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April 2002
© Dr. Walter Krutzsch
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Chemiewaffen - Konvention
Konflikte in der Abrüstungsorganisation gefährden Überprüfung
chemischer Abrüstung
von Dr. Walter Krutzsch
Im Jahre 1993 unterzeichnet, vor fünf Jahren in Kraft getreten,
ist sie heute, trotz ihrer 145 Mitgliedstaaten, in Schwierigkeiten: die Konvention über
das Verbot chemischer Waffen (Chemiewaffen-Konvention). In einer Zeit, in der
Militärexperten vor anwachsenden Gefahren durch die Weiterverbreitung chemischer und
biologischer Waffen warnen und die USA die Anwendung militärische Gewalt gegen Irak wegen
Verdachts auf Herstellung oder Besitz solcher Waffen erwägen, zieht eine Krise für die
Konvention herauf: Der Generaldirektor der Organisation für das Verbot chemischer Waffen
wurde von Washington zum Rücktritt aufgefordert.
Diese Organisation wurde geschaffen, als die Chemiewaffen-Konvention in
Kraft trat. Sie soll darüber wachen, daß keine chemischen Waffen angewandt und alle
chemischen Waffen und deren Produktionsanlagen unter internationaler Aufsicht vernichtet
werden. Durch Datenaustausch und Kontrolle der chemischen Industrie soll verhindert
werden, daß neue chemische Waffen auftauchen. Die Konvention überträgt dem Technischen
Sekretariat die Kontrollaufgaben der Organisation. Der Generaldirektor der Organisation
ist Chef des Technischen Sekretariats. Botschafter Bustani (Brasilien) war der erste, der
dieses Amt übernahm. Er wurde im Mai 2000 von der Konferenz der Mitgliedstaaten für eine
zweite Amtsperiode einmütig gewählt. Die Bilanz der ersten fünf Jahre der Organisation
weist positive Ergebnisse aus.
Entsprechend den Bestimmungen der Chemiewaffen-Konvention wurden in
vier Mitgliedstaaten bereits 10% aller gemeldeten Vorräte chemischer Waffen vernichtet.
61 Produktionsanlagen für chemische Waffen wurden deaktiviert; bereits die Hälfte davon
entweder zerstört oder für friedliche Zwecke umgebaut. Das Technische Sekretariat der
Organisation hat in über 1.000 Inspektionen geprüft, ob die Staaten die vereinbarten
Verpflichtungen einhalten. Zwei Drittel der Inspektionen betrafen CW-Lager und
CW-Produktionsstätten, ein Drittel Anlagen der chemischen Industrie in 42
Mitgliedstaaten.
Die Bush Administration verlangt die sofortige Auswechslung des
Generaldirektors mit der Begründung, nur so könne die Effektivität der
Chemiewaffen-Konvention erhalten werden. Ein möglicher Nachfolger wird nicht genannt. Ein
von den USA unter den Mitgliedstaaten zirkuliertes Papier enthält eine Liste von
Vorwürfen über seine Amtsführung. Sie beziehen sich auf "polarisierendes und
konfrontatives Verhalten, Fälle von Mißwirtschaft, Eintreten für unpassende Rollen der
Organisation". Im März wurde dem Rücktrittsverlangen dadurch Nachdruck verliehen,
daß die USA ihre Zahlung von Beiträgen an die Organisation einstellen will, solange der
Generaldirektor im Amt ist. Es hat den Anschein, daß sich auch die Bundesrepublik an dem
angedrohten Zahlungsboykott beteiligen könnte.
Generaldirektor Bustani hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe
zurückgewiesen. Er besteht auf einer sachlichen Prüfung und schlägt ein Verfahren zur
Klärung und Lösung der Konfliktpunkte vor. Er betrachtet den gegen ihn gerichteten
Schritt als eine Gefährdung der Integrität dieser Organisation und ihres höchsten
Beamten.
Inzwischen hat der Exekutivrat der Organisation über einen
Mißtrauensantrag gegen Bustani entschieden. Von den 41 Mitgliedern dieses Gremiums haben
17 den Antrag unterstützt, fünf abgelehnt und 18 haben sich der Stimme enthalten. Gegen
den Mißtrauensantrag stimmten, u.a., China, Frankreich und Rußland. Entsprechend den
Bestimmungen der Chemiewaffen-Konvention hätte der Antrag, um angenommen zu werden, von
28 Staaten unterstützt werden müssen. Jetzt wird auf Antrag der USA eine
außerordentliche Tagung der Konferenz der Mitgliedstaaten der Organisation vorbereitet.
Sie soll am 21. April stattfinden.
Es ist zu befürchten, daß dieser Konflikt, der durch Drohung mit
einem völkerrechtlich unzulässigen Zahlungsboykott verschärft wurde, den Zielen der
Organisation ernsthaften Schaden zufügt. Er bricht zu einer Zeit aus, in der neben den
Kontrollmechanismen die politisch-moralische Kraft des weltweiten CW-Verbots gefordert
ist.
Die Drohung mit Zahlungseinstellung gefährdet den Hauptzweck der
Organisation: Die Mitgliedstaaten sollen ihre strikte Vertragseinhaltung demonstrieren,
indem sie diese durch internationale Inspektionen überprüfen lassen. Das soll
ausreichende Garantien dafür schaffen, daß die Gefahr jeglicher Anwendung chemischer
Waffen durch Staaten oder Terroristen beseitigt wird. Wenn die Mitgliedstaaten der
Organisation aber nicht mehr ausreichende Mittel für Inspektionen zur Verfügung stellen,
wird das Prinzip der zuverlässig kontrollierten Abrüstung, das erstmalig in der
Geschichte verwirklicht werden soll, zerstört. Bereits in den letzten zwei Jahren konnte
durch eine Verknappung der zur Verfügung gestellten Finanzmittel ein Teil der
erforderlichen Inspektionen in militärischen oder industriellen Einrichtungen nicht
durchgeführt werden.
Andere Elemente des Konzepts der kontrollierten Abrüstung wurden
bereits zu einem früheren Zeitpunkt beschädigt: In der Chemiewaffen-Konvention ist
festgelegt, daß das für die Verifikation zuständige Organ, das Technische Sekretariat,
seine diesbezüglichen Aufgaben selbständig und unabhängig erfüllt. Keinem
Vertragsstaat ist es gestattet, dem Generaldirektor oder einem Inspektor oder einem
anderen Mitarbeiter des Technischen Sekretariats Weisungen für die Ausübung seiner
Pflichten zu geben, noch ist es diesen Personen erlaubt, derartige Weisungen
entgegenzunehmen. Die Konvention verbrieft speziell die Rechte und Immunitäten der
Inspektoren der Organisation. Sie sind hinsichtlich der Unverletzlichkeit ihrer Person,
ihrer Aufzeichnungen und Geräte, Diplomaten gleichgestellt.
Diese Rechte und Immunitäten werden bereits seit längerem nicht
entsprechend respektiert. Inspektoren werden z.B. veranlaßt, Photokopien ihrer
Notizbücher, in die sie ihre Beobachtungen während der Inspektion eintragen, der
inspizierten Seite am Ende der Inspektion auszuhändigen. Das ist unvereinbar mit dem
Grundsatz der Unverletzlichkeit von Unterlagen und Berichten und gefährdet die
Unabhängigkeit des Inspektionsergebnisses: Es ist von einem Inspektor kaum zu erwarten,
daß er sich Notizen über mögliche Anhaltspunkte für eine geheime CW-Produktion macht
und die Photokopien davon denjenigen aushändigt, von denen er annimmt, daß sie ein
derartiges Verbrechen gewagt haben könnten. Außerdem wird das Recht auf Zugang der
Inspektoren zum Inspektionsobjekt oder zu den darin befindlichen Dokumentationen mehr und
mehr aufgeweicht.
Die Chemiewaffen-Konvention verpflichtet das Technische Sekretariat
alle Fälle dem Exekutivrat zu melden, in denen Zweifel und Unsicherheiten aus
Inspektionsergebnissen oder Erklärungen nicht in Zusammenarbeit mit den betreffenden
Mitgliedstaaten ausgeräumt werden konnten.
Für den Generaldirektor gab es oft Anlässe, auf ernste Mängel bei
der Einhaltung der übernommen Verpflichtungen hinzuweisen. Das ist, für sich betrachtet,
noch kein Zeichen einer Krise. Oft blieben jedoch die erwarteten Reaktionen des
Exekutivrates aus, zumal dann, wenn die Kritik Staaten traf, die selbst einen Sitz in
diesem Gremium innehaben. Es geschah nichts. Die Berichte des Generaldirektors und die
Ergebnisse der Sitzungen wurden vom Exekutivrat einfach für vertraulich erklärt, so daß
sie nicht an die Öffentlichkeit gelangen konnten. Ausbleibende Aktionen des Exekutivrates
wiederum hatten eine kritische Reaktion des Generaldirektors zur Folge.
So bauten sich über die Jahre Spannungen und Animositäten auf. Unter
solchen Bedingungen wird es immer schwerer, Mängel und Mißstände zu überwinden. Der
notwendige Lernprozeß für die Umsetzung einer Maßnahme der Friedenssicherung ist
gestört. Er muß aber fortgesetzt werden, um die Verwirklichung der
Chemiewaffen-Konvention, einer humanen Alternative zum Einsatz militärischer Gewalt, zu
erreichen. Überzogene Polemik und politische Machtdemonstrationen sind dabei nicht
hilfreich. Noch weniger hilfreich wäre es, eine Persönlichkeit, die unangenehme Fakten
unter den Teppich kehrt, für das Amt des Generaldirektors auszuwählen.
Eine für 2003 geplante Konferenz soll die bisherige Umsetzung der CW-Konvention
überprüfen und Schlüsse aus den Erfahrungen der ersten fünf Jahre ziehen. Das ist eine
Gelegenheit, die Konvention zu stärken und ihre universelle Geltung voranzutreiben. Diese
Chance sollte nicht durch Politik der Stärke und Dominanzstreben verspielt werden.
Dr. Walter Krutzsch war von 1985-90
als Mitglied der DDR-Delegation zur Genfer Abrüstungskonferenz im Komitee für Chemische
Waffen und dort Leiter mehrer Arbeitsgruppen. Von 1994-98 wirkte er als Senior Legal
Officer im Vorbereitungskomitee der Chemiewaffenkonvention bzw. im OPCW. Das Copyright des
Textes liegt beim Autor.
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, daß
dieser Artikel unter copyright des Autors steht. Kontakt mit ihm kann über BITS
hergestellt werden.
An dieser Stelle möchten wir uns bei Dr.
Krutzsch dafür bedanken, daß er uns diesen Artikel zur Veröffentlichung auf unserer
Homepage zur Verfügung gestellt hat.
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