Militärische Unterstützung für die Kurden
Konzeptlose neue deutsche Außen- und Sicherheitspolitik?
Andreas Flocken
„Nichts tun ist keine Option“ – so hatte es
Verteidigungsministerin von der Leyen Anfang des Jahres auf der
Münchner Sicherheitskonferenz verkündet. Nicht nur die
CDU-Politikerin, sondern auch Außenminister Steinmeier und
Bundespräsident Gauck machten sich auf der Veranstaltung stark für
eine neue, eine aktive deutsche Außenpolitik – notfalls auch mit
Soldaten. Deutschland müsse künftig internationale Verantwortung
übernehmen und dürfe bei Krisen nicht weiterhin abseits stehen, so
das Credo.
Hatte man zunächst den Eindruck, es würde sich in der Praxis
jedoch nicht viel ändern, so gibt es jetzt einen Kurswechsel in der
Außenpolitik. Anfang des Monats hatte der Regierungssprecher
Waffenlieferungen in den Nordirak, und damit in ein Kriegsgebiet,
noch ausgeschlossen. Doch nach der Kabi-nettssitzung in dieser Woche
ist alles anders. Die Bundesregierung will sich nicht mehr auf
humanitäre Hilfe beschränken, sondern auch Waffen liefern.
Außenminister Steinmeier:
O-Ton Steinmeier
„Großbritannien, Italien und Frankreich haben entschieden,
solche Güter zu liefern. Wir sind bereit, das auch zu tun, und
werden uns dazu natürlich auf das Engste mit unseren europäischen
internationalen Partnern abstimmen."
Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet – und dann noch an eine
Miliz und nicht an einen staatlichen Akteur. Ein Tabubruch.
Lieferungen von Kriegsgerät in Spannungsgebiete hatte die
Bundesregierung bisher immer abgelehnt, mit Verweis auf die
restriktive Rüstungsexportpolitik. Doch dem Vormarsch der
Terrorgruppe „Islamischer Staat“ und dem drohenden Völkermord an
den im Sindschar-Gebirge eingeschlossenen Jesiden wollte die
Bundesregierung nicht tatenlos zuschauen. Diesmal sollten nicht nur
humanitäre Hilfsgüter geschickt werden. Ursula von der Leyen hatte
in der vergangenen Woche die Entsendung von Rüstungsgütern
angekündigt. Da war aber noch von nicht-letalem, also
nicht-tödlichem Gerät die Rede. Die Verteidigungsministerin bei der
Verabschiedung der ersten Transall-Transporter auf dem
schleswig-holsteinischen Luftwaffenstützpunkt Hohn:
O-Ton von der Leyen
„Dies sind reine humanitäre Hilfsgüter. Wir prüfen zurzeit,
ob wir auch Ausrüstungsgegenstände, Unimog, Schutzwesten, Helme
liefern können. Bei Waffen ist es so, dass die irakische Armee auf
russische, ehemalige sowjetische Waffensysteme ausgebildet ist, mit
diesen kämpft, und diese auch braucht. Nach diesen fragt sie. Die
kann Deutschland nicht liefern. Insofern stellt sich akut diese Frage
nicht.“
Ein Trugschluss. Denn die Kurden wollen auch aus Deutschland
Waffen. Der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder:
O-Ton Mißfelder
„Ich habe von den kurdischen Vertretern den dringenden Wunsch
herangetragen bekommen, dass sie panzerbrechende Waffen brauchen. Und
vor dem Hintergrund ist aus meiner Sicht dringend notwendig, darüber
zu reden, was braucht man, um die akuten Vorstöße von ISIS zu
stoppen, und das sind vor allem panzerbrechende Waffen."
Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann,
plädiert dafür, die deutsch-französische Panzerabwehr-Rakete MILAN
zu liefern:
O-Ton Naumann
„Die Waffe ist verschossen, wenn die Rakete das Rohr verlassen
hat, und die Zahl der Munition kann man begrenzen. Und damit hätten
die Kurden etwas in der Hand, das Element, mit dem die ISIS ihnen
Schwierigkeiten macht, nämlich die Schützenpanzer und Kampfpanzer,
doch sehr wirksam bekämpfen können. Es handelt sich um eine Waffe,
die sehr einfach zu bedienen ist, die auch sehr schnell zu
transportieren ist."
Waffenlieferungen in den Nordirak - ein gefährlicher Schritt und
nicht frei von Risiken wie Außenminister Steinmeier offen einräumt.
Denn die Waf-fensysteme können trotz aller Vorsichtsmaßnahmen
leicht in falsche Hände geraten. Die USA haben vor kurzem die
irakischen Sicherheitskräfte mit Kriegsgerät im Wert von mehreren
Milliarden Dollar aufgerüstet. Jetzt bombardieren US-Kampfflugzeuge
die gepanzerten Humvees und andere Fahrzeuge, weil sie den Kämpfern
des Islamischen Staates in die Hände gefallen sind. Die
Waffenlieferungen werden auch die kurdischen
Unabhängigkeitsbestrebungen stärken und könnten den drohenden
Zerfall des Irak beschleunigen. Dabei will die Bundesregierung doch
gerade den Zusammenbruch des Irak verhindern. Die kurdischen
Peschmerga-Kämpfer koordinieren zudem ihre Operationen inzwischen
mit der PKK. Die PKK gilt aber weiterhin in Europa und in den USA
als Terror-Organisation. Die PKK-Kämpfer haben entscheidend zur
Rettung der Jesiden im Sindschar-Gebirge beigetragen – nicht die
militärisch überschätzten Peschmerga-Verbände.
Wenn schon Waffenlieferungen als Instrument der
Sicherheitspolitik, dann müssten sie eingebunden sein in ein klares
politisches Konzept. Das aber ist bei der Bundesregierung nicht
erkennbar. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der
CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen:
O-Ton Röttgen
„Ich habe eine Position, die deutschen Waffenlieferungen
skeptisch gegenübersteht, weil ich glaube, dass die militärischen
und politischen Folgen nicht unter Kontrolle sind.“
Der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel spricht
von einem Dilemma, teilt aber ebenfalls grundsätzlich diese
Bedenken:
O-Ton Gabriel
„Wir wissen ganz genau, dass die Gefahr bestehen kann, dass in
mittlerer Zukunft noch einmal ein Konflikt dort entsteht, nämlich
über die territoriale Integrität des Irak. Also, Waffenlieferungen
in solche Regionen hinein, produzieren in der Regel später Probleme,
derer Mann nicht mehr Herr wird."
Skeptisch ist auch Entwicklungshilfeminister Gerd Müller. Der
CSU-Politiker verweist auf die Millionen von Flüchtlingen in Syrien,
im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik:
O-Ton Müller
„Dort wird genauso gemordet. Sollen dort auch Waffen geliefert
werden? Ich sag an dieser Stelle: Waffen sind das Problem. Wir haben
dreizehn Mal so hohe Militärausgaben in der Welt, wie wir für
Entwicklung und Frieden investieren."

Andreas Flocken ist Redakteur
für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und
Strategien" bei NDRinfo.
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