Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
20. Oktober 2012


Mehr Soldat, weniger Staatsbürger?
Kritik nach außen in der Bundeswehr unerwünscht

Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski

Verteidigungsminister de Maizière bemüht sich um die gesellschaftliche Anerkennung der Soldaten, das gilt insbesondere für ihr Engagement bei Auslandseinsätzen. Der CDU-Politiker will die Streitkräfte aus dem Abseits holen, will eine breite öffentliche Debatte - beispielsweise über die Rolle von Veteranen, und inzwischen auch über die geplante Beschaffung von bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr.

An öffentlichen Debatten sollen sich nach dem Willen des Verteidigungsministers auch Soldaten beteiligen. Schließlich verfügen sie auf dem Gebiet militärischer und sicherheitspolitischer Fragen über ein großes Fachwissen. Im vergangenen Jahr hat der Verteidigungsminister auf der Tagung der Clausewitz-Gesellschaft in der Führungsakademie in Hamburg deutlich gemacht, wie wichtig für die Politik der militärische Sachverstand, der militärische Ratschlag ist. Er muss für Thomas de Maizière offen und ehrlich, sowie ohne falsche Rücksichten erfolgen:

O-Ton de Maizière
„Karriere, Opportunismus oder vorauseilender Gehorsam sind fehl am Platze. Ebenso der Blick nur auf das militärisch Handwerkliche. So nötig das auch ist. .... Ein militärischer Rat muss die Politik, muss die politischen Umstände und politische Folgen mit bedenken und aussprechen. Das macht den Unterschied zwischen einem rein politischen Rat und einem militärpolitischen Rat. Letzteres ist unverzichtbar. Zur militärischen Beratung gehört im Übrigen auch, Defizite ehrlich aufzuzeigen.“

Die Entscheidung aber, wie beispielsweise die Neuausrichtung der Bundeswehr auszusehen hat, oder ob sich die Bundeswehr an einem Militäreinsatz in Nordafrika beteiligt, - diese Entscheidung trifft die Politik, also die Regierung bzw. das Parlament. Und sie kann vom Rat und Vorschlag der militärischen Führung der Bundeswehr abweichen. Schließlich gilt ja der Primat der Politik. Die getroffene Entscheidung muss die Politik verantworten, auch öffentlich. Für Verteidigungsminister de Maizière hat das aber auch Folgen für die Soldaten, insbesondere wenn der Entschluss vom militärischen Ratschlag abweicht:

O-Ton de Maizière
„Die militärische Führung, jedenfalls die aktive militärische Führung und jedenfalls in einer Demokratie, muss das ertragen und darf das nicht presseöffentlich kritisieren.“

Konkret heißt dass, Soldaten sollen den Mund halten, wenn sie nicht einverstanden sind mit der offiziell vom Verteidigungsministerium vertretenen Position. In der von Thomas de Maizière so sehnlich gewünschten öffentlichen Debatte über die Rolle der Streitkräfte sind also kritische Wortbeiträge von Bundeswehr-Angehörigen nicht erwünscht. Zu Wort melden sollen sich lediglich Unterstützer der Regierungslinie.

Für den ehemaligen Bundeswehr-General Dieter Farwick steht diese Erwartungshaltung des Verteidigungsministers nicht im Einklang mit der Inneren Führung der Bundeswehr:

O-Ton Farwick
„Das ist ein Maulkorb-Erlass, der leider dazu führt, dass immer weniger Offiziere bereit sind, sich in der Öffentlichkeit auch mal kritisch zu äußern. Wir haben den mündigen Staatsbürger in Uniform. Und dieser mündige Staatsbürger sollte im Gegenteil aufgefordert werden, gekonnt Widerspruch zu leisten, wenn er der Auffassung ist, dass irgendetwas in die falsche Richtung läuft.“

Der ehemalige Brigadekommandeur liegt damit ganz auf der Linie des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler. Der hatte nämlich 2007 aus Anlass des 50-jährigen Geburtstags der Führungsakademie der Bundeswehr, die Soldaten ausdrücklich aufgefordert, den Mund aufzumachen - auch in der Öffentlichkeit. Köhler damals an der höchsten Ausbildungsstätte der deutschen Streitkräfte in Hamburg:

O-Ton Köhler
„Die Soldatinnen und Soldaten erwarten von ihren militärischen Führern auch Klartext nach ‚oben‘ und ‚außen‘: hin zu den außen- und verteidigungspolitisch Verantwortlichen, hin zur Öffentlichkeit. Über die Notwendigkeit von Auslandseinsätzen zum Beispiel entscheidet das Parlament, aber es sollte ruhig erfahren, dass sich darüber auch die Soldatinnen und Soldaten ihre Gedanken machen, vor allem wenn sie erleben, dass in einem Einsatzgebiet auch nach Jahren noch keine nennenswerten Fortschritte erzielt wurden oder dass die Zeit, die ihr Einsatz kauft, nicht für den energischen zivilen Aufbau genutzt wird. Da soll Stabsausbildung eben auch ihren Nutzen erweisen: bei der ebenso höflichen wie unmissverständlichen Meldung, was im Argen liegt.“

Klartext reden – auch in der Öffentlichkeit. Grundsätzlich sieht der Verteidigungsminister hier keinen Gegensatz zur eigenen Position. Einen allzu großen Freiraum mag Thomas de Maizière Bundeswehr-Soldaten jedoch nicht einräumen, wie er im vergangenen Jahr vor der Clausewitz-Gesellschaft deutlich machte:

O-Ton de Maizière
„Sie können nicht als aktiver Soldat in der öffentlichen Debatte stets und ständig an dem Kurs der politischen Führung - ich rede jetzt über Demokratie - Kritik üben. Die Grenze lässt sich nicht vorher abstrakt ziehen. Aber gute Soldaten kennen sie.“

Ist also wer diese imaginäre Grenze überschreitet und Kritik übt ein schlechter Soldat? - Weil diese nicht sichtbaren Grenzen fließend sind, sagen die Soldaten in der Öffentlichkeit lieber gar nichts oder geben nur offizielle Regierungspositionen wieder. Das gilt vor allem für Generäle. Denn diese können jederzeit ohne Angaben von Gründen in den Ruhestand versetzt werden. Daher hat sich der Eindruck verfestigt: Spitzenoffiziere schweigen lieber in der Öffentlichkeit - nicht zuletzt der Karriere wegen.

Die Köhler-Aufforderung, mehr Klartext zu reden, bleibt deshalb Makulatur. Denn Soldaten, die sich in der Öffentlichkeit kritisch äußern - auch als Staatsbürger in Uniform - können schnell Ärger mit Thomas de Maizière bekommen. Der CDU-Politiker damals vor der Clausewitz-Gesellschaft:

O-Ton de Maizière
„Und jetzt sage ich noch mal ein altmodisches Wort. Man braucht ein Gespür für Loyalität. Und wenn man das hat, dann ist das Problem gelöst. Wenn man das nicht hat, wird es schwierig. So einfach ist das. Und ich meine, ich sehe ja in ihrem Lächeln und Nicken, dass Sie das alle wissen, was ich damit meine.“

In der Tat. Die Zuhörer, vor allem ehemalige Obristen und Generäle, aber auch aktive Soldaten, die dem Verteidigungsminister lauschten, hatten verstanden. Für den früheren Bundeswehr-General Dieter Farwick ein falsches Signal - mit Konsequenzen:

O-Ton Farwick
„Ich stelle in Gesprächen mit Ehemaligen aber auch mit Aktiven fest, dass es heute viele als ratsam ansehen, sich überhaupt nicht mehr öffentlich zu äußern. Denn man kann ja nicht jederzeit wissen, was im Augenblick die offizielle Meinung ist. Und deswegen sagen einige: Da sage ich lieber nichts mehr. Und das halte ich für fatal. Weil ich der Auffassung bin, dass eine öffentliche Teilnahme an der öffentlichen Diskussion ein Gütesiegel der Bundeswehr war.“

Dabei braucht die Bundeswehr kritische Geister, die mit ihrer Fachkompetenz nicht nur intern und im stillen Kämmerlein ihre Meinung sagen, sondern sich auch öffentlich äußern. Denn eine öffentliche Debatte kennzeichnet den Austausch von Argumenten und Gegenargumenten.

Ein Beispiel ist die Diskussion über die Wehrpflicht. Jahrelang eine heilige Kuh der Bundeswehr. Soldaten scheuten sich, diese öffentlich in Frage zu stellen, obwohl es gute Gründe für ihre Abschaffung gab. Bei frühzeitiger Aussetzung wäre der Bundeswehr möglicherweise viel von dem heutigen Reformdruck erspart geblieben. Umgekehrt haben sich die Spitzenoffiziere aber auch nicht getraut, klar Position für die Beibehaltung der Wehrpflicht zu beziehen, nachdem deutlich wurde, dass der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg diese Wehrform aussetzen wollte. Für den ehemaligen Bundeswehr-General Klaus Wittmann haben viele Soldaten gekniffen:

O-Ton Wittmann
„Da ging es nicht um fertige Regierungspolitik, sondern da ging es um eine sich abzeichnende radikale Weichenstellung, Weichenneustellung, Argumente-Umkehr, Überrumpelungstaktik durch den vormaligen Minister. Und ich muss ehrlich sagen, in aller Deutlichkeit, dass Löwenstein in der FAZ schreiben konnte: ‚Von einem Tag zum anderen findet man keinen General mehr, der noch für die Wehrpflicht eintritt‘. Das fand ich erbärmlich.“

Die Spitzenoffiziere verstecken sich dabei gerne hinter § 10 des Soldatengesetzes. Dort heißt es nämlich in Absatz 6:

Zitat Soldatengesetz:
„Offiziere und Unteroffiziere haben innerhalb und außerhalb des Dienstes bei ihren Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten.“

Doch alle Soldaten, nicht nur die Mannschaftsdienstgrade, sind zugleich auch Staatsbürger in Uniform. Vor diesem Hintergrund sind sie keine reinen Befehlsempfänger, sondern auch reflektierende Bürger. Gerade mit ihrer Fachkompetenz können sie bei der öffentlichen Diskussion sicherheitspolitischer Themen einen wirksamen Beitrag leisten. Der Hamburger Militärhistoriker Klaus Naumann:

O-Ton Nauman
„Denn neben dem fachmilitärischem Berater tritt das Militär als mitdenkender Akteur und Interpret des sicherheitspolitisch gebotenen. Es wäre eine lohnende Debatte, die Riten und die Regeln der sogenannten erforderlichen Zurückhaltung, Paragraph 10 Soldatengesetz, einmal der Prüfung zu unterziehen. Das ist ja eine Gummiformel. Was denn sonst? Also, sie bedarf der zeitnahen Interpretation.“

Denn solange die Soldaten in der Öffentlichkeit die offizielle Regierungslinie vertreten, nimmt der Dienstherr an ihren Äußerungen keinen Anstoß. Schwierig wird es aus Sicht des Verteidigungsministeriums bei abweichenden Meinungen.

Mit kritischen Äußerungen von Soldaten beispielsweise zur Ausrüstung oder Neuausrichtung der Bundeswehr, oder aber zur Umsetzung der NATO-Strategie in Afghanistan wird allerdings keineswegs am Primat der Politik gerüttelt. Dass über zentrale Fragen wie Krieg und Frieden allein von der Regierung entschieden wird, ist in der Bundeswehr Konsens und unumstritten.

Mit der Formel vom Primat der Politik wird gerne das zugleich postulierte Leitbild vom Staatsbürger in Uniform relativiert. Denn ein Staatsbürger in Uniform, dem signalisiert wird, sich mit kritischen Äußerungen in der Öffentlichkeit zurückzuhalten, entfernt sich immer mehr von dem Konzept der Inneren Führung, das versucht, soldatische Pflichten und staatsbürgerliche Rechte in Einklang zu bringen.

Für den Militärhistoriker Klaus Naumann müssen daher die Staatsbürger in Uniform Kritik äußern dürfen, ohne dass sie Nachteile befürchten müssen:

O-Ton Naumann
„Die Frage ist, welche Gratifikation stellt das System selber für unorthodoxes Verhalten aus? Wird das als wünschenswert propagiert und honoriert oder wird es das nicht? Und wenn es das nicht wird, sind alle schönen Worte und Regeln und Leitsätze zur Inneren Führung halb so viel wert.“

Und zurzeit werden kritische Äußerungen von Soldaten in der Öffentlichkeit nicht honoriert, sondern eher sanktioniert. Von daher ist es in dieser Hinsicht um die Innere Führung der Bundeswehr nicht gut bestellt.

Stabsoffiziere, die vor allem nicht anecken wollen und in erster Linie die Karriere im Blick haben? Genau das soll jedoch nach dem Verständnis der Bundeswehr gerade nicht das Ziel der Generalstabsausbildung sein. Doch nicht nur der zivile Dozent an der Führungsakademie, Matthias Gillner, beobachtet durchaus auch Opportunismus, schrieb kürzlich die Zeitschrift des Reservistenverbandes LOYAL über die Generalstabsausbildung. Und der Lehrgangsteilnehmer Major Robert Kath wird in dem kritischen Artikel mit folgenden Worten zitiert:

Zitat Kath
„Männer wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg sind für ihre Überzeugung gestorben. Heute halten schon viele mit Blick auf eine drohende schlechte Beurteilung den Mund.“

Selbstkritische Worte, dann auch noch öffentlich geäußert. Eher eine Ausnahme in der Bundeswehr. Zu beobachten ist immer öfter ein Absicherungsdenken. Man entscheidet nicht selbst, Verantwortung wird von unten nach oben geschoben und von oben nach unten verweigert, wie im vergangenen Jahr selbst der Verteidigungsminister kritisierte. Ein Verhalten, das u.a. im Widerspruch zur von der Bundeswehr propagierten Auftragstaktik steht, nach der Soldaten selbständig handeln sollen.

Militärs, die sich öffentlich äußern, müssen ein dickes Fell haben und sich auf Gegenwind einstellen – manchmal selbst dann, wenn sie die Linie des Verteidigungsministeriums vertreten. Das musste kürzlich der Luftwaffeninspekteur Karl Müllner erfahren. Der FDP-Abgeordnete Koppelin im vergangenen Monat im Bundestag:

O-Ton Koppelin
„Bei der Neuausrichtung der Bundeswehr ist genau festgeschrieben worden, welche Aufgaben ein Generalinspekteur hat, welche Aufgaben die einzelnen Inspekteure haben. Insofern bin ich, Herr Verteidigungsminister, sehr erstaunt, dass ein Luftwaffeninspekteur öffentlich erklären kann, wir sollten bewaffnete Drohnen beschaffen und diese vor allem in den USA bestellen. Es ist schlicht und ergreifend nicht seine Aufgabe, in die Öffentlichkeit zu treten und das zu fordern.“

Beifall von der FDP und den Grünen.
Keine Frage, die Entscheidung hierüber liegt beim Parlament. Trotzdem sollten die Öffentlichkeit und auch das Parlament die Argumente der Militärs durchaus hören. Übrigens auch die Stimmen von Bundeswehr-Offizieren, die gegen die Bewaffnung von Drohnen sind oder die sich für den Kauf einer israelischen Drohne aussprechen, weil sie mit der Heron 1 in Afghanistan gute Erfahrungen gemacht haben. Schließlich hat der Vereidigungsminister eine offene Debatte über bewaffnete Drohnen gefordert. Soldaten sollten dabei nicht ausgeschlossen bleiben. So sieht es jedenfalls der frühere Bundeswehr-General Dieter Farwick:

O-Ton Farwick
„Ja ich meine von denen, die nicht unbedingt mit einem speziellen Gerät verbunden sind, und damit gewissen Restriktionen unterliegen, kann jeder aktive Soldat, zumal er auch im Einsatz Drohnen erlebt haben kann, das Recht haben, dazu Stellung zu nehmen. Ich sehe da den Staatsbürger in Uniform. Und im Grunde ist für mich jede Restriktion eher ein Verstoß gegen die Innere Führung.“

Debatten-Beiträge von Soldaten gefährden nicht den Primat der Politik. Im Gegenteil. Kritische Äußerungen stärken insgesamt das Selbstbewusstsein der Bundeswehr und sind ein Beleg für in die Demokratie eingebettete Streitkräfte. Aber diese Erkenntnis hat sich bei der Bundeswehrführung offenbar noch nicht durchgesetzt.


Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.