Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
26. März 2011


Luftangriffe ohne Strategie
Libyen als Fallbeispiel für chaotisches Krisenmanagement?

Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski

Die Umwälzungen in der arabischen Welt begannen hoffnungsvoll. Die Despoten in Tunesien und Ägypten mussten nach langen Demonstrationen und Massenprotesten abdanken. Der Ruf nach mehr Freiheit und Demokratie erfasste die ganze arabische Region. Die USA und der Westen hielten sich bewusst zurück. Die Veränderungen sollten allein von innen heraus kommen. Alles andere wurde als kontraproduktiv angesehen. Doch in Libyen wollte Diktator Gaddafi das Feld nicht kampflos räumen. Er ging mit Gewalt gegen die Demonstranten vor. Er drohte, sie zu vernichten und setzte seinen Militärapparat ein. Dabei war für Präsident Obama und andere westliche Staats- und Regierungschefs längst klar, dass die Zeit von Gaddafi abgelaufen ist. Der US-Präsident vor zwei Wochen:

O-Ton Obama am 11. März (overvoice)
„Ich glaube, dass Gaddafi auf der falschen Seite der Geschichte steht. Das libysche Volk sehnt sich nach Freiheit und der Beseitigung des Mannes, von dem es Jahrzehnte unterdrückt worden ist. Wir werden Kontakt mit der Opposition aufnehmen und die Internationale Gemeinschaft konsultieren, um unser Ziel zu erreichen, Gaddafi von der Macht zu entfernen.“

Obama will den Regimewechsel, die Absetzung des Despoten. Ob man die Gaddafi-Gegner ggf. auch mit militärischen Mitteln und einer Flugverbotszone unterstützen sollte, war in der US-Regierung zunächst umstritten. Vor allem das Pentagon war skeptisch. Verteidigungsminister Gates verwies auf die begrenzten militärischen Kapazitäten aufgrund der Operationen in Afghanistan und im Irak.

Doch einflussreiche Obama-Berater warnten, die USA dürften in Libyen nicht ähnlich tatenlos zusehen, wie 1994 beim Völkermord in Ruanda. Der Vormarsch von Gaddafis Truppen auf die Rebellenhochburg Bengasi führte schließlich zum Entschluss, schnell zu handeln. Anders als sein Vorgänger Bush beim Sturz von Saddam Hussein setzte Obama allerdings auf die Vereinten Nationen.

Für viele unerwartet enthielten sich die Vetomächte China und Russland bei der Abstimmung über die Libyen-Resolution. Das verabschiedete Mandat geht sogar über die reine Durchsetzung eines Flugverbots deutlich hinaus. Erlaubt sind „alle notwendigen Maßnahmen“ um die libysche Zivilbevölkerung vor Angriffen der  Truppen des Diktators zu schützen.

Allerdings ermächtigt die Resolution nicht zum Sturz Gaddafis. Das aber ist das eigentliche politische Ziel der USA und des Westens. Auf die UN-Resolution darf man sich dabei jedoch nicht berufen. Vom US-Fernsehsender CNN nach einer Exitstrategie und dem möglichen Ende des Libyen-Krieges befragt,  bleibt US-Generalsstabschef Mike Mullen daher sehr vage:

O-Ton Mullen (overvoice)
„Das ist eine sehr begrenzte militärische Operation, um eine Flugverbotszone zu errichten. Damit wird der Schutz der Zivilisten sichergestellt und die humanitäre Unterstützung. Ich möchte nicht darüber spekulieren, wie der Konflikt ausgeht und wer gewinnen wird.  Die internationale Gemeinschaft einschließlich der Arabischen Liga hat der Flugverbotszone zugestimmt. Gaddafi ist durch seine früheren Partner isoliert worden. Der Druck auf ihn wird immer stärker. Wie das ganze aber langfristig ausgehen wird, das lässt sich jetzt noch nicht sagen.“

Für Admiral Mullen ist Gaddafi also nicht im Visier der US-Streitkräfte.  Der britische Verteidigungsminister und auch der Außenminister konnten sich allerdings durchaus vorstellen, dass Gaddafi selbst ebenfalls das Ziel eines militärischen Angriffs werden könnte. Die Londoner TIMES berichtete außerdem, ein rund 600 Mann starker Verband der Royal Marines stehe auf Abruf bereit. Regierungsvertreter betonten zwar, es gebe „keine Pläne“ für den Einsatz von Bodentruppen. Ausschließen wollten sie eine solche Mission aber nicht.

Die Flugverbotszone und die Luftangriffe auf Militäreinrichtungen sind praktisch eine Unterstützungsmaßnahme für die Rebellen. Streng genommen erlaubt das UN-Mandat aber lediglich den Schutz der Zivilbevölkerung. Das ist die eigentliche Zielsetzung der Resolution. Für den Hamburger Professor der Rechtsphilosophie, Reinhard Merkel, darf  die internationale Gemeinschaft daher nicht für eine Seite Partei ergreifen:

O-Ton Prof. Merkel
„Wenn also die Intervenienten die Armee Gaddafis effizient ausschalten werden – und das werden sie tun, daran gibt es keinen vernünftigen Zweifel – und wenn die Rebellen dann beginnen, einen bewaffneten Marsch auf Tripolis zu unternehmen, um den Despoten gewaltsam abzusetzen, dann müsste die internationale Gemeinschaft auch gegen diese Gewaltanwendung intervenieren. Und wenn nötig sogar mit eigener Gewalt.“

Die Aufständischen setzen auf Unterstützung von außen. Nach Zeitungsberichten hat es bereits erste Waffenlieferungen über die ägyptischen Grenze gegeben. Diese müssten jedoch laut UN-Resolution unterbunden werden. Unklar bleibt, ob sich die Aufständischen dann aber auf Dauer werden halten können.

Der Krieg in Libyen hat die NATO in eine tiefe Krise gestürzt.  Nach dem Willen der USA sollte das Militärbündnis sehr schnell die Führung der Militäroperation übernehmen. Washington wollte sich diesmal ganz bewusst zurückhalten, und die US-Führungsrolle nach den ersten Militärschlägen abgeben. Präsident Obama unmittelbar nach Beginn der Luftangriffe:

O- Ton Obama 19. März (overvoice)
„Als Teil dieser Bemühungen werden die Vereinigten Staaten ihre einzigartigen Fähigkeiten in die Mission einbringen, um die libysche Zivilbevölkerung zu schützen und die Flugverbotszone durchzusetzen – eine Mission, die von unseren internationalen Partnern geführt wird. Und wie ich schon gestern sagte – wir werden keine Bodentruppen in Marsch setzen.“

Keine US-Bodentruppen für Libyen. Präsident Obama will nach Afghanistan und dem Irak keinen dritten Kriegsschauplatz. Auch Generalstabschef Mike Mullen machte von Anfang an klar, dass die USA bei der Operation nur eine unterstützende Rolle einnehmen wollten - die Führung sollte so schnell wie möglich abgegeben werden:

O-Ton Mullen (overvoice)
„Wir gehen davon aus, dass wir das Kommando in den nächsten Tagen übergeben können, dass das Ganze zu einer von einer koalitionsgeführten Operation wird. Die USA werden sich auf die Unterstützung der Operation und auf besondere Fähigkeiten konzentrieren, wie die elektronische Störung der gegnerischen Kommunikationsverbindungen, - wenn nämlich die anderen Staaten ihre militärischen Fähigkeiten einbringen. Es ist beabsichtigt, dass die Koalition die ganze Sache übernimmt.“

Ende der Woche war es dann soweit. Die NATO-Mitgliedsstaaten haben sich doch noch darauf geeinigt, dass das Bündnis das Kommando für die Durchsetzung der Flugverbotszone übernehmen wird. Vorausgegangen war ein heftiger Streit zwischen den NATO-Staaten. Denn um die Militärallianz mit der Führung des Einsatzes zu betrauen, ist die Zustimmung aller Mitglieder notwendig. Zunächst gab es Vorbehalte aus Frankreich. Paris hielt die Zeit einer Kommandoübergabe noch nicht für reif. Die französische Regierung verwies dabei auf Bedenken in der arabischen Welt. Außenminister Juppé:

O-Ton Juppé (overvoice)
„All diejenigen, die die Operation nun unter NATO-Flagge sehen wollen, sagen, man müsse die Haltung der arabischen Staaten berücksichtigen. Doch deren Sicht ist klar. Sie wollen nicht, dass dieser Einsatz ausschließlich unter NATO-Führung stattfindet.“

Staatspräsident Sarkozy will in dem Konflikt vielmehr die eigene Führungsstärke herausstellen. Es war sicher kein Zufall, dass französische Kampfflugzeuge als Erste libysche Ziele angegriffen haben – noch bevor US-Marschflugkörper auf Luftabwehrstellungen abgefeuert wurden.

Doch die Türkei wollte diese französische Führungsrolle nicht ohne weiteres so hinnehmen. Der türkische Verteidigungsminister Gönül:

O-Ton Gönül (overvoice)
„Wir können nicht so recht nachvollziehen, warum sich Frankreich so in den Vordergrund gedrängt hat, als alleiniger Umsetzer des UNO-Beschlusses. Und dann stellte sich plötzlich heraus, dass die USA den Einsatz kommandieren.“

In Ankara ist man vor allem darüber verärgert, dass zum Libyen-Gipfel in der vergangenen Woche in Paris kein türkischer Regierungsvertreter eingeladen worden ist.

Animositäten und Rivalitäten entscheiden also über die Handlungsfähigkeit des mächtigsten Militärbündnisses der Welt. Von Geschlossenheit keine Spur. Die Allianz, die sich erst vor wenigen Monaten ein neues strategisches Konzept gegeben hat, demonstriert in Libyen, dass sie noch längst nicht in der Lage ist, die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Mitte der Woche hatten sich die Allianzmitglieder lediglich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Die NATO überwacht seitdem das vom UN-Sicher-heitsrat verhängte Waffenembargo und kontrolliert die Seewege nach Libyen.

Die Bundesregierung ist kategorisch gegen eine Beteiligung der Bundeswehr am Libyenkrieg – trotz der regelmäßigen Bekräftigung, Deutschland betreibe eine wertebetonte Außenpolitik und unterstütze die Vereinten Nationen. Damit hat sich Berlin bei vielen Bündnismitgliedern ins Abseits gestellt, insbesondere beim französischen Präsidenten Sarkozy.

Die deutschen Soldaten, die bisher an Bord der NATO-AWACS-Aufklärungsmaschinen im Rahmen der Anti-Terror Operation Active Endeavour den Luftraum im Mittelmeer kontrolliert haben, dürfen sich an dieser Mission nun nicht mehr beteiligen – weil die Maschinen jetzt auch den lybischen Luftraum und Schiffsbewegungen vor der  Küste überwachen. Auch die deutschen Marineschiffe im Mittelmeer wurden aus dem dort operierenden NATO-Verband herausgelöst und wieder dem nationalen Kommando unterstellt.

Quasi als Kompensation werden Bundeswehr-Soldaten nun in AWACS-Aufklärungs-Maschinen der NATO steigen, die über Afghanistan im Einsatz sind. Anfang des Jahres hatte die Bundesregierung eine Beteiligung an dieser Mission noch als falsches Signal kategorisch abgelehnt. Das gilt nun auf einmal nicht mehr. Jetzt wird versucht, den Unmut der Bündnispartner zu besänftigen. Die sind nämlich über die deutsche Enthaltung bei der Verabschiedung des UN-Mandats und die Nichtbeteiligung am Libyenkrieg verärgert.
Aber auch in Deutschland selbst ist die Stimm-Enthaltung in New York äußerst umstritten. Viele sind empört, wie beispielsweise der frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann. Der ehemalige Vier-Sterne-General in der ARD:

O-Ton Naumann
„Dass man sich zum ersten Mal alleine gegen die Amerikaner stellt, zum ersten Mal alleine gegen den wichtigsten europäischen Partner stellt, das ist eine Schädigung deutscher Interessen, wie ich sie noch nie erlebt habe. Und als ehemaliger Soldat kann ich nur sagen: Ich schäme mich für unser Land.“

In das gleiche Horn stößt der frühere Außenminister Joschka Fischer. Ihm bleibe nur Scham für das Versagen der Bundesregierung, schreibt er in einem Namensbeitrag in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Die Enthaltung im UN-Sicherheitsrat sei ein skandalöser Fehler gewesen. Die Kritik geht durch alle Parteien. Zu hören ist sie aber auch auf internationaler Ebene.

Die Bundesregierung bemüht sich um Schadensbegrenzung. Bundeskanzlerin Merkel hat bekräftigt, dass Deutschland hinter der UN-Resolution stehe - obwohl Berlin in der vergangenen Woche glaubte, ihr nicht zustimmen zu können:

O-Ton Merkel
„Eine Enthaltung hat zum Ausdruck gebracht, dass es Bedenken auch gab. Die Mehrheit des UN-Sicherheitsrates hat sich dafür ausgesprochen. Deshalb habe ich in Paris auch deutlich gemacht, dass die beschlossene Resolution jetzt auch unsere Resolution ist.“

Vor allem Außenminister Westerwelle muss sich viel Kritik gefallen lassen – auch vom Koalitionspartner. Man hätte der UN-Resolution durchaus zustimmen können. Damit wäre nicht unmittelbar eine Beteiligung am Libyenkrieg verbunden gewesen, sagen Kritiker des Außenministers. Der FDP-Chef sieht das allerdings  ganz anders:

O-Ton Westerwelle
„Und ich sage es noch einmal mit großem Nachdruck: Hätten wir im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zugestimmt, dann wären wir heute vor der Frage, ob deutsche Soldaten nach Libyen gehen. Das ist politische Realität. Denn man kann als größtes NATO-Land in Europa nicht in New York für den Militäreinsatz stimmen, und anschließend in Brüssel dagegen sein. Wir wären in die Verantwortung genommen worden. Alles andere macht sich selbst etwas vor.“

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meldete diese Woche, die Enthaltung im UN-Sicherheitsrat sei ein Koalitionskompromiss. Außenminister Westerwelle habe ursprünglich vorgehabt, Deutschland in  New York gegen die Resolution stimmen zu lassen. Das Auswärtige Amt dementiert allerdings diese Darstellung.

In Libyen ist ein Ende der Luftangriffe nicht in Sicht. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Gaddafi einlenken wird. Eine weitere Eskalation ist nicht auszuschließen. Dabei könnten sich die kriegsführenden Parteien sogar auf die UN-Resolution 1973 berufen. Sie verbietet zwar die Entsendung einer Besatzungsstreitmacht. Für Militärexperten ist aber der zeitlich begrenzte Einsatz von Bodentruppen durch das Mandat gedeckt. Es könnte also durchaus sein, dass es nicht bei Luftangriffen bleiben wird. Der frühere KFOR-Befehlshaber im Kosovo und ehemalige NATO-General Klaus Reinhard:

O-Ton Reinhard
„Die Frage ist, ob Gaddafi mit seiner derzeitigen Operationsführung erfolgreich sein wird. Die Frage ist, ob es Gaddafi gelingt seine eigenen Kräfte mit den Kräften der Aufständischen eng zu verzahnen,  um zu verhindern, dass die internationale Gemeinschaft mit ihren Flugzeugen ihn bzw. seine Kräfte angreift.  Ich vermute, dass die Zahl der zivilen Toten, der zivilen Opfer dadurch deutlich steigen wird. Und dann läuft man sehr wohl Gefahr, dass die öffentliche Meinung auch in unseren Staaten sagt, da müssten wir etwas tun. Wir müssen die beiden kampfbereiten Seiten voneinander trennen. Und dafür brauchen sie die Bodentruppen. Es gibt aus meiner Sicht keinen Hinweis darauf, dass ein Bodenkrieg je durch Luftwaffeneinsätze alleine zu einem vernünftigen Ende gebracht worden ist.“

Die Militäraktion in Libyen kann also noch erheblich länger dauern als von Washington und Paris gedacht. Denn wie bei den Kriegen in Afghanistan und im Irak hat man in Libyen einen Krieg begonnen ohne eine realistische Exit-Strategie. Wie der militärische Konflikt beendet werden kann, ist nicht bedacht worden. Möglicherweise eine nachträgliche Rechtfertigung für die Nichtbeteiligung Deutschlands an diesem Krieg.


Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.