Jahrhundert-Reform der Bundeswehr, ein milliardenteurer Flop?
Führungskräfte glauben nicht an einen Erfolg
Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski
Die Bundeswehr fit für die Zukunft zu machen, eine Herkules-Aufgabe. Die deutschen Streitkräfte werden praktisch ganz neu aufgestellt. Die ganze Dimension hat Verteidigungsminister de Maizière in der vergangenen Woche noch einmal deutlich gemacht. Fast 5.000 von 6.400 militärischen und zivilen Organisationseinheiten werden neu geplant. Das Ministerium und alle Kommandobehörden werden neu aufgestellt.
Dieser Umbau kann nur mit motivierten und von der Sache überzeugten Soldaten und Zivilangestellten funktionieren. Das weiß auch Thomas de Maizière. Der Verteidigungsminister im Mai vergangenen Jahres bei der Vorstellung der zentralen Punkte der Bundeswehrreform:
O-Ton de Maizière
„Dabei bin ich mir auch darüber im Klaren, dass Viele die anstehenden Veränderungen nach Jahren unablässiger Reformen auch mit Skepsis und Unsicherheit betrachten. Es muss uns deshalb gelingen, die Neuausrichtung als das zu vermitteln, was sie ist: eine strategische und nachhaltige Weichenstellung.“
Aber genau diese Vermittlung ist dem Verteidigungsminister und der Führung der Bundeswehr nicht gelungen. Die jetzt vorgelegten Studien des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr - kurz SOWI - und des Bundeswehrverbandes kommen beide zwar zu dem Schluss, dass eine breite Mehrheit der Bundeswehr-Angehörigen die Neuausrichtung der Streitkräfte für notwendig hält - aber 56 Prozent der vom SOWI Befragten gehen davon aus, dass die Umsetzung der Reform nicht erfolgreich sein wird.
Noch deutlicher ist das Ergebnis der vom Bundeswehrverband, also der Interessenvertretung der Soldaten, in Auftrag gegebenen Untersuchung. Professor Gerd Strohmeier von der Technischen Universität Chemnitz, dessen Team rund 1.800 Führungskräfte der Bundeswehr befragt hat:
O-Ton Strohmeier
„Nahezu 90 Prozent sind vor diesem Hintergrund der Überzeugung, dass die Neuausrichtung einer baldigen Korrektur bedarf. Nur gut ein Achtel glaubt schließlich auch, dass die Neuausrichtung gut, bzw. sehr gut, dem Kriterium dauerhaft finanzierbar genügt.“
Eine Ohrfeige für den Verteidigungsminister. Fast 90 Prozent der befragten Kompaniefeldwebel, Kompaniechefs, Kommandeure, Generäle und Dienst-stellenleiter, die die Reform umsetzen sollen, glauben, dass der begonnene Umbau keinen Bestand haben wird. Ein Befund, der so gar nicht in das offizielle Bild passt, das das Verteidigungsministerium der Öffentlichkeit bisher über die Jahrhundert-Reform der Bundeswehr immer wieder vermittelt hat.
Dabei ist die Stimmung in der Truppe schon seit längerem schlecht. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, nahm im Januar bei der Vorstellung seines Jahresberichts kein Blatt vor den Mund. Und seit diesem Monat wissen wir: Eine überwältigende Mehrheit der Führungskräfte ist davon überzeugt, dass die Bundewehrreform nicht von langer Dauer sein wird, und, dass es schon bald erneut Veränderungen geben wird. Kein Wunder, dass der Frust in der Truppe immens ist. Bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse zeigte sich der Chemnitzer Professor Gerd Strohmeier mehr als besorgt:
O-Ton Strohmeier
„Diese Ergebnisse sind alarmierend. Diese Ergebnisse signalisieren einen akuten, politischen Handlungsbedarf. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr, bzw. vielmehr die Umsetzung der Neuausrichtung der Bundeswehr einer dringenden Nachsteuerung auf einer ausreichenden finanziellen Grundlage bedarf. Anderenfalls droht die Bundeswehr zu einer Dauerbaustelle zu werden, die die Soldatinnen und Soldaten zunehmend belastet, und die Aufgabenerfüllung durch die Bundeswehr erheblich beeinträchtigt.“
Für Kenner und langjährige Beobachter der Bundeswehr eigentlich kein überraschendes Ergebnis. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, fühlt sich durch die in Auftrag gegebene Studie nur noch weiter bestätigt:
O-Ton Kirsch
„Wenn nicht ganz schnell etwas passiert, wird die Reform kippen. Das ist eine Diagnose, die ich hier treffe mit Ansage. Denn schon im Oktober 2011 habe ich hier in der Bundespressekonferenz energisch gewarnt. Ich habe davor gewarnt, dass den Streitkräften der Burnout droht. Und diese Studie ist der wissenschaftliche Beleg dafür.“
Wie dramatisch die Situation der Bundeswehr ist, zeigt ein anderes Ergebnis der Studie. Viele Führungskräfte fühlen sich in der Bundeswehr nicht mehr wohl. Doch damit nicht genug. Gerd Strohmeier von der Technischen Universität Chemnitz:
O-Ton Strohmeier
„Fast 60 Prozent haben im Zuge der Neuausrichtung darüber nachgedacht, die Bundeswehr zu verlassen. Nahezu zwei Drittel würden den ihnen nahestehenden Personen, also zum Beispiel den Kindern, den Dienst in den Streitkräften nicht empfehlen.“
Berufssoldaten raten ihren Angehörigen davon ab, in die Bundeswehr einzutreten. Ein niederschmetternder Befund. Zumal nach Aussetzung der Wehrpflicht die Streitkräfte mehr denn je auf aktive Soldaten als Werber für die Bundesehr angewiesen sind. Denn über die Wehrpflicht konnte die Bundeswehr jahrzehntelang bequem die benötigten Zeit- und Berufssoldaten rekrutieren. Viele spätere Generäle und Admiräle sind zunächst als Wehrpflichtige zur Bundeswehr gekommen.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Bundeswehr ist inzwischen eine Freiwilligen-Armee. Da ist es mehr als ein Imageverlust, wenn 60 Prozent des Führungspersonals seinen Kindern nicht empfehlen kann, in den Streitkräften zu dienen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass eine Mehrheit der Befragten glaubt, dass die Bundeswehr in Zukunft erhebliche Probleme haben wird, den dringend benötigten geeigneten Nachwuchs zu rekrutieren. Nur jeder Achte der Befragten glaubt, die Bundeswehr könne mit der eingeleiteten Neuausrichtung der Streitkräfte die kommenden demographischen Herausforderungen bewältigen.
Die große Unzufriedenheit mit der Reform ist auch darauf zurückzuführen, dass die Sachkompetenz der Führungskräfte, die jetzt den Umbau der Bundeswehr umsetzen sollen, praktisch gar keine Berücksichtigung gefunden hat. Gut drei Viertel der Befragten beklagt, dass sie eigene Ideen und Vorstellungen nicht einbringen können. Dabei hatte Verteidigungsminister de Maizière vor eineinhalb Jahren genau das versprochen:
O-Ton de Maizière
„Wir wollen dabei die Expertise und Erfahrungen unserer Soldaten und zivilen Mitarbeiter einbeziehen. Wer sich einbringen und mitgestalten kann, wird schnell seinen Platz finden und seinen Auftrag leben.“
Eigene Expertise einbringen – die Wirklichkeit sieht aus Sicht der großen Mehrheit der Soldaten und Führungskräfte anders aus. Die Reform ist im Ministerium geplant und ausgearbeitet worden. Dann wurde sie der Truppe und den rund 75.000 Zivilangestellten der Bundeswehr übergestülpt. Für den Bundeswehrverband der falsche Ansatz. Ulrich Kirsch:
O-Ton Kirsch
„Diese Reform ist konkret geworden, durch ein Top-Down-Verfahren. Dieses Top-Down-Verfahren hat natürlich dazu geführt, dass im Grunde genommen alle Ebenen nicht so mitgenommen wurden wie es eigentlich erforderlich gewesen wäre, um ein wirklich besonders gutes Ergebnis zu erzielen. Deswegen kann ich jetzt nur empfehlen, Bottom-up zu nutzen: Von der Frage, was hat denn nicht funktioniert, was gilt es nachzusteuern.“
Erhebliche Zweifel gibt es auch, ob die Bundeswehr künftig ein attraktiver Arbeitgeber sein wird. Glaubt man den Umfrageergebnissen, ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Geklagt wird bereits jetzt über eine immer größere Belastung. Der Grund: Die Bundeswehr will immer mehr Aufgaben und Aufträge mit immer weniger Soldaten erfüllen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Insbesondere dann nicht, wenn zugleich u.a. angestrebt wird, die Bundeswehr familienfreundlicher zu machen. Eine breite Mehrheit der befragten Führungskräfte hat den Glauben daran verloren, dass es mit der eingeleiteten Neuausrichtung der Bundeswehr zu Verbesserungen bei der schon seit langem angestrebten Vereinbarkeit von Familie und Dienst kommen wird. Die Belastungen des Einzelnen würden vielmehr zunehmen, nicht zuletzt, weil in der Bundeswehr Auslandseinsätze noch stärker Vorrang vor dem Dienst an Heimatstandorten haben werden. Über die Konsequenzen, der Chef des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch:
O-Ton Kirsch
„Wenn in der Wirtschaft jemand in Elternzeit geht, wird regelmäßig eine Vertretung eingestellt. In der Bundeswehr passiert das nicht. Deshalb fordert der Verband schon seit langem zusätzliche Stellen für Elternzeit.“
Für Ulrich Kirsch sind die Ergebnisse der Befragung ein Hilfe- und Weckruf zugleich. Gerichtet sei er insbesondere an die Bundesregierung mit der Botschaft, dass das Verteidigungsministerium allein die Bundeswehrreform nicht bewältigen kann. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes beklagt eine mangelnde Unterstützung der anderen Ministerien - beispielsweise bei den Bemühungen, den nicht mehr benötigten Soldaten das Ausscheiden aus den Streitkräften zu erleichtern. Nur so lassen sich die gegenwärtigen Beförderungsstaus und andere Verwerfungen in der Personalstruktur angehen:
O-Ton Kirsch
„Denken Sie mal, zum guten Schluss ist es durchgesetzt worden. Gott sei Dank durch das Parlament, aber nicht durch die Bundesregierung. Das Thema, als es darum ging, die Hinzuverdienstgrenze fallen zu lassen. Da hat sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vehement gesperrt, aus total unverständlichen Gründen heraus. Wer heute nach dem Bundeswehrbegleitgesetz ausscheidet und hinzuverdient, der zahlt auch dementsprechend mehr Steuern, wenn er ordentlich hinzuverdient. Und da gab es nur Störfeuer von dieser Seite, und es war Gott sei Dank zum guten Schluss so, dass die Parlamentarier es durchgesetzt haben.“
Kirsch fordert außerdem - übrigens nicht zum ersten Mal -, dass die Bundeswehr-Reform von der Kanzlerin zur Chefsache gemacht wird. Seine Vorstellung: Eine Kabinettssitzung oder ein Gipfel zur Neuausrichtung der Bundeswehr. Doch so ein Spitzen-Treffen wird es wohl nicht geben. Genauso wenig, wie die vom Bundeswehrverband geforderte Anschubfinanzierung. Denn verdrängt wird, dass die Bundeswehr weiterhin über die kommenden Jahre insgesamt 8,3 Milliarden Euro einsparen muss. Dieser von Karl-Theodor zu Guttenberg zugesagte Sparbeitrag der Bundeswehr ist keineswegs vom Tisch. Er ist nur um ein Jahr gestreckt worden. Die Summe ist bis 2015 zu erbringen.
Und was sagt Thomas de Maizière zu den katastrophalen Umfrageergebnissen? Der CDU-Politiker hält die Aussagen der beiden vom Bundeswehrver-band und vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr vorgelegten Untersuchungen für realistisch. Man wolle nichts beschönigen. Der Verteidigungsminister in der vergangenen Woche im Bundestag zu möglichen Konsequenzen:
O-Ton de Maizière
„Wir werden die Ergebnisse der beiden Studien berücksichtigen. Das betrifft zum einen die Kommunikation. Zusammenhänge zwischen dem von der Mehrheit erkannten Handlungsbedarf, den Entscheidungen und der Umsetzung müssen wir besser als bisher erläutern. Und: Die Einbindung der Führungskräfte in den Prozess der Neuausrichtung muss besser werden.“
Darüber soll im kommenden Monat in Strausberg auf einer Tagung mit den Kommandeuren und anderen Führungskräften der Bundeswehr beraten werden. Die vom Bundeswehrverband geforderte Nachsteuerung der Reform, oder sogar einen Kurswechsel, wird es allerdings nicht geben - jedenfalls nicht unter Thomas de Maizière. Trotzdem ist es nur eine Frage der Zeit, wann es zu der Reform der Reform kommen wird. Leidtragende sind dann einmal mehr die Soldaten. Keine guten Aussichten für die angestrebte Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr.
Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.
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