Verschwundene Geheimdaten, aufgelöste Dienststelle ZNBw
Wie die Bundeswehr den Konflikt mit dem BND verloren hat
von Alexander Richter
Der Schaden soll klein geredet werden. Sofort nach dem Bericht über den Datenverlust
erklärten SPD-Verteidigungspolitiker, der Vorfall sei nicht so schlimm. Computerpannen
seien zwar ärgerlich, kämen jedoch leider vor. Der Berliner Militärexperte Otfried
Nassauer schätzt den Gedächtnisverlust in der Datenbank "Jasmin" völlig
anders ein:
O-Ton:
"Jasmin, das gemeinsame Auswertesystem militärisches Nachrichtenwesen der
Bundeswehr, ist die vielleicht wichtigste Datenbank für Auslandseinsätze. In dieser
Datenbank fließen die Informationen zusammen, die das Auswärtige Amt bekommt, die andere
deutsche Behörden bekommen, die die Nachrichtendienste einspeisen, die die
Bundeswehreinheiten vor Ort einspeisen. Also, es ist der größte Pool überhaupt."
Durch die Löschaktion in diesem Pool seien wichtige Dokumente verloren gegangen, auf
deren Basis Berichte und Lagemeldungen erstellt wurden, so Nassauer weiter. Er glaubt,
dass wertvolle Informationen vernichtet worden sein könnten, die die parlamentarische
Kontrolle erleichtert hätten, für die Verfolgung von Kriegsverbrechen auf dem Balkan
hilfreich wären oder Aufschlüsse über islamische Extremisten hätten geben können.
Mittlerweile beschäftigt der Datenverlust auch den Verteidigungsminister. Franz Josef
Jung kündigte eine "offensive Aufklärung" an. Um sein Versprechen einzuhalten,
muss der Minister lediglich im eigenen Haus nachfragen: Denn im Führungsstab der
Streitkräfte sitzt der ehemalige Kommandeur des Zentrums für Nachrichtenwesen
eben jener Dienststelle, in der die Datenbank mit den sensiblen Informationen beheimatet
ist: Der Name des ehemaligen Kommandeurs: Brigadegeneral Armin Hasenpusch.
Unter Hasenpuschs Federführung wurde das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr,
kurz ZNBw genannt, zu einer Einrichtung ausgebaut, die unter kritischer Beobachtung stand.
Der Aufgabenbereich des Zentrums ähnelte dem eines Nachrichtendienstes. Etwa 640
Mitarbeiter sammelten am Dienstsitz in Gelsdorf im Schichtbetrieb Informationen aus aller
Welt. Adressaten der ebenfalls im ZNBw erstellten Lageberichte über fremde Staaten und
Streitkräfte waren die militärische und politische Führung. Kurzum: Die Dienststelle
bei Bonn sammelte und verteilte sicherheitspolitische Informationen aus dem Ausland
eine Aufgabe, die laut Gesetz eigentlich dem Bundesnachrichtendienst vorbehalten ist.
Dem Bundesnachrichtendienst war das Treiben in Gelsdorf ein Dorn im Auge
Einfluss und Geld standen auf dem Spiel. Zumal einigen BND-Mitarbeitern der Gedanke
unangenehm gewesen sein dürfte, dass innerhalb Deutschlands eine Stelle entsteht, die
anhand eigener Berichte in der Lage sein könnte, BND-Meldungen zu überprüfen. Folglich
entbrannte ein Machtkampf zwischen Bundesnachrichtendienst einerseits und militärischem
Nachrichtenwesen andererseits.
Letztendlich konnte der BND das Blatt zu seinen Gunsten wenden und die Militärs in die
Schranken weisen: Die Regierung entschied, wesentliche Teile des Zentrums für
Nachrichtenwesen der Bundeswehr im Bundesnachrichtendienst aufgehen zu lassen und das ZNBw
aufzulösen.
Ob der nun aufgedeckte Datenverlust in der ZNBw-Datenbank "Jasmin" eine Rolle
im Machtkampf mit dem BND gespielt hat, ist noch zu klären. Auffällig ist, dass die
Löschung der Daten vom Hauptsystem und die spätere Vernichtung der Archivbänder
einerseits sowie der Weggang Hasenpuschs ins Verteidigungsministerium und die
Regierungsentscheidung für die Zusammenlegung von ZNBw und BND andererseits zeitlich nahe
beieinander liegen.
Laut Verteidigungsministerium wurde irgendwann im Jahr 2004 im ZNBw entschieden, aus
"Jasmin" eine wesentliche Datenmenge herauszunehmen und auf Bänder zu
archivieren. Kurz gefasst: Das Netzwerk sollte demnach entmüllt werden, um die Leistung
zu steigern. Es ist anzunehmen, dass Hasenpusch selber den Archivierungsversuch
genehmigte, wenn nicht sogar anordnete. Laut Verteidigungsministerium stellte man
irgendwann Ende 2004 dann fest, dass die Bänder nicht mehr lesbar waren. Im selben
Zeitraum, nämlich im November 2004, gab Hasenpusch das ZNBw-Kommando ab und wechselte ins
Bundesverteidigungsministerium. Es liegt nahe, dass der angebliche Schaden an den
Archivbändern im Zuge der Kommandoübergabe in Geldsdorf entdeckt wurde.
Etwa ein halbes Jahr später, nämlich im Juni 2005, war der Machtkampf zwischen BND
und ZNBw soweit entschieden, dass öffentlich verkündet wurde, eine Vereinbarung zur
Übernahme des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr sei in wenigen Wochen
unterschriftsreif. Am 27. Juli war es dann soweit: Bundeskanzleramt und
Verteidigungsministerium unterzeichneten die so genannte Leistungsvereinbarung. Etwa drei
Wochen zuvor, nämlich am 4. Juli 2005, wurden im ZNBw die Archivbänder vernichtet
angeblich aufgrund einer Vorschrift.
Angesichts der zeitlichen Abläufe und der möglichen Brisanz der verlorenen Daten will
der Vizevorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Hans-Christian Ströbele, eine
Manipulation nicht ausschließen:
O-Ton:
"Entweder ist hier ganz grob fahrlässig die Technik bedient worden. Oder man hat
Daten verloren, weil man sie vielleicht gar nicht parat haben wollte. Weil man gar nicht
so böse war, dass Daten verloren gehen."
Verteidigungspolitiker der SPD behaupten, dass der Verlust der Daten keine Lücke
hinterlasse und das Ergebnis der parlamentarischen Kontrolle nicht beeinflusse. Der
verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, führt die derzeitige
Untersuchung des ersten Einsatzes des Kommandos Spezial Kräfte in Afghanistan im Jahr
2002 ins Feld. Damit begrenzt er den Datenverlust nicht nur auf Meldungen aus Afghanistan.
Er blendet auch den Verlust der Daten der Jahre 1999, 2001 und 2003 aus. Gegenüber NDR
Info sagte er:
O-Ton:
"Was verschwunden ist, sind die Meldungen von einer ganz kleinen Zahl von
Soldaten, die die KSK begleiten, die so genannte Zelle für militärisches
Nachrichtenwesen. Die haben die Aufgabe, Informationen, durch persönliche Befragungen,
durch Aufklärung von Satellitenbildern und so weiter, zu sammeln, damit KSK im Einsatz zu
beraten und einsatzrelevante Daten auch an die militärische Leitung in Deutschland zu
melden."
Arnold verschweigt, dass die militärische Nachrichtenzelle der Bundeswehr in Kandahar
im Laufe des KSK-Einsatzes Informationen zugespielt bekam, auf die der
Verteidigungsausschuss seit Monaten wartet.
Nach Informationen von NDR Info erhielt Anfang 2002 - kurz nach Beginn des
KSK-Einsatzes in Afghanistan - ein deutscher Soldat von US-Soldaten eine CD-ROM. Auf dem
Datenträger sollen die Namen von Gefangenen in der US-Basis Kandahar gespeichert gewesen
sein. Über den weiteren Inhalt der CD gehen die Darstellungen auseinander. Einige
besagen, es seien auch Verhörprotokolle enthalten, aus denen ersichtlich werde, dass die
US-Kräfte die Gefangenen misshandelt hätten. Dass die CD mehr als nur eine Liste
enthielt, ist wahrscheinlich: Denn in Akten deutscher Sicherheitsbehörden finden sich ein
Foto und angeblich englischsprachige Dokumente, die offenbar von US-Kräften aus Kandahar
stammen. Ob oder was noch auf der CD war, bleibt mutmaßlich im Dunkeln. Die Daten der
gesuchten CD wurden nach Deutschland übermittelt und landeten offensichtlich auch im
Computersystem "Jasmin" eben jenem System, aus dem die Daten nun
gelöscht wurden.
Damit bleibt die Frage offen, ob und wann die Bundeswehr davon erfuhr, dass US-Soldaten
im Kampf gegen den Terrorismus grundlegende Menschenrechte verletzten. Auch bleibt zu
klären, wen diese möglichen Informationen wann in Deutschland erreichten.
Alexander Richter ist freier Journalist und ehrenamtlich für BITS
tätig..
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