Auf dem Weg zu einem gescheiterten Staat?
Hausgemachte Konflikte im Irak
Andreas Flocken
In der an Syrien
grenzenden Provinz Anbar gewinnen der Terrororganisation Al
Qaida nahestehende Gruppierungen zunehmend an Einfluss. Tagelang haben
Dschihadisten die Stadt Falludscha und Teile der Provinzhauptstadt
Ramadi kontrolliert. Dort leben vor allem Sunniten. Sie fühlen
sich von der schiitisch dominierten Regierung in Bagdad diskriminiert
und unterdrückt. Die sunnitischen Stammesführer
wehren sich zwar gegen den zunehmenden Einfluss der islamistischen
Extremisten. Einen Einsatz der irakischen Sicherheitskräfte
lehnen sie jedoch ab - weil man ihnen misstraut. Ein
Stammesvertreter in der vergangenen Woche:
O-Ton Stammesvertreter (overvoice)
„Die Situation gerät außer Kontrolle. Wir
wollen aber trotzdem nicht, dass die Armee in die Städte der
Provinz einmarschiert. Sie könnte die Lage nur vorübergehend in den Griff bekommen.“
Die Befürchtungen der Sunniten: Durch eine
Militäroperation werde der Einfluss Bagdads in der Region noch
weiter gestärkt. Der Dauerkonflikt zwischen Sunniten und
Schiiten und der Bürgerkrieg im benachbarten Syrien hat das
Erstarken der Dschihadisten im Westirak erst möglich
gemacht.
Auch wenn sich die Al Qaida-Anhänger inzwischen offenbar
wieder zurückgezogen haben - dem
Irak könnte ein ähnliches Schicksal drohen wie
Syrien. Im vergangenen Jahr sind mehr als 8.000 Menschen durch
Anschläge und andere Gewaltakte im Irak getötet
worden. Nach dem Abzug der US-Truppen 2011 besteht die Gefahr, dass
sich das Land zu einem Failed state, einem gescheiterten Staat,
entwickelt. Zu diesem Schluss kommt eine jetzt vorgelegte Studie des
renommierten Centers for Strategic and International Studies CSIS in
Washington.
Die US-Regierung zeigt sich besorgt. Nach anfänglichen
Bedenken werden jetzt Aufklärungsdrohnen und
Luft-Boden-Raketen an die irakische Regierung geliefert. Eine
Rückkehr von US-Truppen schließt Washington
allerdings kategorisch aus. Außenminister Kerry setzt auf die
Regierung in Bagdad:
O-Ton John Kerry
„We are not, obviously, contemplating returning.
We’re not contemplating putting boots on the ground. This is
their fight, but we’re going to help them in their fight. And
yes, we have an interest. We have an interest in helping the legitimate
and elected government be able to push back against the terrorists.
This is a fight that is bigger than just Iraq.”
Es geht um mehr als allein um den Irak. In der Tat. Es geht darum,
einen Flächenbrand zu verhindern, eine Verschmelzung
des syrischen und irakischen Konfliktes. Doch die schiitisch dominierte
Regierung von Ministerpräsident Nuri al Maliki hat bisher
keine Bereitschaft gezeigt, sich mit den Sunniten im Land
auszusöhnen. Im Gegenteil. US-Waffenlieferungen und ein
Eingreifen der von den Sunniten als Unterdrückungsinstrument
wahrgenommenen irakischen Sicherheitskräfte in Falludscha oder
Ramadi könnten den Konflikt noch weiter eskalieren.
Hinzu kommt, dass die Erfolgsaussichten der seit langem geplanten
Syrienkonferenz weiter schwinden. Denn die Teilnahme wichtiger
syrischer Oppositionsgruppen bleibt ungewiss. Ob es in diesem Monat zu
dem bereits mehrmals verschobenen Treffen in der Schweiz wirklich
kommen wird, das bleibt offen. Wahrlich keine friedlichen Aussichten
für die Krisen-Region.

Andreas Flocken ist Redakteur
für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und
Strategien" bei NDRinfo.
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