Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
21. Februar 2009


Vernachlässigte Aufstandsbekämpfung
US-Streitkräfte versuchen umzudenken

Internationale Gerichtsbarkeit à la carte
Wieder einmal bricht die Bundes-regierung Völkerrecht und Verfassung

Gastbeitrag von Jürgen Rose

Sechs Jahre sind nunmehr vergangen seit die US-Streitkräfte im Irak das Regime des Saddam Hussein auf brachiale Weise mit Hilfe ihrer gewaltigen waffentechnischen Überlegenheit beseitigt haben. Grundlage war die „Shock and Awe“-Kriegführung, die den Gegner mit massiven Luftschlägen schocken und verunsichern soll. Länger noch dauert der Krieg am fernen Hindukusch, wo die U.S. Air Force bereits im Jahr 2001 das Taliban-Regime unter Bombenteppichen begraben und hierdurch den Verbündeten der sogenannten Nordallianz ihren Weg an die Macht in Kabul geebnet hat. Zweimal hat das amerikanische Militär der Welt auf eindrückliche Weise seine Fähigkeit demonstriert, einen militärischen Gegner binnen kürzester Frist niederzuwerfen, ohne ihm auch nur den Hauch einer Chance zu wirksamer Gegenwehr zu lassen.

Sehr viel weniger überzeugend indes stellt sich die Bilanz der Besatzungszeit dar, die auf die jeweiligen Feldzüge folgte. Denn sowohl im Zweistromland als auch in Afghanistan schaffte es der blitzartig niedergeworfene Feind, sich binnen kurzer Zeit zu reorganisieren und die Besatzungstruppen in verlustreiche Guerillakriege zu verwickeln. Den Koalitionstruppen gelang es nicht, eine wirklich durchschlagende Verbesserung der teilweise chaotischen Gewaltverhältnisse zu erreichen – trotz des enormen technischen Aufwandes, umfangreicher Personalverstärkungen sowie mehrmals veränderten Strategien und Taktiken. US-Verteidigungsminister Robert Gates fasste denn auch die missliche Lage in einem jüngst in der Zeitschrift Foreign Affairs veröffentlichten Grundsatzartikel in folgende Worte:

Zitat
„Die jüngere Vergangenheit hat eindringlich die Konsequenzen demonstriert, die aus dem Unvermögen resultieren, den mit Aufständen und scheiternden Staaten verbundenen Gefahren angemessen zu begegnen.“

Dabei lehrt nach Ansicht des Pentagonchefs die Geschichte, dass selbst der größtangelegte militärische Konflikt stets auch die Befähigung zum sogenannten „Kleinen Krieg“, dem Guerillakrieg eben, erfordert. Denn seit General Winfield Scott im Jahre 1840 seine Truppen nach Mexiko führte, hat, so Gates, jeder größere amerikanische Streitkräfteeinsatz eine längere militärische Präsenz zur Aufrechterhaltung der Stabilität nach sich gezogen. Das US-Militär könne sich daher nicht der Notwendigkeit entziehen, die Sicherheit im Lande aufrecht zu erhalten, Hilfe und Unterstützung zu leisten, mit dem Wiederaufbau zu beginnen, sowie lokale Regierungsstellen und öffentliche Dienstleistungen abzusichern. Dies gelte sowohl für den Höhepunkt eines militärischen Konflikts als auch für die Nachkriegszeit.

Anlass genug für den amerikanischen Verteidigungsminister, eine neue Nationale Verteidigungsstrategie bekanntzugeben. „Reprogramming the Pentagon for a New Age“, so lautet deren ambitionierter Titel. Das wirft die Frage auf, inwiefern mit einer solchen „Reprogrammierung“ des Verteidigungsministeriums zugleich auch ein grundsätzlicher Strategiewandel beabsichtigt wird.

Die Einlassungen des Pentagonchefs hierzu deuten allerdings eher auf eine bloße Akzentverschiebung in der Nationalen Sicherheitsstrategie hin, als auf eine völlige Neukonzeption. Gates spricht zunächst nämlich lediglich davon, dass in Zukunft „balance“, also Ausgewogenheit, das neue Leitprinzip werden soll. Ausgewogenheit soll gleich in dreifacher Hinsicht gelten. Nämlich erstens für den Versuch, einerseits in den gegenwärtigen Konflikten zu obsiegen und sich andererseits für weitere Eventualfälle zu rüsten. Zweitens gilt es, zum einen Kapazitäten zur Aufstandsbekämpfung oder für die auswärtige Militärhilfe zu institutionalisieren. Dabei müsse aber zugleich der bestehende rüstungstechnologische Vorsprung der US-Streitkräfte sowohl auf dem konventionellen Sektor als auch auf strategischem Gebiet aufrechterhalten werden. Und drittens hält es der US-Verteidigungsminister für wichtig, auf ausgewogene Weise die Eigenschaften der Streitkräftekultur zu bewahren, auf denen der Erfolg des amerikanischen Militärs beruht. Gleichzeitig aber müssten jene Faktoren eliminiert werden, die die Fähigkeiten der US-Streitkräfte beeinträchtigten.

Solche Überlegungen aus dem Munde von Robert Gates wirken zunächst einmal reichlich abstrakt. Sein Verteidigungsstaatssekretär Michael Vickers wird da schon konkreter, wenn er auf einen zentralen Untersuchungsbericht verweist, der bereits seit Jahren vorliegt. Der „Quadrennial Defense Report 2006“ nämlich stuft die irreguläre Kriegführung als ebenso wichtig ein wie den traditionellen militärischen Konflikt. Demgemäß umfasst „Irregular Warfare“ verschiedene Einsatzformen, nämlich:

  • den Kampf gegen den Terrorismus [counterterrorism/CT];
  • unkonventionelle Kriegführung [unconventional warfare/UW];
  • Verteidigung der Inneren Sicherheit fremder Staaten [foreign internal defense/FID];
  • Aufstandsbekämpfung [counterinsurgency/COIN] sowie
  • Stabilisierungsoperationen zur Herstellung oder Wiederherstellung der Ordnung in fragilen Staaten.

Dieser Ansatz wurde im vergangenen Monat noch einmal bekräftigt – in einem Pentagon-Report über die künftige Rolle von Militärmissionen. Von gegenwärtigen und künftigen Gegnern der USA gehe vor allem eine irreguläre und asymmetrische Bedrohung aus, heißt es in dem „Quadrennial Roles and Missions Review Report 2009“.

Damit die US-Streitkräfte diese immer wichtigeren Missionen im Rahmen der irregulären Kriegführung zukünftig ebenso effektiv erfüllen können wie traditionelle Kampfeinsätze, hält die Pentagon-Führung es für erforderlich, die gegenwärtige Militärstruktur zu verändern. Eine praktische Folge ist erstens die Verstärkung der sogenannten „Special Operations Forces“. Die Qualitätsstandards dieser Spezialkräfte sollen allerdings gewahrt bleiben. Zweitens gilt es, die Tauglichkeit der regulären Streitkräfte zum irregulären Kampf zu verbessern. Ihre Fähigkeit zur traditionellen Kriegführung darf darunter jedoch nicht leiden. Und drittens schließlich sind die Spezialkampftruppen und die reguläre Armee weitestmöglich zu integrieren.

Das Aufgabenfeld des solchermaßen restrukturierten US-Militärs ist breit gefächert. Definiert wird es in einer am 1. Dezember vergangenen Jahres erlassenen einschlägigen Direktive des US-Verteidigungsministeriums. Danach soll beispielsweise mittels enger Zusammenarbeit mit einheimischen Kräften der Einflussbereich der Vereinigten Staaten in bisher unzugängliche und unsichere Gebiete ausgeweitet werden. Auch sollen die amerikanischen Streitkräfte Regierungen und Bevölkerungen fremder Staaten gegen die Bedrohung durch irreguläre Gegner unterstützen, und zwar mit allen direkten und indirekten Mitteln und, falls erforderlich, in großem Maßstab.

Insgesamt stellt die vom US-Verteidigungsminister angekündigte Neuausrichtung der Nationalen Sicherheitsstrategie tatsächlich eine gewisse Erweiterung des bisherigen sehr engen Verständnisses über den Gebrauch militärischer Macht dar. Robert Gates selbst merkt hierzu an.

Zitat
„Um wirklich einen Sieg zu erringen wie Clausewitz ihn definiert hat – nämlich das politische Ziel zu erreichen – benötigen die USA ein Militär, das die Fähigkeit hat, die Tür einzutreten, aber auch in der Lage ist, hinterher die Bescherung aufzuräumen oder gar das Haus wieder aufzubauen.“

Gleichwohl bleibt zu monieren, dass die Militärlastigkeit im strategischen Denken der USA fortdauert. Der angekündigte Wandel geht also nicht weit genug. Demnach ist es auch nicht wirklich überraschend, dass die wesentliche Voraussetzung jeder nachhaltigen Sicherheitspolitik in der neuen US-Strategie unerwähnt bleibt. Jene hatten die deutschen Bischöfe bereits vor Jahren ganz einfach, präzise und unmissverständlich auf den Punkt gebracht, als sie formulierten: Gerechtigkeit schafft Frieden.


 

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.