Kommentar TAZ,
22.04.2000

 Keine Bedrohung für Abschreckung

  Otfried Nassauer


Rußlands neuer Präsident, Vladimir Putin, gibt sich gerne als Mann der schnellen, entschiedenen Tat. Das gilt offenbar nicht nur, wenn es darum geht, Rebellen in der abtrünnigen Kaukasus-Republik Tschetschenien zu bombardieren, sondern auch, wenn die USA rüstungskontrollpolitisch unter Druck gesetzt werden sollen.

Putin handelt. Am Freitag vergangener Woche bewegte er die Duma zur Ratifizierung des START-II Abkommens mit den USA. Gestern folgte der zweite Streich. Die Duma ratifizierte mit großer Mehrheit den Vertrag über ein umfassendes Verbot atomarer Tests, CTBT.

Die Motive sind mehrschichtig. Vladimir Putin weiß, daß Rußland zu weiterer atomarer Abrüstung keine ernsthafte Alternative hat. Abrüstung tut not, schon aus finanziellen Gründen. Rußlands atomares Potential verrostet schneller als neue Waffen bezahlt werden können. Rußland braucht einen START-III Vertrag, der die Zahl künftig erlaubter Atomwaffen auf ein finanzierbares Maß reduziert.

Über START-III wird in den kommenden Wochen verhandelt. Der russische Außenminister weilt in den USA. Anfang Juni ist in Moskau ein Gipfel geplant. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ebenso die Hindernisse. Das wichtigste: Die USA wollen erreichen, daß Rußland einer Änderung des ABM-Vertrages zustimmt, der beiden Staaten den Aufbau einer landesweiten Raketenverteidigung verbietet. Genau dies möchte Moskau keinesfalls – die Wirksamkeit der atomaren Abschreckung Rußlands könnte in Gefahr geraten. Putins Offensive soll die russische Position stärken.

Trotzdem bleibt abzuwarten, ob die Strategie, durch rüstungskontrollpolitische Vorstöße Druck auf Wahington auszuüben, aufgeht. Sicher: Die Hauptkritik an der mangelnden Abrüstungsbereitschaft der Nuklearmächte bei der am Montag beginnenden Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages richtet sich nun gegen die USA. Die USA sind nun am Zug.

Aber: Die praktische Wirkung der Offensive ist vorerst begrenzt. Ob der neue Teststopp-Vertrag je in Kraft treten wird, steht in den Sternen. 44 Staaten, darunter China, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea müssen ihn ratifizieren, damit er wirksam wird. Der amerikanische Senat hat die Ratifizierung gar abgelehnt. Ob START-II je in Kraft tritt, ist ebenfalls ungewiß. Der US-Senat muß den 1997 abgeschlossenen Zusatzprotokollen noch zustimmen. Die Zusatzprotokolle betreffen unter anderem den ABM-Vertrag.

 

leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).