskanzler Helmut Schmidt,
ebenfalls ein erfahrener Realpolitiker. Im April dieses Jahres erklärte der
SPD-Politiker, die iranische Atompolitik stelle aus seiner Sicht, so wörtlich,
"keine akute Bedrohung des Friedens" dar. An die Adresse der Scharfmacher
gerichtet, forderte Helmut Schmidt mehr Gelassenheit und warnte eindringlich vor
militärischen Sanktionen. Insbesondere sollte "Washington", so Schmidt,
"weiter auf Verhandlungen setzen, statt schon wieder mit einer »Koalition der
Willigen« zu drohen." Noch dezidierter reiht sich der Chef-Außenpolitiker der
Europäischen Union, Javier Solana, in die Phalanx der Realisten ein, wenn er zu Protokoll
gibt: "Jede Art von militärischem Vorgehen ist für uns ausgeschlossen."
Flankendeckung für die realistische Position gab auch der ehemaligen KFOR-Befehlshaber
Klaus Reinhardt. Der Vier-Sterne-General verweist auf die strategische Einkreisung des
Irans durch die US-Militärpräsenz im Irak, in Afghanistan, Pakistan sowie am Golf. Sie
wird vom Mullah-Regime als Bedrohung wahrgenommen. Daher plädiert Reinhardt
nachdrücklich dafür, "den Iranern mit einer Art Sicherheitsgarantie, mit einer Art
Sicherheitsabkommen dieses Argument aus der Hand zu nehmen, dass sie bedroht seien".
Dass gerade ein durch die Hochphase des Kalten Krieges geprägter Spitzenmilitär und
promovierter Historiker so argumentiert, ist nicht verwunderlich. Denn seine
geschichtliche und militärpolitische Erfahrung besagt, dass nukleare Abschreckung in der
Vergangenheit stets funktioniert hat und dies bis heute weiterhin tut so moralisch
verwerflich Nuklearwaffen auch zweifellos sein mögen.
Folgerichtig verläuft unter Experten der so genannten "Strategic Community"
der Diskurs im Hintergrund bedeutend rationaler. So berichtete die renommierte britische
Fachzeitschrift Janes Intelligence Review Ende letzten Jahres, dass die
"Pragmatiker innerhalb der US-Administration" sich bereits mit dem Aufstieg
Irans zur Atommacht abgefunden hätten. In ihren Langfristplanungen beschäftigten sich
deshalb die Politstrategen und Militärplaner vornehmlich mit dem Problem der
"Eindämmung" eines nuklear bewaffneten Irans. Erleichtert würde diese Aufgabe
dadurch, dass die Anzahl möglicher Atomwaffen aufgrund extremer Knappheit an
kernwaffentauglichem Spaltmaterial anfänglich nur äußerst langsam aufwüchse. Zudem
seien die iranischen Trägersysteme längst nicht ausgereift. Das Hauptproblem bestünde
darin, die iranische Führung davon abzuhalten, ihre Nuklearwaffen in einer Krise
präemptiv, also frühzeitig, einzusetzen aus der Furcht heraus, diese Systeme
könnten durch einen gegnerischen Erstschlag ausgeschaltet werden. Die iranische Führung
müsse dazu bewogen werden, ihre zukünftigen Atomwaffen als reine Abschreckungs- und
Vergeltungsinstrumente gegen eine existentielle Bedrohung von außen zu betrachten.
Dass den Mullahs eine verantwortungsbewusste Handhabung von Nuklearwaffen prinzipiell
nicht abgesprochen werden könne, beweist nach Ansicht der britischen Fachzeitschrift ihr
Umgang mit den Chemiewaffen, über die Teheran seit dem Krieg mit dem Irak in den 80er
Jahren verfügt. Der Iran habe diese Massenvernichtungsmittel damals weder zu offensiven
Kriegshandlungen noch gegen die irakische Zivilbevölkerung eingesetzt. Außerdem habe
Teheran sichergestellt, dass diese Waffen nicht in die Hände von Terroristen gelangten.
Auch in Israel selbst lässt sich ein Wandel in der Strategiedebatte beobachten, wie
ein weiterer Beitrag in Janes Intelligence Review vom Januar dieses Jahres belegt.
Demnach gelangt eine "wachsende Zahl israelischer Analysten zu der Auffassung, dass
nukleare Parität, obwohl risikobehaftet, zu Stabilität und Frieden in der Region
beitragen könnte". Reuven Pedatzur, Direktor des »Galilee Centre for Strategy and
National Security«, prognostiziert einen fundamentalen Wandel der israelischen
Nuklearstrategie. Unter den Vorzeichen atomarer Rivalität mit Iran würde Israel seine
bislang verfolgte Verschleierungspolitik aufgeben und durch eine klare
Abschreckungsdoktrin ersetzen. Leon Hadar, ein israelischer Forscher am Washingtoner
Cato-Institut setzt darauf, dass "die Existenz nuklearer Waffen das Verhalten beider
Seiten dämpft und die Wahrscheinlichkeit offener Aggression reduziert". Ein
Abschreckungssystem würde die Konfliktgegner dazu zwingen, miteinander auf
sicherheitspolitischen Kanälen zu kommunizieren. Dies wiederum setze aber voraus, den
jeweils anderen als rationales Gegenüber wahrzunehmen. Israel könne es durchaus wagen,
sich auf einen solchen strategischen Diskurs einzulassen. Denn es verfügt über eine
gesicherte Zweitschlagsfähigkeit und wäre damit nach einem Angriff zu atomarer
Vergeltung in der Lage. Zur Verfügung hierfür stehen die von Deutschland gelieferten
Dolphin-U-Boote, F-15I Jagdbomber US-amerikanischer Provenienz und Jericho-2 Raketen aus
eigener Produktion. Zudem besitzen die israelischen Streitkräfte in Gestalt der
"Arrow-2" das einzig funktionierende Raketenabwehrsystem weltweit. Daraus
folgert der Israeli Reuven Pedatzur: "Abschreckung wird funktionieren, genauso wie es
zwischen den Supermächten [im Kalten Krieg] der Fall war." Und da sich die
israelische Führung auf die Auseinandersetzung mit Iran konzentrieren müsse, stünde sie
zugleich unter verstärktem Druck, den Friedensprozess mit den direkten arabischen
Nachbarn voranzutreiben. Paradoxerweise könne daher der Verlust des israelischen
Atommonopols und ein Gleichgewicht der Mächte dazu beitragen, die Friedenslösung zu
erreichen, an der Israel schon so lange gelegen sei.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt
in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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