Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
18. Oktober 2003


Zu wenig Geld und kaum Soldaten?

Was von der anstehenden Irak-Geberkonferenz zu erwarten ist.

von Dr. Karl-Heinz Harenberg

Geld ist eine ganz besondere Waffe. Und selbst die USA, die hochgerüstete einzige Supermacht auf dieser Erde, geraten in Schwierigkeiten, wenn ihr diese Waffen ausgehen. Eben das geschieht zur Zeit. Der Überfall auf den Irak und dessen Folgen, eine Krieg ohne Ende, ist für die USA zur Schuldenfalle geworden.

Während die amerikanischen Soldaten und deren Verbündete im Irak gegen einen unsichtbaren Feind kämpfen, der ständig stärker zu werden scheint, wissen die politisch Verantwortlichen im fernen Washington genau, dass sie diesen Krieg verlieren werden, wenn sich die Lebensbedingungen für die seit Jahrzehnten geschundene Bevölkerung nicht schon sehr bald nachhaltig verbessern. Aber diese Aufgabe erweist sich als zunehmend schwieriger. Der Grund dafür liegt nicht nur in der Fortsetzung der Kämpfe, die monatlich an die 4 Milliarden Dollar verschlingen; auch die immensen Kosten, die für den Wiederaufbau des Landes aufgebracht werden müssen, überfordern die amerikanische Finanzkraft. Allein für den Zeitraum bis Ende nächsten Jahres hat die US-Besatzungsbehörde unter ihrem Leiter Paul Bremer vom US-Kongreß 20 Milliarden Dollar für zivile Maßnahmen beantragt. Für die kommenden vier Jahre belaufen sich die geschätzten Kosten sogar auf bis zu 75 Milliarden Dollar. Dass sich die Regierung Bush bei diesen Aussichten um Unterstützung in aller Welt, vor allem natürlich bei den Verbündeten in Europa und im fernen Osten bemüht, ist daher nur selbstverständlich.

Erste Versuche des amerikanischen Präsidenten, seine hochrangigen Gesprächspartner am Rande der UN-Vollversammlung Ende vergangenen Monats in New York um Bares anzugehen, blieben jedoch weitgehend erfolglos. Selbst der um Wiedergutmachung bemühte deutsche Bundeskanzler wollte nur Ausbildungsbeihilfen beim Aufbau der irakischen Polizei anbieten.

Vor diesem Hintergrund wird die Geberkonferenz Ende kommender Woche in Madrid mit Spannung erwartet. Mehrere Dutzend Staaten und Organisationen wie die UNO, die EU, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds wollen bei diesem Treffen entscheiden, was sie jeweils als Wiederaufbauhilfe für den Irak beitragen können und wollen. Zwar sind solche Geberkonferenzen durchaus üblich, wie vergleichbare Treffen über das ehemalige Jugoslawien oder Afghanistan gezeigt haben; aber die Vorgeschichte des Irakkrieges wirft für die Zusammenkunft in Madrid ganz besondere Probleme auf, herrscht doch gerade bei den Gegnern dieses Krieges wie Deutschland, Frankreich oder Russland die Sorge, man trage nachträglich zur Rechtfertigung des anglo-amerikanischen Angriffs auf den Irak bei, wenn man sich jetzt nach amerikanischen Vorgaben am Wiederaufbau beteilige. Die Folge: Die Kriegsgegner, aber auch andere Länder wie Indien oder Japan fordern nachdrücklich, dass die USA die Verantwortung für den Wiederaufbau des Irak an die Vereinten Nationen abgeben. Andernfalls wären nämlich die UNO und alle am Wiederaufbau beteiligten Länder direkt dem amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld unterstellt. Denn Präsident Bush hatte Rumsfeld nach dem offiziellen Ende des Krieges auch mit der Zuständigkeit für den zivilen Aufbau betraut - zur großen Verwunderung selbst in der amerikanischen Hauptstadt. Daran ändert grundsätzlich auch die Tatsache nichts, dass Bush jetzt eine neue Irak-Koordinierungsgruppe unter Leitung seiner Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice berufen und Rumsfeld damit einen Aufpasser zur Seite gestellt hat. Also: Die Kriegsgegner als Aufbauhelfer im Irak unter dem Oberbefehl des amerikanischen Verteidigungsministers? Eine diskriminierende - eine untragbare Situation. Ungeachtet dessen weigert sich die amerikanische Regierung weiterhin hartnäckig, wie der jüngste Resolutionsentwurf für den UN-Sicherheitsrat in dieser Woche gezeigt hat, die Verantwortung für den Irak an die UNO zu übertragen.

Dieser Machtkampf zwischen den USA und der UNO ist aber nicht der einzige Grund, warum die Geberkonferenz in Madrid unter einem schlechten Stern steht. Das geht unter anderem aus der Mitteilung über die geplante Konferenz hervor, die die EU-Kommission in Brüssel an den Europäischen Rat sowie das Europäische Parlament gerichtet hat.

Die Kommission fordert darin an erster Stelle, dass die öffentliche Sicherheit entscheidend verbessert werden muss. Die zunehmenden Anschläge und Überfälle, sowohl politisch als auch kriminell motiviert, erschweren schon jetzt in weiten Gebieten des Irak den Wiederaufbau. Die Folge davon ist, dass zahlreiche Hilfsorganisationen, darunter auch die UNO einen großen Teil ihrer nicht-irakischen Mitarbeiter abgezogen haben. Sodann fordert die EU-Kommission, wie auch UN-Generalsekretär Kofi Annan, dass die Veranwortung für den Wiederaufbau des Irak sehr viel schneller an Iraker selbst abgegeben wird, als es die amerikanische Planung vorsieht. Die US-Regierung besteht darauf, dass die Ausarbeitung einer Verfassung sowie die Ausrichtung von Wahlen noch unter ihrer Aufsicht stattfinden. UNO, EU und viele andere Länder dagegen fordern, dass erst eine selbstverantwortliche irakische Regierung berufen wird und diese dann für die weitere Entwicklung des Landes allein zuständig ist. Zur Zeit haben der von der Besatzungsmacht bestellte irakische Übergangsrat und dessen Kabinett so gut wie nichts zu sagen. Nicht einmal über die Stationierung von Militär aus immer neuen Ländern können sie mitentscheiden. So bleiben auch die Befürchtungen des Übergangsrates, dass der bevorstehende Einmarsch von zehntausend türkischen Soldaten zu Auseinandersetzungen mit den irakischen Kurden führen muss, in Washington ungehört - eine Ohnmacht, die den Widerstand gegen die Besatzungsmacht zusätzlich verstärkt.

Aufgrund dieser Machtverhältnisse legt die Kommission der EU in ihrem Bericht besonderen Wert darauf, zu klären, von wem die erwarteten Hilfsgelder vergeben werden. "Die Geber ziehen es vor," heißt es in dem Bericht wörtlich, "ihren Beitrag zum Wiederaufbau unabhängig von der Besatzungsbehörde und dem Irakischen Entwicklungsfond zu leisten." Denn auch dieser Irakische Entwicklungsfonds, für den bislang noch die UNO mit ihrem "Öl-für-Lebensmittel-Programm" verantwortlich ist, muss im November an den amerikanischen Besatzungschef Bremer abgegeben werden. Das heißt: die USA verstärken ihren Einfluss sogar noch, indem sie die Aufsicht über die Erdölindustrie vollständig übernehmen.

Das Misstrauen, das die USA mit dieser Politik in aller Welt auf sich ziehen, wird allerdings von den Skeptikern nur sehr diplomatisch vorgetragen. So fordert die EU, die Verwaltung der Hilfsgelder müsse transparent erfolgen und dürfe keinen der Beteiligten diskriminieren, namentlich - so der Bericht wörtlich: "im Zusammenhang mit dem öffentlichen Auftragswesen". Bundeskanzler Gerhard Schröder umschrieb das Problem kürzlich bei seinem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit den Worten, er rechne nicht damit, dass die deutsche Wirtschaft wegen der Ablehnung des Krieges durch die Bundesregierung bei der Vergabe von Aufträgen im Irak benachteiligt werde. Inzwischen gibt es aber sogar im amerikanischen Kongress besorgte Fragen, unter welchen Bedingungen denn die Bush-Regierung ohne jede Ausschreibung millionenschwere Aufträge an Konzerne wie Halliburton oder Bechtel vergeben habe, in denen hohe Regierungsvertreter wie Vizepräsident Dick Cheney oder Verteidigungsminister Donald Rumsfeld einst führende Posten innehatten.

Wenn also die Geberkonferenz Ende kommender Woche wie geplant in Madrid stattfindet, geht es nicht nur um die vermeintlich hehre Aufgabe, dem niedergeschlagenen irakischen Volk wieder auf die Beine zu helfen. Das Ringen um Macht und Einfluss, die Wahrung nationaler Wirtschaftsinteressen und nicht zuletzt die Absicht des amerikanischen Präsidenten, sich ein Jahr vor den nächsten Wahlen als angeblich siegreicher Kriegsherr und als erfolgreicher Friedensfürst zu präsentieren, werden den Verlauf des Treffens entscheidend mitbestimmen. Dass die Iraker dabei mehr oder weniger eine Nebenrolle spielen könnten, ist nicht auszuschließen.


 

Dr. Karl-Heinz Harenberg ist Journalist. Über Jahrzehnte war er für die Hörfunk-Sendung “Streitkräfte und Strategien” beim NDR zuständig, das einzige sicherheitspolitische Hörfunkmagazin Deutschlands.