Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
28. Juli 2007


Verzichtet Nordkorea auf die Atombombe?

Worauf die jüngste Entwicklung im Dauerstreit um das Nuklearwaffenprogramm zurückzuführen ist

Gastbeitrag von Prof. Dr. Herbert Wulf

Die Reaktionen auf die jüngsten Sechs-Parteien-Gespräche in Peking über den möglichen Stopp des nordkoreanischen Atomprogramms schwanken zwischen Zuversicht und Enttäuschung. Dabei war die Überraschung groß als die nordkoreanische Verhandlungsdelegation vor Beginn der Gesprächsrunde Mitte des Monats verlauten ließ, bis zum Jahresende könnten alle Atomanlagen im nordkoreanischen Atomzentrum Yongbyong geschlossen werden. Man fragte sich, ob Staatschef Kim Jong Il endlich zur Kenntnis genommen habe, dass nicht nur die USA und ihre westlichen Verbündeten, sondern der gesamte Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, einschließlich Russland und China, Atomwaffen in Nordkorea für völlig inakzeptabel halten. Die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde haben inzwischen gemeldet, fünf Atomanlagen seien stillgelegt worden. Südkorea hat daraufhin das zugesagte Schweröl geliefert. Doch in der vergangenen Woche konnten sich die sechs verhandelnden Länder - also China, Japan, Nord- und Südkorea, Russland und die USA - wieder nicht auf einen verbindlichen Fahrplan zum Stopp des Atomprogramms verständigen. Die nächsten Gespräche sind für September geplant und der amerikanische Chefunterhändler, Christopher Hill, glaubt, dass – "mit ein wenig Glück" – die Schwierigkeiten überwunden werden können.

Obwohl die jüngsten Abmachungen und Absichtserklärungen nicht über die Vereinbarungen hinausgehen, die bereits 1994 zwischen der Clinton- und der Kim-Regierung getroffen wurden, gibt es Grund zu Optimismus. Denn nach fast fünf Krisenjahren, in denen Nordkorea UN-Inspektoren ausgewiesen hatte, den Atomwaffensperrvertrag kündigte und schließlich im Oktober 2006 einen Atomsprengsatz zündete, zeigt sich jetzt nicht nur Nordkorea verhandlungsbereit. Auch die US-Regierung hat ihre unnachgiebige Haltung aufgegeben. Das Kim-Regime wird nicht mehr als Teil der "Achse des Bösen" und als "Vorposten der Tyrannei" bezeichnet.

Nordkorea ist seiner Politik treu geblieben und benutzt sein Atomprogramm als Trumpfkarte, um möglichst viele politische und wirtschaftliche Zugeständnisse zu erzielen. Die chinesische Regierung hat mit ihrer Politik von Zuckerbrot und Peitsche - d.h. wirtschaftliche Kooperation bei Verhandlungsbereitschaft Pjöngjangs, Sanktionen bei Festhalten am Atomprogramm - deutlich gemacht, dass mit dem Atomtest der Rubikon überschritten wurde. Bewegung zeigte vor allem die Regierung Bush. Sie hat ihre Forderung fallen lassen, die nordkoreanische Regierung müsse vor Verhandlungsbeginn Vorleistungen erbringen und unwiderruflich auf das militärische Atomprogramm verzichten. Jetzt ist auch Washington, wie von Pjöngjang schon immer gefordert, zu einer schrittweisen Lösung mit Zugeständnissen auf beiden Seiten bereit. Mit dem Abkommen vom Februar dieses Jahres und den jetzt vereinbarten Gesprächsrunden ist ein erster Meilenstein auf einem möglicherweise noch langen und mit Hindernissen gepflasterten Weg erreicht worden. In den nächsten Wochen wird es darauf ankommen, einen verbindlichen Fahrplan mit folgenden Zielen festzulegen: kompletter Stopp des nordkoreanischen Atomprogramms, Atomwaffenfreiheit auf der koreanischen Halbinsel, Sicherheitsgarantien und wirtschaftliche Hilfe für Nordkorea und schließlich: die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Nordkoreas mit den USA und Japan.

Es liegen jedoch noch viele Stolpersteine auf dem Weg zur Normalisierung und es ist nicht abzusehen, ob die Sechser-Gespräche tatsächlich zum Erfolg führen werden. So gibt es gleich mehrere umstrittene Fragen. Offen ist beispielsweise, ob Nordkorea bereit ist, die bereits vorhandenen Atomsprengköpfe zu vernichten. Wird Pjöngjang wieder dem Atomwaffensperrvertrag beitreten? Oder wird das Regime an seinem Status als Atommacht festhalten, quasi als Faustpfand und Rückversicherung? Immerhin war der Atomwaffentest vom Oktober 2006 von Kim Jong Il und seinen Generälen als "historisches Ereignis der 5000-jährigen Geschichte Koreas" bezeichnet worden. Weiterhin offen ist auch die Frage, ob die militärisch relevanten Nuklearanlagen nicht nur geschlossen, sondern in der nächsten Phase auch abgebaut werden, um damit den Atombombenbau langfristig unmöglich zu machen. Die Schließung und Demontage der Anlagen war auch schon 1994 vereinbart worden. Doch 2002, nachdem die Bush-Regierung Nordkorea beschuldigt hatte, heimlich Uran anzureichern und Waffenmaterial zu produzieren, reaktivierte Nordkorea den zuvor geschlossenen Reaktor wieder und produzierte damit weiteres Plutonium zum Bombenbau.

Der Vorwurf der heimlichen Urananreicherung seitens der US-Regierung könnte ebenfalls zu einem Stolperstein werden; denn die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde werden bei entsprechend umfassenden Prüfungen der Atomanlagen feststellen können, was an dieser Behauptung dran war. Hatte Pjöngjang die internationale Gemeinschaft belogen, als es leugnete, Uran anzureichern? Oder hatte die Bush-Administration 2002 ohne klare Belege unnötig eine fünf Jahre dauernde Krise vom Zaun gebrochen? Eine der beiden Regierungen muss möglicherweise einen Gesichtsverlust fürchten. In Washington rudert man bereits vorsichtig zurück. Die Urananreicherung in Yongbyong sei vermutlich nicht so weit entwickelt wie ursprünglich vermutet, ist inzwischen zu hören.

Ähnlich pikant ist auch die Frage, ob die UN-Inspektoren möglicherweise feststellen werden, ob der nordkoreanische Nukleartest technisch letztlich ein Fehlschlag war, wie westliche Experten glauben. Hat Nordkorea möglicherweise mit gezinkten Karten gepokert? Und könnte dies ein Grund für die Machthaber in Pjöngjang sein, die erforderlichen Inspektionen zu behindern oder gar ganz zu verbieten? Schließlich stellt sich auch die Frage, wo das inzwischen produzierte Plutonium geblieben ist. Nach Angaben der UN-Inspektoren fehlten bereits in den 90er Jahren rund 15 kg Plutonium – eine Menge, mit der zwei Atomsprengköpfe gebaut werden können. Dieser Konflikt über den Verbleib des Plutoniums führte schon 2002 zur Ausweisung der Inspektoren. Fraglich ist angesichts der nordkoreanischen Atomambitionen, ob es wirklich ratsam ist, die in dem Abkommen von 1994 zugesagten zwei Leichtwasserreaktoren tatsächlich auch zu liefern. In Pjöngjang scheinen diese damals zugesagten Reaktoren allerdings nicht verhandelbar zu sein.

Neben diesen eher technischen Aspekten, die gravierende Konsequenzen haben könnten, sind aber auch längst nicht alle politischen Probleme gelöst. Nordkorea fordert schon seit langem ein Sicherheitsabkommen mit den USA. Doch ist Washington zu einer entsprechenden Vereinbarung bereit? Werden die USA alle Nuklearwaffen aus Südkorea abziehen und Inspektionen zulassen? Eine weitere Frage ist, ob der Streit innerhalb der US-Regierung über den richtigen Kurs in der Nordkorea-Politik inzwischen beigelegt ist. Zwar hat zurzeit die Fraktion der Verhandlungsbereiten im Außenministerium das Sagen; aber in der Vergangenheit sind diese Ansätze schon oft durch das Pentagon und den Vizepräsidenten torpediert worden. Noch immer ist unklar, ob der zwischen Tokio und Pjöngjang nach wie vor offene Streit über die von Nordkorea gekidnappten japanischen Bürger beigelegt werden kann. Eine Lösung dieser Frage ist aber eine Voraussetzung für eine umfassende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nordkorea.

Eine andere Frage ist, wie hoch Pjöngjang pokern wird, um eine wirtschaftliche und technische Kooperation zu erzwingen. Und welchen Preis ist die Staatengemeinschaft bereit, für nordkoreanisches Wohlverhalten zu bezahlen? Es gibt also noch viele Probleme. Trotzdem sind die Aussichten für eine Annäherung heute vergleichsweise günstig. Denn anders als vor einigen Jahren sind die Beteiligten jetzt ganz offensichtlich zu ernsthaften Verhandlungen und Kompromissen bereit.


 

Prof. Dr. Herbert Wulf war bis 2001 Direktor des Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC). Nach dieser Tätigkeit war er unter anderem als Berater für Rüstungskontrollfragen des UN-Entwicklungsprogramms in Pjöngjang, Nordkorea und Gastprofessor an der University of Queensland im australischen Brisbane tätig. Mehr über Herbert Wulf erfahren Sie auf seiner Homepage.