Süddeutsche Zeitung
25. Juni 2014


Haarscharf vorbei

Ursula von der Leyen will die Beschaffung von Waffen besser kontrollieren. Doch ihre Vorschläge verfehlen den Kern des Problems.

von Otfried Nassauer

Ursula von der Leyen will den Stier bei den Hörnern packen. Im Beschaffungswesen der Bundeswehr soll aufgeräumt werden. Dafür wird es zunächst von externen Beratern durchleuchtet. Wirtschaftsprüfer der Gesellschaft KPMG sollen herausfinden, was im Rüstungssektor alles im Argen liegt. So mancher Minister ist an dieser Aufgabe gescheitert, andere haben es lieber gar nicht erst versucht. Und auch diesmal sind große Zweifel angebracht, ob die Berater wirkliche Lösungen finden können. Ihre Aufgabe ist zu vage und zu begrenzt gestellt. Die Zeit, die man ihnen gibt, ist viel zu knapp.

Worum geht es? Immer wieder fließen Milliarden Euro Steuergeld in Rüstungsprojekte, die dann in schwere Turbulenzen geraten oder ganz scheitern. Das war beim Starfighterso, den U-Booten in den Sechzigerjahren, beim Tornado in den Siebzigern und Achtzigern bis hin zu den Hubschraubern der Gegenwart. Immer wieder wird, was die Bundeswehr bestellt hat, am Ende teurer, schlechter und kommt später.

Wenn der deutsche Staat Waffen bestellt,geht es meist um sehr viel Geld – und um die Interessen dreier mächtiger Gruppen: der Bundeswehr, der zivilen Beschaffungsbürokratie und der wehrtechnischen Industrie. Die Armee will das Beste, was künftige Technik bieten könnte, Lösungen mit Goldrand also. Die Industrie will möglichst viel Geld verdienen und verspricht, das Geforderte zeitnah liefern zu können. Das mächtige zivile Beschaffungsmanagement wiederum wählt aus, wer liefern darf; es kümmert sich um die Gestaltung der Verträge und mögliche Änderungen. Zudem prüft es, ob die Qualität der Lieferungen stimmt und den Vorschriften sowie Zulassungsbestimmungen entspricht.

Die Entwicklung von Schiffen, Flugzeugen oder Panzern bis zur Einsatzreife dau-
ert oft zwei oder drei Jahrzehnte, manchmal gar vier. In der Zwischenzeit ändern sich die Technik und oft auch die militärischen Anforderungen. Das wiederum treibt den Zeitbedarf, die Kosten und die Zahl der Vertragsänderungen in die Höhe. Beim Transportflugzeug A400M gab es nach rund zehn Jahren bereits 38 Änderungen. Die Systeme, die ursprünglich beauftragt wurden, sind selten jene, die später in Dienst gestellt werden.

Da im Verteidigungsministerium nur jene Vorhaben als gute Projekte gelten, über die man nur Gutes hört, werden Probleme oft lange unter der Decke gehalten. Die Politik erfährt nichts davon. Der Industrie ist das recht. Alle drei Interessengruppen suchen lieber den Ausweg auf Kosten eines Vierten, des Steuerzahlers.

Die größten Beschaffungsprojekte der Bundeswehr sind multinational – das macht die Sache noch komplizierter. Die beteiligten Nationen kümmern sich oft primär um die heimischen Arbeitsplätze und wünschen jeweils nationale Ausstattungsvarianten. Das Projektmanagement wird einer multinationalen Bürokratie übertragen, jede Nation kann aber nur ihre nationalen Entwicklungs- und Produktionsanteile überwachen. Das schwächt die Kontrolle der Auftraggeber über das Gesamtprojekt. Die Transparenz bleibt auf der Strecke; auch der Bundesrechnungshof kann nur die deutschen Anteile prüfen.

In dieser Gemengelage hat das Verteidigungsministerium schon mehrfach externe Experten zu Hilfe gerufen, um der Probleme im Beschaffungswesen Herr zu werden. Die Berater kamen und gingen, die Probleme aber blieben. In der Regel bringen die Unternehmen juristischen und betriebswirtschaftlichen Sachverstand mit. Oft empfehlen sie, die Bürokratie zu verschlanken und Aufgaben zu privatisieren. Das kuriert einige Symptome, dringt aber
nicht zu den Ursachen der Probleme vor.

Jetzt sollen die Berater – so heißt es vage in der Ausschreibung – eine „Risiko- und Frühwarnanalyse zentraler Rüstungsprojekte“ vorlegen, zudem den „Projektreview eines zentralen Projekts“ und „Handlungsempfehlungen für Management und Organisationsentwicklung“. Bis September sollen sie damit fertig sein. Drei Monate für die Analyse tief greifender Probleme, zudem in der Haupturlaubszeit – das bedeutet auch, dass das Koblenzer Beschaffungsamt der Bundeswehr den Externen nicht wirklich die Gelegenheit gibt, den Problemen auf den Grund zu gehen. Inhaltlich zeigt sich ein ähnliches Bild: Da nur ein Projekt – national oder multinational – im Detail untersucht werden soll, werden sich die Verbesserungsvorschläge kaum auf die Probleme der anderen Projektart übertragen lassen. Schon diese Aufgabenstellung erweckt also nicht den Eindruck, als strebe man eine gründliche Reform des Beschaffungswesens an. Dabei wäre genau das notwendig.

Was wären Ansätze für eine hilfreiche Beratertätigkeit? Da wären zunächst die nationalen Projekte, zum Beispiel der Schützenpanzer Puma oder die Fregatte 125. Hier könnte ein qualifiziertes, am Projekterfolg orientiertes, zentrales Controlling helfen. Es muss den drei Interessensgruppen Grenzen setzen, statt sie weiter allein vor sich hin werkeln zu lassen. Schwieriger würde es bei multinationalen Projekten. Deren Bedeutung wird weiter zunehmen und auch nicht auf Großprojekte beschränkt bleiben. Rüstungsgüter aller Art müssen künftig in internationaler Kooperation beschafft werden. Multinationale Einsätze erfordern zudem eine harmonisierte Ausrüstung. Hier muss das Projektmanagement transparent und kontrollierbar gemacht werden, nationale Eigeninteressen begrenzt und ein nationenübergreifendes Controlling konzipiert werden.

Hilfreich wäre auch eine externe Beratung bei der Reform des Koblenzer Beschaffungsamts. Dies ist eine Mammutbehörde, die so viel Selbstbewusstsein wie Eigenleben entwickelt hat. Sie hat auf jedes Beschaffungsprojekt entscheidenden Einfluss. Wiederholt wurden Vorschläge präsentiert, diese Behörde zu reformieren, aufzusplitten oder in eine Agentur umzuwandeln – umgesetzt wurde nichts. Die Behörde wurde stattdessen immer größer und einflussreicher.

Alle gute Beratung hilft nichts, wenn nicht der politische Einfluss auf die Beschaffung beschränkt wird. So manches große Rüstungsprojekt entsteht nicht primär, weil es sicherheitspolitisch geboten ist, sondern aus politischen oder industriepolitischen Motiven: Mal soll die deutsch-französische, mal diet ransatlantische Rüstungskooperation gefördert werden, mal die nationale technologische Kompetenz. Dem müssen Grenzen gesetzt werden.

Es ist Aufgabe der Politik, die Aufgaben einer externen Beratung festzulegen und präzise zu formulieren. Das ist nicht ausreichend geschehen. Ursula von der Leyens Versuch, das Beschaffungswesen zu reformieren, könnte deshalb bereits gescheitert sein, bevor er richtig begonnen hat. 



ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS