Verzichtet Nordkorea auf die Atombombe?
Worauf die jüngste Entwicklung im Dauerstreit um das Nuklearwaffenprogramm
zurückzuführen ist
Gastbeitrag von Prof. Dr. Herbert Wulf
Die Reaktionen auf die jüngsten Sechs-Parteien-Gespräche in Peking über den
möglichen Stopp des nordkoreanischen Atomprogramms schwanken zwischen Zuversicht und
Enttäuschung. Dabei war die Überraschung groß als die nordkoreanische
Verhandlungsdelegation vor Beginn der Gesprächsrunde Mitte des Monats verlauten ließ,
bis zum Jahresende könnten alle Atomanlagen im nordkoreanischen Atomzentrum Yongbyong
geschlossen werden. Man fragte sich, ob Staatschef Kim Jong Il endlich zur Kenntnis
genommen habe, dass nicht nur die USA und ihre westlichen Verbündeten, sondern der
gesamte Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, einschließlich Russland und China,
Atomwaffen in Nordkorea für völlig inakzeptabel halten. Die Inspektoren der
Internationalen Atomenergiebehörde haben inzwischen gemeldet, fünf Atomanlagen seien
stillgelegt worden. Südkorea hat daraufhin das zugesagte Schweröl geliefert. Doch in der
vergangenen Woche konnten sich die sechs verhandelnden Länder - also China, Japan, Nord-
und Südkorea, Russland und die USA - wieder nicht auf einen verbindlichen Fahrplan zum
Stopp des Atomprogramms verständigen. Die nächsten Gespräche sind für September
geplant und der amerikanische Chefunterhändler, Christopher Hill, glaubt, dass
"mit ein wenig Glück" die Schwierigkeiten überwunden werden können.
Obwohl die jüngsten Abmachungen und Absichtserklärungen nicht über
die Vereinbarungen hinausgehen, die bereits 1994 zwischen der Clinton- und der
Kim-Regierung getroffen wurden, gibt es Grund zu Optimismus. Denn nach fast fünf
Krisenjahren, in denen Nordkorea UN-Inspektoren ausgewiesen hatte, den
Atomwaffensperrvertrag kündigte und schließlich im Oktober 2006 einen Atomsprengsatz
zündete, zeigt sich jetzt nicht nur Nordkorea verhandlungsbereit. Auch die US-Regierung
hat ihre unnachgiebige Haltung aufgegeben. Das Kim-Regime wird nicht mehr als Teil der
"Achse des Bösen" und als "Vorposten der Tyrannei" bezeichnet.
Nordkorea ist seiner Politik treu geblieben und benutzt sein
Atomprogramm als Trumpfkarte, um möglichst viele politische und wirtschaftliche
Zugeständnisse zu erzielen. Die chinesische Regierung hat mit ihrer Politik von
Zuckerbrot und Peitsche - d.h. wirtschaftliche Kooperation bei Verhandlungsbereitschaft
Pjöngjangs, Sanktionen bei Festhalten am Atomprogramm - deutlich gemacht, dass mit dem
Atomtest der Rubikon überschritten wurde. Bewegung zeigte vor allem die Regierung Bush.
Sie hat ihre Forderung fallen lassen, die nordkoreanische Regierung müsse vor
Verhandlungsbeginn Vorleistungen erbringen und unwiderruflich auf das militärische
Atomprogramm verzichten. Jetzt ist auch Washington, wie von Pjöngjang schon immer
gefordert, zu einer schrittweisen Lösung mit Zugeständnissen auf beiden Seiten bereit.
Mit dem Abkommen vom Februar dieses Jahres und den jetzt vereinbarten Gesprächsrunden ist
ein erster Meilenstein auf einem möglicherweise noch langen und mit Hindernissen
gepflasterten Weg erreicht worden. In den nächsten Wochen wird es darauf ankommen, einen
verbindlichen Fahrplan mit folgenden Zielen festzulegen: kompletter Stopp des
nordkoreanischen Atomprogramms, Atomwaffenfreiheit auf der koreanischen Halbinsel,
Sicherheitsgarantien und wirtschaftliche Hilfe für Nordkorea und schließlich: die
Aufnahme diplomatischer Beziehungen Nordkoreas mit den USA und Japan.
Es liegen jedoch noch viele Stolpersteine auf dem Weg zur
Normalisierung und es ist nicht abzusehen, ob die Sechser-Gespräche tatsächlich zum
Erfolg führen werden. So gibt es gleich mehrere umstrittene Fragen. Offen ist
beispielsweise, ob Nordkorea bereit ist, die bereits vorhandenen Atomsprengköpfe zu
vernichten. Wird Pjöngjang wieder dem Atomwaffensperrvertrag beitreten? Oder wird das
Regime an seinem Status als Atommacht festhalten, quasi als Faustpfand und
Rückversicherung? Immerhin war der Atomwaffentest vom Oktober 2006 von Kim Jong Il und
seinen Generälen als "historisches Ereignis der 5000-jährigen Geschichte
Koreas" bezeichnet worden. Weiterhin offen ist auch die Frage, ob die militärisch
relevanten Nuklearanlagen nicht nur geschlossen, sondern in der nächsten Phase auch
abgebaut werden, um damit den Atombombenbau langfristig unmöglich zu machen. Die
Schließung und Demontage der Anlagen war auch schon 1994 vereinbart worden. Doch 2002,
nachdem die Bush-Regierung Nordkorea beschuldigt hatte, heimlich Uran anzureichern und
Waffenmaterial zu produzieren, reaktivierte Nordkorea den zuvor geschlossenen Reaktor
wieder und produzierte damit weiteres Plutonium zum Bombenbau.
Der Vorwurf der heimlichen Urananreicherung seitens der US-Regierung
könnte ebenfalls zu einem Stolperstein werden; denn die Inspektoren der Internationalen
Atomenergiebehörde werden bei entsprechend umfassenden Prüfungen der Atomanlagen
feststellen können, was an dieser Behauptung dran war. Hatte Pjöngjang die
internationale Gemeinschaft belogen, als es leugnete, Uran anzureichern? Oder hatte die
Bush-Administration 2002 ohne klare Belege unnötig eine fünf Jahre dauernde Krise vom
Zaun gebrochen? Eine der beiden Regierungen muss möglicherweise einen Gesichtsverlust
fürchten. In Washington rudert man bereits vorsichtig zurück. Die Urananreicherung in
Yongbyong sei vermutlich nicht so weit entwickelt wie ursprünglich vermutet, ist
inzwischen zu hören.
Ähnlich pikant ist auch die Frage, ob die UN-Inspektoren
möglicherweise feststellen werden, ob der nordkoreanische Nukleartest technisch letztlich
ein Fehlschlag war, wie westliche Experten glauben. Hat Nordkorea möglicherweise mit
gezinkten Karten gepokert? Und könnte dies ein Grund für die Machthaber in Pjöngjang
sein, die erforderlichen Inspektionen zu behindern oder gar ganz zu verbieten?
Schließlich stellt sich auch die Frage, wo das inzwischen produzierte Plutonium geblieben
ist. Nach Angaben der UN-Inspektoren fehlten bereits in den 90er Jahren rund 15 kg
Plutonium eine Menge, mit der zwei Atomsprengköpfe gebaut werden können. Dieser
Konflikt über den Verbleib des Plutoniums führte schon 2002 zur Ausweisung der
Inspektoren. Fraglich ist angesichts der nordkoreanischen Atomambitionen, ob es wirklich
ratsam ist, die in dem Abkommen von 1994 zugesagten zwei Leichtwasserreaktoren
tatsächlich auch zu liefern. In Pjöngjang scheinen diese damals zugesagten Reaktoren
allerdings nicht verhandelbar zu sein.
Neben diesen eher technischen Aspekten, die gravierende Konsequenzen
haben könnten, sind aber auch längst nicht alle politischen Probleme gelöst. Nordkorea
fordert schon seit langem ein Sicherheitsabkommen mit den USA. Doch ist Washington zu
einer entsprechenden Vereinbarung bereit? Werden die USA alle Nuklearwaffen aus Südkorea
abziehen und Inspektionen zulassen? Eine weitere Frage ist, ob der Streit innerhalb der
US-Regierung über den richtigen Kurs in der Nordkorea-Politik inzwischen beigelegt ist.
Zwar hat zurzeit die Fraktion der Verhandlungsbereiten im Außenministerium das Sagen;
aber in der Vergangenheit sind diese Ansätze schon oft durch das Pentagon und den
Vizepräsidenten torpediert worden. Noch immer ist unklar, ob der zwischen Tokio und
Pjöngjang nach wie vor offene Streit über die von Nordkorea gekidnappten japanischen
Bürger beigelegt werden kann. Eine Lösung dieser Frage ist aber eine Voraussetzung für
eine umfassende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nordkorea.
Eine andere Frage ist, wie hoch Pjöngjang pokern wird, um eine
wirtschaftliche und technische Kooperation zu erzwingen. Und welchen Preis ist die
Staatengemeinschaft bereit, für nordkoreanisches Wohlverhalten zu bezahlen? Es gibt also
noch viele Probleme. Trotzdem sind die Aussichten für eine Annäherung heute
vergleichsweise günstig. Denn anders als vor einigen Jahren sind die Beteiligten jetzt
ganz offensichtlich zu ernsthaften Verhandlungen und Kompromissen bereit.
Prof. Dr. Herbert Wulf war bis 2001 Direktor des Internationalen
Konversionszentrum Bonn (BICC). Nach dieser Tätigkeit war er unter anderem als Berater
für Rüstungskontrollfragen des UN-Entwicklungsprogramms in Pjöngjang, Nordkorea und
Gastprofessor an der University of Queensland im australischen Brisbane tätig. Mehr über Herbert Wulf erfahren Sie auf
seiner Homepage.
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