Haarscharf vorbei
Ursula von der Leyen will die Beschaffung von Waffen
besser kontrollieren.
Doch ihre Vorschläge verfehlen den Kern des Problems.
von Otfried Nassauer
Ursula von der Leyen will den Stier bei den
Hörnern packen. Im Beschaffungswesen der Bundeswehr soll
aufgeräumt werden. Dafür wird es zunächst
von externen Beratern durchleuchtet. Wirtschaftsprüfer der
Gesellschaft KPMG sollen herausfinden, was im Rüstungssektor
alles im Argen liegt. So mancher Minister ist an dieser Aufgabe
gescheitert, andere haben es lieber gar nicht erst versucht. Und auch
diesmal sind große Zweifel angebracht, ob die Berater
wirkliche Lösungen finden können. Ihre Aufgabe ist zu
vage und zu begrenzt gestellt. Die Zeit, die man ihnen gibt, ist viel
zu knapp.
Worum geht es? Immer wieder fließen Milliarden Euro
Steuergeld in Rüstungsprojekte, die dann in schwere
Turbulenzen geraten oder ganz scheitern. Das war beim Starfighterso,
den U-Booten in den Sechzigerjahren, beim Tornado in den Siebzigern und
Achtzigern bis hin zu den Hubschraubern der Gegenwart. Immer wieder
wird, was die Bundeswehr bestellt hat, am Ende teurer, schlechter und
kommt später.
Wenn der deutsche Staat Waffen bestellt,geht es meist um sehr viel Geld
– und um die Interessen dreier mächtiger Gruppen:
der Bundeswehr, der zivilen Beschaffungsbürokratie und der
wehrtechnischen Industrie. Die Armee will das Beste, was
künftige Technik bieten könnte, Lösungen mit
Goldrand also. Die Industrie will möglichst viel Geld
verdienen und verspricht, das Geforderte zeitnah liefern zu
können. Das mächtige zivile Beschaffungsmanagement
wiederum wählt aus, wer liefern darf; es kümmert sich
um die Gestaltung der Verträge und mögliche
Änderungen. Zudem prüft es, ob die Qualität
der Lieferungen stimmt und den Vorschriften sowie
Zulassungsbestimmungen entspricht.
Die Entwicklung von Schiffen, Flugzeugen oder Panzern bis zur
Einsatzreife dau-
ert oft zwei oder drei Jahrzehnte, manchmal gar vier. In der
Zwischenzeit ändern sich die Technik und oft auch die
militärischen Anforderungen. Das wiederum treibt den
Zeitbedarf, die Kosten und die Zahl der Vertragsänderungen in
die Höhe. Beim Transportflugzeug A400M gab es nach rund zehn
Jahren bereits 38 Änderungen. Die Systeme, die
ursprünglich beauftragt wurden, sind selten jene, die
später in Dienst gestellt werden.
Da im Verteidigungsministerium nur jene Vorhaben als gute Projekte
gelten, über die man nur Gutes hört, werden Probleme
oft lange unter der Decke gehalten. Die Politik erfährt nichts
davon. Der Industrie ist das recht. Alle drei Interessengruppen suchen
lieber den Ausweg auf Kosten eines Vierten, des Steuerzahlers.
Die größten Beschaffungsprojekte der Bundeswehr sind
multinational – das macht die Sache noch komplizierter. Die
beteiligten Nationen kümmern sich oft primär um die
heimischen Arbeitsplätze und wünschen jeweils
nationale Ausstattungsvarianten. Das Projektmanagement wird einer
multinationalen Bürokratie übertragen, jede Nation
kann aber nur ihre nationalen Entwicklungs- und Produktionsanteile
überwachen. Das schwächt die Kontrolle der
Auftraggeber über das Gesamtprojekt. Die Transparenz bleibt
auf der Strecke; auch der Bundesrechnungshof kann nur die deutschen
Anteile prüfen.
In dieser Gemengelage hat das Verteidigungsministerium schon mehrfach
externe Experten zu Hilfe gerufen, um der Probleme im Beschaffungswesen
Herr zu werden. Die Berater kamen und gingen, die Probleme aber
blieben. In der Regel bringen die Unternehmen juristischen und
betriebswirtschaftlichen Sachverstand mit. Oft empfehlen sie, die
Bürokratie zu verschlanken und Aufgaben zu privatisieren. Das
kuriert einige Symptome, dringt aber
nicht zu den Ursachen der Probleme vor.
Jetzt sollen die Berater – so heißt es vage in der
Ausschreibung – eine „Risiko- und
Frühwarnanalyse zentraler Rüstungsprojekte“
vorlegen, zudem den „Projektreview eines zentralen
Projekts“ und „Handlungsempfehlungen für
Management und Organisationsentwicklung“. Bis September
sollen sie damit fertig sein. Drei Monate für die Analyse tief
greifender Probleme, zudem in der Haupturlaubszeit – das
bedeutet auch, dass das Koblenzer Beschaffungsamt der Bundeswehr den
Externen nicht wirklich die Gelegenheit gibt, den Problemen auf den
Grund zu gehen. Inhaltlich zeigt sich ein ähnliches Bild: Da
nur ein Projekt – national oder multinational – im
Detail untersucht werden soll, werden sich die
Verbesserungsvorschläge kaum auf die Probleme der anderen
Projektart übertragen lassen. Schon diese Aufgabenstellung
erweckt also nicht den Eindruck, als strebe man eine
gründliche Reform des Beschaffungswesens an. Dabei
wäre genau das notwendig.
Was wären Ansätze für eine hilfreiche
Beratertätigkeit? Da wären zunächst die
nationalen Projekte, zum Beispiel der Schützenpanzer Puma oder
die Fregatte 125. Hier könnte ein qualifiziertes, am
Projekterfolg orientiertes, zentrales Controlling helfen. Es muss den
drei Interessensgruppen Grenzen setzen, statt sie weiter allein vor
sich hin werkeln zu lassen. Schwieriger würde es bei
multinationalen Projekten. Deren Bedeutung wird weiter zunehmen und
auch nicht auf Großprojekte beschränkt bleiben.
Rüstungsgüter aller Art müssen
künftig in internationaler Kooperation beschafft werden.
Multinationale Einsätze erfordern zudem eine harmonisierte
Ausrüstung. Hier muss das Projektmanagement transparent und
kontrollierbar gemacht werden, nationale Eigeninteressen begrenzt und
ein nationenübergreifendes Controlling konzipiert werden.
Hilfreich wäre auch eine externe Beratung bei der Reform des
Koblenzer Beschaffungsamts. Dies ist eine Mammutbehörde, die
so viel Selbstbewusstsein wie Eigenleben entwickelt hat. Sie hat auf
jedes Beschaffungsprojekt entscheidenden Einfluss. Wiederholt wurden
Vorschläge präsentiert, diese Behörde zu
reformieren, aufzusplitten oder in eine Agentur umzuwandeln –
umgesetzt wurde nichts. Die Behörde wurde stattdessen immer
größer und einflussreicher.
Alle gute Beratung hilft nichts, wenn nicht der politische Einfluss auf
die Beschaffung beschränkt wird. So manches große
Rüstungsprojekt entsteht nicht primär, weil es
sicherheitspolitisch geboten ist, sondern aus politischen oder
industriepolitischen Motiven: Mal soll die
deutsch-französische, mal diet ransatlantische
Rüstungskooperation gefördert werden, mal die
nationale technologische Kompetenz. Dem müssen Grenzen gesetzt
werden.
Es ist Aufgabe der Politik, die Aufgaben einer externen Beratung
festzulegen und präzise zu formulieren. Das ist nicht
ausreichend geschehen. Ursula von der Leyens Versuch, das
Beschaffungswesen zu reformieren, könnte deshalb bereits
gescheitert sein, bevor er richtig begonnen hat.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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